Pickhardt + Siebert GmbH
"Textil und Tapete sind für mich ähnlich – der Mensch steht im Mittelpunkt"
Guido Maria Kretschmer hat für P+S seine erste Tapetenkollektion "Fashion for Walls" entworfen. Für den Designer und Juror der "Shopping Queen" unterscheiden sich Fashion- und Tapetenmode kaum. Beide müssen zum Menschen passen.
BTH Heimtex: Als Modedesigner sind Sie bekannt geworden, jetzt ist Ihre erste Tapetenkollektion auf dem Markt, die Sie für P+S entworfen haben. Worin unterscheiden sich Textil- und Tapeten-Mode?
Guido Maria Kretschmer: Die beiden Bereiche unterschieden sich nicht groß. Ich habe in Spanien studiert und das Studium war dort breit gefächert. Während man in Deutschland auf Modedesign festgelegt bleibt, habe ich in Spanien Product Design gemacht, Schuhe entworfen, Lingerie und vieles mehr. Daher sind Textilien und Tapete für mich ähnlich. Im Mittelpunkt steht dabei immer der Mensch.
Wenn ich Kleider entwerfe, stelle ich mir immer vor, wie der Mensch damit aussieht. Bei der Tapete stelle ich mir den Raum vor. Tapeten müssen übrigens eine ähnliche Haptik haben wie Textilien. Denn man berührt Wände und hat eine Beziehung zu ihnen.
BTH Heimtex: Mittlerweile haben etliche Designer die Tapete für sich entdeckt. Was macht das Produkt für Sie so reizvoll?
Kretschmer: Ich habe auch in Bath in England studiert. Damals war ich fast täglich im Textilmuseum und habe mir dort die wunderschönen Wandbespannungen angesehen. Es hat mich begeistert, dass Stoffe an die Wand gebracht wurden. Durch eine bespannte Wand erhält man ein anderes Klima im Raum und erlebt den Schall anders.
Die Tapete ist eine Fortsetzung der textilen Wandbespannung und schafft wie sie eine gemütliche Atmosphäre.
Ich bin allerdings kein Typ für die Rauhfaser. Ich mag zwar Struktur. Sie muss aber entweder für sich allein sprechen oder so zurückhaltend sein, dass sie unbespielte Fläche ist. Also Struktur, die zulässt, dass ich mein eigenes Leben mitbringe.
Für mich ist Tapete eine Wohlfühlhaut. So wie Mode die Haut der Seele ist, ist Tapete die Haut des Hauses.
BTH Heimtex: Das heißt, Sie bevorzugen glatte Wände.
Kretschmer: Ja. Aber wenn Struktur, dann sollte sie an Damast erinnern. Ich mag diese alten Damaststoffe gerne, ich bin ein Freund des Empire. Ich finde es auch schön, wenn Tapete ein Gefühl von Licht und Schatten vermittelt, weil ich begeistert bin vom Licht der auf- und untergehenden Sonne.
Deshalb haben wir für unsere erste Tapetenkollektion auch Farbverläufe ausprobiert. Für mich dürfen die Farbtöne nicht laut sein. Zu viel ist zu viel, denn man hat als Mensch schon an sich selbst genug zu tragen. Wenn man dann noch zu viel Muster hat, kann die Wand auch stören.
BTH Heimtex: Es muss ja nicht immer die ganze Wand sein. Mit Tapeten lassen sich auch Akzente setzen.
Kretschmer: Stimmt. Aber viele Menschen haben eher wenig Platz. Wobei kleine Wohnungen nicht einmal das Problem sind, sondern wenn man zu viel auf engem Raum erleben möchte. Da kann etwas Ruhe in einem Muster, das länger an der Wand bleibt, attraktiver sein.
Wenn man aber viel Platz hat, kann man richtig Gas geben und eine Wand zum Solitär machen.
BTH Heimtex: Ihre Kollektion "Fashion for Walls" ist ruhig, zeigt aber auch Farbe und ein wenig Glamour. Wo liegen Ihre persönlichen Vorlieben?
Kretschmer: Ich mag Grisaille sehr gerne. Das 18. Jahrhundert mit seinen verblassenden Farben. Wie Putz sieht das aus. Diese Anmutung ist ein großer Trend, der seinen Anfang mit Stucco Veneziano nahm. Ich wollte, dass die Muster Fossilien ähneln. Diese Natürlichkeit finde ich gut.
Im Übrigen ist mir diese erste Kollektion sehr wichtig, auch wenn wir noch einige mehr auf den Markt bringen werden. Aber dies ist eine Basis-Kollektion, die Ruhe schafft. Jede Tapete daraus könnte ich auch bei mir anbringen, was ich zum Teil gerade tue. Ich bin dabei, einiges umzugestalten. Dafür nutze ich die Tapeten aus der Kollektion und freue mich, wie gut das funktioniert.
BTH Heimtex: Ihre Kollektion ist ja sehr massenkompatibel. Reizt es Sie, auch einmal Tapeten für eine exklusivere Zielgruppe zu entwerfen?
Kretschmer: Ich bin breit bespielbar. Im Textilen arbeite ich von Couture bis Massenprodukt. Aber ich finde den Gedanken reizvoll, auf das Elitäre zu verzichten und für möglichst viele Menschen etwas zu schaffen. Ich habe eine sehr lange Zeit Mode für vermögende Damen entworfen. Da war ich froh darüber, auch für ganz normale Menschen arbeiten zu können. Für mich ist es schön zu sehen, dass Menschen mit kleinerem Geldbeutel die Produkte auf eine besondere Art wertschätzen.
Ich möchte viele Menschen erreichen. Parallel laufen aber auch immer mal wieder kleinere Projekte. Ich mache also beides. Mir ist nur wichtig: Wenn ich etwas Exklusives schaffe, dann muss es auch exklusiv bleiben.
BTH Heimtex: Ihr Kollege Harald Glööckler hat Tapeten für Marburg entworfen, Dieter Bohlen war vor Ihnen bei P+S unter Vertrag. Beide sind wie Sie durch das Fernsehen bekannte Persönlichkeiten. Aber der Zuspruch, den Sie erhalten, ist überwältigend. Woran liegt das?
Kretschmer: Ich bin anders als Glööckler und Bohlen. Ich habe nichts im Gesicht, was glitzert. Und ich glaube auch nicht, dass ich eine Reinkarnation bin.
Ich glaube nur daran, dass man die Menschen erreichen kann, habe einen anderen Zugang zu ihnen. Dabei bin ich aber nicht selbst die Inszenierung. Meine Aufgabe sehe ich darin, andere Menschen schöner zu machen. Ich bin einer von ihnen. Je erfolgreicher und bekannter ich wurde, desto mehr sehne ich mich danach, der zu bleiben, der ich bin.
BTH Heimtex: Mit Bohlen als Testimonial ging es vornehmlich darum, die Tapete wieder zu einem Thema in der Öffentlichkeit zu machen. Was unterscheidet Sie in der Aussage von ihm?
Kretschmer: Ich stelle mich nicht nur hin und sage: Hier bin ich. Für die Kollektion habe ich rund 300 Entwürfe mitgebracht. Es war mir wichtig, alles vorzubereiten und mit dem P+S-Designerteam umzusetzen. Wir haben bis zum Schluss gebastelt. Für mich war das Vergnügen. Ich mochte diesen Moment, als ich mit dem Musterbuch nach Hause kam. Da dachte ich: Was habe ich für einen tollen Beruf. Für mich ist schon das Musterbuch ein Erfolg.
Und die Arbeit kommt mir entgegen, weil ich einen Draht zur Architektur, zu Geschichte sowie Interior habe und sehr gerne zu Hause bin. Wenn man mir eine nahezu fertige Kollektion an die Hand gegeben und gesagt hätte, stell Dich mal für ein paar Fotos daneben, hätte ich nicht mitgemacht.
Das Gespräch führte Michael Steinert.
aus
BTH Heimtex 04/16
(Wirtschaft)