Wülfing-Geschäftsführer Josef Kölker im Ruhestand

"Es gab immer wieder Schlüsselmomente"


Borken. Nach fast vier Jahrzehnten im Dienst des Borkener Bettwäschespezialisten Wilh. Wülfing verabschiedet sich Geschäftsführer Josef Kölker in den Ruhestand. Im Haustex-Interview zieht er Bilanz und blickt auf die Textilproduktion Made in Münsterland.

Haustex: Herr Kölker, Können Sie sich noch an Ihren Start bei Wülfing erinnern?

Josef Kölker: Als wäre es gestern gewesen. Kurz nach meiner Ausbildung bei einem Großhändler für Dekostoffe kam ich am 4. Januar 1982 mit 23 Jahren als Assistent der Exportleitung zu Wülfing. Eine Zeit, in der EDV noch mit Lochkarten erfolgte und Briefe mit elektrischen Schreibmaschinen geschrieben wurden. Wir lernten noch mit Telex (Fernschreiber mit Lochstreifen) zu arbeiten. Ich kam aus einem jungen Unternehmen und der Schock war groß, am Antrittstag einen weißen Kittel auf meinem Schreibtisch zu finden. Der wurde bei Wülfing zu der Zeit üblicherweise von den Angestellten getragen. Ich habe ihn allerdings nie angezogen

Haustex: Wie ging es für Sie weiter?

Kölker: Mein großes Glück war, dass der damalige Mitinhaber und Gesellschafter, der für den Vertrieb zuständig war, stark mit dem Aufbau des neuen USA-Geschäftes beschäftigt war. Dadurch war ich sehr früh gezwungen, die europäischen Exportmärkte weitestgehend eigenständig zu bearbeiten. Ich scheine dabei nicht alles falsch gemacht zu haben. Denn mir wurde dann in den nächsten Jahren sukzessive mehr Verantwortung im Vertrieb gegeben. Der ultimative Vertrauensbeweis kam dann 2006, als ich gemeinsam mit meinem Kollegen Johannes Dowe die Ernennung zum gemeinsamen Geschäftsführer erhielt.

Haustex: Wie sah die Textillandschaft in der Region damals aus?

Kölker: In den 80er Jahren waren im westlichen Münsterland 75 Prozent der Arbeitsplätze direkt oder indirekt von der Textilindustrie abhängig. Jede Stadt hatte mehrere Textilbetriebe. Anfang der 80er begann aber auch schon der Niedergang. Etliche Betriebe gaben auf, die ersten Importe - zum Teil aus der damaligen DDR, größtenteils aus Asien - kamen in Konkurrenz zur heimischen Textilindustrie. Auch politisch war großer Druck. Entwicklungspolitik war auch davon geprägt, den deutschen Markt für einfache Produkte wie Textilien zu öffnen. Diese negative Entwicklung hielt an bis etwa Anfang der 2000er. Da begann ein erstes Umdenken.

Haustex: Mit welchem Ergebnis?

Kölker: Das reine "Preisdenken" vor allem der Großkunden hatte auch zu vielen Problemen geführt. Auch wenn die Billigprogramme nach wie vor einen Großteil vor allem im Aktionsgeschäft ausmachten, so wurden jetzt Lieferzuverlässigkeit und Qualität wieder mit eingepreist. Und Firmen wie Wülfing und andere, die den Niedergang überstanden hatten, waren in der Zwischenzeit so gut aufgestellt, dass sie preislich mithalten konnten und können, solange man Äpfel mit Äpfeln vergleicht. Mittlerweile haben wir wieder sehr leistungsstarke Textilunternehmen im Münsterland, die national und international mitspielen können. Und das Münsterland hat sich insgesamt phantastisch entwickelt mit einer sehr gesunden Infrastruktur an tollen mittelständischen Unternehmen.

Haustex: Wie hat sich Wülfing in dieser Zeit verändert und entwickelt?

Kölker: Wülfing wurde im Jahr 1885 gegründet und hat sich im Laufe der vielen Jahrzehnte immer wieder neu erfinden und weiter entwickeln müssen. Da gab es viele Herausforderungen nicht nur während zweier Kriege. In den 50er und 60er Jahren war Wülfing in Deutschland führend im Bereich der textilen Windeln. Nachdem die Pille und Pampers das Geschäftsfeld der textilen Windel in den 70ern obsolet machten, konnten wir mit unserer Technik von der Flanellwindel den Schritt zum Flanelllaken und zur Flanell-Bettwäsche machen. Von Rauweber ging es dann sukzessive im Laufe der Zeit weiter zum vollstufigen Anbieter der gesamten Produktpalette rund ums Bett.

Haustex: Welche Rolle spielt das Exportgeschäft?

Kölker: Wülfing war seit dem Einstieg in die Bettwäsche exportorientiert. Das war Gott sei Dank möglich, da wir in Weberei und Ausrüstung damals schon bis 260 cm Fertigbreite (heute 320 cm) produzieren konnten. Die Exportmärkte waren dabei nicht nur Absatzmärkte für unsere Ware, sondern immer auch Ideengeber für den deutschen Markt. Ein Glücksfall für uns war der Einstieg in den US-Markt Anfang der 80er. Ein Markt, der ständig neue Ideen verlangt und damit auch die Mentalität geprägt hat, immer etwas mehr und anders zu machen als andere.

Haustex: Was sind die persönlichen Highlights aus Ihrer Zeit im Unternehmen?

Kölker: Es gab immer wieder Schlüsselmomente, die sich positiv auf die Weiterentwicklung des Unternehmens ausgewirkt haben. Das war neben anderem die Neuaufstellung in der Weberei nach der Finanzkrise, die uns enorme Flexibilität brachte. Dann die Übernahme einer Jacquard-Weberei 2015, die uns ganz neue Geschäftsfelder eröffnete. Mein persönliches Highlight war der erste Großauftrag, den ich bei einem belgischen Neukunden notiert habe. Da habe ich auf dem Rückweg im Auto gesungen. Das erste Mal vergisst man nicht

Haustex: Mit welchem Gefühl verlassen Sie jetzt - wo Corona vieles auf den Kopf gestellt hat - das Unternehmen?

Kölker: Corona bedroht seit einem Jahr neben der Gesundheit auch die Existenz vieler Menschen. Denken wir in unserem geschäftlichen Umfeld an den stationären Handel, Messebauer, Ladenbauer etc., aber auch an Freunde und Kollegen, die im Moment existentielle Sorgen haben. Obwohl das Corona-Jahr nur eines von vierzig Jahren im Unternehmen ist, nimmt es aktuell emotional einen großen Raum ein. Gott sei Dank ist Wülfing sehr gut aufgestellt und bisher gut durch die Krise gekommen. Dann empfinde ich natürlich Dankbarkeit gegenüber den vielen tollen Menschen bei uns im Unternehmen und im beruflichen Umfeld. Neben dem eigenen Einsatz und dem nötigen Glück waren es vor allem die Menschen, die ich kennen gelernt habe, denen ich meine berufliche Weiterentwicklung und persönliche Erfolge verdanke. Sie haben auch die nötige Freude in den Beruf gebracht. Und trotz Corona auch Freude auf das was kommt. 40 Jahre im internationalen Vertrieb haben auch viel verlangt von Familie und Freunden. Ich freue mich jetzt darauf, mit meiner Frau, mit Familie oder Freunden eine Motorradtour oder andere private Dinge zu planen, ohne auf einen Messekalender oder Musterungszyklen wichtiger Kunden zu achten.

Haustex: Hand aufs Herz: Ruhestand oder Unruhestand?

Kölker: Vor allem gesund bleiben. Es gibt noch Vieles zu entdecken und das Leben besteht nicht nur aus Geschäft.
aus Haustex 03/21 (Wirtschaft)