GHF: Interview mit Christina Engelhard, Martin Geiger, Frank A. Kühnel und Jürgen Wagner

"Der Großhandel muss sich um neue Zielgruppen kümmern"


Im deutschen Großhandel für Farben und Bodenbeläge verändert sich die Kundenstruktur: Die Zahl der Raumausstatter nimmt ab, der Maler erweitert sein Aufgabengebiet zunehmend Richtung Boden und neue Berufsgruppen wie Hausmeister-Services übernehmen klassische Arbeiten der Maler und Bodenleger. Dazu verstärkt die Industrie das Direktgeschäft im Objekt. Als Konsequenz wollen sich die Grossisten neuen Zielgruppen öffnen. In einem Gespräch mit Michael Steinert, Chefredakteur BTHHeimtex, sowie den Redakteuren Cornelia Küsel, Jochen Lange und Thomas Pfnorr erläutern Jürgen Wagner, Geschäftsführer der Branchenverbandes GHF, und die Vorstandsmitglieder Christina Engelhard (Engelhard Gruppe), Martin Geiger (Alois Geiger Söhne) sowie Frank A. Kühnel (Malereinkauf Rhein-Ruhr) die Entwicklungen und die Reaktionen. Für 2015 geben sie sich moderat optimistisch, weisen aber auf die problematischen Segmente Wärmedämmung und textiler Bodenbelag hin. Für diesen gibt es aber einen leisen Hoffnungsschimmer, was nicht zuletzt an der Kampagne "Teppich & Du" liegt.


BTH Heimtex: Wie läuft es wirtschaftlich im Großhandel?

Jürgen Wagner: Nach einem ordentlichen Ergebnis von plus 4 % im vergangenen Jahr ist das erste Quartal 2015 zwar nicht dramatisch schlecht gelaufen. Aber im Vergleich mit dem aufgrund des milden Winters sehr guten Vorjahresquartal fiel der Start ins laufende Jahr lediglich moderat aus. Doch die Rahmenbedingungen sind in Ordnung, die Zahl der Baugenehmigungen steigt. Von daher wage ich die Prognose, dass wir das Gesamtjahr über alle Sortimente hinweg mit einem Umsatzplus von 3 bis 4 % abschließen werden. Allerdings ist die Situation im Bodenbelagsgroßhandel wohl schwieriger als im Farbenbereich, wo es größeren Nachholbedarf gibt, der jetzt gedeckt wird.

In den einzelnen Produktsegmenten gibt es aber doch sicherlich unterschiedliche Entwicklungen.

Wagner: Eines unserer Sorgenkinder ist die Wärmedämmung, die schon seit zwei Jahren schlecht läuft. Sie macht einen nicht unerheblichen Anteil im Farbengroßhandel aus. Und eine Lösung des Problems ist nicht in Sicht.

Wie hoch ist denn der Anteil der Wärmedämmung?

Frank A. Kühnel: Bis zu 25 %.

Wagner: Wer einen solch hohen Anteil hat, wird durch den Nachfragerückgang der Wärmedämmung erhebliche Probleme haben. Es gibt aber auch Großhändler, bei denen die Wärmedämmung eine untergeordnete Rolle spielt und dort lassen sich die Rückgänge auch einigermaßen kompensieren.

Wie sieht es in den übrigen Segmenten aus?

Wagner: Bleiben wir zunächst im Farbengroßhandel. Lacke und Dispersionsfarben sind sehr schleppend gestartet. Aber selbst der Verband der Lack- und Farbenindustrie hat ja seine Prognose für Bautenfarben nach oben korrigiert und geht von plus 2 % für dieses Jahr aus.

Im Bodengroßhandel ist es vor allem der textile Belag, der sich weiterhin schlecht entwickelt, obwohl die Produktionsmengen in Deutschland zulegen. Aber das ist im Großhandel noch nicht angekommen. Elastische Beläge bewegen sich ebenso positiv wie im Vorjahr, da geht aber noch etwas. Parkett und Laminat sind unter Druck. Seit Jahren gute Zuwachsraten haben dagegen Werkzeuge, hier wird vom Handwerk viel investiert.

Interessant ist auch die Tapete, die im Großhandel einen Umsatzanteil von 4 bis 7 % hat. Das ist ein Sortiment mit hochwertigen Kollektionen, auf deren kontinuierliche Steigerungen man sich seit vier bis fünf Jahren verlassen kann. Das ist sicherlich auch eine Folge davon, dass Promis wie Dieter Bohlen, Hadi Teherani oder Barbara Becker als Testimonials ein Synonym für modern und schön sind. Das wird honoriert.

Sehen die Vertreter des Großhandels die Gesamtentwicklung ebenso positiv wie der GHF-Geschäftsführer?

Kühnel: Das erste Halbjahr war stark. Aber für das Gesamtjahr gehen wir von einer Stagnation aus.

Martin Geiger: Bislang sind auch wir nur auf Vorjahresniveau. Die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind zwar super, aber das kommt beim Großhandel nicht an. Ob wir im zweiten Halbjahr eine Steigerung hinbekommen, da bin ich skeptisch.

Woher kommt Ihr Pessimismus angesichts voller Auftragsbücher im Handwerk?

Wagner: Die Malerbetriebe haben volle Auftragsbücher. Aber da muss man nach dem Grund fragen. Viele Maler reduzieren derzeit ihr Personal, um wirtschaftlich auf der sicheren Seite zu stehen. Mit weniger Mitarbeitern sind sie dann voll ausgelastet und machen ihr Geschäft, während dem Großhandel die Nachfrage fehlt.

Im Bodenbereich zeigt sich diese Entwicklung allerdings nicht, hier bleibt die Zahl der Verarbeiter in etwa gleich. Insgesamt gehe ich dennoch von einem Plus für das Gesamtjahr aus.

Setzt sich die seit Jahren anhaltende Konzentration im Großhandel weiter fort?

Wagner: Ja, es wird weiterhin Betriebsaufgaben, Übernahmen und Fusionen geben. Allein in den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der Großhändler um 30 % zurückgegangen. Demgegenüber steht eine Zunahme der Niederlassungen um 65 %. Das heißt, die einzelnen Großhändler sind stärker geworden - bei gestiegener Filialisierung. Das kann eine Chance für die verbliebenen Betriebe sein, aber auch ein Risiko.

Mit der zunehmenden Filialisierung ist auch steigender Personalbedarf verbunden. Bereitet der demografische Wandel Ihnen bei der Rekrutierung sowohl von Mitarbeitern als auch von Ausbildungswilligen Schwierigkeiten?

Geiger: Wir müssen um gute Mitarbeiter kämpfen.

Wagner: Junge Leute gehen lieber in die Industrie, damit können sie etwas anfangen. Den Großhandel dagegen kennen sie, wenn überhaupt, lediglich in ihrem regionalen Umfeld.

Christina Engelhard: Ein weiteres Problem ist, dass die Industrie Mitarbeiter abwirbt, die im Großhandel ausgebildet wurden.

Kühnel: Das hält sich nach meinen Erkenntnissen allerdings inzwischen die Waage. Wir verlieren im Farbengroßhandel genauso viel ausgebildete Fachkräfte an die Industrie wie wir von ihr bekommen.

Was treibt eine Fachkraft dazu, von der gut zahlenden Industrie zum Großhandel zu wechseln?

Kühnel: Die Industrie zahlt in Relation immer schlechter. Um Mitarbeiter nicht zu verlieren und neue zu gewinnen, war der Großhandel im Zuge der Filialisierung in den vergangenen Jahren zu Lohnsteigerungen gezwungen. Die Gehaltsentwicklung eines Außendienstlers in der Industrie hinkt mittlerweile der des Kollegen im Großhandel hinterher. Hinzu kommt, dass der Außendienstler im Großhandel mehr Lebensqualität erfährt. Sein Zuständigkeitsgebiet ist viel kleiner. So bleibt mehr Zeit für Familie und Freizeit.

Dennoch, das Personalproblem bleibt bestehen. Wie gehen Sie es an?

Kühnel: Lokal. Man muss sich als Arbeitgeber vor Ort einen guten Ruf auf der Ausbildungsebene erarbeiten. Wir übernehmen zum Beispiel alle unsere Auszubildenden. Das spricht sich herum, über Berufsschulen und die IHK.

Geiger: Wir müssen mehr ins Personal investieren und die Leute noch besser qualifizieren. Die Mitarbeiter müssen das Gefühl haben, bei uns gut aufgehoben zu sein.

Auch die Raumausstatter leiden. Es gibt immer weniger Betriebe - aus wirtschaftlichen Gründen oder mangels Nachfolger. Verändert sich dadurch die Struktur Ihrer Kundschaft?

Engelhard: Die Zusammensetzung verändert sich auf jeden Fall. Denn zum einen wollen viele Kinder den elterlichen Betrieb nicht übernehmen, zum anderen geben Mitarbeiter auf, weil sie keine Handwerker sein wollen. Der Handwerksberuf ist in Deutschland leider nicht positiv behaftet.

Wagner: Das Handwerk hat in der Tat ein schlechtes Ansehen. Nach einem Ranking des Bundesinstituts für Berufsbildung zu den bei Schulabgängern beliebtesten Berufen liegt der Raumausstatter auf Platz 101, der Maler immerhin noch auf Platz 22, aber der Bodenleger auf Platz 222 und der Parkettleger auf Platz 153. Das zeigt deutlich, dass es nicht der Wunsch der jungen Leute ist, ins Handwerk zu gehen.

Geiger: Aber es findet auch eine Verschiebung der Aufgabenfelder statt. Durch den Wegfall des Meisterzwangs übernehmen beispielsweise Hausmeister-Services die klassischen Arbeiten des Raumausstatters. Die machen alles, von der Gartenarbeit bis hin zum Bodenlegen.

Spielen die Hausmeister-Services denn mittlerweile eine wichtigere Rolle für den Großhandel?

Engelhard: Ja, ihre Zahl steigt. In der Vergangenheit haben wir Raumausstatter, Bodenleger und Maler bedient. Heute gehören Hausmeister-Services zu unseren Kunden und wir beraten sie und vermitteln ihnen das nötige Fachwissen.

Veränderte Kundenstrukturen, intensives Bemühen um Auszubildende, Filialisierung - das bedeutet zusätzliche Kosten für den Großhandel. Wie wollen sie die kompensieren?

Engelhard: Wir müssen neue Zielgruppen suchen. Es wird Zeit, dass wir umdenken und nicht nur Bodenleger ansprechen oder Betriebe, die direkt unserem Bereich zugeordnet werden können. Es gibt weitaus mehr Berufsgruppen, die sich mit unseren Produkten auseinandersetzen. Um diese Zielgruppen müssen wir uns verstärkt kümmern und unser Personal entsprechend einsetzen. Außer dem Hausmeister-Service gehört zum Beispiel auch der Gartenbau mit seinem Kunstrasen zu den potenziellen Zielgruppen.

Auch wenn die Industrie vermehrt textile Beläge, aber vor allem LVT direkt an Objekteure liefert, ist die Nachfrage nach Bodenbelägen insgesamt ja vorhanden. Wir müssen uns den neuen Entwicklungen eben anpassen.

Gehört dazu auch die Kannibalisierung innerhalb des Großhandels? Schließlich kaufen Maler die Bodenprodukte im Farbengroßhandel ein.

Geiger: Wir haben uns bislang nicht an die Maler heran getraut. Aber bei ihnen können wir mit unserem Sortiment Fuß fassen. Die Maler, die einen Bodenbelagsanteil am Umsatz von 30 % und mehr haben, müssen wir als Kunden erschließen.

Wagner: Der Maler hat immer schon Boden verlegt, aber früher deutlich weniger als heute. Doch es gibt auch viele Maler, die in den Bodenbelagsgroßhandel gehen, denn sein Farbengroßhändler kann ihm die Sortiments-tiefe nicht bieten. Das betrifft 30 % der Maler, die Bodenbeläge verlegen.

Inwieweit steigt der Bodenanteil im Farbengroßhandel?

Wagner: Darüber gibt es kein Zahlenmaterial. Aber fest steht, dass sich 42 % der Maler schon heute häufig, sehr häufig oder regelmäßig mit dem Bodenbelag beschäftigen. Diese Zahl wird weiter steigen. Und mit wachsender Bodenkompetenz kauft der Maler auch im Bodengroßhandel, vor allem, wenn es sich bei der Verlegung um größere Flächen handelt.

Wie hoch ist denn der Anteil der Bodenbeläge bei Ihnen, Herr Kühnel?

Kühnel: Er liegt bei etwa 10 %.

Hat denn der Maler, der mittlerweile vom Boden bis zur Decke alle anfallenden Arbeiten übernimmt, auch die entsprechende Beratungs- und Gestaltungskompetenz?

Kühnel: Wir beschäftigen extra eine Innenarchitektin, auf deren Rat unsere Malerkunden zurückgreifen können.

Engelhard: Als Bodenbelagsgroßhandel haben wir eher die Malerkunden, die auch ein Händchen für Boden haben. Und diese haben ein Auge für Farben und können sehr gut gestalten.

Welche Produktgruppen profitieren vom der steigenden Bodenanteil beim Maler?

Wagner: Vor allem die einfach zu verlegenden Beläge. Alles, was geklickt und lose verlegt wird, findet man im Farbenhandel.

Kühnel: Eine sehr starke Steigerung hat der Designbelag erfahren. Der Hype kam mit der Klick-Verlegung. Im Bereich Teppichboden verzeichnet der Maler dagegen Umsatzrückgänge. Ansonsten herrscht Stabilität.

Welcher Bodenbelag ist denn der wichtigste im Sortiment?

Engelhard: Als Großhandel müssen wir das gesamte Sortiment anbieten. Allerdings verschiebt sich die Gewichtung, wir müssen auf den Markt reagieren. So wurde der LVT-Bereich mit Planken extrem erweitert, während wir Bahnenware reduzieren.

Geht mit der neuen Produktstruktur auch eine Veränderung des Lagers einher?

Geiger: Das ist ein umfangreicher Transformationsprozess. Wir haben zum Beispiel unsere Paternosteranlage abgebaut und dafür Kragarm-Regale aufgestellt. Das ganze Lager wurde zugunsten der Planken umgemodelt. Deren Vorteil für uns liegt darin, dass wir keine Probleme mehr mit Resten haben.

Die Nachfrage verändert sich. Verändert sich auch die Beratung?

Geiger: Endkunden wissen heute ziemlich genau, was sie wollen. Hier ist es sehr schwierig, durch eine gute Beratung ein anderes Produkt zu verkaufen, zum Beispiel Teppichboden statt Parkett. Durch gute Beratung kann man eventuell noch erreichen, dass der Verbraucher ein qualitativ hochwertigeres Produkt kauft. Wie gesagt, dies ist sehr schwierig, da er sich im Internet vorher schon erkundigt hat.

Engelhard: Deshalb werden heute auch Beläge in Bereichen verlegt, in denen wir eher abraten würden. Beispielsweise eignet sich Bahnenware aus hygienischen Gründen sehr gut für Arztpraxen. Aber die Betreiber wollen es modern haben und entscheiden sich deswegen für die weniger praktikablen Planken. Wir klären gerne über die Vorteile der Bahnenware auf, aber letztlich bekommt der Kunde seinen Wunschbelag dann bei einem anderen Großhändler, wenn wir ihn nicht bedienen.

Lässt sich daraus der Schluss ziehen, dass die von der Industrie hervorgehobenen technischen Eigenschaften der Produkte eher unwichtig sind?

Engelhard: Das kommt drauf an. In großen Health-Care-Einrichtungen spielt Funktionalität natürlich eine große Rolle. Aber in kleineren Objekten, die für uns wichtig sind, hat sie eine eher untergeordnete Bedeutung. Eine Arztpraxis soll schließlich modern und attraktiv aussehen, also werden Planken bevorzugt. Allerdings müssen wir in dem Moment die technischen Eigenschaften - Vorteile und Nachteile - der verschiedenen Produkte erläutern, indem wir wissen, in welchem Objekt sie eingesetzt werden.

Kommen die Kunden denn bei Problemen zu Ihnen und beschweren sich, dass Sie sie nicht aufgeklärt haben?

Engelhard: Wenn wir das Objekt kennen, müssen wir in der Auftragsbestätigung unsere Bedenken deutlich machen. Anders verhält es sich, wenn wir das Objekt nicht kennen. Hier übernimmt der Verleger die Verantwortung und muss seine Bedenken schriftlich anmerken.

Kühnel: Im Privatbereich wird immer nur eine einzige Frage gestellt: Verträgt sich der Bodenbelag mit der Fußbodenheizung. Von Trittschall und ähnlichem haben alle schon mal etwas gehört, aber danach wird nie gefragt.

Ist es nicht die Aufgabe Ihrer Verkäufer, die verschiedenen technischen Eigenschaften, etwa im Bezug auf Trittschall, herauszustellen?

Kühnel: Das wäre ganz schlecht. Denn man ist ja froh, wenn der Kunde kommt. Wenn er sich dann für ein bestimmtes Parkett interessiert und der Verkäufer erklärt ihm, dass es auch Produkte mit besserem Trittschall gäbe, die sähen allerdings anders aus. Dann ist der Kunde weg. Im Privatbereich kann man nicht über Technik verkaufen.

Engelhard: Wenn unser Kunde Endverbraucher zu uns in die Ausstellung schickt, setzen wir die Beratung unseres Verlegers fort und unterstützen bei der Entscheidung für den adäquaten Belag.

Hilft Ihnen die Kampagne "Teppich & Du" bei Ihrer Überzeugungsarbeit?

Engelhard: Man hat nun Infomaterial in den Händen. Wir können dankbar sein, dass die Copa diese Kampagne zum richtigen Zeitpunkt in die Wege geleitet hat. Ich bin sicher, dass sie uns hilft.

Geiger: Messbar sind die Folgen derzeit nicht. Aber dem Endverbraucher werden Argumente an die Hand gegeben, die ihn dazu verleiten könnten, Teppichboden zu kaufen. Damit haben wir schon viel gewonnen.

Nutzen Ihre Kunden die Angebote der Kampagne und geben die Information an den Endverbraucher weiter?

Geiger: Auf alle Fälle. Viele sind begeistert. Die ordern die Aufsteller und Plakate.

Wagner: Die Produktionszahlen für Teppichboden sind seit langer Zeit mal wieder positiv. Ob dies auf "Teppich & Du" zurückzuführen ist, wird man kaum ermessen können. Aber die Kampagne wirkt auf alle Fälle unterstützend.

Nun ist es weniger die Menge, die signifikant steigt, sondern eher der Wert der Produkte.

Geiger: Der Großhandel ist in einem Prozess der Strukturveränderung. Wir sollten begreifen, dass wir zu einem höheren Durchschnittspreis verkaufen müssen. Denn der Kampf um Marktanteile ist auf lange Sicht sinnlos, da würden letztlich die Preise nur weiter fallen. Dieses Umdenken hat im Großhandel begonnen.
Der Großhandel steht sich also beim Anheben der Preise nicht mehr selbst im Weg?

Geiger: Doch, wenn es um Ausschreibungen geht. Da geht es weiter in Richtung Preisverfall. Hier ist das Problem der Direktvertrieb. Wie soll sich der Großhandel da in Zukunft positionieren? Zumal von der Treue des Handwerks auch nicht mehr gesprochen werden kann.

Wird außer dem Direktgeschäft der Industrie auch der Baumarkt zum Konkurrenten des Großhandels?

Geiger: Nein, der Baumarkt ganz sicherlich nicht. Der verkauft Laminat inklusive Mehrwertsteuer billiger als wir es einkaufen. Bei uns zählen noch Nutzenargumente und Qualität. Wer das will, geht zum Profi. Der Baumarkt ist für die DIYler.

Wagner: Es gibt immer einige Handwerker, die im Baumarkt einkaufen. Aber ihre Kernprodukte erwerben sie im Großhandel. Denn den großen Teil ihrer Marken finden sie gar nicht im Baumarkt - mit wenigen Ausnahmen. Die klassischen Farbenhersteller beliefern den Baumarkt nicht mit ihren Profimarken, sondern versuchen, mit Zweit-, Dritt- oder Viertmarken dort ein Angebot aufzubauen. Das ist aber nicht das, was der Handwerker will. Er nimmt lieber eine Eigenmarke, die er bei fast jedem Großhandel findet.

Der Baumarkt stellt für Grossisten also keine Gefahr dar. Wie sieht es mit dem Holzfachhandel aus?

Geiger: Der ist ein Konkurrent. Vor allem bei LVT mit HDF-Unterlage. Das ist das einzige Segment, das wächst. Da stürzen sich dann alle drauf.

Herr Kühnel, wie hat Genocolor die Übernahme der Akzo-Nobel-Großhandelsfilialen verkraftet?

Kühnel: Sehr gut. Für die gesamte Genocolor-Gruppe, die sich aus den sechs Malereinkaufsgenossenschaften Rhein-Ruhr, West, Südwest, Lüdenscheid, Paderborn und Maleg zusammensetzt, hat die Übernahme von rund 30 Niederlassungen reibungslos funktioniert.

Damit sind die sechs MEGs gegenüber der Mega stark positioniert?

Kühnel: Das waren wir vorher auch schon. Aber jetzt sind wir größer als die Mega.

Es besteht also nicht die Gefahr, dass eines Tages die Mega der einzige genossenschaftliche Großhändler am Markt ist?

Kühnel: Wir sind inzwischen im Umsatz rund 10 % größer als die Mega. Auf dieser Grundlage gehe ich davon aus, dass wir überleben werden. Es ist positiv einzustufen, dass es den verbliebenen genossenschaftlich organisierten Großhändlern relativ gut geht. Die werden sich auch weiter am Markt behaupten.

Wir haben den hohen Filialisierungsgrad im Großhandel schon angesprochen. Ist dem Handwerker diese Präsenz vor Ort so wichtig?

Wagner: Ja, denn so hat er kurze Wege bis zu seinem Fachberater. Noch sucht der Handwerker den persönlichen Kontakt. Da sehen wir einen Unterschied zwischen Bodenlegern und Malern. Der Maler ist sehr viel enger mit der Verkaufsstelle verbunden als der Bodenleger. Das liegt aber auch am Produkt. Ein Eimer Farbe lässt sich eben leichter transportieren als der Bodenbelag.

Aber der Handwerker könnte doch seine Bestellung auch telefonisch durchgeben oder übers Internet. Braucht er wirklich dieses enge Filialnetz?

Wagner: Er braucht es nicht, aber er will es. Denn er will mit dem Verkäufer persönlich reden.

Geiger: Das trifft in gewissem Maß auch auf den Bodenleger zu. Wir sind ein von Menschen geprägtes Geschäft.

Entscheidend ist aber, dass der Handwerker einen Ansprechpartner vor Ort hat, wenn mal etwas schief läuft. Da haben wir einen Vorteil gegenüber der Industrie. Unser Außendienstler steht sofort zur Verfügung. Sein Kollege in der Industrie hat dagegen ein riesiges Absatzgebiet. Da kann es schon mal zwei Wochen dauern, bis er vor Ort ist.

Kann man bei Ihnen B2B über das Internet bestellen und sich über die Warenverfügbarkeit informieren?

Geiger: Zur Zeit noch nicht, aber in zehn Jahren wird jeder von uns diesen Service anbieten.

Wagner: Jeder ist davon überzeugt, dass E-Commerce im Kommen ist. Aber eine große Rolle spielt das Netz derzeit nicht. Die Großhändler warten ab, sie wollen keine teuren Schnellschüsse machen. Die jetzige Kundschaft braucht die E-Shops nicht, aber die Kunden von morgen oder übermorgen ganz sicher. Die werden auch irgendwann den Bodenbelag online bestellen.

Engelhard: Spätestens bevor man seine Kunden verliert, muss man reagieren. Wir werden natürlich keinen Onlineshop für Endkunden betreiben. Aber man wird sicherlich seinem Kunden den zusätzlichen Service einer Plattform anbieten, die es ihm ermöglicht, seine Bestellung rund um die Uhr zu tätigen. Die auf den Kunden zugeschnittene Plattform bietet den Vorteil, dass dieser seine Angebote für den Endverbraucher in Ruhe am Wochenende oder abends erstellen kann, indem er die Verfügbarkeit und die Preise der Ware einsehen kann. In dieser Richtung verlaufen bereits Testprojekte bei vielen Großhändlern.

Die EDV ist teuer. Wäre zum Beispiel ein über die Copa installiertes System, das jeder individualisiert, nicht sinnvoller? Dann könnten Sie auch Bilder Ihrer Produkte einstellen, die Ihren Handwerkskunden bei der Beratung helfen - wie die Steffel-Gruppe es bereits macht.

Engelhard: Das Problem ist, dass inzwischen jeder Großhändler ein eigenes Warenwirtschaftssystem hat. Viele hatten einmal dasselbe, aber inzwischen haben viele gewechselt, da die Systeme immer mehr leisten müssen. Doch untereinander sind die neuen Systeme nicht kompatibel.

Wagner: Zum Thema Bildmaterial transportieren fällt mir das System Oxomi ein. Das ist eine Plattform für die Kommunikation von Produkt- und Marketinginformationen, auf der die Industrie ihre Produktfotos platziert. Dann muss der Großhandel das nicht selbst machen. Das Ganze lässt sich auch individualisiert anbieten.

Die Jahreshauptversammlung des Bundesverband Großhandel Heim & Farbe findet vom 30. September bis 1. Oktober 2015 in Berlin statt.

GHF Daten und Fakten


GHF Bundesverband Großhandel Heim & Farbe e.V.
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Geschäftsführer: Jürgen Wagner
Vorstand: Eberhard Liebherr (Vorsitzender), Horst Randecker (stellv. Vorsitzender), Norbert Sonnen (Schatzmeister), Christina Engelhard, Martin Geiger, Frank A. Kühnel
Mitglieder: 89 ordentliche mit 581 Niederlassungen; 5 kooptierte Mitglieder, 78 Hersteller
aus BTH Heimtex 09/15 (Wirtschaft)