Holzring-Symposium über Schnittstellenmanagement
"Vom Kunden her denken"
Der klassische dreistufige Vertrieb erhält sich in der Holzbranche ein wenig wie in einem Reservat. Man muss nicht gleich vom Elfenbeinturm sprechen, aber in anderen Bereichen ist längst die lineare Wertschöpfungskette von der Plattformökonomie abgelöst worden. Das stellt besondere Anforderungen an die Schnittstellen zum Kunden, wie das Holzring-Symposium 2019 von verschiedenen Seiten beleuchtete. |
von Claudia WeidtUnternehmenserfolg hängt unter anderem davon ab, wie man kompetent auf Veränderungen reagiert. Und wir leben in einer Zeit, die von stetigen und immer schnelleren Veränderungen geprägt wird. Auch die Holzwirtschaft muss sich diesen Herausforderungen im wirtschaftlichen, organisatorischen und unternehmenskulturellen Bereich stellen. Hier will der Holzring Unterstützung leisten: In seinen alljährlichen Symposien greift der Holzhandelsverbund jeweils ein aktuelles Thema heraus und beleuchtet es von verschiedenen Seiten.
Dass dieses Format gut ankommt, belegt die hohe Frequenz: Auch 2019 hatten sich gut 200 Teilnehmer eingefunden und füllten den Tagungssaal im Van der Valk-Hotel Berlin-Brandenburg. "Das Holzring-Symposium steht für Wissenstransfer und Dialog zwischen Kunden und Lieferanten, Freunden und Partnern", sagte Holzring-Geschäftsführer Olaf Rützel in seiner Begrüßung. "Wir lassen uns dabei von dem Gedanken leiten, dass kein Unternehmen mit den großen Themen allein ist."
Ein Schwerpunkt der Veranstaltung liegt immer auf Best Practise-Beispielen, sowohl aus dem Handel, sprich von Kooperationsgesellschaftern, als auch aus der Industrie, bzw. dem Lieferantenkreis. Weil hier durchaus "aus dem Nähkästchen geplaudert wird", nahm Rützel möglichen Berührungsängsten den Wind aus den Segeln. "Der Wettbewerb findet heute nicht zwischen Unternehmen statt, sondern zwischen den unterschiedlichen Wertschöpfungsketten."
Und damit sind wir beim Thema. Lineare Wertschöpfungsketten sind nämlich fast schon ein Auslaufmodell und werden zunehmend von der Plattform-Ökonomie abgelöst. Das gilt nicht nur B2C, sondern auch B2B. "Ist das Chance oder Bedrohung?" stellte der wie stets sehr gut vorbereitete Rützel als Frage in den Raum. Für die etablierten dreistufigen Vertriebsstrukturen ist das eine Bedrohung. Denn digitale Plattformen bilden einen bilateralen Markt ab, in dem unmittelbare Interaktionen zwischen externen Herstellern und Kunden stattfinden. Die dazwischen liegenden Vertriebsstufen verlieren ihren Kontakt zum Kunden, die Schnittstellen verändern sich.
Das fordert ein Umdenken. Für den (Groß)handel geht es darum, in der digitalen Welt den Zugang zum Kunden und die Hoheit über die Schnittstelle zu behalten. Wie gelingt das? Indem er seine Perspektive ändert und vom Kunden her denkt. Erfolgreich umgesetzt werde das Prinzip von Amazon. Gründer Jeff Bezos will das "kundenfreundlichste Unternehmen der Welt sein" - und hat Abläufe und Services eingeführt, die wir alle inzwischen gewohnt sind und die darum als Benchmark gelten.
Berücksichtigen müsse man dabei auch, mahnte Rützel, dass die Customer Journey heute nicht mehr linear, sondern Zickzack verläuft. Was wieder die Bedeutung eines professionellen Schnittstellen-Managements an verschiedenen Berührungspunkten mit den Kunden unterstreicht.
Letztlich geht es darum, eine reibungslose Zusammenarbeit zwischen allen Akteuren der Wertschöpfungsgemeinschaft herzustellen, damit alle davon profitieren können.
Lennart A. Paul:
"Bedeutung von Beratung und Services nimmt zu"
Lennart A. Paul, seit zehn Jahren in verschiedenen Rollen im B2B Digital Commerce unterwegs, beleuchtete die Veränderungen im B2B-Handel. Die Kundenschnittstelle verändert sich: In der analogen Welt ist das der traditionelle Handel mit direktem Zugang und persönlichem Kontakt zu den Kunden. In der digitalen Welt haben Plattformen die Rolle übernommen, fassen Lieferanten zusammen und bieten dem Kunden Übersicht, Vergleichbarkeit und Preistransparenz.
Genau das sei ihr Erfolgskonzept, sagte Paul, das sie immer weiter ausbauen - zum Beispiel Amazon mit der App "Part Finder". Man fotografiert das gesuchte Produkt, etwa eine bestimmte Schraube, und "Part Finder" analysiert das Foto, skaliert die Maße und macht Kaufvorschläge. Das mühselige Blättern in einem Katalog entfällt. "Dagegen fällt es dem tradierten Handel schwer, sich zu positionieren", konstatierte Paul, "vor allem mit Commodity-Produkten." Strategische Lieferanten seien hingegen weniger von der Konkurrenz durch Plattformen betroffen.
Vogel-Strauß-Politik nach dem Motto "Unsere Produkte kann man nicht online verkaufen" sei nicht die richtige Gegenstrategie, mahnte Paul. Das hätten Buchhändler und Schuhhändler früher auch gedacht. Vielmehr müsse sich der klassische Handel fragen, wie er in der digitalen Welt relevant bleiben kann. "Immer, wenn ich das Gefühl habe, mein Produkt könnte auch bei Amazon verkauft werden, dann muss ich etwas Anderes machen. Reine Produktverkäufe, das wird ganz schön schwer", zitierte Paul Michael Möller, Gründer und Geschäftsführer des Elektro-Onlineshops Voltus. Ergo nimmt die Bedeutung von Beratung und Services zu. Ein wichtiger Faktor dabei sei der Außendienst. Seine Rolle verändere sich: Weg von Bestellabholer ("Was willst Du heute bestellen?"), Erklärer ("Ich erkläre Dir, wie das funktioniert") und Navigator ("Ich zeige Dir, welches Produkt Du brauchst"), hin zum Berater ("Ich kenne Dein Problem, bevor es entsteht").
Paul stellte eindeutig klar: "Der B2B-Handel ändert sich auch für Holz, Kunden geben den Takt vor und das "digitale Fell" ist noch lange nicht verteilt". Seine Empfehlung: "Gestalten statt zaudern, lernen Sie vom Buch- und Schuhhandel, digitale Chancennutzung beginnt im Kopf." Eine grundsätzliche Strategie sei wichtig, sie umzusetzen und unterwegs anzupassen noch besser - "am Ende schlagen die aktiven Unternehmen die passiven."
Lennart A. Paul ist Gründer und Geschäftsführer von Black Truck, Unternehmensberatung für E-Commerce und digitale Geschäftsmodelle.Edwin Steffen:
"Wir verkaufen Zeit"
Edwin Steffen ist sich des Drucks bewusst, den revolutionäre Geschäftsmodelle auf den klassischen Handel ausüben - auch den HHolzhandel. "Wer sich nicht anpasst und sein Unternehmen nichtan den Ansprüchen seiner Kunden ausrichtet, läuft Gefahr vom Markt zu verschwinden." gleichwohl ist er sich sicher, dass B2B aufgrund der vielfältigen Wertschöpfungsfunktionen, der Vielfalt der Materialien und der hohen logistischen Kompetenz auch im digitalen Zeitalter weitgehend beim Holzhandel beheimatet bleibt. Dennoch: Zurücklehnen ist nicht angesagt. "Wir müssen im Großhandel überlegen, wie wir es mit allen Mitteln und Möglichkeiten schaffen, dem Kunden mehr Zeit zu schenken", sagte Steffen eindringlich, "und im Einzelhandel, wie wir dem Kunden ein besseres und schöneres Leben bescheren."
In einer Analyse der verschiedenen Schnittstellen zum Kunden stellte er fest, dass sich die Funktion des Außendienstes verändert hat: "Früher Verkauf, heute Beziehungsmanagement." Das gelte auch für den Innendienst, der als einst wichtigster Kontaktpunkt zu den Kunden an Bedeutung verloren habe. Heute sei die Homepage das zentrale Instrument der Kommunikation mit durchschnittlich 40.000 Besucher im Monat, bzw. 1.000 pro Tag. Darüber hinaus hält Leyendecker im B2B-Bereich auch an traditionellen Printmedien wie Flyern und Katalogen fest, "aber digital wird immer wichtiger".
In diesem Mix aus digitaler und analoger Kommunikation und Kundenansprache nehmen Veranstaltungen einen großen Stellenwert ein. "Denn auch in der digitalen Welt verlieren die realen Begegnungen von Mensch zu Mensch nichts von ihrer Bedeutung." Das Unternehmen führt regelmäßig eine ganze Reihe unterschiedlicher Veranstaltungen für verschiedene Zielgruppen durch, vom "Trend Forum" über das "Architektur Forum" und die "Holztek"-Fachmesse bis hin zu speziellen Key Account-Events, Partnerschaftsabende und Studienreisen in kleinerem Rahmen. Steffen sieht Veranstaltungen als "Top-Kundenbindungsinstrument", denn "durch persönliche Gespräche und gemeinsame Erlebnisse entstehen Beziehungen, die für die Zukunft Bestand haben."
Edwin Steffen ist Geschäftsführer von Leyendecker Holzland .Max Bremer:
"Den Kunden Zeit schenken"
Auch Max Bremer steuerte einen Erfahrungsbericht aus der Praxis bei, dieses Mal von der Würth-Gruppe. "Unsere DNA ist der Direktvertrieb, damit sind wir erfolgreich, daran halten wir fest" - obgleich sich der Spezialist für Montage- und Befestigungstechnik gerade zum digitalisierten Omni-Channel-Unternehmen entwickele. 32.000 Außendienstmitarbeiter sind für Würth auf der Straße und bedienen 3,5 Mio. Aktivkunden. Auch wenn der Umsatz über Verkäufer von 1996 bis 2018 von 85 % Anteil auf 35 % geschrumpft sei, seien die Vertriebler ein wichtiges Element, weil sie direkt das Kundenfeedback einholen. "Unsere Handwerker sind nicht zimperlich in ihrer Kritik". Und unmittelbare konstruktive Resonanz sei wichtiger als Online-Kundenbewertungen.
Und: "Um unsere Kunden nachhaltig an uns zu binden, müssen wir mehr bieten als das reine Produkt", weiß man auch bei Würth, "wir müssen in die Köpfe unserer Kunden und Teil ihrer Prozesse werden." Denn die Kunden würden längst digitalisiert denken, "aber sie haben Wichtigeres zu tun". Deshalb bedeute Systemintegration, "den Kunden Zeit zu schenken, damit sie sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren können: durch die Optimierung von Arbeitsschritten, die Vereinfachung von Prozessen und die Lösung technischer Probleme." Dabei böten digitale Tools die Möglichkeit, eine ganzheitliche Systemintegration gemeinsam mit den Kunden zu gestalten und so eine Win-Win-Situation zu schaffen. So würden etwa digitale Services und PoS-Lösungen die traditionellen Instrumente im Vertrieb ergänzen. Als ein Beispiel nannte Bremer den Würth Sofort-Service, bei nach der Bestellung per App die Lieferung auf die Baustelle per Kurier innerhalb von drei Stunden erfolgen soll. Oder den Click & Collect-Service, bei dem Waren innerhalb einer Stunde in einer Würth-Niederlassung oder einer Paketstation zur Abholung bereitgestellt werden.
Der Außendienst hat bei Würth auch keine Verantwortung mehr für den einzelnen Kunden, sondern ganzheitlich für ein Projekt. Das schließt auch seine Entlohnung ein, für die alle Umsätze aus allen Kontaktpunkten des Kunden addiert werden.
Max Bremer ist International Coordinator for E-Business bei Adolf Würth.Claudius Moor:
"Schnittstellen-Problematik nachgelagerter Kunden berücksichtigen"
Claudius Moor erläuterte am Beispiel der Türengruppe von Bauzulieferer Arbonia, wie Schnittstellenmanagement in der Praxis aussieht. Türenhersteller Prüm hat 2018 70.000 verschiedene Türen gefertigt - 67.000 davon, 90 %, jeweils nur einmal. Diese Variantenvielfalt stelle höchste Anforderungen an sämtliche Prozesse und Schnittstellen, angefangen bei der Artikelanlage mit Konfiguration über eine flexible Produktionsplanung bis zur Lagerverwaltung. Daher wurde in moderne ERP-Lösungen von SAP investiert. Generell investiere Mutter Arbonia zur Zeit jährlich 12 % ihres Nettoumsatzes in die technologische Effizienzsteigerung von Prozessen, denn "Wachstum ist nur noch über Produktivitätsgewinne möglich."
Weil "die effiziente Gestaltung von Schnittstellen zwischen Industrie und Handel essentiell für die langfristige Wettbewerbsfähigkeit ist", haben sich Prüm und Schwesterfirma Garant intensiv damit beschäftigt - gemeinsam mit den Kunden. Die Abläufe vereinfachen und beschleunigen soll eine mandantenfähige Cloud-Lösung mit Anbindung an die Warenwirtschaftssysteme der beiden Türenhersteller einerseits und die des Handels andererseits. Vorteil für den Handel ist, dass keine separate Software installiert werden muss, keine Systemanforderungen bestehen, Updates automatisch erstellt werden und eine direkte Verknüpfung zu PIM besteht.
"Auch wenn das Geschäft vor Ort nicht unser Geschäft ist" dürfe man die Schnittstellenproblematik nachgelagerter Kunden nicht vergessen, mahnte Moor. "Wer diese langfristig am besten löst, macht das Rennen." Als Beispiel nannte er ein digitales Zutrittsystem für Wohnungseingangstüren, mit dem Wohnbaugesellschaften Türen digital aus der Ferne verwalten und bedienen können
Claudius Moor ist Geschäftsführer des Prüm-Türenwerks.Jörg Freiling:
"In den Kopf der Kunden"
"Denken vom Kunden her" war das Holzring-Symposium betitelt und der Wirtschaftswissenschaftler Jörg Freiling machte dem Auditorium eindeutig klar: "Wer das nicht tut, ist im Zukunftsgeschäft nicht mehr dabei." Wie schon Vorredner Lennart A. Paul verwies auch Freiling darauf, dass künftig mehr als das reine Produkt notwendig ist, um die Kunden nachhaltig zu binden. "Wir müssen in den Kopf der Kunden und Teil ihrer Prozesse werden." Lernen und verstehen seien letztlich die Faktoren, die den Wettbewerb um die Kunden entscheiden. Das funktioniert aber nicht aus dem stillen Kämmerlein heraus: "Wer vom Kunden her denken will, muss raus und mit ihm reden. Denn was immer man sich auch überlegt - Kunden gehen mit anderen Blickwinkeln und Zielen heran. Alle Marktstufen haben unterschiedliche Positionen und Interessen. Und ein Perspektivwechsel kann viel verändern."
Wer das vormacht: Amazon, zum Beispiel. Dort müssten alle Manager einschließlich der höchsten Führungsriege alle zwei Jahre für zwei Tage in die Callcenter und dort die Kundenbetreuung übernehmen, berichtete Freiling. Das Hineindenken in den Kunden, seine Bedürfnisse und Wünsche bedeute aber nicht, ihm blind zu folgen, betonte der Wirtschaftswissenschaftler auch, "sondern die eigenen Potenziale damit gekonnt in Verbindung bringen und die digitalen Möglichkeiten zur Steigerung der Leistungsfähigkeit und Produktivität zu nutzen." Und, ganz wichtig: "Wer vom Kunden her denken well, muss das Tagesgeschäft gedanklich beiseite legen. Wer hier Zeit in die Hand nimmt, rennt der Konkurrenz vielleicht nicht nur davon - er kann ganz neue Märkte eröffnen."
Prof. Dr. Jörg Freiling ist Inhaber des Lehrstuhls Mittelstand, Existenzgründung und Entrepreneurship, Fachbereich Wirtschaftswissenschaft, Universität Bremen.
aus
Parkett Magazin 01/20
(Wirtschaft)