Interview: 20 Jahre Care & Fair
Ein stabiles Fundament ist gelegt
Die Initiative Care & Fair bekämpft seit nunmehr 20 Jahren Kinderarbeit in der Teppichproduktion und baut gleichzeitig soziale Einrichtungen auf. Geschäftsführer Peter Fliegner und der 1. Vorsitzende, Volker Heinrich, wollen neue Projekte starten sowie die Nachhaltigkeit der bestehenden sichern - und bitten dafür die Branche um mehr Engagement.
Carpet XL: Care &Fair wurde gegründet als das Thema Kinderarbeit in der Teppichproduktion in den Medien im Blickpunkt stand. Wie sieht die Situation in den Ursprungs- und Konsumentenländern heute aus?
Peter Fliegner: In den westlichen Medien liest man kaum noch von Kinderarbeit in unserer Branche, heute stehen andere Bereiche im Fokus, wie etwa die Produktion von Grabsteinen, Schokolade oder Textilien. Ein Grund dafür, dass die Teppichbranche aus dem Fokus der Öffentlichkeit geraten ist, ist sicher auch, dass es in den Teppichknüpfregionen in und um Bhadohi heute keine Kinderarbeit mehr gibt.
Volker Heinrich: Schon vor Jahren hat uns Terre des Hommes für unsere Arbeit gelobt und bestätigt, dass Kinderarbeit im indischen Teppichgürtel stark zurückgegangen ist. Aber auch die Marktlage verändert die Situation: In Pakistan und in Nepal ist die Teppichproduktion stark zurückgegangen, weil es nur eine geringe Nachfrage gibt und immer mehr Knüpfer in andere Industrien abwandern, um dort Geld mehr zu verdienen.
Carpet XL: Welche Philosophie steht hinter Care & Fair?
Fliegner: Unser Konzept ist eigentlich banal: Wir wollen, dass Kinder in die Schule gehen, anstatt Teppiche zu knüpfen. Denn Kinder, die lernen, können nicht arbeiten. Ein Gradmesser unseres Erfolges ist auch die Tatsache, dass heute beim Teppichkauf die Frage nach Kinderarbeit kaum noch gestellt wird.
Carpet XL: Aber die Teppichbranche hat ja nicht nur eine Verantwortung gegenüber Kindern.
Heinrich: Richtig, deshalb wollen wir die Lebensbedingungen aller Menschen in den Knüpfregionen verbessern. Ein Beispiel sind unsere Women-Empowerment-Programme, für die es lange Wartelisten gibt. Mit ihnen ermutigen wir erwachsene Frauen zu mehr Selbständigkeit und ermöglichen es ihnen, zum Haushaltseinkommen beizutragen. Leider können wir die vielen Frauen aus den Dörfern, die nähen und sticken sowie lesen, rechnen und schreiben lernen wollen, nicht alle in unseren Schulen aufnehmen. Dazu fehlen uns Platz und Geld.
Carpet XL: Auf welche Errungenschaften sind Sie besonders stolz?
Fliegner: Wir haben viele Schulen und Tageskliniken in den Ursprungsländern aufgebaut. Dafür haben wir Grundstücke erworben, Gebäude errichtet und diese in Betrieb genommen. Damit haben wir bewiesen, dass die Branche, wenn sie zusammensteht, die Lebensbedingungen der Menschen, die für sie tätig sind, ganz konkret verbessern kann. Leider engagieren sich heute nur noch wenige Marktteilnehmer für unsere Arbeit.
Carpet XL: Warum gibt Care & Fair nicht mehr Geld für Werbung aus?
Heinrich: Wir werden oft gefragt, warum Care & Fair nicht so bekannt ist wie andere NGOs, die nur wenig Projekte haben. Wir investieren lieber jeden Dollar und Euro vor Ort: Zurzeit haben wir 26 Projekte. 4.500 Kinder können durch Care & Fair regelmäßig in die Schule gehen, und jede Schule ist mit Computern ausgestattet. 90.000 Patienten lassen sich pro Jahr in unseren Gesundheitszentren behandeln, und mehr als 300 Frauen nehmen an unseren Kursen der Erwachsenenbildung teil.
Carpet XL: Woher kommt das Geld für all diese Maßnahmen?
Heinrich: Care & Fair finanziert sich bis heute ausschließlich aus Zahlungen von Marktteilnehmern, Mitgliedern, Sponsoren und Spendern und ist dadurch unabhängig. Wir erhalten keine Zuschüsse von öffentlichen Stellen oder anderen Organisationen.
Carpet XL: Wo sehen Sie Care & Fair in fünf Jahren, wenn es das nächste Jubiläum zu feiern gibt?
Fliegner: Wir wollen das Erreichte festigen und darüber hinaus weiter für verbesserte Lebensbedingungen der Teppichknüpffamilien sorgen. Größte Herausforderungen sind die Finanzierung der Projekte und die Suche nach engagierten Personen, die die Arbeit von Care & Fair weiterführen. Denn im Laufe der 20 Jahre sind die Verantwortlichen in Deutschland in Indien, Nepal und Pakistan in die Jahre gekommen. Jüngere sollten nun die Verantwortung übernehmen.
aus
Carpet Magazin 01/15
(Wirtschaft)