Interview des Monats: GHF

"Der deutsche Großhandel war permanent lieferfähig"


Wie ist der Großhandel bislang durch die Corona-Zeit gekommen? Was hat sich im Markt und in den Firmen verändert? Und welche Themen stehen auf der Agenda des neuen Geschäftsführers Bert Bergfeld? Reichlich Stoff für unser jährliches Gespräch mit dem GHF-Vorstand.

BTH Heimtex: Herr Bergfeld, Sie sind seit dem 1. September 2020 Geschäftsführer des GHF. Was hat Sie dazu bewogen, auf diese Position zu wechseln?

Bert Bergfeld: Ich bin seit über 30 Jahren im Großhandel tätig. So besonders wie die Branche ist, so sehr schätze ich sie auch. Und im Vorfeld hat sich bei den Gesprächen mit dem Vorstand gezeigt, dass der Verband neue Themen besetzen möchte. Das finde ich spannend und deshalb habe ich das Angebot angenommen.

Nach Bekanntwerden der Entscheidung habe ich sehr viele positive, teils sehr persönliche Reaktionen aus Industrie und Handel bekommen. Das hat mich persönlich gefreut. Aber es hat mir auch gezeigt, dass die Branche sich dafür interessiert, was im GHF passiert. Das ist für mich eine zusätzliche Motivation.

BTH Heimtex: Von welchen neuen Themen sprechen Sie?

Bergfeld: Zukünftig möchte der GHF zusätzliche Aufgabenfelder besetzen, die sich auf die Themen Arbeitsschutz/Arbeitssicherheit, Verpackungsgesetz und der Unterstützung der Mitglieder im Umfeld der Markt-Digitalisierung konzentrieren. Wie allgemein bekannt, sind alle Unternehmen von einem relativ hohen administrativen Aufwand bei der Bewältigung betriebsfremder Tätigkeiten betroffen und jedes muss in diesen Bereichen entsprechend aufgestellt sein. Der GHF wird analysieren, ob er seinen Mitgliedern für diese Aufgaben maßgeschneiderte Servicepakete zusammenstellen kann. Ziel wird es sein, hier branchenspezifische Lösungen zu entwickeln.

BTH Heimtex: Aufgrund der Einschränkungen durch Corona haben Sie die Jahreshauptversammlung abgesagt. Wie gelingt es Ihnen, trotzdem untereinander und mit Ihren Lieferanten in Kontakt zu bleiben.

Frank A. Kühnel: Ich sehe darin kein Problem. Die einzelnen Akteure treffen sich auch so, innerhalb einzelner Großhandelsgruppen oder mit der Industrie. Dabei kommen auch Themen des GHF zur Sprache.

Christina Engelhard: Wir verlieren uns nicht aus den Augen. Es gibt neue Formen der Kommunikation, beispielsweise Videokonferenzen. Für diese Gespräche werden die Themen gesammelt und sie verlaufen dann oft wesentlich präziser als die persönlichen Treffen. Zeit, die wir früher für Reisen benötigten, können wir jetzt sowohl für Analysen und Vorbereitung von Projekten, als auch für Gespräche innerhalb unserer Firmen nutzen.

So konnte unser Außendienst eine Zeitlang nicht unsere Kunden besuchen, aber wir hatten dadurch endlich die Gelegenheit, uns intern zu treffen und wichtige Punkte zu besprechen. Normalerweise ist der Außendienst unterwegs bei den Kunden und wir haben weniger die Möglichkeit uns auszutauschen.

BTH Heimtex: Sehen Sie auch Nachteile?

Engelhard: Ja, etwa bei der Einführung neuer Kollektionen, die dem Kunden erklärt werden müssen und nicht einfach nur hingestellt oder geschickt werden können.

Unabhängig davon war es eine enorme Leistung von unserem Team, den Mitarbeitern, die unter großen, auch emotionalen Belastungen gearbeitet haben. Corona war und ist eine große psychische Belastung für alle: für diejenigen, die Eltern sind und ihre Kinder nicht in die Kita oder Schule schicken konnten, ebenso wie für diejenigen, die Angehörige in der Risikogruppe haben. Es belastet jeden. Auf jemanden zugehen, das Herzliche, das fehlt uns gegenwärtig. Und unter diesen Umständen arbeiten wir gerade.

BTH Heimtex: Wie ist der Großhandel bislang wirtschaftlich durch die Corona-Pandemie gekommen?

Eberhard Liebherr: Dem Großhandel ist es in den letzten Monaten relativ gut gegangen. Wir sind aber von Branchen umgeben, denen es sehr viel schlechter ging und geht. Deshalb muss jeder von uns seine Hausaufgaben machen, um in den kommenden Monaten bestehen zu können.

Engelhard: Während des Lockdowns in weiten Teilen Europas hat die Belieferung durch die Bodenbelagshersteller gut geklappt. Allerdings sind dann mit einiger Verzögerung Lieferengpässe aufgetreten, einmal durch Corona-bedingte Einschränkungen der Produktion, dann durch die Betriebsferien und auch dadurch, dass inzwischen in den übrigen Ländern Europas wieder gearbeitet wird. Das hat zur Folge, dass wir bei Großobjekten teilweise vier bis acht Wochen auf die Lieferung warten müssen. Diese Situation betrifft europäische Hersteller von textilen Belägen ebenso wie von Designbelägen, Parkett und Laminat. Die Industrie ist bemüht, mit uns partnerschaftlich Lösungen zu finden. Aber es war unerwartet, dass dieses Problem erst jetzt und in dieser Form auftritt.

Martin Geiger: Lieferschwierigkeiten gab es aber auch bei chinesischer Ware. Auch wenn die Produktion nicht in allen dortigen Regionen gleichermaßen zurückgefahren werden musste, hat dies trotzdem zu Problemen geführt.

Kühnel: Das gilt auch für die Farben, weil die Produktion in Nachbarländern komplett heruntergefahren werden musste. Das merken wir bis heute.

BTH Heimtex: Wie sind denn die einzelnen Sortimente gelaufen?

Kühnel: Bei Profi-Baufarben ist die Entwicklung in Deutschland leicht positiv, da das Malerhandwerk weiter gearbeitet hat. Zwar haben private Auftraggeber teilweise Aufträge zurückgezogen, weil sie wegen Corona keine Handwerker in der Wohnung haben wollten. Aber gleichzeitig wurden im öffentlichen Bereich Arbeiten vorgezogen, die eigentlich für den Sommer und die Ferien geplant waren. In der Summe ist das überraschend positiv. So positiv, dass ich in einigen Gesprächen schon gehört habe, dass es im nächsten Jahr kaum Wachstum geben wird, weil die Zahlen in diesem Jahr so gut sind.

Bergfeld: Auch dass die Menschen daheim geblieben sind und sich mit der Gestaltung ihrer Wohnung beschäftigt haben, hat sich positiv auf den Facheinzelhandel und den Großhandel ausgewirkt.

BTH Heimtex: Wie sieht es bei WDVS aus?

Michael Späth: Das Breitengeschäft im Vollwärmeschutz ist stabil.

Kühnel: Aber wir müssen hier zwischen der allgemeinen Entwicklung und derjenigen im Großhandel unterscheiden. Denn es gibt eine Verschiebung hin zu den Direktanbietern.

BTH Heimtex: Mit "Deutschland tapeziert" läuft eine große Kampagne, die die Nachfrage bei Tapeten ankurbeln soll. Nehmen Sie positive Effekte wahr?

Kühnel: Dafür fehlt der Vergleich, wie es ohne die Kampagne gelaufen wäre. Auf der breiten Ebene erfahren Tapeten ja eher Ablehnung, gleichzeitig erleben sie eine Renaissance, weil mit ihnen Akzente gesetzt werden. Aber das Volumengeschäft der Vergangenheit ist vorüber. Die Entwicklung ist ähnlich wie bei Teppichboden.

BTH Heimtex: Stichwort Teppichboden: Wie entwickeln sich Bodenbeläge?

Engelhard: Bei Bodenbelägen ist die Entwicklung generell zufriedenstellend und wir rechnen mit Wachstum. Aber natürlich wurden auch Objekte verschoben oder teilweise abgesagt - was nicht verwunderlich ist, wenn man sich die Lage etwa in der Tourismus- oder Eventbranche anschaut. Möglicherweise werden uns auch in Zukunft Flächen fehlen. Etwa, weil durch Homeoffice weniger Bürofläche benötigt wird. Oder weil Seminare und Konferenzen über Video abgehalten werden und die bislang dafür genutzten Räume in der Hotellerie nicht mehr renoviert werden. Daher glaube ich, dass wir erst ab nächstem Jahr die Konsequenzen der Corona-Krise zu spüren bekommen.

Liebherr: Viele Menschen haben in den zurückliegenden Monaten in die eigenen vier Wände investiert. Aber diese Flächen werden im kommenden Frühjahr nicht noch einmal belegt. Insofern ist eine gewisse Unsicherheit da. Damit in Zusammenhang steht, dass - ähnlich wie bei WDVS - auch bei Farben und Bodenbelägen die Industrie zunehmend das Direktgeschäft sucht. Man wird sehen, wie sich das entwickelt, sollte die Krise andauern.

Engelhard: Corona zeigt aber auch, welche Bedeutung der Großhandel hat.

BTH Heimtex: Inwiefern?

Engelhard: Im Gegensatz zur Industrie, die zum Teil während dem Lockdown in einigen Ländern in Europa nicht arbeiten konnte, war der Großhandel in Deutschland permanent im Einsatz und lieferfähig und konnte dank seiner großen Lagerbestände die Handwerker bedienen.

Liebherr: Gerade von den Handwerkern wird unsere kontinuierliche Lieferfähigkeit sehr gewürdigt.

Geiger: Die sicherzustellen, war allerdings mit erheblichem Aufwand verbunden. Wenn es bei Lieferant A nichts gab, mussten wir auf Lieferant B oder Produkt C übergehen.

Späth: Die Lieferfähigkeit wird gewürdigt, aber auch die persönliche Betreuung und Beratung, die wir von Anfang an sichergestellt haben. Trotz der Verunsicherung, die es gerade in der ersten Zeit sowohl bei uns und unseren Mitarbeitern als auch bei unseren Kunden gegeben hat.

Bergfeld: Die Aussage, der Großhandel sei lediglich Raum-, Zeit- und Mengenüberbrückung, ist eben nur ein Teil der Großhandelsleistung. Sortimentsbildung, Beratung und ein profundes Wissen über die Produkte gehören ebenfalls dazu.

Geiger: Bei uns gab es auch Anfragen von Kunden, die eigentlich direkt bei der Industrie einkaufen und jetzt nach Alternativen suchen mussten. Ob wir sie als Kunden behalten, wird sich zeigen.

BTH Heimtex: Hat Corona dem Großhandel auch neue Privatkunden gebracht oder mehr werkstattlose Handwerker?

Späth: Das ist regional unterschiedlich. In Bayern und Baden-Württemberg, wo auch die Baumärkte schließen mussten, trifft das sicherlich zu.

Liebherr: In den Ballungsgebieten von Nordrhein-Westfalen haben sich Endverbraucher in den Ausstellungen des Großhandels ausführlich informiert und beraten lassen.

BTH Heimtex: In den Baumärkten soll es bei Farben Zuwächse von bis zu 50 % gegeben haben.

Kühnel: Das mag sein. Aber die Flächen, die damit gestrichen wurden, wären ohnehin nicht von unseren Kunden aus dem Handwerk gestrichen worden.

BTH Heimtex: In den vergangen Monaten hat der Onlinehandel noch einmal kräftig zulegen können. Wie sieht das im Großhandel aus?

Kühnel: Die Nachfrage in den Onlineshops der Großhändler ist sehr unterschiedlich und wird oft subventioniert. Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Man muss auch sehen, dass es Kosten verursacht, einen Onlineshop zu betreiben.

BTH Heimtex: Aber vor allem jüngere Handwerker sind privat ständig online und erwarten das dann sicher auch im Beruf. Muss der Großhandel darauf reagieren - nicht nur mit einem Onlineshop, sondern mit Onlineberatung und -service?

Kühnel: Es stimmt, dass es in bestimmten Kundengruppen eine besondere Onlineaffinität gibt. Aber wir haben festgestellt, dass es vielfach ein online zugängliches Kundenkonto ist, was erwartet wird, um etwa Preislisten oder Belege zu recherchieren. Die Suche nach Produkten und das Bestellen im Onlineshop ist für die Kunden in der Regel eine Qual.

Späth: Über das Telefon geht das einfacher und schneller.

Engelhard: Man darf nicht vergessen, dass unser Kunde der Handwerker ist, der seinem Kunden zum Beispiel diverse Bodenmuster vorlegen muss, damit er sich entscheiden kann. Auch im Objektbereich werden mehre Beläge zur Auswahl vorgeschlagen und die finale Entscheidung nimmt Zeit in Anspruch.
Bodenbeläge sind emotionale Produkte. Die hohe Frequenz in unseren Ausstellungen zeigt, dass die Verbraucher sehen wollen, wie der verlegte Bodenbelag aussieht, wie er sich anfühlt und wie er sich in einen Raum integriert. Der Auswahlprozess dauert in der Regel ziemlich lange, es werden Alternativen vorgeschlagen und Fragen beantwortet. Für den Handwerker ist die Beratung in unseren Showrooms ein Service und eine Erleichterung. Insofern bin ich davon überzeugt, dass Bodenbeläge auch in Zukunft nicht ausschließlich online verkauft werden.

Bergfeld: Sicherlich ist der Großhandel auf dem Weg, der Erwartungshaltung der Digital Natives gerecht zu werden. Aber ob man die in allen Sortimenten und Preissegmenten sowie in Gänze wird erfüllen können und ob das überhaupt notwendig ist - die Antwort darauf ist noch nicht gegeben.

Liebherr: In Handwerkerforen im Internet wird viel nach Ware gesucht. Das sind regelrechte Hilferufe, weil sich jemand vermessen hat und jetzt nicht mehr an die Produkte kommt. Da müsste der Großhandel sich noch stärker einklinken, um solche Anfragen beantworten und bedienen zu können.

BTH Heimtex: Im vergangenen Jahr haben Sie davon berichtet, dass es Schwierigkeiten gab, Fahrer für die Auslieferung zu finden? Hat sich die Situation inzwischen geändert?

Geiger: Bei uns nicht.

Engelhard: Wir haben eine Reihe von Fahrern gesucht und gefunden. Aus meiner Sicht bewegt sich etwas auf dem Markt. Die Menschen sehen die Vorteile, die eine Anstellung im Großhandel mit sich bringt: den sicheren Arbeitsplatz, die geregelten Arbeitszeiten, die strukturierten Tage.

BTH Heimtex: Sehen auch junge Menschen ihre berufliche Zukunft im Großhandel? Anders gefragt: Haben Sie genug Bewerber?

Kühnel: Für den Maler-Einkauf Rhein-Ruhr kann ich das mit ja beantworten. Wir sind auch gerade von Focus Money zu den Top 100 Ausbildungsbetrieben in Deutschland gekürt worden.

Späth: Auch bei uns sind alle Lehrstellen besetzt. In diesem Jahr war es sogar etwas leichter als zuletzt. Allerdings hat sich alles verzögert: Die letzten Azubis haben wir am 10. August eingestellt und am 15. haben sie bei uns angefangen.

| Die Fragen stellten Cornelia Küsel und Jochen Lange.
aus BTH Heimtex 11/20 (Wirtschaft)