Interview des Monats: Messe Frankfurt
"Wir planen die Heimtextil 2021 für die Zeit nach der Lockerung"
Messegesellschaften sind durch die Corona-Krise im Kern ihres Geschäftes betroffen. Über die Auswirkungen auf das Alltagsgeschäft und die Heimtextil 2021 haben wir mit Olaf Schmidt, Vice President Textiles & Textile Technologies der Messe Frankfurt, gesprochen.
BTH Heimtex: Die Corona-Krise ist das aktuell beherrschende Thema quer durch alle Branchen. Wie wirkt sich das Virus auf die Messe Frankfurt aus?
Olaf Schmidt: Die derzeitige Situation betrifft uns insgesamt massiv. Erste Auswirkungen haben wir bereits während der Frühjahrsmessen in Frankfurt gespürt. Schon hier kam es zu einem deutlichen Besucherrückgang, insbesondere von Seiten ausländischer Branchenteilnehmer. Und auch einige chinesische Aussteller konnten nicht vor Ort sein.
In der Folge hat die Messe Frankfurt keine Veranstaltung mehr durchgeführt. Das gilt auch für unsere weltweiten Textilmessen, wo wir international besonders betroffen sind. Hier kam es alleine im Textilbereich zu rund 20 Verschiebungen beziehungsweise Absagen in den USA, Argentinien, Südafrika, Russland, Indien, Japan und China. Eine beispiellose Herausforderung auch für uns. Dadurch entstehen natürlich gravierende Umsatzeinbußen.
Aber die Messe Frankfurt ist stabil aufgestellt und kann mit dieser für uns alle neuen Situation umgehen. Unsere Teams arbeiten von Zuhause aus. Grundsätzlich sind und bleiben wir für unsere Kunden erreichbar und planen die Heimtextil 2021 und die weiteren weltweiten Veranstaltungen aus unserem Portfolio für die Zeit nach der Lockerung der Beschränkungen.
BTH Heimtex: Wie groß schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit ein, dass die Heimtextil 2021 durchgeführt wird?
Schmidt: Das Virus und die aktuelle Krisensituation werden unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft nachhaltig verändern. Wir müssen gegenwärtig keine gravierenden Folgen für die Heimtextil befürchten. Der Termin liegt glücklicherweise noch weit vor uns und wir sind in enger Abstimmung mit den Behörden hinsichtlich notwendiger Hygienekonzepte. Wichtig aus unserer Sicht war, dass auch die Politik erkannt hat, dass eine Messe nicht mit Großveranstaltungen wie Konzerten oder Sportevents verglichen werden kann.
BTH Heimtex: Wie ist der aktuelle Buchungsstand?
Schmidt: Was die Buchungssituation angeht, sind die Vorzeichen sehr positiv: Schon jetzt sind mehr als 95 % der Fläche gebucht - auf Basis der Heimtextil 2020. Allerdings wissen wir natürlich, dass einige Unternehmen krisenbedingt in existenzbedrohende Schwierigkeiten gekommen sind. Wir sind hier im engen Austausch mit unseren Kunden.
Aber grundsätzlich gibt uns der sehr gute Anmeldestand zu diesem frühen Zeitpunkt schon enorm viel Planungssicherheit und stimmt uns in der besonderen Zeit optimistisch.
BTH Heimtex: Gibt es länderspezifische Entwicklungen?
Schmidt: Das ist aktuell schwer abzuschätzen. Gerade aber auch aus den stark von Corona betroffenen Ländern Italien, Spanien oder Großbritannien registrieren wir großen Zuspruch. Die krisengeplagten Produzenten setzen auf die Heimtextil und die wichtigen Impulse, die von der Messe ausgehen, um ihre Geschäfte im neuen Jahr wieder anzukurbeln.
BTH Heimtex: Die Anzahl der Aussteller ist ein wichtiger Parameter für Messen, die Anzahl der Besucher ein anderer. Wie schätzen sie aus heutiger Sicht - und vorausgesetzt, die Heimtextil 2021 findet statt - die Entwicklung auf Besucherseite ein?
Schmidt: Natürlich hoffe ich genauso für die Handelsseite, dass die Unternehmen, Händler und Raumausstatter möglichst unbeschadet aus der Krise hervorgehen. Aber es ist wohl zu befürchten, dass sich der Markt weiter konsolidiert und es den einen oder anderen Betrieb 2021 nicht mehr gibt. Der deutsche Markt hat ja in den letzten Jahren bereits einen starken Rückgang stationärer Fachgeschäfte erlebt. Die Anzahl an Fachhändlern ist, verglichen mit der Situation von vor 15 oder 20 Jahren, bekanntlich extrem gesunken.
Für unsere internationalen Besucher wird entscheidend sein, wie sich die Auflagen für den Flugbetrieb und generell das Reiseverhalten entwickeln. Wir sehen aber erste Signale, dass es hierfür noch in diesem Jahr deutliche Fortschritte gibt.
BTH Heimtex: Die Corona-Krise wird die Digitalisierung weiter vorantreiben. Glauben Sie, dass Covid-19 das Messewesen generell verändert und ein Trend zu virtuellen Messen entstehen könnte? Wie schätzen Sie in diesem Kontext die Zukunft analoger Messen generell ein?
Schmidt: Im Rahmen unserer Modemesse Neonyt als Teil der Berlin Fashion Week, die ursprünglich für diesen Sommer geplant war, stellen wir derzeit Überlegungen an, ein virtuelles Format anzubieten. Möglicherweise lassen sich Learnings der Neonyt dann auch auf die Heimtextil übertragen. Allerdings müssten wir hierzu erst einmal klären, was wir uns überhaupt unter einer virtuellen Messe vorstellen. Meinen wir damit einen digitalen Showroom, Online-Matchmakings, Webinare oder Online-Panels? All das sind ja Formate, die derzeit Konjunktur erleben und grundsätzlich denkbar sind.
Unabhängig davon sind wir allerdings fest davon überzeugt, dass sich auch in Zukunft Menschen real begegnen möchten, um ihre Waren auszutauschen - nach der Krise vielleicht sogar mehr als zuvor - und dass persönliche Kontakte die beste Voraussetzung für gute, langfristige Geschäfte sind. Der Mensch ist ein soziales Wesen und braucht die persönliche Begegnung. Virtuelle Angebote können die globale Kommunikation ergänzen. Aber die persönliche Begegnung und das haptische Erlebnis, das gerade im Textilbereich entscheidend ist, bleiben essentiell.
BTH Heimtex: Jede Krise birgt auch Chancen. Wo sehen Sie Chancen für die Textilindustrie und für Messeveranstaltungen nach dieser Krise?
Schmidt: Wir alle spüren in Zeiten von Corona deutlich: Die Krise ist auch ein Moment des Innehaltens und der Achtsamkeit. Es ist sehr zu wünschen, dass wir aus der akuten Krise lernen und uns rückbesinnen auf die wichtigen Werte, auf Solidarität zwischen Produzenten, Handel und Konsumenten, auf den Wert qualitativer Textilien, auf Klimaschutz und Nachhaltigkeit.
Möglicherweise - und das würden wir uns sehr wünschen - gehen daher insbesondere Unternehmen, die auf Nachhaltigkeit setzen, gestärkt aus dieser Gesundheits- und Wirtschaftskrise hervor. Und speziell der Einrichtungsbranche könnten die aktuellen Begebenheiten - Stichwort "Stay Home" oder "Homeoffice" - Aufwind geben und die Menschen stärker motivieren, in ihre Häuser und Wohnungen zu investieren. Aber klar, uns ist auch bewusst, dass Menschen, die von Arbeitslosigkeit oder erheblichen Verdiensteinbrüchen betroffen sind, aktuell andere Prioritäten haben.
BTH Heimtex: Lassen wir Corona mal beiseite. Wie wird die Neukonzeption der Heimtextil seit 2019 bewertet? Und welche Möglichkeiten sehen Sie, um insbesondere der Zielgruppe Raumausstatter ein attraktives Messeangebot liefern zu können?
Schmidt: Das neue Konzept wurde nach zwei Messeausgaben insgesamt sehr gut angenommen. Seitdem bietet die Heimtextil die für Raumausstatter relevanten Produkte in zwei Hallen an. Internationale Editeure, das Deco Team und weitere Gardinen- und Stoffanbieter stehen ebenso in der Halle 8.0 wie Sicht- und Sonnenschutzfirmen und Teppichanbieter. Das Insider-Areal, der ZVR und die Deco Team Forum-Fläche sind sehr wichtige Treffpunkte und Anlaufstationen für die Raumausstatter in der Halle 8.0.
Hinzu kommt natürlich auch das international größte Angebot an Tapeten in der Halle 3.1. Damit ist für jeden Branchenteilnehmer auf der Heimtextil etwas dabei - egal, ob ich mir einen Neuheiten-Überblick verschaffen oder konkrete Geschäfte anstoßen möchte.
Die nächste Heimtextil liegt auch, was den Termin angeht, wieder deutlich günstiger und beginnt erst am 12. Januar 2021. Und natürlich werden wir auch unser Insider-Programm fortsetzen und Raumausstattern wieder die gewohnten Extra-Services bieten.
BTH Heimtex: Dennoch haben unmittelbar nach der diesjährigen Heimtextil einige große deutsche Firmen, unter anderem MHZ, die Teilnahme im kommenden Jahr abgesagt. Bei den Tapetenanbietern war die Stimmung auch schon besser
Schmidt: Wir bedauern natürlich, dass ein langjähriger Aussteller wie MHZ, der stark auf den deutschen Markt fokussiert ist, abgesagt hat. Uns ist auch bewusst, dass sich die Besucherstruktur der Heimtextil geändert hat - ebenso wie sich die Struktur im Handel in den vergangenen Jahren insgesamt gravierend geändert hat und sich auch noch weiter im Wandel befinden wird.
Dennoch hat die Heimtextil als Branchentreff Nummer eins für textiles Einrichten nach wie vor die meisten Besucher aus diesem Bereich - sowohl von nationaler als auch internationaler Seite. Generell profitieren unsere Aussteller natürlich vom stark internationalen Profil der Heimtextil, die mehr denn je die weltweit beste Plattform für Exportgeschäfte ist. Hinzu kommen die Networking-Möglichkeiten einer Messe und ihre Funktion als Trendbarometer zum Saisonstart. Gerade dafür, für wegweisende Trendprognosen, steht die Heimtextil wie keine andere Branchenveranstaltung auf der Welt.
Was die Tapeten angeht, wissen wir alle, dass die Branche seit zwei Jahren vor großen Herausforderungen steht. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass wir immer noch die weltweit größte Tapetenausstellung hier in Frankfurt haben. Wir fokussieren uns mehr auf den internationalen Markt und sind hier im Austausch mit dem internationalen Tapetenverband, der IGI - The Global Wallcoverings Association aus Brüssel. Für die Planung der Halle 3.1 können wir sagen, dass wir hier noch fokussierter vorgehen.
BTH Heimtex: 2021 wird zeitgleich zur Heimtextil die BAU in München stattfinden. Wie stellen Sie sich darauf ein?
Schmidt: Das bringt für die Marktteilnehmer sowohl Vor- als auch Nachteile. Sicher muss sich der ein oder andere Branchenvertreter entscheiden, wie er seine Zeit zu Jahresbeginn aufteilt. Allerdings hat es auch den Vorteil, dass internationale Besucher bei ihrem Deutschlandbesuch zwei Messen gleichzeitig abdecken können.
BTH Heimtex: Was können denn aus Ihrer Sicht die deutschen Branchenteilnehmer - Aussteller und Besucher - tun, um zum Erfolg der Heimtextil beizutragen?
Schmidt: Wir wissen natürlich, dass die aktuelle Situation für Industrie und Handel alles andere als einfach ist. Es war schon vor der Corona-Krise nicht einfach und verschärft sich jetzt noch deutlich. Wir - und da schließe ich die deutschen Aussteller mit ein - müssen die internationale Strahlkraft und die globale Power der Heimtextil als Weltleitmesse verinnerlichen und erkennen, welch enorme Chancen und Potenziale sich daraus für die heimischen Marktteilnehmer ergeben. Und daher müssen die deutschen Unternehmen auch für Export eingestellt sein. Das beginnt beim mehrsprachigen Personal auf dem Stand und setzt sich fort in der internationalen Vertriebsstruktur.
Sowohl von Ausstellern als auch von Besuchern aus Deutschland würden wir uns wünschen, dass sie die Heimtextil als "ihre" Veranstaltung wahrnehmen. Im internationalen Kontext wird das viel mehr gelebt. Dort ist die Heimtextil das Happening der Branche schlechthin. Dabei können wir - und damit meine ich alle heimischen Branchenteilnehmer - uns doch glücklich schätzen, dass die weltweit wichtigste Messe in Deutschland stattfindet. Und ein Aussteller kann nicht erwarten, dass Besucher aus ganz Deutschland in Frankfurt sind, wenn sich gleichzeitig Unternehmen stark an Regionalmessen beteiligen. Vielmehr halte ich im Sinne einer geschlossen agierenden, starken Branche eine Konzentration auf eine Leitmesse für sinnvoller.
Händler und Raumausstatter möchten wir zudem einladen, agil zu bleiben, interessiert zu sein und Neuem offen zu begegnen. Wir können nur appellieren, die Heimtextil als große Chance zu sehen - zur Inspiration, zur Information und zu nationalen und internationalen Geschäftsbegegnungen. Und schließlich laden wir alle Branchenteilnehmer herzlich dazu ein, von unseren attraktiven Besucherservices - Stichwort Insider - rege Gebrauch zu machen.
BTH Heimtex: Die Online-Community, die sich mit dem Thema Wohnen und Einrichten beschäftigt, spielt gerade für jüngere Menschen eine wichtige Rolle. Sehen Sie Chancen, diese Community stärker an die Heimtextil zu binden?
Schmidt: Natürlich nimmt auch für die Heimtextil die Bedeutung digitaler Kommunikation zu - und das nicht erst in Zeiten der sozialen Isolation. Unser Newsroom texpertise-network.com zu innovativen, messeübergreifenden Textilthemen sowie unser Heimtextil-Blog, aber vor allem auch unsere Social-Media-Kanäle - allen voran Instagram - bieten ganzjährig Infos und Gelegenheiten zum Austausch für unsere Community.
Außerdem haben wir auf der vergangenen Heimtextil eine neue Aktion für die Online-Community lanciert, die wir bereits erfolgreich auf unserer Berliner Fashion-Messe Neonyt etabliert haben: Prepeek by Heimtextil. Hier sprechen wir gezielt Influencer an und liefern ihnen mit ausgewählten Lifestyle-Produkten exklusiven Content. Produkte können vor Ort auf der Heimtextil getestet, geshootet und direkt auf Instagram gepostet werden. Dieses Format werden wir gemeinsam mit renommierten Partnern aus der Branche weiter ausbauen und zur nächsten Heimtextil im Umfeld starker Marken der Halle 9.0 ausrichten.
BTH Heimtex: Was wünschen Sie sich für die Branche und die Heimtextil in einer Corona-freien Zukunft?
Schmidt: Zu allererst wünsche ich mir natürlich, dass alle Branchenteilnehmer gesund und auch wirtschaftlich weitestgehend unbeschadet durch diese Krise kommen. Für Industrie und Handel hoffe ich, dass sie den Mut haben und in zukunftsorientierte Themen wie Digitalisierung und vor allem Nachhaltigkeit investieren.
Für die Heimtextil wünsche ich mir, dass wir alle gut mit den auf uns zukommenden neuen Gegebenheiten zum Schutz unserer Gesundheit zurechtkommen. Und natürlich wünsche ich mir, dass die Heimtextil weiterhin für wertvolle Geschäftsimpulse zu Jahresbeginn in der Branche sorgen kann.
Gleichzeitig bin ich davon überzeugt, dass wir unseren Weg fortsetzen können und neben den marktbestimmenden Unternehmen und qualitativ hochwertigen Designprodukten auch weiterhin ein inhaltlich getriebenes Programm liefern, um allen Messeteilnehmern wertvolle Inspirationen und entscheidende Wissensvorsprünge zu verschaffen.
Uns alle erwarten auf jeden Fall spannende, herausfordernde Zeiten. Aber mein Team und ich gehen die Aufgaben absolut positiv an.
Die Fragen stellte Michaela Fischer. | michaela.fischer@snfachpresse.de
aus
BTH Heimtex 06/20
(Wirtschaft)