Edel:
Die Teppichboden-Kreateure
Edel geht sehr genau und individuell auf Kundenwünsche ein. Das Unternehmen kann das, weil es den gesamten Produktionsprozess in der eigenen Hand hat. 2018 besteht das Unternehmen 100 Jahre.
Teppichbodenhersteller Edel macht auf seine Besucher einen besonderen ersten Eindruck. Beim Betreten des kleinen, modernen Showrooms im niederländischen Genemuiden umschmeichelt klassische Musik sanft die Ohren des Gastes. Eine handliche 100 Jahre-Broschüre nimmt den Leser mit auf die Reise in die Welt der Teppichböden. Nach wenigen Seiten wird klar: Im Jubiläumsjahr 2018 geht es nicht darum, eine über ein ganzes Jahrhundert währende Unternehmensgeschichte möglichst ruhmreich ins rechte Licht zu stellen und sich selbst gleich mit. Es geht um Teppichboden und die Emotionen, die dieser textile Bodenbelag im Stande ist auszulösen - vor allem in seiner hochwertigen Form - ähnlich wie klassische Musik.
Die ersten 60 der rund 100 Seiten zelebrieren das, was die 240 Frauen und Männer der Edel-Gruppe tagtäglich machen: Teppichboden entwickeln, Teppichboden herstellen, Teppichboden vermarkten. Der Leser gewinnt den Eindruck: Der Belegschaft liegt ihre Arbeit am Herzen. Und Branchenkenner wissen: Die Mitarbeiter haben sich über die Jahre eine hohe Expertise angeeignet, in dem was sie tun. Sonst wäre es kaum zu erklären, warum Edel nicht nur auf dem deutschsprachigen Markt ein exzellenter Ruf vorauseilt.
Das liegt daran, dass sich die Mitarbeiter sehr früh im vielstufigen Produktionsprozess von Teppichboden Gedanken machen können über Beschaffenheit, Aussehen und technische Eigenschaften des Belags. Der Hersteller ist vertikal voll integriert. Von der Garnextrusion über das Tuften und die Beschichtung bis zur Konfektionierung hat Edel den kompletten Produktionsprozess in den eigenen Händen. Das war der Mannschaft im Laufe der vergangenen 100 Jahre immer wichtig - und ist meistens auch gelungen.
Dieser Kreativitätskultur wohnt ein hoher Anspruch inne: Lediglich eine von fünf ausgetüftelten Entwicklungen schafft es tatsächlich zur Marktreife und findet sich in einer Kollektion wieder. Aber das gehört zu kreativer Entwicklung dazu, sagen die Designer.
Der Schaffensprozess im Unternehmen beginnt mit dem Garn. Eine ganze Reihe von Polyamid 6-, 6.6- sowie Wollgarnen stellen die Niederländer selbst her. Andere Garne aus Wolle und Wollmischungen sowie bestimmte Polyamid 6.6-Varianten werden zugekauft; aber bewusst nur als Basisvariante, um noch möglichst viel individualisieren zu können.
"Wir können durch die Mischung der richtigen Granulate, aus denen die Garne extrudiert werden, und die Prozesssteuerung die Qualität fein justieren", erklärt Senior Designerin Annette Sanders. Beim anschließenden Färben gehe es oft um Nuancen. Das sei nicht nur wichtig, weil der Teppichbodenkäufer in England ein anderes Grau bevorzugt als der in Deutschland. Es gibt auch feine regionale Unterschiede im Farbempfinden und -geschmack. Edel vertreibt seinen Teppichboden auf der ganzen Welt. Das Unternehmen will deswegen in der Lage sein, überall nuancierte und passende Farbreihen anbieten zu können.
Zusammen mit Produktmanagerin Marieke van Dop und anderen Kollegen aus Entwicklung und Marketing besucht Sanders deswegen das Jahr über Designmessen rund um den Globus wie etwa die Imm Cologne und die Möbelmesse in Mailand. Zweimal im Jahr tauschen sie sich mit Trendsettern wie Interiordesignern in Design-Hotspots in London und New York aus.
Die Stoff-, Farb- und Materialtrends, die die "Scouts" um Sanders und van Dop zurück nach Genemuiden bringen, sind Inspiration und Ausgangspunkt für die Entwicklungsarbeit im Unternehmen. Etwa in der Spinnerei: Die Maschinenführer können die Extruder beispielsweise so einstellen, dass die Garne entweder dünn und fein oder dicker und dichter gesponnen werden. "Diese Variabilität in der Beschaffenheit hat großen Einfluss auf den Look-and-Feel des fertigen Teppichbodens", erklärt Geschäftsführer Albert Telgenkamp.
Bevor die Anlagenfahrer diese Garne auf den für eine große Vielfalt an Teppichbodenvarianten ausgerüsteten Tuftingmaschinen verwenden, werden sie im Hause noch auf drei weiteren Prozessstufen veredelt und individualisiert: Edel sorgt mit der Verzwirnung und Thermofixierung dafür, das der Teppichboden am Ende strapazierfähig, haltbar und elastisch ist - beispielsweise für ein gutes Wiederherstellungsvermögen des Pols.
Mit der abschließenden so genannten Intermingelung haben die Niederländer einen besonders wichtigen Produktionsschritt in den eigenen Händen: In diesem Prozess werden Garne mit unterschiedlicher Konstruktion und Stärke sowie verschiedenen Kolorits unter Luftdruck miteinander kombiniert. Das eröffne viele Möglichkeiten, Aussehen, Griff und Trageeigenschaften des fertigen Teppichbodens zu variieren.
Von diesem umfassenden Know-how in der Garnentwicklung profitieren nicht nur Kunden in Handel und Objekt, sondern auch zahlreiche Industriepartner. Sogar die Garnindustrie setzt auf die Forschungs- und Entwicklungskompetenz innerhalb der Edel-Gruppe und lässt in Genemuiden ihre Produkte entwickeln, weiterentwickeln und veredeln.
Und Geschäftsführer Telgenkamp fügt hinzu: "Unsere Kernkompetenzen sind Entwicklung und Produktion." Edel ist deswegen in der Lage, mit seinen Kunden gemeinsam Produkte und Konzepte zu entwickeln. "Wir setzen unseren Kernkunden in der Regel nichts Fertiges vor, sondern hören zu, fragen, wo der Kunde bei Farbe, Lüster, Grammatur, Konstruktion und Trageeigenschaft hin will, entwickeln dann gemeinsam, prüfen und setzen um", beschreibt D/A/CH-Vertriebsleiter Peter Leinweber die Strategie. Das sei in Zeiten sinkender Absatzzahlen für die Kunden um so effizienter und damit wertvoller. Edel bietet beispielsweise Sonderfarben bereits ab kleinen Auftragsmengen.
"Wir haben viele Möglichkeiten und Ansatzpunkte, das Endprodukt besonders und individuell zu machen", stellt Leinweber heraus. Der 54-Jährige ist seit mehr als vier Jahren bei den kreativen Niederländern verantwortlich für Deutschland, Österreich und die Schweiz. Er ist von der Dura gekommen, wo er zuvor 22 Jahre tätig war. Leinweber schätzt die Möglichkeiten, die ihm die Produktentwicklung bei Edel bietet.
Und er nutzt sie. Zwar in der Nische, aber dort erfolgreich: Seitdem Leinweber da ist, wachsen die Umsätze auf dem deutschsprachigen Markt. Und dass, obwohl der Vertriebsleiter nach wie vor Einzelkämpfer ist zwischen Flensburg und Lugano. "Peter und Edel passen gut zusammen. Uns verbindet die gleiche Hingabe und Leidenschaft für das textile Produkt Teppichboden", sagt Telgenkamp, der seit 2015 Edel-Geschäftsführer ist und zuvor acht Jahre für Desso gearbeitet hat.
Deutschland ist hinter Großbritannien der zweitwichtigste Markt für Edel. Leinweber und Telgenkamp denken hierzulande bei ihrer Vertriebsarbeit von "oben nach unten" und setzen im Sortiment konsequent an der Spitze des Teppichbodenmarktes an, bieten aber mittlerweile auch Produkte für das mittlere Preissegment.
Ansprechpartner sind Industriekunden, Grossisten, Einzelhandelskooperationen und vorselektierte, gut situierte Inneneinrichter. Edel-Produkte gehen nicht allein in den Handel, sondern sind auch in den Objektsegmente Hotel und Ladenbau gefragt. Die Niederländer sind hier mit Qualitäten aus Polyamid 6.6-Garn erfolgreich. Großhändler wiederum runden damit gerne ihr Hauptlagersortiment nach oben hin ab. Ein erfolgreiches Beispiel: der 2.850 g/m
2 schwere, voluminös-weiche Saxony Bellezza.
Der Großhandel tut sich aufgrund der schwachen Nachfrage nach textilen Belägen immer schwerer, hochwertigen Teppichboden zu Preispunkten von über 60 EUR/m
2 erfolgreich zu vermarkten. Leinweber hat deswegen zusammen mit der Produktentwicklung ein neues Konzept entwickelt. Ab September sind die fünf neuen Qualitäten der "Atmosphere"-Serie für D/A/CH-Kunden verfügbar - vier Saxonys, ein Frisé: Breeze, Twister, Free, Whisper und Cloud werden in 4 und 5 m Breite angeboten. Sie haben Poleinsatzgewichte zwischen 900 und 2.000 g. Mit ihren fein differenzierten Farbreihen ergibt sich laut Leinweber ein stimmiges, breites und konsumiges Angebot.
Zu dem neuen Konzept gehört auch ein Lager- und Couponservice für den Großhandel. Es ergänzt das Edel-Sortiment und rundet es nach unten hin ab. "Mit Atmosphere steht dem Großhandel zukünftig ein breiteres Angebot mit langer, abgesicherter Laufzeit zur Verfügung", fügt Telgenkamp hinzu.
Neben Teppichboden aus Polyamidgarnen spielt Wollteppichboden für Edel eine wichtige Rolle. Wolle und Wollmischungen sind vor allem auf dem englischen Markt wichtig. Edel ist auf der Insel nach eigener Aussage heute Marktführer bei Schurwollschlingen. Hier treten die Niederländer unter der Marke Telenzo auf. 2002 wurde der bekannte Woll-Spezialist übernommen und die Produktion in das Telenzo-eigene Werk nach Genemuiden verlagert. Die Marke ist in England für Woll-Teppichböden seit 40 Jahren etabliert. Bis 2002 hatte Edel unter der eigenen Marke Polypropylen-Teppichboden verkauft. Unter Telenzo wird 2018 erstmals ein Polyamidkonzept auf dem englischen Markt vorgestellt.
| jochen.lange@snfachpresse.de
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BTH Heimtex 09/18
(Wirtschaft)