Thomas Allmendinger

Oberflächenfestigkeit des Estrichs sorgfältig prüfen


Nicht immer kann durch den Einsatz einer Grundierung die Verfestigung labiler Oberflächenrandzonen erreicht werden, sodass die geschuldeten vertraglichen oder normativen Anforderungen erreicht werden. In einem neu errichteten Büro- und Verwaltungsgebäude wurden konventionelle Calciumsulfatestriche eingebaut. Vereinbarungsgemäß sollten diese eine Biegezugfestigkeit von 5,0 N/mm2 (CA F5) aufweisen.

Der Auftragnehmer für Bodenbelagarbeiten führte Gitterritzprüfungen durch und beanstandete Festigkeitsdefizite. Aus diesem Grund schliff der Estrichleger die Estrichoberfläche abrasiv ab, jedoch ohne dass sich daraufhin der gewünschte Erfolg einstellte. Daraufhin wurde eine Kunstharzgrundierung aufgetragen, was die erforderliche Oberflächenfestigkeit des Estrichs zur vollflächigen Spachtelung und späteren Verlegung von PVC-Designbodenbelägen ermöglichen sollte.

Problem
Zu geringe Biegezugfestigkeit
des Estrichs

Bei stichprobenartig durchgeführten Haftzugprüfungen wurde deutlich, dass auch durch die aufgetragene Reaktionsharzgrundierung keine deutliche Verbesserung der Oberflächenfestigkeit zu erzielen war. Die Oberflächenzugfestigkeiten lagen zwischen 1,07 und 1,29 N/mm2. Da der Estrich über die Gesamtdicke hinweg in verhältnismäßig weicher Konsistenz vorlag, verlagerte sich die Bruchstelle lediglich tiefer in den Estrich, ohne die Festigkeit selbst zu verbessern.

Für weitergehende Laborprüfmaßnahmen wurden schließlich Estrichplatten ausgelöst, um daran die Biegezugwerte des Estrichs nach DIN 18560-2 - Estriche im Bauwesen - Teil 2: Estriche und Heizestriche auf Dämmschichten (schwimmende Estriche) zu bestimmen. Für einen Estrich der Güteklasse F5 (5 kN/m2) müssen die tatsächlich vorhandenen Biegezugfestigkeiten in der Bestätigungsprüfung 3,5 kN/m2 erreichen. Die tatsächlich vorliegenden Biegezugfestigkeiten lagen dagegen lediglich bei 1,9 bis 2,6 kN/m2.

Hintergrund
Calciumsulfatestrich
zu bindemittelarm hergestellt

Nach DIN 1991-1-1- Einwirkungen auf Tragwerke - Teil 1-1: Allgemeine Einwirkungen auf Tragwerke - Wichten, Eigengewicht und Nutzlasten im Hochbau, werden prinzipiell für Büroräume lediglich Estriche der Güteklasse F4 gefordert. Letztlich liegt es jedoch immer in der planerischen Verantwortung zu entscheiden, welche Lasten auf den Estrich einwirken werden und in welcher Güteklasse dieser deshalb eingebaut werden muss. Auch für einen Estrich der Güteklasse F4 müssen die tatsächlichen vorhandenen Biegezugfestigkeiten in der Bestätigungsprüfung bereits 2,5N/mm2 erreichen. Gleichwohl wurde auch dieser Wert nur in einer der vier Etagen des Gebäudes durch den vorhandenen Estrich erbracht.

Die Untersuchungen führten schließlich zu einem kompletten Rückbau der Lastverteilerplatten über die gesamte Fläche. Wie weitergehende Prüfungen des Bindemittelgehalts ergaben, waren die Defizite an der Estrichkonstruktionen auf ein fehlerhaftes Mischungsverhältnis zurückzuführen. Der Calciumsulfatestrich wurde bindemittelärmer als erforderlich hergestellt.

Mein Tipp
Oberflächenfestigkeit sorgfältig prüfen

Wie auch im vorliegenden Fall sollten Auftragnehmer für Parkett- und Bodenbelagarbeiten die Prüfungen der Oberflächenfestigkeit mit hoher Sorgfalt durchführen und gegebenenfalls schriftliche Bedenken vortragen. Diese sollten auch die Ablehnung von Gewährleistungsansprüchen für sich über den Nutzungszeitraum einstellende Haftungsproblematiken an der Fußbodenkonstruktion beinhalten. Die im BEB Merkblatt 9.1 "Oberflächenzug- und Haftzugfestigkeit von Fußböden" benannten Mindestwerte der Oberflächenzugfestigkeit für Bodenbeläge im Bürobereichen und allgemein für Parkett von 1,0 N/mm2 hält der Sachverständige für sich alleinstehend für (deutlich) zu gering. Vor allem durch Luftfeuchtigkeitsveränderungen zwischen 30 % in Wintermonaten und bis zu 70 % relativer Luftfeuchte in Sommermonaten können an verklebten Parkettfußböden Scherkräfte wirksam werden, durch welche es bereits zu Ablösungen des Parketts kommen kann, selbst wenn die Anforderung des Merkblatts erfüllt worden sind. Aber auch nach der Verlegung von elastischen Bodenbelägen kann es beispielsweise durch Stuhlrollenbelastungen zu Kohäsionsbrüchen innerhalb der Estrichkonstruktionen kommen, selbst wenn vorher die im Merkblatt benannten Werte nachweislich erreicht worden waren.

Aus diesen Gründen wird im diesbezüglichen Merkblatt weitergehend auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass für die Beurteilung von Oberflächenzug- und Haftzugfestigkeiten neben dem Zahlenwert, vor allem das Bruchbild und die Ausrisstiefe von entscheidender Bedeutung sind. Verleger des Bodenbelags sollten deshalb auch nach durch Dritte normenkonform ermittelten und vermeintlich ordnungsgemäß vorliegenden Oberflächenzugfestigkeitswerten nicht automatisch darauf schließen, dass eine Verlegung problemlos durchgeführt werden kann und dauerhaft schadensfrei vorliegend bleibt.



Der Autor und Sachverständige

Thomas Allmendinger

Virngrundstraße 4
73479 Ellwangen
Tel.: 0 79 61 / 91 92-25
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E-Mail:info@boden-
sachverstaendiger.de

Bestellung: Öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger der Handwerkskammer Ulm für das Estrich- und Parkettleger-Handwerk und das Bodenlegergewerbe
Vita:
- Meisterprüfung im Parkett- und Estrichlegerhandwerk
- Vorsitzender der Bundesfachschule Estrich und Belag
- Vorstandsmitglied Bundesverband Estrich und Belag
- Vorstandsmitglied Landesinnung Parkett und Fußbodentechnik Baden-Württemberg
- Obmann Schnittstelle Estrich und Parkett im BEB & BVPF
- Mitglied Arbeitskreis Sachverständige im BEB
- Fachreferent
- Dozent an der Bauhaus-Universität Weimar für die Fortbildung Fachbauleiter/in Fußbodentechnik
Oberflächenfestigkeit des Estrichs sorgfältig prüfen
Foto/Grafik: Allmendinger
Haftzugprüfungen des Calciumsulfatestrichs ergaben, dass auch durch die aufgetragene Reaktionsharzgrundierung keine deutliche Verbesserung der Oberflächenfestigkeit zu erzielen war.
Oberflächenfestigkeit des Estrichs sorgfältig prüfen
Foto/Grafik: Allmendinger
Die Oberflächenzugfestigkeiten lagen zwischen
1,07 und 1,29 N/mm2.
Oberflächenfestigkeit des Estrichs sorgfältig prüfen
Foto/Grafik: Allmendinger
Der Calciumsulfatestrich musste zurückgebaut werden, weil er bindemittelärmer als erforderlich hergestellt worden war.
aus FussbodenTechnik 01/21 (Wirtschaft)