Dr. Hans-Jürgen Hannig und Sebastian Wendel im Interview
"Deutschland ist ein guter Standort"
Dr. Hans-Jürgen Hannig ist mit der Classen-Gruppe einer der erfolgreichsten Unternehmer der Bodenbelagsbranche - und das seit über 50 Jahren. Und der 79-Jährige ist einer, der im Stillen agiert, nicht die Öffentlichkeit sucht. Für Parkett Magazin machte er eine Ausnahme und sprach über Meilensteine sowie Erfolgsfaktoren seines Unternehmens - und warum er den Standort Deutschland schätzt.
Parkett Magazin: Herr Dr. Hannig, statt wie andere Unternehmen Teile der Produktion - oder die komplette - in andere Länder outzusourcen, konzentrieren Sie sich in der Bodenbelagsherstellung bewusst auf den teuren Standort Deutschland. Warum?
Dr. Hans-Jürgen Hannig: Das ist eine ganz einfache Überlegung: Wenn man eine Sieben-Tage-Woche mit mehr als 21 Schichten belegt, kann man rund um die Uhr produzieren. Auf diese Weise ist der Maschinenpark 100 %-ig ausgenutzt, und Löhne spielen eine relativ geringe Rolle. Abteilungen wie Buchhaltung, Auftragsabwicklung und EDV muss jeder unterhalten. Und: Eine gut ausgebildete, motivierte Belegschaft vor Ort ist viel Wert. Ebenso vorteilhaft ist ein gesichertes Umfeld mit einer vernünftigen Infrastruktur. Insofern ist Deutschland so, wie wir aufgestellt sind, ein guter Standort. Ich würde sogar so weit gehen, dass wir in Baruth das wirtschaftlichste Werk für Laminatböden weltweit betreiben.
Aufgrund des 24/7-Betriebes?
Sebastian Wendel: Ja, und wegen des hohen Automatisierungsgrads. Wir investieren permanent in diesen Standort, bleiben nicht stehen und verfügen immer über die neuesten Maschinen. Wir haben dort diverse Innovationen platziert, wie beispielsweise unsere Flüssig-Laminat-Oberfläche. Das leistet einen wichtigen Beitrag für die Gesamteffizienz des Werks. Und das ist auch der Grund dafür, dass wir weltweit nur ein einziges Werk für Laminatböden betreiben bzw. nur zwei Standorte für Bodenbeläge, denn neben Baruth haben wir ja noch Kaisersesch für Polymerfußboden. An beiden Standorten werden wir immer auf dem neuesten technischen Stand sein.
Laminatböden waren einst Ihr
Einstieg in die Bodenbelagswelt...
Hannig: Ja, wir haben 1994 mit der Produktion von Wandpaneelen begonnen, dann folgten Laminatböden. Zunächst sind wir in die erste Fertigungsstufe eingestiegen, damals noch in Kaisersesch, dann in die zweite und immer tiefer... schließlich mussten wir gegen große Wettbewerber antreten.
Um unabhängig von Zulieferern zu sein, haben wir gemeinsam mit einem Partner in ein MDF-Werk im brandenburgischen Baruth investiert. Uns war klar, dass es ein Wettbewerbsnachteil sein würde, wenn die MDF-Platten erst für den nächsten Produktionsschritt zu uns transportiert werden mussten. Die Laminatbodenherstellung musste also hin zum MDF-Werk. Das sparte nicht nur Frachtkosten, sondern die anfallenden Holzreste konnten auch für die MDF-Produktion genutzt werden. Die Abfälle von der Profilierung von Nut und Feder nutzen wir zur Erzeugung von Wärmeenergie.
Wir überzeugten das Bundesland Brandenburg von der Idee eines weiteren MDF-Werks in Baruth. Die ursprünglich projektierten Kosten verdoppelten sich letztlich. So etwas sorgt nicht nur bei der Hamburger Elbphilharmonie und dem Berliner Flughafen für Diskussionen. Längst gibt uns jedoch der Erfolg recht: Das Thema Laminat wurde durch unser modernes MDF-Werk abgerundet. Wir produzieren in Baruth heute jährlich ungefähr 75 Mio. m
2-Laminatboden und sind damit weltweit der größte Einzelstandort.
Was passierte nach der Konzentration der Laminatproduktion in Baruth mit dem Standort Kaisersesch?
Hannig: Wir haben uns mit Kunststoffböden befasst. Im ersten Schritt haben wir für einen Bodenbelagsanbieter PVC-Sheets konfektioniert. Wobei uns klar war, dass das nur eine vorübergehende Lösung sein würde. Langfristig wollten wir selber die Produktion von elastischen Bodenbelägen aufnehmen. Die Wertschöpfungskette konnte sich nicht darauf beschränken, aus Fernost importierte Ware zu veredeln.
Ursprünglich hatte der Vertrieb auf PVC-Beläge gesetzt. Aber wir wollten keine Chlorprodukte, die möglicherweise Gefahrenpotential in sich bergen, sondern PVC-freie elastische Beläge. Daher haben wir uns mit den Kunststoffen PET und Polypropylen beschäftigt. Polypropylen wird unter anderem in der Lebensmittel- und Automobilindustrie eingesetzt. Wir sind sehr tief in das Thema eingestiegen, weil uns nicht nur das Produkt an sich wichtig war, sondern es sollte auch recyclingfähig sein. Heute können wir sagen, dass wir bei der Produktion elastischer Beläge 0 % Abfall haben. Sämtliche Randabschnitte und Kleinabfälle werden wieder der Fertigung zugeführt. Zusätzlich haben wir eine eigene Entwicklung bei der digitalen Bedruckung der Oberflächen eingeführt.
Ein Kernproblem beim Recycling ist ja die Materialvielfalt der unterschiedlichen Belagsschichten. Wie lösen Sie das?
Hannig: Wir schreddern die gesamte Konstruktion, machen das Material wieder weich, granulieren es und verpressen es zu einer neuen Platte, die mit einer neuen Oberfläche versehen wird. Am liebsten würden wir noch viel weiter zurückgehen, bis zum Urzustand Öl. Das wird sicher eines Tages kommen, da die Technologie dafür schon in Ansätzen vorhanden ist. Noch ist das aber ein langer Weg.
Unser zentrales Anliegen ist, kein "Greenwashing" zu betreiben - ein schrecklicher Begriff. Wir wollen belastbar Verantwortung übernehmen für das, was wir in Verkehr bringen und auch langfristig eine Kreislauflösung installieren.
Wie treten Sie mit diesen neuen Produkten im Markt auf?
Wendel: Unter dem Begriff Green Vinyl, weil die Bezeichnung Vinyl bekannt ist, der Endverbraucher danach fragt und unser Green Vinyl guten Gewissens kaufen kann. Dafür stehen die Auszeichnung mit dem "Blauen Engel" und unsere Eco-Zertifizierung. Darüber konnten wir Green Vinyl flächendeckend im Baumarkt platzieren. Im Fachhandel loben wir die Produkte unter Eco Vinyl aus. Denn für den Fachhandel haben wir mit dem Eco-Konzept ein Gesamtkonzept mit ökologischem Charakter entwickelt, das alle unsere Bodenbeläge einschließt: Eco Vinyl, Eco Laminat und Eco Comfort.
Wie geht es jetzt weiter?
Wendel: Wir haben viele Visionen. Zunächst haben wir uns gegen PVC-Produkte entschieden, und es ist uns gelungen, PVC-frei zu agieren. Das ist schon mal eine große Leistung und war mit Sicherheit die richtige Entscheidung. Für die Zukunft brauchen wir Konzepte und Ideen für einen verantwortlichen Umgang mit dem Thema Kreislaufwirtschaft. Da gibt es noch viele Möglichkeiten. Aktuell arbeiten wir mit internem Recycling, könnten uns aber für die Zukunft auch vorstellen, an externen Recyclingströmen zu partizipieren. Wir sind auch überzeugt, dass es notwendig wird, auf Folienverpackungen zu verzichten. In Baruth sind wir gerade dabei, von Folienumverpackungen auf Karton umzustellen.
Hannig: Als deutscher Mittelständler können wir solche Entscheidungen schnell und unabhängig treffen. Viele unserer Mitarbeiter bringen konstruktive Meinungen und Beiträge ein, über die wir kurzfristig entscheiden. Wir vertagen nicht, wir diskutieren, kommen zu einer Entscheidung und setzen diese schnell um.
Sie wollen in Kaisersesch weiter investieren. Das Marktsegment Designbeläge wächst rasant. Dienen die Investitionen in erster Linie dem Ausbau der Kapazitäten?
Hannig: Nein, wir gehen mehr in die Tiefe. Unsere Kunststoffplatte wird weiter verfeinert und ausgebaut - mit verschiedenen Stärken oder Ausstattungen wie Trittschallschutz. Wir führen neue Formate ein, neue Anwendungen wie Wandverkleidungen für Feuchträume. Auch Fassaden könnten als Einsatzbereich interessant sein. Wir sind für das wachsende Marktsegment gut aufgestellt, verfügen über das Know-how und haben zahlreiche Patente angemeldet. Vielfach betreten wir Neuland, weil wir in Themen eintauchen, die wahrscheinlich erst in der Zukunft relevant sein werden.
Betrachten wir Ihre drei Sortimente Laminat, mineralische Designböden und PVC-freie elastische Designbeläge. Wie beurteilen Sie deren Perspektiven? Laminat beispielsweise ist derzeit in Westeuropa erheblich unter Druck...
Hannig: Laminat ist gerade dabei, einen zweiten Frühling zu erleben. Ich bin überzeugt, dass Laminat Chancen hat, seine Erfolgsgeschichte fortzusetzen. Es gibt Weiterentwicklungen, die typische Schwächen des Produktes ausgleichen. Eine ist beispielsweise die Wasserempfindlichkeit. Wir sehen dieses Problem für uns inzwischen als gelöst an und werden unmittelbar mit einer wassergeschützten Ware auf den Markt kommen.
Die zweite Schwäche ist der Trittschall. Auch hier haben wir bei der Minimierung Fortschritte gemacht. Und die dritte Schwäche betrifft die Haptik. Hier konnten wir von elastischen Belägen lernen und Alternativen entwickeln. Also sind alle drei Schwächen technologisch gelöst, einem Revival steht nichts mehr im Wege.
Wendel: Darüber hinaus wird es von uns weitere Innovationen geben. Zudem darf man nicht vergessen, dass Laminatboden im Preis-Leistungs-Verhältnis unschlagbar ist. Sicher sind Designbeläge im Markt auf dem Vormarsch, aber in der Preisklasse von Laminat gibt es kein vergleichbares Produkt, das so leistungsstark ist.
Zur Person
Dr. Hans-Jürgen Hannig strebte schon früh die berufliche Selbstständigkeit an. Kaum 22 Jahre alt, gründete der Betriebswirtschaftsstudent zusammen mit einem Kommilitonen sein erstes Unternehmen, das Tischler und Schreiner mit Holzprodukten belieferte. Besonders erfolgreich waren die Jungunternehmer mit Türen, weil sie auf die Idee kamen, Wohnungsgesellschaften Fertigtüren anzubieten und die Fertigung industrialisierten.
Das Gespür für markt- und kundengerechte Themen erwies sich auch später als Erfolgsmodell: bei Paneelen, Leisten, Fertigmöbeln, dann Laminatböden und inzwischen auch Polymerprodukten für den Fußboden und die Wand. Charakteristisch für Hannigs unternehmerischen Charakter ist neben weitgehender Autonomie das schnelle Agieren, das im Unternehmen durch flache Hierarchien und kurze Entscheidungswege begünstigt wird.
Sebastian Wendel leitet das strategische Marketing der Classen-Gruppe. In dieser Funktion verantwortet der Betriebswirt Produktmanagement und Design sowie die Steuerung der Marketingaktivitäten auf Gruppenebene.
Der 48-jährige Familienvater verfügt über profunde Erfahrung bei "Big Playern" der Bodenbelagsbranche, kennt sich daher bestens mit Produkten und Markt aus. Seine Expertise bringt er auch als Vorstandsmitglied in den Verband der mehrschichtig modularen Fußbodenbeläge (MMFA) ein.
aus
Parkett Magazin 01/20
(Wirtschaft)