GHF-Tagung 2014: Großhandel verhalten optimistisch
Die Branche stellt sich dem Strukturwandel
Digitale Revolution, anhaltender Konzentrationsprozess, demografischer Wandel - der Großhandel in Deutschland steht vor vielfältigen Herausforderungen. Wie diese zu meistern sind, erfuhren die 252 Teilnehmer der GHF-Jahreshauptversammlung in Frankfurt. Hochkarätige Referenten zeigten unter verschiedenen Aspekten Wege auf, wie die Branche trotz des Strukturwandels am Markt bestehen kann. Die Chancen sind groß, auch wenn die Unternehmen in diesem Jahr kaum Zuwächse zu erwarten haben. Vor allem textile Beläge und Wärmedämmverbund-Systeme erweisen sich als Sorgenkinder. Aber es gibt auch positive Signale im wirtschaftlichen Umfeld: Die Zahl der Baugenehmigungen steigt von Jahr zu Jahr. Darauf können Industrie und Großhandel langfristig bauen.Die Stimmung auf der Jahreshauptversammlung des Bundesverbandes Großhandel Heim & Farbe (GHF) war angesichts der schwächelnden Konjunktur und der Krisenherde in der Ukraine, in Syrien und im Irak nicht gerade euphorisch. Aber von einer Depression waren die Vertreter aus Großhandel und Industrie im Sheraton Frankfurt Congress Hotel ebenfalls weit entfernt. "Das Glas ist halbvoll, die Zukunft wartet auf uns", sagte Vorstandsmitglied Martin Geiger, der die Eröffnungsrede in Vertretung des erkrankten Vorsitzenden Eberhard Liebherr hielt.
Entsprechend diesem Leitsatz gaben sich die Teilnehmer verhalten optimistisch und genossen inspirierende Vorträge, deren Qualität einen Großteil der Redebeiträge aus den vorangegangenen Jahren bei weitem übertraf. Thematisch reichte die Bandbreite vom Kartellrecht über den Aufruf zu mehr Respekt bis hin zum Internet.
Die hochkarätigen Referenten vermittelten mit ihren fachlich fundierten Ausführungen, dass ein gesundes, zeitgemäß operierendes Unternehmen auch bei schwierigen Rahmenbedingungen bestehen kann. Voraussetzung seien Anpassungen an den Markt und kreative Betriebsführung.
Für die Zusammenstellung des Programms und die gelungene Organisation der zweitägigen Versammlung gebührt GHF-Geschäftsführer Jürgen Wagner sowie seinen beiden Mitarbeiterinnen Michaela Zecchini und Anja Westhoff ein dickes Lob. Finanziell konnten sie sich auf Zuschüsse der Unternehmen Meffert und Erfurt stützen, die den Vortrag von René Borbonus sponsorten, sowie des Klebebandherstellers Kip für den Marketingexperten Sanjay Sauldie.
Wichtiger Impulsgeber und PlattformDass die GHF-Tagung ein Pflichttermin in vielen Kalendern ist, beweist die Zahl von 252 Teilnehmern. Das sind nur sechs weniger als im vergangenen Jahr, als ein Rekordbesuch zu verzeichnen war. Die Anwesenden sehen die Tagung nicht nur als wichtigen Impulsgeber, sondern auch als Plattform, auf der sich Großhandel und Industrie über aktuelle Probleme austauschen können. Vor allem beim abendlichen, sehr hochwertigen Diner wurde die Gelegenheit zu Gesprächen und Diskussionen ausgiebig genutzt.
Doch bevor intelligente Vorträge und Gaumenschmaus aus dem schnöden Geschäftsalltag entführten, kam Jürgen Wagner die undankbare Rolle zu, die wirtschaftliche Lage anhand von nüchternen Zahlen für das erste Halbjahr 2014 darzustellen. Diese fielen nicht alle nach dem Geschmack des Publikums aus.
Vor allem die Entwicklung im Segment textile Bodenbeläge ließ die Sorgenfalten noch tiefer werden. Angesichts eines erneuten Minus von 6 % vermochte auch die mehrheitlich als positiv empfundene, vor einem Jahr von der Copa gestartete Kampagne "Teppich & Du" noch nicht für bessere Stimmung zu sorgen.
Im Gegensatz zu den textilen legten die elastischen Beläge noch einmal um 8,2 % zu, Parkett/Laminat um 1,1 %. Kleber und Spachtelmassen lagen mit 6,8 % im Plus.
Im Farbenbereich gibt es bei Lack- und Dispersionsfarben einen Aufwärtstrend. Hier verzeichnete der Großhandel ein Plus von 9,5 bzw. 7,8 %. Wärmedämm-Verbundsysteme (WDVS) schafften es zwar mit +3,3 % aus dem roten Bereich, was aber bei einem Minus von 7,5 % zum Halbjahr 2013 nicht für einen Ausgleich reicht. Langsam und stetig wächst das für den Großhandel eher kleine Segment Tapete (+3,5 %); Werkzeuge blieben nahezu stabil (+5,6 %). Heimtextilien verloren hingegen weiter um 3,0 %.
"Branche profitiert von Baugenehmigungen"Auch wenn vor den meisten Zahlen im ersten Halbjahr ein Plus steht, hielt sich der Optimismus in Grenzen. Nach Ansicht Wagners bahnt sich zum Jahresende unter dem Strich allenfalls ein Umsatzergebnis von +/-0 an. Dies ergebe sich aus den weniger erfreulichen Ergebnissen in den vergangenen beiden Monaten.
Trotzdem warnte er davor, den Kopf in den Sand zu stecken, und verwies auf die hoffnungsvolle Bauprognose für die nächsten Jahre: "Bei den Baugenehmigungen gibt es von Jahr zu Jahr ein ordentliches Wachstum." Allein im ersten Halbjahr 2014 liege das Plus bei 9,6 %. Ein Ende sei nicht abzusehen; davon werde die Branche profitieren.
Allerdings wird die Zahl der Großhandelsunternehmen immer kleiner. Wie Wagner deutlich machte, sank sie von 121 im Jahr 2006 auf 95 in 2014. Gleichzeitig gibt es aktuell mit 587 Niederlassungen 200 mehr als vor acht Jahren. "Es gibt immer weniger Entscheider, aber die Präsenz wird größer", fasste der Geschäftsführer zusammen. Wer sich in diesem Strukturwandel behaupten könne, habe die nötige Weitsicht und ein gutes Management.
Dass viele Unternehmen darüber verfügen, zeigten die zahlreichen Firmenjubiläen dieses Jahres. Als Beispiele nannte Wagner Carl Magney (125 Jahre), Farben Demmler (75 Jahre) sowie Copa, Hometrend und die Fendal Farben Vertriebsgesellschaft (50 Jahre).
Als positives Signal wertete der Geschäftsführer die Ergebnisse der Konjunkturumfrage des Bundesverbandes Farbe Gestaltung Bautenschutz vom Frühjahr. Gegenüber der Umfrage 2012 gaben nur 1 % weniger Maler an, im Großhandel einzukaufen. Zugelegt haben der Direktverkauf bei der Industrie und der Baustoff-Fachhandel, während der Baumarkt an Bedeutung verliert. Wichtig sind für den Maler vor allem schneller Lieferservice und Beratung, erst dann kommt der Preis. Auf Palettenzugaben kann die Mehrheit verzichten.
Auch Martin Geiger, Geschäftsführer bei Alois Geiger Söhne in Aschaffenburg, beschäftigte sich mit der geschäftlichen Entwicklung des Großhandels. Damit dieser erfolgreich bleiben kann, brauche es den dreistufigen Vertrieb. In diesem Zusammenhang lobte er die Vertriebsstruktur im Segment Farbe.
"Nur der Bereich Bodenbeläge ist Kraut und Rüben", kritisierte Geiger. "Als Großhändler wollen wir mit unseren Herstellern zusammenarbeiten. Wir bilden eine Verdienst-Gemeinschaft, in der die Aufgaben aufgeteilt sind, und jeder sollte das tun, was er am besten kann." Er forderte die Zulieferindustrie auf, am dreistufigen Vertrieb festzuhalten und ihre Organisations-Strukturen entsprechend auszurichten.
Preisliche Differenzierung gefordertSelbstkritisch gab sich Geiger mit der Aussage, der Großhandel sei bei zunehmendem Angebot "nicht ganz unschuldig" an sinkenden Preisen. Als Beispiel nannte er die Marktentwicklung bei LVT. "Hier werden manchmal Preise gemacht, die auf keiner seriösen kaufmännischen Kalkulation beruhen", rügte er und appellierte an seine Kollegen, Geld zu verdienen anstatt es zu vernichten.
Doch auch die Industrie biete einzelnen Handwerkern und Fachgeschäften Preise an, die auf dem Niveau oder sogar unter der Großhandels-Listung lägen. "Wenn schon für den absoluten geschäftlichen Erfolg eine Fach-Einzelhandels-Listung notwendig ist, dann verlangen wir als Großhandel eine eindeutige preisliche Differenzierung", machte das GHF-Vorstandsmitglied deutlich.
Der Preis war auch ein wichtiger Faktor im Vortrag von Anwalt Dr. Axel Kallmayer. Er sprach über "Aktuelle kartellrechtliche Entwicklungen für Industrie und Großhandel - Risiken erkennen und vermeiden" - ein Thema, das nicht nur in der von der Kartellbehörde gebeutelten Tapetenindustrie den Blutdruck höher schnellen ließ. Auch Großhändler und Hersteller von Bodenbelägen sowie Farben kamen ins Schwitzen, als sie realisierten, wann im Kontakt mit dem Wettbewerber bereits ein Verstoß gegen das Kartellrecht gegeben ist. Der GHF hatte dazu schriftlich eine kartellrechtliche Erklärung abgegeben. Die Unsicherheit bei diesem Thema ist groß, abzulesen an den zahlreichen Fragen an Kallmayer.
Das Kartellrecht macht auch vor dem Internetvertrieb nicht halt, den die Kartellbehörde nach Auskunft des Anwalts derzeit besonders aufmerksam beobachtet. Die Präsenz im Netz war das Kernthema von Sanjay Sauldie. Der in indischen Gewändern auftretende Experte für Internetmarketing hob in seinem mit Ironie und Pathos vorgetragenen Referat "Der Großhandel 2.0 - Was Sie über die Veränderungen Ihrer Märkte im Internet wissen sollten" hervor, wie wichtig die Präsenz von Unternehmen in sozialen Netzwerken ist. "Zwölf Follower auf Facebook reichen aus, um eine Weltreligion zu gründen", sagte er in Anspielung an die Anfänge des Christentums.
"Respekt macht Unternehmen erfolgreicher""Man muss den Wandel aktiv angehen", riet auch der Wirtschaftsredakteur Mark C. Schneider in seinem Beitrag "Wirtschaft ohne Großhandel - wirklich undenkbar?" Die digitale Revolution führe dazu, dass sich die Grenzen zwischen Produzenten, Großhändlern und Einzelhändlern auflösten. "In Zukunft gibt es keine klassische Arbeitsteilung mehr", prophezeite Schneider, ohne jedoch die Frage aus dem Titel seines Vortrags eindeutig zu beantworten. Er sprach sich für Kooperationen aus. Diese seien kein Zeichen von Schwäche, sondern - im Gegenteil - von Stärke in einem sich verändernden Umfeld. Dabei müsse der Großhandel auf seine Dienstleistung setzen, um die Herausforderungen zu bestehen. "Keiner kennt die Bedürfnisse der Kunden so gut wie Sie", betonte der Redakteur.
Einen weiteren wichtigen Aspekt für die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen im Allgemeinen lieferte der Kommunikationstrainer und Buchautor René Borbonus. "Respekt macht Menschen gesünder, Unternehmen erfolgreicher", lautete eine seiner Kernthesen in seinem von überraschenden Erkenntnissen geprägten Vortrag "Respekt! Ansehen gewinnen bei Freund und Feind." Damit zeigte er den Anwesenden auch einen Weg gegen den drohenden Fachkräftemangel auf.
Als Fazit lässt sich sagen: Die GHF-Tagung bot ordentlichen und außerordentlichen Mitgliedern sowie Gästen zwei ereignisreiche Tage, an denen diese viele wertvolle Tipps für die erfolgreiche Unternehmensführung erhielten. Deutlich wurde, dass die Branche zwar vor allem infolge der digitalen Revolution mit einem Strukturwandel zu kämpfen hat. Wenn sie darauf mit frischen Ideen reagiert, anstatt die Veränderungen auszusitzen, ist sie aber zukunftsfähig. Sie muss ihre Chancen nur nutzen. Dabei kann sie auf die Stärke der überwiegend familiengeführten Unternehmen setzen.
Unterstützt wird der Großhandel dabei auch weiterhin vom GHF, der einen Personalwechsel im Vorstand zu vermelden hatte. Nach dem Ausscheiden von Bernhard Brand ist nun Frank A.-Kühnel vom Maler-Einkauf Rhein-Ruhr neu in dem Gremium, das aus dem Vorsitzenden Eberhard Liebherr (Lotter + Liebherr), dessen Stellvertreter Horst Randecker (Farbtex Kaltenbach), Schatzmeister Norbert Sonnen (Sonnen-Herzog) sowie Martin Geiger (Alois Geiger Söhne) und Christina Engelhard (Rolf Engelhard) besteht.
Die nächste Jahreshauptversammlung findet vom 30. September bis 1. Oktober 2015 in Berlin statt.
(cornelia.kuesel@snfachpresse.de)
aus
BTH Heimtex 11/14
(Wirtschaft)