Matratzen-Start-Ups
"Der stationäre Handel muss endlich aufwachen und nachbessern"
Essen. "Die jungen Matratzen-Start-Ups haben Bewegung in den Markt gebracht und zeigen den alten Hasen der Branche Schwächen auf", erklärt Dr. Ulrich Leifeld, Geschäftsführer des Fachverbandes Matratzen-Industrie, in einem Gastbeitrag für Haustex. Doch auch bei den Start-ups sei nicht alles Gold, was glänzt.
Matratzen sind das neue Gold im Einrichtungssegment", so bringt das online-Magazin deutsche-startups.de auf den Punkt, was diese Handelsunternehmen antreibt: Hier kann man viel Geld verdienen, also muss ein möglichst unkompliziertes Produkt her, mit dem sich der Markt schnell erobern lässt.
Auch die Gründer von Eve waren auf der Suche nach einer Branche mit hohen Margen und einem noch geringen Grad an Digitalisierung. Wohl deshalb ist Eve heute eine Matratze und kein Sneaker. Matratzen sind zum Trendsegment im E-Commerce-Markt geworden, weil es sich um eine der wenigen Nischen handelt, die erfolgversprechend, aber noch nicht gesättigt sind. Obwohl der Markt für Matratzen stark umkämpft ist, sehen Investoren in erster Linie wirtschaftliches Potenzial mit hohen Margen und weniger ein tolles Produkt.
Und beim Blick auf dieses Produkt sticht vor allem das bislang schwache Image von Matratzen ins Auge: Matratzen zählen zu den sogenannten "Low-Interest-Produkten", die nur wenige Menschen wirklich gerne kaufen. Casper-Gründer Philip Krim bringt es so auf den Punkt: "Eine Matratze zu kaufen, ist eine der schlechtesten Kundenerfahrungen weltweit."
Gegen diesen Makel kämpft die Branche schon seit Jahren mit nur mäßigem Erfolg, denn mit seinen vielen unterschiedlichen Materialien, Ausführungen und großen Qualitätsunterschieden ist das Produkt "Matratze" für den Verbraucher nur sehr schwer durchschaubar. Eine oft sehr technische und wenig emotionale Herangehensweise mit viel Fach-Chinesisch sowie die Vermarktung vor allem über Supersonderangebote statt über das Erfahrbar-Machen von Qualität haben ihren Teil dazu beigetragen, dass der Matratzenkauf als Shopping-Erlebnis nicht gerade auf den vordersten Beliebtheitsplätzen rangiert.
Genau hier setzen die Start-Ups an, um schlummernde Potenziale auszuschöpfen: Sie rütteln die Branche wach, indem sie Matratzen mit geschicktem Marketing zu einem "coolen" Produkt machen, das man gerne kauft, auf das man stolz ist und das man seinen Freunden zeigt. Darin orientieren sich die Gründer ganz unbescheiden an so großen Vorbildern wie Apple: "Die Kunden lieben ihre Produkte und sie lieben es, darüber zu sprechen. Dahin wollen wir auch," sagt Krim.
Und die neuen Matratzen-Unternehmer wissen, wie gutes Marketing funktioniert und was beliebte Marken ausmacht. Mit TV-Spots, Testimonials wie z.B. Leonardo Di Caprio bei Casper in den USA und einer hochwertigen, ansprechenden Produktpräsentation ziehen sie alle Register. Sei es die Matratze selbst, die mit farbigen Einsätzen aus ihrem langweiligen Einheits-Weiß befreit wird oder auch die coole Verpackung - das aufgepeppte Marketing kommt bei den Kunden an, ohne viel über die inneren Werte der Matratzen, ihre tatsächlichen Liegeeigenschaften und ihre Qualität aussagen zu müssen.
Da reichen Behauptungen wie "bequemste Matratze" oder "beste Matratze der Welt", denn für die Kunden heißt das, sie brauchen sich um nichts mehr zu kümmern. Mit einem Klick für ein vermeintliches Einheitsprodukt umgehen sie die Qual der Wahl und alles Unangenehme, was bisher mit dem Kauf einer neuen Matratze assoziiert war.
Mit ihren Universalmatratzen in nur einer einzigen Ausführung haben die Start-Ups den großen Vorteil der Vereinfachung auf ihrer Seite. Glaubt man den Vermarktern, dann macht ihr Produkt die schwierige Entscheidung zwischen etlichen Modellen und das lästige Probeliegen im Geschäft ganz einfach überflüssig. Und auch die Frage, wie der Kunde das sperrige Transportgut in sein Schlafzimmer bekommt, stellt sich beim unkomplizierten Online-Kauf erst gar nicht. Das Schleppen übernimmt jetzt der Bote der Logistik-Unternehmen.
Wenn durch das Umgehen des stationären Handels die Preise dann auch noch geringer sind und die Matratze 100 Tage getestet werden kann, liegt es für -viele Verbraucher wahrscheinlich auf der Hand - die Online-Matratze für alle ist viel attraktiver als die beschwerliche Suche im Matratzen-Dschungel. Gleichzeitig zeigt dies aber auch, dass die Leistung des Fach- und Möbelhandels oftmals nicht als solche empfunden wird. Neben qualifizierter Beratung gehören im Matratzenhandel leider auch zu oft unqualifizierte, Phrasen dreschende Verkäufer zur Realität, die es nicht verstehen, Qualität und Unterschiede der Matratzen plausibel zu erklären. Hier muss der stationäre Handel endlich aufwachen und nachbessern.
Wenn der Verbraucher online kauft, entscheidet er sich für ein Produkt, bei dem oftmals nicht klar wird, wer es gefertigt hat, sondern der Händler fungiert in der Regel als Hersteller. Wenn Kunden von ihrem Rückgaberecht Gebrauch machen, steigt nicht nur der CO-Ausstoß, sondern auch die Preise der Matratzen müssten mittelfristig steigen - vorausgesetzt, die Hygieneprodukte werden ordnungsgemäß entsorgt und nicht aus ökonomischen Gründen nur mit einem neuen Bezug versehen und wieder im Internet angeboten. Wer überprüft bei den neuen, virtuellen Goldgräbern, dass Qualität und Leistung stimmen? Wo sind deren Produktionsstätten? Wie ist es um Transparenz und Nachhaltigkeit bestellt?
Stiftung Warentest kommt nach dem Test der Universalmatratzen zu dem Fazit: "Keine Matratze passt für alle". Ob sich die Idee der Universalmatratze auf Dauer trotzdem durchsetzt oder ob auch der nachdenkende Verbraucher zu der Erkenntnis kommt, dass die individuelle Auswahl bei Matratzen genauso wichtig ist wie bei Schuhen, bleibt abzuwarten. Eines aber ist jetzt schon klar: Die jungen Matratzen-Start-Ups haben Bewegung in den Markt gebracht und zeigen den alten Hasen der Branche Schwächen auf.
Als Verband legen wir großen Wert auf Vielfalt und Probeliegen, hochwertige Materialien und Verarbeitung. Deshalb machen wir uns dafür stark, dass klassische Matratzen und stationärer Handel auf Dauer im umkämpften Markt erhalten bleiben. Hilfreich ist es dabei ganz sicher, sich etwas von den Neuen abzugucken: Die Überzeugung für ein tolles Produkt, das Menschen glücklicher und zufriedener macht. Und zwar ganz besonders dann, wenn es gelingt, die Vorzüge der individuellen Auswahl in einem kunden-, service- und qualitätsorientierten Fachhandel rüber zu bringen.
In den neunziger Jahren war "Billig Fliegen" ein neues Geschäftsmodell, das die Preise - aber auch die Qualität des Reisens - erheblich verändert hat. Wer heute billig fliegen möchte, sitzt in ökonomisch maximierten und räumlich minimierten Sitzen ohne Verpflegung und Service. Für die einen genau das Richtige, für die anderen ein Grund, wieder mehr Geld in die Hand zu nehmen und sich bewusst zu machen, dass Qualität und Service "billig" einfach nicht zu haben sind.
Auch bei Matratzen möchte sich billig nicht jeder leisten. "Menschen schätzen guten Schlaf heute viel mehr. Sie wissen, dass er sie produktiver, sportlicher und einfach glücklicher macht. Deswegen investieren sie gerne in ihren Schlaf und damit auch in die guten Produkte, die es dafür benötigt. Guter Schlaf wird ein so großer Trend werden wie Fitness oder gesundes Essen." Wenn Casper-Gründer Philip Krim mit dieser Vision Recht behält, werden die Kunden die preisoptimierte Mucki-Bude vom Fitness Center mit ordentlichen Geräten und gutem Service, das billige vom guten Essen unterscheiden lernen.
Und vielleicht werden sie auch Qualitätsunterschiede von Matratzen erkennen, die für alle gemacht sind und solchen, die individuell optimal passen. Wir sollten nicht müde werden darauf hinzuweisen und hoffen, dass nicht diejenigen den Wettbewerb gewinnen, die das "schnelle Gold" wittern, sondern jene, die mit Qualität, Service und Leidenschaft fürs Produkt punkten können. Wenn also der gut informierte Verbraucher wählt, können wir optimistisch bleiben, denn letzten Endes sind sich vom Hersteller, Händler bis zum Kunden alle einig: Guter Schlaf zählt und die passende Matratze ist es, die ihn gewährleistet.
aus
Haustex 11/16
(Wirtschaft)