VDHI Verband der Deutschen Heimtextilien-Industrie e.V.

"Textil wird nicht ernst genug genommen"


Interior Designer Marty Lamers, Schirmherr und Botschafter des House of Textile sowie Hauptdozenten der
Design -Academy Eindhoven, über

aktuelle Trends
Einrichtung bedeutet heute unglaublich viel Textil - viel mehr als vor zehn Jahren. Es muss alles nach Unikat aussehen. Es ist ganz wichtig, seine Persönlichkeit zu präsentieren. Individualität ist wie ein Bild. Wenn ich an mich selbst denke, dann ist mein Haus eingerichtet mit Produkten aus verschiedenen Jahrzehnten. Wer heute neu baut, kauft jedoch alles neu - dann entsteht oft der Eindruck eines Möbelhauses. Da ist es gut, dass Produkte aus 2018 nicht alle wie aus 2018 aussehen. Neue Produkte sehen alt aus. Alles mischt sich - Eklektizismus ist angesagt. Dadurch entsteht ein neuer Individualismus; es muss nicht immer alles akkurat passen.

die Frage, wie etwas zum Trend wird
Natürlich machen Menschen die Trends. Designer sind auch Menschen. Firmen haben unglaubliche Probleme mit diesen Trends. Ihre Produkte sollen nicht aussehen wie irgend-etwas anderes. Sie sollen aussehen wie für mich bestimmt. Niemand will, dass für ihn bestimmt wird - kein "Kollektivismus". "Hipster" war mal ein Trend. Fünf Jahre später ist alles eine Soße. Nehmen Sie die Blogs auf Tumblr als Beispiel - das ist alles zu bemüht. Es sieht alles supergut aus, ist aber oft nur Fassade und Image. Aber die Welt will heute mehr denn je, dass alles so schön gezeigt wird.

das Verhältnis von puristischen Wohn-stilen zu Textilen
Purismus ist eigentlich derzeit nicht im Trend. Wie immer wechseln die Zyklen. Minimalismus ist schwieriger, weil man ihn besser verstehen muss. Dekor ist anwesender, präsenter: Wenn ich das gleiche Produkt mit und ohne Dekor sehe, dann denke ich, dass das Produkt mit Dekor teurer aussieht. Im Purismus muss ich mit mehr Geld mehr Dinge wegnehmen. Purismus ist für weniger Leute verständlich. Nordeuropäer, Skandinavier sind puristischer. Landschaft und Wetter spielen da auch mit rein. Ein schrilles Orange funktioniert bei viel strahlendem Sonnenschein, aber an kühlen Tagen wird es anstrengend, weil das Licht ein anderes ist.

zukünftige Funktionen von Textilien
Textil wird technischer. Es ergeben sich neue technische Möglichkeiten, neue Technologien auch für Heimtextilien. Aktuell sind technische Textilien eher in der Industrie im Einsatz. Sie sind eher zweck- und zielgerichtet. In Zukunft übernehmen Textilien Funktionen wie z.B. Sound, Gesundheit - und nicht nur Wärme. Es geht immer um den Körper - auch bei Heim-textilien.

Der Einzug von Technologien in Textilien wird dann spannend und gleichermaßen gefährlich, wenn Daten in die Textilien Einzug halten. Dann liefern Textilien Daten, die bei Unternehmen gesammelt werden, wo man nie langfristig sicherstellen kann, dass diese Daten nicht auch zur Manipulation oder mehr eingesetzt werden. Bei der Sammlung von Gesundheitsdaten profitieren wir heute noch vom Berufsgeheimnis des Arztes. Bei Textilien gibt es so etwas nicht. In Zukunft werden analoge Materialien wie Textil nur noch Träger von Daten.

seine Wünsche an Architekten
Gestaltet nicht nur Gebäude! Schaut euch an, wie man gern darin lebt, und seht nicht nur das Gerüst. Denkt nicht nur vertikal und horizontal. Textil ist fließend. Sucht früher den Dialog, dann könnte man wunderschöne Sachen entwickeln. Dann wird auch nicht immer auf fertige Lösungen aus dem Regal zurückgegriffen, dann kann Textil ebenso individuell wie die Architektur gedacht werden.

Architektur ist heute noch eine traditionelle Welt, die in Schichten denkt. Textil wird nicht ernstgenommen. Aber langsam ändert es sich, sehr langsam. Vielleicht wird textiler Charakter in Zukunft über 3D-Print vermehrt Einzug halten. Aber das wird sicher noch mindestens zehn Jahre dauern.

das Entstehen neuer Ideen
Was ist Originalität? Junge Studenten sind oft sehr belastet. Sie werden seit ihrer Geburt mit Lawinen von Internet-Informationen überschüttet. So entsteht manchmal Angst vor der Vielfalt des Wissens. Sie schotten sich ab und schaffen sich eine eigene Blase, obwohl Referenzen - also der Blick in Richtung Kunst, Mode, Architektur, das Leben, die persönliche Erfahrung und Geschichte - oft eine gute Grundlage für eigene Ideen sind. Daher regen wir an, keine Scheuklappen anzulegen, um Ideen, Inspiration zu erhalten. Das soll nicht heißen, dass es früher leichter war, Ideen zu entwickeln, aber es war anders. Meine Generation ist analog groß geworden und kann sich die positiven Seiten der digitalen Medien zunutze machen. Die heutigen Studenten sind digital groß geworden und müssen ihren Weg finden, sich die analoge Welt zunutze zu machen.

seine Erwartungen an seine Stundenten
Das Wichtigste ist, dass die Idee persönlich ist. Intuition und Selbstsicherheit müssen stimmen. Intuition ist verletzbar. Studenten müssen mit ihrer Verletzbarkeit umgehen lernen. Sie dürfen sich nicht selbst zum Feind werden - keine Selbstzensur. Sie müssen die kritische und die eigene sich lobende Stimme in Balance bringen. Dann entsteht Leidenschaft.
aus BTH Heimtex 05/18 (Wirtschaft)