Rückrufaktion nach BASF-Panne

Ein Schock für dieMatratzenbranche


Ludwigshafen. Nach einem Störfall beim Chemieriesen BASF mussten viele Matratzenhersteller die Produktion stoppen und Lieferungen zurückrufen. Das in Schäumen verwendete Vorprodukt TDI hatte das Werk in Ludwigshafen über vier Wochen unbemerkt mit einer deutlich zu hohen Konzentration des als krebserregend geltenden Stoffes Dichlorbenzol verlassen. Zunächst war nicht klar, welche Gesundheitsgefahren davon möglicherweise ausgehen. Mittlerweile gab BASF Entwarnung.

Wie eine Bombe schlug beim Fachverband der Matratzen-Industrie die Nachricht ein, dass die Firma BASF ein möglicherweise gesundheitsschädliches Vorprodukt an zahlreiche Schaumstoffhersteller ausgeliefert hat: Das in Matratzen verwendete TDI wurde bei BASF mit dem als krebserregend geltenden Stoff Dichlorbenzol verunreinigt.

Dichlorbenzol (DCB) kann in unverarbeitetem Zustand Haut, Atemwege und Augen reizen und steht im Verdacht, Krebs zu verursachen. Erst eine knappe Woche nach Bekanntwerden des Vorfalls gab Verursacher BASF nach einer internen Risikobewertung schließlich Entwarnung (siehe Kasten): "Die Ergebnisse und weitergehende Berechnungen zeigen, dass nicht von einer Gesundheitsgefährdung auszugehen ist", teilte das Unternehmen mit. Da waren die Verbraucher durch Schlagzeilen, in denen von giftigen Matratzen die Rede war, längst verunsichert - vom Schaden der Hersteller ganz zu schweigen.

Die vor zwei Jahren in Betrieb genommene TDI-Anlage in Ludwigshafen ist das Sorgenkind von BASF und musste zeitweilig sogar stillgelegt werden. Im aktuellen Fall produzierte das Werk über mehr als einen Monat TDI (Toluoldiisocyanat) mit einer deutlich erhöhten Konzentration an Dichlorbenzol. Bemerkt wurde dieser Fehler offenbar erst am 29. September - und das auch nur durch den Hinweis eines Kunden, wie der Südwestrundfunk berichtete. Der Matratzenverband erhielt erst am 6. Oktober und über Dritte davon Kenntnis.

Laut SWR soll der Dichlorbenzol-Wert des TDI bei mehreren hundert ppm (parts per million) betragen haben - was eine Überschreitung des zulässigen Grenzwertes um deutlich mehr als das Hundertfache bedeutete. BASF zufolge wurden insgesamt 7.500 Tonnen des kontaminierten TDIs produziert. Zwei Drittel wurden demnach noch nicht verarbeitet und sollen bei den rund 50 Kunden wieder zurückgeholt werden.

Wie das gehen kann, wenn etwa das beanstandete TDI mit sauberem Material in den Behältern der Weiterverarbeiter vermischt wurde, blieb zunächst unklar. Viel wichtiger für die Schaumhersteller und ihre Kunden war es, schnellstmöglich herauszufinden, in welchen ihrer Produkte die 2.500 Tonnen verarbeitetes TDI zu finden sind - entweder auf Lager als geschäumte Blöcke oder als fertig verarbeitete Matratze.

Für das Team um Matratzenverbands-Geschäftsführer Dr. Ulrich Leifeld brachen mit der Nachricht hektische Tage an - Krisenmanagement war gefragt. Im Interesse der Mitgliedsunternehmen, Händler und Verbraucher galt es, weitere Informationen zu der Verunreinigung mit DCB zu erhalten: Wo waren die TDI-Chargen gelandet? Welche Schäumer hatten dieses TDI auch schon verarbeitet? Welche Matratzenunternehmen waren mit dem kontaminierten Schaum beliefert worden? Wie schädlich ist DCB überhaupt in verarbeitetem Zustand? Außerdem mussten die Mitgliedsfirmen des Verbandes schnellstmöglich informiert werden, damit auch sie entsprechend handeln konnten. Zusätzlich wurde das Verbandsbüro mit Presse-Anfragen förmlich bombardiert.

Hersteller reagierten sofort

Sofort nach der Information durch den Verband oder durch die Schaumzulieferer stoppten die Matratzen-Hersteller deshalb ihre Produktion. Wer mit einem eigenen Fuhrpark ausliefert, rief außerdem seine Laster zurück ins Werk. Es musste verhindert werden, dass weitere Matratzen mit möglicherweise erhöhtem DCB-Gehalt in Verkehr gebracht werden. Im ganzen Land gingen Hersteller daran, ihre Halb- und Fertigwarenlager nach verdächtiger Ware zu durchforsten und ausgelieferte Ware auf Basis des BASF-TDIs zu identifizieren. Nur ganz allmählich sickerten aus den verschiedensten Quellen weitere Informationen zum Matratzenverband und den Herstellern durch.

Geschäumte Matratzenkerne werden entweder aus TDI oder MDI, einem weiteren Cyanat, hergestellt. Die gute Nachricht: MDI-Schäume waren nicht von dem Problem betroffen. Unternehmen wie beispielsweise Werkmeister, deren Schaummatratzen zum großen Teil auf den hochwertigen MDI-Schäumen basieren, konnten zwischenzeitlich bereits Teilentwarnung geben. Claus Brandtner, Geschäftsführender Gesellschafter und zuständig für die Unternehmenslogistik: "Trotz der Probleme beim TDI-Schaum sind wir nahezu vollständig lieferfähig."

Für Werkmeister wie die anderen Produzenten gilt: Latex-Matratzen waren aufgrund einer anderen chemischen Zusammensetzung nicht betroffen - weder Synthese-Latex und schon gar nicht Naturlatex. Anders sah es bei Visko-Schäumen aus. Visko-Kissen konnte Werkmeister erst einmal nicht liefern. Federkernmatratzen waren nicht per se außen vor, denn in der Abdeckschicht wird schließlich auch häufig TDI-Schaum verarbeitet.

Gute Lagerverwaltung
zahlt sich aus

Bei Werkmeister schaute man kurz nach Bekanntwerden der Probleme schon wieder recht zuversichtlich in die Zukunft. Da das Unternehmen seine Produktion vor gut einem Jahr auf eine hohe Nachverfolgbarkeit der einzelnen Chargen in der EDV umgerüstet hat, reichten laut Brandtner ein paar Knopfdrücke, um die kontaminierte Ware zu identifizieren und auszusondern: es waren 23 von 25 TDI-Schaumblöcken und diverse Matratzen. Lediglich zwei Blöcke waren bereits geschnitten worden. Glück im Unglück: Nur Matratzen im niedrigen zweistelligen Bereich waren schon ausgeliefert. "Da wir genau wissen, zu welchem Kunden diese Artikel geschickt wurden, hatte ich lediglich ein paar Telefonate zu führen, um die Sache zu klären", zeigte sich Brandtners Kollege Michael Sailer erleichtert.

So wie dem norddeutschen Unternehmen dürfte es den meisten Herstellern im gehobenen Genre gegangen sein, die nicht auf Lager und lediglich Kommissionsware produzieren. Etwas anders liegt es unter Umständen bei den großen Mengenherstellern. Dunlopillo beispielsweise stoppte nicht nur die Auslieferung der betroffenen Ware, sondern leitete auch eine Rückrufaktion in die Wege: "Auch wenn die abschließenden Ergebnisse noch nicht vorliegen, besteht der Verdacht für eine gesundheitliche Gefährdung - das reicht uns, dass wir alle betroffenen Matratzen, die beim Endkunden oder am POS liegen, zurückholen und durch neue ersetzen", erklärte Geschäftsführer Manuel Müller einige Tage bevor BASF seine Entwarnung herausgab. Zwar sei das Unternehmen zu diesem Schritt nicht verpflichtet, doch die in einem Schnelltest festgestellten Werte hätten nicht "dem sehr hohen Qualitätsanspruch von Dunlopillo" genügt, so Müller.

Kritik an Unternehmen
und Stiftung Warentest

Die schleppende Informationspolitik der BASF machte Verbandsgeschäftsführer Leifeld sauer. Aber auch die Schäumer ließen ihn zunächst im Regen stehen: "Wir empfinden es als skandalös, dass sich seitens der Schaumstoff produzierenden Industrie keine Aktivitäten erkennen lassen, die uns und dem Verbraucher helfen, die potenziellen Gefahren, die von den in Matratzen verarbeiteten Schäumen ausgehen, im Sinne des Verbrauchers, aber auch der Mitarbeiter unserer Unternehmen zu bewerten", stellte Leifeld entnervt fest.

Nicht geklärt ist für ihn auch die Frage der Haftung. Klar ist, dass die Matratzenhersteller erhebliche Mehrkosten oder gar Umsatzausfälle zu schultern haben. Ob und wie BASF sich zu diesem Thema stellt, ist offen. Und auch von den Schäumern ist in dieser Richtung nichts zu hören. Während bei Foampartner und Kabelwerk Eupen zumindest grundlegende Informationen auf der Homepage zu finden waren, hielten sich Eurofoam und Carpenter bedeckt.

Und noch etwas brachte Leifeld auf die Palme: das Verhalten der Stiftung Warentest. Denn sie gab die rechtliche Empfehlung, dass Kunden sich an ihren Händler wenden und den Kaufpreis ihrer Matratzen zurückfordern sollen."Wir verstehen nicht, warum sich die Stiftung Warentest in unseren Augen verspätet und halbgut informiert zu Wort meldet und einerseits einen nicht korrekten Rechtsrat bezüglich der Rückgabe von Matratzen gibt, und andererseits offensichtlich Emotionen auslösen will, die der Sache nicht dienlich sind", kritisierte der Matratzenverband. Eine Rückgabe auf "Verdacht" oder "aus Sorge", wie Stiftung Warentest es formulierte, sei nicht ausreichend: "Hier kennen die Händler die rechtliche Situation besser und es wäre jetzt nicht gut, wenn Verbraucher durch falsche Empfehlungen weiteren Schaden nehmen, weil sie dann auch noch auf den Kosten der Rücknahme sitzen bleiben", so Leifeld.

Oligopol der
Chemie-Riesen

Auf einem ganz anderen Blatt steht die Preissituation für TDI- und MDI-Schäume. Es gibt in Europa neben BASF nur noch zwei weitere Anbieter dieser Grundstoffe für PU-Schäume. Ein klassisches Oligopol. Die aktuelle Angebotsknappheit sorgt bereits für steigende Preise. Alleine in diesem Jahr, rechnet Werkmeister-Inhaber Brandtner vor, hätten sich die Schaumpreise um 20 Prozent erhöht. Wie sich dies in den kommenden Wochen entwickeln wird, ist schwer zu prognostizieren. Brandtner jedenfalls ahnt Böses: "Ich bin sehr gespannt, wie sich die Preise für Matratzenschäume weiter entwickeln."


TDI und DCB - Entwarnung nach dem Störfall
TDI ist ein wichtiger Grundstoff zur Produktion von Matratzenschäumen. Das beanstandete Dichlorbenzol (DCB) kann in unverarbeitetem Zustand Haut, Atemwege und Augen reizen und steht im Verdacht, Krebs zu verursachen.

Im Rahmen einer Risikobewertung haben BASF-Experten nach Unternehmensangaben erste Untersuchungen an verunreinigten Schäumen durchgeführt. Die Ergebnisse und weitergehende Berechnungen zeigen demnach, dass nicht von einer Gesundheitsgefährdung auszugehen ist.

Unmittelbar nach der Herstellung des Schaums beginnt sich das DCB zu verflüchtigen, so dass sich der Gehalt im Schaum bereits nach einem Tag halbiert hat. Geht man davon aus, dass es mindestens eine Woche dauert, bis aus einem Schaumblock eine Matratze entstanden ist, die in den Handel gelangt, hat sich der DCB-Wert nach Information der BASF auf zehn Prozent der ursprünglichen Belastung reduziert.

Auf der Basis dieser Erkenntnisse ist BASF zu dem Ergebnis gekommen, dass auch bei der höchsten anzunehmenden Belastung von Matratzen mit DCB nach dem Störfall in Ludwigshabenkeine Gefahr für Verbrauchervon diesen Produkten ausgeht.
aus Haustex 10/17 (Wirtschaft)