Möbelindustrie in der Corona-Krise
"Mit einem blauen Auge davongekommen"
Bad Honnef. Der erneute und verlängerte Lockdown trifft die Möbelbranche in ihrer umsatzstärksten Zeit. Der Verband der Deutschen Möbelindustrie (VDM) fordert daher ein Öffnungsszenario für den Handel. Das vergangene Jahr wird voraussichtlich mit einem Umsatzminus von vier Prozent abgeschlossen.Den Umsatz der Möbelhersteller für das vergangene Jahr beziffert der VDM auf voraussichtlich 17,2 Mrd. Euro, vier Prozent weniger als im Vorjahr. "Aber wenn wir Büro- und Ladenmöbel abziehen und nur auf den Inlandsumsatz schauen, kommen wir bei plus/minus Null heraus", erklärte VDM-Geschäftsführer Jan Kurth in einer Online-Pressekonferenz Mitte Januar. "Damit sind wir noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen."
Ähnlich sieht es aus Sicht des Möbelfachhandels aus: Für 2020 beziffert der Handelsverband Möbel und Küchen (BVDM) den Umsatz der Branche auf voraussichtlich 34,5 Mrd. Euro und damit leicht über Vorjahr. Wachstumstreiber sei im Corona-Jahr die Küche gewesen, wie BVDM-Geschäftsführer Christian Haeser in der Pressekonferenz erläuterte. Auch der Online-Möbelhandel sei ein klarer Profiteur. Kurth und Haeser sehen dessen Umsatzanteil bei mittlerweile 18 % (Vorjahr: 14 %), "in einzelnen Segmenten auch deutlich darüber", so Kurth.
Auf Seiten der Möbelhersteller verzeichnet die Küche 2020 entsprechend ebenfalls einen kräftigen Umsatzschub. "Das kleinste Segment der Branche - die Matratzenindustrie - wies ein Umsatzminus in Höhe von 4,2 Prozent auf rund 690 Mio. Euro aus", so Kurth. "Im November verbesserte sich die Lage in allen Segmenten wieder deutlich." Im Möbelhandel beträgt der Marktanteil von Schlafzimmermöbeln konstant acht Prozent. Zum Vergleich: Der Anteil der Küche liegt bei 39 Prozent, der von Polstermöbeln bei 18 Prozent.
"Derzeit können die deutschen Möbelhersteller noch von ihrem Auftragspolster aus dem vergangenen Jahr zehren", berichtete Kurth. Aber der Auftragsbestand halte nicht ewig. "Wir brauchen zwingend eine Perspektive nach vorne." Der VDM fordert daher für die Zeit nach dem verlängerten Lockdown ab 14. Februar ein Öffnungsszenario für den Handel. "Gerade der deutsche Möbelhandel mit seinen großflächigen Verkaufsräumen und den seit Monaten erprobten Hygienekonzepten liefert dafür gute Voraussetzungen", so Kurth.
Konkret forderte er bereits kurzfristig eine flächendeckende Möglichkeit zur Onlinebuchung von Beratungs- und Verkaufsterminen mit maximal zwei Personen sowie eine Entzerrung der Öffnungszeiten in den Abend hinein und am Wochenende. "Wenn zudem der Zutritt zu den Beratungs- und Verkaufsflächen ausschließlich mit FFP2-Masken erfolgt, wird das Infektionsrisiko weiter gesenkt." In Abhängigkeit der Infektionslage könne bei einer Öffnung des Handels die Abstandsfläche auf 50 Quadratmeter pro Kunde erhöht werden. Neben dem weiteren Ausbau der Onlineberatung müssten die aktuellen Click&Collect-Lösungen bestehen bleiben.
"Trotz allem Verständnis für die erneut verlängerten und verschärften Corona- Einschränkungen brauchen Wirtschaft und Verbraucher dringend eine Perspektive", appellierte der VDM-Geschäftsführer. "Diese kann nicht in einem Lockdown bis Ostern bestehen - wie schon verschiedentlich ins Gespräch gebracht -, denn die gesellschaftlichen und ökonomischen Folgen wären nicht kalkulierbar."
Den Einrichtungsbedarf der Verbraucher sieht die Branche nach wie vor als hoch an, er könne jedoch nicht mehr in konkrete Käufe überführt werden. "Zudem finden in Deutschland täglich rund 20.000 Wohnungsumzüge statt, die oftmals direkt notwendige Ergänzungen der Wohnungseinrichtung nach sich ziehen", so Kurth. "Wir fordern deshalb einen mittelfristig möglichen Weg für ein Wirtschaften im abgesicherten Modus".
Derzeit laufe die Auslieferung der Ware an den Handel vielfach weiter, so dass die ersten Lager bereits volllaufen. "Aus Sicht unserer Hersteller ist es äußerst wichtig, dass die Lager des Handels weiter offenbleiben, damit die Produktion aufrechterhalten werden kann. Die Erfahrungen aus dem vergangenen Frühjahr zeigen, dass ansonsten die gesamten Produktions- und Lieferketten reißen und die Fertigung in der Möbelindustrie bei längerer Schließung des Handels mangels Aufträgen in vielen Fällen zum Erliegen kommen wird", so Kurth. Auch daher ist aus Sicht des VDM eine schnellstmögliche Öffnung des stationären Handels unabdingbar.
Trotz aller Unwägbarkeiten der Pandemie gab sich Kurth optimistisch: "Wir verlieren die Hoffnung nicht und setzen auf ein Ende des Lockdowns Mitte Februar." Vieles werde vom Zeitpunkt der Wiederöffnung des Möbelhandels abhängen. "Was den Stellenwert unserer Branche in der Verbrauchersicht angeht, sind wir optimistisch gestimmt. Wir gehen davon aus, dass die Menschen dem Thema Wohnen und Einrichten weiter eine hohe Priorität einräumen werden", betonte der VDM-Geschäftsführer.
Das sieht auch Christian Haeser vom Handelsverband Möbel und Küchen so, der weiter auf den Trend des Cocoonings setzt. "Hinzu kommt, dass für den Verbraucher Themen wie Nachhaltigkeit, Qualität, natürliche Materialien und Langlebigkeit zunehmend kaufentscheidende Argumente sind." Gleichwohl sei der Onlinehandel der klare Profiteur der Corona-Krise. "Der stationäre Handel wird digitaler werden müssen", unterstrich Haeser denn auch. Virtual- und Augmented Reality würden zunehmend an Bedeutung als Beratungs- und Planungstools gewinnen. Haeser: "Dennoch besteht bei einem beachtlichen Teil der kleineren und mittleren Möbelhändler ein hoher digitaler Nachholbedarf."
Jan Kurth, VDM-Geschäftsführer
"Wir gehen davon aus,dass die Menschen dem Thema Wohnen und Einrichten weiter eine hohe Priorität einräumen werden."
aus
Haustex 02/21
(Wirtschaft)