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Eine Matratze für alle – wie soll das gehen?


Essen. Immer wieder werben Online-Shops mit wahren Wundermatratzen: Ein Modell für alle Schlaftypen - wenn das so einfach wäre. Immer mehr Anfragen zu solchen Start-up-Anbietern erreichen in jüngster Zeit den Fachverband Matratzenindustrie. Hier schildert der Verband, wie man diesem Phänomen inhaltlich begegnen kann - eine Argumentationshilfe für den Fachhändler.


Zurzeit erleben Online-Shops einen regelrechten Boom, die unter dem Motto "one-fits-all" nur ein Matratzenmodell anbieten, das für jeden Menschen geeignet sein soll. Eine perfekte Matratze, die sich jedem Schläfer optimal anpasst und die man noch dazu bis zu 100 Tage lang zuhause testen kann? Das klingt nach einer phantastischen Idee!

Bei genauem Hinschauen ist allerdings zu hinterfragen, wie ein solches Versprechen eingelöst werden kann und ob es überhaupt erstrebenswert ist. Denn bei einem Schuh, Kleid oder Anzug suchen wir ja auch nicht nach einem Produkt, das allen passt - sondern im Gegenteil nach einem Modell, das optimal und möglichst individuell zu uns selbst passt.

Warum das auch bei Matratzen wichtig ist, wird schnell klar, indem wir uns bewusst machen, was eine gute Matratze leisten muss: In der Nacht, wenn wir schlafen, erschlaffen unsere Muskeln und können unsere Wirbelsäule nicht mehr stützen. Diese Funktion muss die Matratze übernehmen, um dafür zu sorgen, dass die Wirbelsäule in ihrer natürlichen Position gelagert wird. Nur dann können sich die Bandscheiben in der Nacht regenerieren.

In ihrer natürlichen Position wird die Wirbelsäule dann gelagert, wenn zum Beispiel in Seitenlage die Schultern und die schwere Körpermitte tiefer in die Matratze einsinken als der Kopf und die Taille. Außerdem sollte die Matratze nicht zu fest sein, um die Durchblutung nicht zu behindern, was jeder kennt, der schon mal unbequem gelegen hat und mit einem "eingeschlafenen" Arm aufgewacht ist.

Besondere Schlafbedürfnisse nicht berücksichtigt

Die Matratze muss also eine regelrechte Gratwanderung vollbringen, indem sie fest genug ist, um die Wirbelsäule in ihrer natürlichen Position zu stützen und weich genug, um Druckstellen und Durchblutungsstörungen zu verhindern. Es ist leicht nachvollziehbar, dass eine Matratze unter anderem zum individuellen Körperbau und Gewicht des betreffenden Menschen passen muss, um diese wichtigen Funktionen zu erfüllen. Besondere Schlafbedürfnisse oder gesundheitliche Beschwerden sind dabei noch gar nicht berücksichtigt.

Die meisten der neuen Start-Up-Unternehmen mit einer "one-fits-all"-Matratze werben damit, dass sie den stationären Handel vor Ort nicht brauchen und ihre Matratzen deshalb wesentlich günstiger anbieten können, weil sie online direkt vom Hersteller vertrieben werden. Bei diesem Geschäftsmodell sollten sich Verbraucher bewusst machen, dass sie auf der einen Seite zwar möglicherweise Kosten für den stationären Handel einsparen, gleichzeitig aber auch auf die wichtige Möglichkeit verzichten, Probe zu liegen und vor allem durch den Vergleich unterschiedlicher Modelle und eine fachkundige Beratung genau auf die Matratze zu stoßen, die am besten zu ihnen passt.

100 Tage testen: Wozu noch Probeliegen?

Nun könnte man denken, das Probeliegen im Geschäft ist gar nicht mehr notwendig, weil viele der neuen Unternehmen eine garantierte Rücknahme bis zu 100 Tage nach dem Kauf und sogar zehn Jahre Garantie anbieten. Tatsächlich aber ändert dies nichts an der Tatsache, dass es keine Möglichkeit gibt, die Liegeeigenschaften der einen gelieferten Matratze mit denen anderer Modelle zu vergleichen und sich selbst ein Bild davon zu machen, auf welcher Matratze der eigene Körper am besten gestützt und zugleich entlastet wird.

Deshalb wäre es gerade beim Matratzenkauf im Internet oder Versandhandel wichtig, zumindest unterschiedliche Härtegrade als Anhaltspunkt zu haben, um eine individuell passende Matratze auswählen zu können. Bei dem Geschäftsmodell "one-fits-all" können Verbraucher dagegen nur darauf hoffen, dass sie in eine gewisse "Zielgruppen-Schnittmenge" hineinpassen, die mit den Liegeeigenschaften einer Durchschnittsmatratze ordentlich bedient sind.

Leider hat auch die Stiftung Warentest in den letzten Jahren mit der Durchführung ihrer Matratzentests dazu beigetragen, dass viele Verbraucher heute die Bedeutung unterschiedlicher Härtegrade und der individuellen Auswahl der Matratze vernachlässigen. Denn Stiftung Warentest prüft jede Matratze nur in einem Härtegrad und jene Produkte bekommen die besten Noten, auf denen die meisten Menschen gut liegen.

Dafür wurden Ende 2012 vier unterschiedliche Köperbau- Typen eingeführt, nach denen Matratzen getestet werden. Mit diesen Typen werden aber nach eigenen Angaben der Stiftung Warentest nur zwei Drittel der Bundesbürger erfasst, was im Umkehrschluss bedeutet, dass über 26 Millionen Deutsche durch das Raster fallen. Es ist fraglich, ob diese Menschen mit einer "one-fits-all"-Matratze gut bedient sind.

Entsorgung ist oft nicht gewährleistet

Und noch ein weiterer Aspekt ist bei dem erweiterten Widerrufsrecht zu bedenken: Matratzen sind ähnlich wie Kleidung Hygieneartikel, das heißt, sie werden verunreinigt, wenn Kunden sie auspacken und darauf zur Probe schlafen (und das bis zu 100 Nächte). Denn wir Menschen verlieren jede Nacht Hautschuppen und geben etwa einen halben Liter Flüssigkeit durch Schwitzen ab. Und im Gegensatz zur Kleidung ist es bei einer Matratze nicht ohne weiteres möglich, sie nach der Rückgabe im Handel zu reinigen und wieder in einen Neuzustand zu versetzen beziehungsweise sie als Kunde vor der "Inbetriebnahme" erst einmal zu waschen, so wie wir es bei Kleidung üblicherweise tun.

Wie können Kunden also sicher sein, dass es sich bei den im Online-Handel erworbenen Matratzen nicht um Rückläufer handelt, die vielleicht nur desinfiziert und mit einem neuen Bezug versehen wurden? Im Internet berichten Kunden in Foren schon davon, dass ihre neue "one-fits-all"-Matratze nach frisch gewaschener Wäsche riecht - vielleicht ein Hinweis auf Desinfektion einer schon benutzen Matratze?

Ein erweitertes Widerrufsrecht, bei dem der Kunde seine Matratze zu Hause tatsächlich auspacken und darauf schlafen darf, verursacht für den Handel logischerweise erhebliche zusätzliche Kosten, die sich zumindest mittelfristig auf die Preise der entsprechenden Produkte niederschlagen müssten. Schließlich mag für viele Menschen auch die Rückgabe beziehungsweise Entsorgung ihrer alten Matratze ein wichtiges Thema sein, ein Service, den viele Matratzenfachhändler anbieten, der aber von Online-Shops in den meisten Fällen nicht übernommen wird.
aus Haustex 04/16 (Wirtschaft)