Interview zur Bedeutung von Bauklebstoffen

Verlegewerkstoffe besitzen große Strahlkraft

Der Umsatz des Arbeitskreises Bauklebstoffe (AKB) im Industrieverband Klebstoffe, zu dem die Mehrzahl der Verlegewerkstoffhersteller zählt, wird vom Verband auf fast 18 % des jährlichen Gesamtumsatzes beziffert - das entspricht rund 600 Mio. EUR (Stand 2019). Im großen AKB-Interview geben wir einen Einblick in den Verlegewerkstoffmarkt. Interviewpartner sind Dr. Rüdiger Oberste-Padtberg (früherer Vorsitzender des AKB), Olaf Memmen (aktueller Vorsitzender des AKB), Hartmut Urbath (Vorsitzender des Technisches Beirats der Gemeinschaft Emissionskontrollierte Verlegewerkstoffe - GEV) und Klaus Winkels (IVK-Geschäftsführer).

FussbodenTechnik: Welche Bedeutung hat das Geschäftsfeld des Arbeitskreises Bauklebstoffe, sprich die Verlegung sämtlicher Bodenbelagsarten, im Vergleich zu anderen IVK-Geschäftsfeldern wie beispielsweise Papier und Verpackung?

Klaus Winkels: Wenn man den Umsatz der Mitgliedsunternehmen, den der Arbeitskreis Bauklebstoffe im Industrieverband Klebstoffe betrachtet, repräsentieren sie ungefähr 20 % des Gesamtumsatzes. Die eigentliche Bedeutung geht aber weit darüber hinaus. Ich würde die Bauklebstoffe mal als Kristallisationspunkt bezeichnen, deren Bedeutung weit über die Kernkompetenz des Bodenverlegens hinausreicht. Ich denke dabei an globale Themen wie Chemiewerkstoffe, Politik, Normung, Digitalisierung, Partnerschaft mit anderen Verbänden und auch den Kontakt zum Handwerk.

Viele technische und Alltagsthemen werden von dem AKB an die Technische Kommission Bauklebstoffe (TKB) weitergereicht, deren Mitglieder wiederum vom AKB gewählt werden - es gibt also einen unmittelbaren Durchfluss von wichtigen Branchenthemen. Der Arbeitskreis Bauklebstoffe hat eine große Strahlkraft und ist ein sehr wichtiger Bestandteil der gesamten Klebstoffindustrie. Ein toller Nebeneffekt ist, dass die Bauklebstoffindustrie keine "Bauchnabelschau" betreibt - soll heißen, sie sitzt eben gerade nicht im Elfenbeinturm und beschäftigt sich nicht nur mit sich selbst. Erfreulicherweise konzentriert man sich stattdessen auf Gesetzgebung, Normung, Kundenorganisationen, technische Fragen und vieles mehr. Das macht die Zusammenarbeit sehr angenehm und konstruktiv.

Olaf Memmen: Darüber hinaus kann man auch die verlegte Fläche an Bodenbelägen betrachten, die durchaus eindrucksvoll ist. Bei der Verlegung von Bodenbelägen sprechen wir in Deutschland, Österreich und der Schweiz von einer Größenordnung von rund 387 Mio. m2. Davon sind ca. 23 % keramische Beläge, 29 % Kork und Parkett, knapp 23 % elastische Beläge und 25 % textile Bodenbeläge. Diese Zahlen stammen aus der Bodenbelagsstudie aus dem SN-Verlag und geben einen guten Überblick.

TKB übernimmt technische
Themen des AKB

FT: Sie sagten, der AKB delegiert Themen an die TKB. Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Winkels: Ein typisches Beispiel ist die Frage der Digitalisierung. In den IVK-Mitgliedsunternehmen wird das Thema unterschiedlich prioritär aufgehängt. Dafür haben wir eine Art von Gemeinschaft und Gemeinsamkeit entwickelt, damit keiner zurückbleibt. Trotzdem soll natürlich der Wettbewerb erhalten bleiben. Wir wollen aber als Branche geschlossen auftreten.

Dr. Rüdiger Oberste-Padtberg: Es gibt zahlreiche Beispiele, wo die Verlegewerkstoffindustrie gemeinsame Interessen verfolgt. Ein typisches Beispiel sind Umweltthemen. Eine echte Erfolgsgeschichte ist die Gründung der Gemeinschaft Emissionskontrollierte Verlegewerkstoffe (GEV). Hier sind die IVK-Mitglieder vorangeschritten, um zu dokumentieren, was ein emissionsarmer und sehr emissionsarmer Verlegewerkstoff ist. Es ist den GEV-Mitgliedern so gelungen, den Anteil an Lösemittelklebstoffen drastisch zurückzufahren, sodass sie heute keine Bedeutung mehr haben. Bei aller Konkurrenz der Mitgliedsunternehmen untereinander zeigt dies, dass die Industrie gemeinsame Interessen verfolgt.

Hartmut Urbath: Ein weiteres gelungenes Beispiel im Bereich Umwelt ist die Erstellung der Umweltprodukt Deklarationen (EPDs). Diese machen Aussagen dazu, was ein Bodenbelagskleber oder eine Spachtelmasse z. B. für die CO2-Bilanz bedeutet. Natürlich hätte jeder Verlegewerkstoffhersteller selbst seine Produkte entsprechend bewerten können, aber auch dort hat die Branche einen Schulterschluss gefunden. So sind die Muster-EPDs entstanden, die nach meiner Einschätzung führend im deutschen Markt sind. Zusammengearbeitet haben in diesem Fall AKB, TKB, IVK, aber auch der Verband Deutsche Bauchemie sowie der Verband der Lackindustrie. Das hier erarbeitete Konzept wurde dann auf die europäische Ebene gehoben und wird heute über den europäischen Verband FEICA weiterbetrieben. So lassen sich Ressourcen perfekt bündeln.

Winkels: Man könnte sagen, den Arbeitskreis Bauklebstoffe zeichnet eine Adlerperspektive aus. Das Gremium guckt, inwieweit es einen Nutzen für die gesamte Branche und nicht für ein einzelnes Unternehmen gibt. Natürlich ist es jedem Unternehmen unbenommen, in einem Produktdatenblatt eine Öko-Aussage zu treffen. Problematisch wird es nur, wenn diese am Ende an der Glaubwürdigkeit zerrt, weil man keine wirklichen Unterschiede abbildet, sondern Greenwashing betreibt. Für den AKB ist das eine wichtige verbandspolitische Aufgabe und wird weitgehend über die GEV umgesetzt.

Verlegewerkstoffmarkt in Zahlen

FT: Lassen Sie uns bitte noch einmal zu den Verlegewerkstoffen zurückkehren. Wie sieht die Verteilung nach den Produkt-Kategorien wie Grundierungen, Klebstoffen und Spachtelmassen aus?

Dr. Oberste-Padtberg: Hier gibt es einerseits die wertmäßige und andererseits die gewichtsmäßige Betrachtung. Gerade bei den Spachtelmassen und auch bei den Grundierungen können wir nicht eindeutig differenzieren, ob die Produkte an die keramische Fliese oder an die klassischen Bodenbeläge gebunden sind.

Memmen: Zunächst kann man sagen, dass die IVK-Mitglieder mehr als 95 % des Marktes abdecken, sodass unsere Zahlen repräsentativ sind. Um mal ein Gefühl für eine Mengenbetrachtung zu geben: Die Bedeutung von Klebstoffen für keramische Fliesen liegt in einer Größenordnung von 40 bis 45 %, bei den Spachtelmassen ist es ähnlich. Die Klebstoffe machen ungefähr 8 % aus. Das ist allerdings die reine Mengenbetrachtung.

Urbath: Das liegt in der Natur der Sache. Wenn ich eine Spachtelmasse einsetze, dann brauche ich im Schnitt 3 kg pro m2. Der Kilopreis einer Spachtelmasse ist deutlich niedriger als der eines hochwertigen dispersionsbasierten PVC- oder eines Reaktionsharz-Parkettklebstoffs. Um auf den m2 Spachtelmasse den PVC-Belag zu kleben, brauche ich rund 300 g Klebstoff. Vom Volumen her haben wir also einen Faktor von 1:10. Bei Fliesenmörteln gehen auch schon mal 3,5 kg unter eine keramische Fliese, deshalb sind alle Pulverprodukte Volumenprodukte. Ein extremes Gegenbeispiel sind die Grundierungen, die im Literpreis sehr hoch liegen, aber für die nur 100 bis 150 g pro m2 benötigt werden.

Winkels: Wenn man eine Größenordnung nennen möchte, kann man das Umsatzvolumen und die Tonnage der Verlegewerkstoffe insgesamt nennen, die der AKB vertritt. Für das Jahr 2019 verzeichnen wir 1,047 Mio. Tonnen in unserer Statistik und einen Umsatz von 1,885 Mrd. EUR. Eine Aufsplittung nach Produkt-Kategorien bringt aus den beschriebenen Gründen keine zusätzliche Erkenntnis.

Veränderungen des Verlegewerkstoffmarktes

FT: Welche Schwankungen und Entwicklungsphasen unterliegt der Verlegewerkstoffmarkt?

Dr. Oberste-Padtberg: Ich würde bei der Frage direkt an die Bodenbeläge anknüpfen. Die Verlegung von Parkett hat sich im Laufe der Jahre fortentwickelt, allerdings auf einem geringen Niveau. Design- und Vinylbeläge sind sicherlich auf dem Vormarsch. Wenn man die Produkt-Technologien betrachtet, haben EC1 lizensierte Verlegewerkstoffe an Bedeutung gewonnen. Lösemittelhaltige Klebstoffe sind dagegen im freien Fall.

Urbath: Bei EC 1-Produkten gibt es einen deutlichen Bedeutungszuwachs seit Gründung der GEV im Jahr 1997. Ging es in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre noch um die Lösemittel-Substitution, so wurde ab der Gründung der GEV gesehen, dass lösemittelfrei nicht reicht und man ist gleich den nächsten Schritt Richtung sehr emissionsarm gegangen. Die 1990er-Jahre waren auch noch sehr stark geprägt von lösemittelhaltigen, wasserfreien Parkettklebstoffen.

In der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts von 2000 bis 2010 eroberten elastische Parkettklebstoffe den Markt. Es gab einen Schulterschluss im AKB, dass kein Handwerker mehr lösemittelhaltige Parkettklebstoffe braucht, weil gute Alternativen erhältlich waren. Die letzte Dekade von 2010 bis 2020 stand im stärkeren Fokus der Nachhaltigkeitsaspekte wie Circular Economy, Recycling, intelligente Verlegewerkstoffe, die auch einen einfachen Rückbau erlauben. Es gab auch durchaus Regelungen aus Berlin, die keinen direkten Nutzen für die Verlegewerkstoffindustrie erkennen ließen. Ein Beispiel ist die bauaufsichtliche Zulassung für Klebstoffe, wo das Emissionsverhalten der Klebstoffe noch einmal nachgewiesen werden musste, obwohl die Klebstoffe bereits mit dem Emicode um den Faktor zehn emissionsärmer nachgewiesen waren. Neue Normen und Vorschriften aus Brüssel haben uns in der letzten Dekade zunehmend beschäftigt. Die Bemühungen um harmonisierte Normen unserer Produkte stocken allerdings in Brüssel, dabei ist die Entwicklung eines gemeinsamen Marktes im Interesse aller.

Der Arbeitskreis Bauklebstoffe setzt sich damit auseinander, um auch europäisch wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Regelungen sind stark europäisch geprägt und nicht mehr rein deutsch.

Zukunft - was kommt?

FT: Können wir direkt anschließend an die drei Dekaden einen Blick in die Zukunft wagen? Was kommt in den kommenden zehn Jahren auf die Branche zu?

Urbath: Ich gehe davon aus, dass Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft weiter fortschreiten werden. Die Belagsindustrie reagiert bereits darauf und sucht nach Lösungen. Im Fall von Looselay-Belägen lässt sich auf Klebstoffe verzichten, allerdings sind Klebstoffe ja nicht nur dazu da, den Belag am Boden festzuhalten. Der Lebenszyklus eines Bodenbelags wird durch die Klebung verlängert. Das bedeutet, dass Kleben per se eine positive Umweltmaßnahme ist, kleben ist nachhaltig.

Es ist also gar nicht erforderlich, den Schritt zu gehen, auf Klebstoffe zu verzichten und Bodenbeläge lose zu verlegen. Stattdessen müssen wir vielleicht gemeinsam mit der Bodenbelagsindustrie intelligente Klebstoffe und Klebesysteme entwickeln. Die Anforderung lautet: Die Klebstoffe müssen einerseits die Vorteile des Klebens, nämlichen den langen Lifecycle, erhalten und andererseits den nachhaltigen Rückbau und das Recycling des Bodenbelags sicherstellen.

Dr. Oberste-Padtberg: Das sehe ich genauso. Bei den Verlegewerkstoffen wird zukünftig mehr Wert auf den CO2-Footprint gelegt werden und ökologische Grunddaten gefordert werden.

Steigende Rohstoffkosten
werden nicht immer weitergegeben

FT: Zu Schwankungen bei den Verlegewerkstoffen kommt es aber auch dann, wenn Rohstoffe knapp und damit teurer werden. Bei Epoxidharzen hat die Deutsche Bauchemie darüber berichtet, aber auch der Mangel an Gips infolge der Kraftwerksschließungen dürfte ein Beispiel sein.

Memmen: Ja, die gibt es natürlich. Das sind Rohstoffkosten- und Verfügbarkeitsschwankungen. Als Hersteller sind wir hier ein natürlicher Puffer, sodass der Markt das nicht so deutlich spürt.

Dr. Oberste-Padtberg: Wir hatten im AKB wiederholt das Thema Lithium-Mangel. Das Alkalimetall ist in geringen Mengen den bauchemischen Produkte zugesetzt. Wir haben eine Verknappung miterlebt aufgrund des Lithiumbedarfs in der Elektromobilität - vom Handy bis zur Autobatterie. Das hat die bauchemische Industrie ganz gut gelöst.

Winkels: Wirtschaft und Politik arbeiten daran, dass langfristig aus dem Recycling irgendwann ein Rohstoff in erheblicher Menge zur Verfügung steht. Es ist politisch gewollt und es wird von Unternehmen damit geworben, dass Recyclate in Produkten eingesetzt werden sollen.

Für Verpackungen gibt es bereits im neuen Verpackungsgesetz die Vorschrift, dass ab 2025 und noch stärker ab 2030 Kunststoff-Recyclate eingesetzt werden müssen. Ich könnte mir vorstellen, dass sich der eine oder andere Hersteller eines solchen Rohstoffmarktes bedienen wird. Es könnte auf Sicht ein Markt entstehen, den wir heute in der Form noch gar nicht kennen.

Zusammenarbeit mit
Verbänden & Handwerk

FT: Der IVK pflegt ja auch den Austausch mit anderen Verbänden und dem Handwerk. Wie funktioniert die Zusammenarbeit?

Urbath: Die Zusammenarbeit läuft zweigleisig. Jeder Verlegewerkstoffhersteller hat seine eigenen Kontakte zu den Belagsherstellern. Das ist ein funktionierendes Netzwerk auf Herstellerebene, nicht auf Verbandsebene. Darüber hinaus gibt es technische Themen, bei denen Beläge und Verlegewerkstoffe eine Rolle spielen. Dann tauscht sich die Technische Kommission Bauklebstoffe (TKB) mit den Herstellern elastischer Bodenbeläge (FEB) aus. Die TKB arbeitet auch eng mit dem Bundesverband Parkett und Fußbodentechnik (BVPF) zusammen. Es gibt also einen regelmäßigen Austausch - auch mit dem Bundesverband Estrich und Belag (BEB), und themenbezogen bei Bedarf.

Recycling ist der Mega-Trend

FT: Die Bodenbelagsindustrie beschäftigt sich aktuell intensiv mit dem späteren Recycling der Bodenbeläge. Wie sieht es bei den Verlegewerkstoffen aus?

Urbath: Das ist bei den Verlegewerkstoffen ungleich schwerer, aber ungleich unbedeutender. Ein Beispiel: Wenn wir mit unseren Zement- und gipsbasierten Spachtelmassen in einem Bauwerk neben Beton, Estrich, Steinen und Mauermörtel zum Einsatz kommen, sprechen wir über einen Anteil von 0,3 %. Das ist im Zusammenhang mit den Umweltprodukt-Deklarationen mal ausgerechnet worden. Es liegt momentan nicht der Fokus darauf, den Verlegewerkstoff zu recyceln.

Winkels: Man muss bedenken, dass der Energieeinsatz, der erforderlich wäre, um eine geringe Menge wieder einzusammeln, alles andere als nachhaltig wäre. Wichtig ist stattdessen ein Gesamtkonzept. Wir denken dabei an ein Sammel- und Aufbereitungskonzept, das vielfältige Materialien abdeckt.

"Beim Einbau an den Rückbau denken"

FT: Kleben auf Knopfdruck ist ein Wunsch, der in der Branche gerne genannt wird. Müssen nicht smarte Lösungen her? Früher haben Bodenleger beim Ausbau Bodenbeläge gewässert, um den Klebstoff anzulösen und den Ausbau zu erleichtern.

Urbath: Das ist richtig. Bevor sich allerdings technische Lösungen im Markt ausbreiten können, muss ein Umdenken stattfinden. Momentan ist beim Handwerker und beim Architekten die Annahme weit verbreitet, dass man bei der Spachtelmasse eine hohe Druckfestigkeit wie z. B. C50 braucht. Das ist ein Irrglaube. Ich brauche in einem Wohnzimmer keine hochfeste Spachtelmasse, die auf Industriebauten und in OPs in Krankenhäusern erforderlich sind. Das Gleiche gilt für Klebstoffe. Manche Bodenbelagshersteller fordern extrem hohe Parameter in Bezug auf Mindestfestigkeit, Schälwiderstand und Scherfestigkeit. Vor dem Hintergrund von "Beim Einbau schon an den Rückbau denken" ist das absolut kontraproduktiv. Man muss die richtigen Verlegewerkstoffe einsetzen. Hier sind vor allem Planer und Nutzer gefordert, sich auf ein Umdenken einzulassen. Für die Klebstoffindustrie ist es ein Leichtes, die passenden Produkte mit einer adäquaten Festigkeit zu liefern.

Dr. Oberste-Padtberg: Zum Teil sind diese Produkte dann sogar sicherer. Bei aller Festigkeitsgläubigkeit wird gerne vergessen, dass bei einer hochfesten Spachtelmasse die Rissanfälligkeit steigt. Das ist auch davon abhängig, wie fest der Untergrund ist.

Unvorhergesehene Ereignisse
und ihre Folgen

FT: Lassen Sie uns einen thematischen Sprung machen: Wie ist die Verlegewerkstoffbranche durch die Corona-Pandemie gekommen?

Dr. Oberste-Padtberg: Man könnte sagen: Der Bau ist glimpflich durch die Krise gekommen. Im Augenblick sind wir in dieser glücklichen Situation. Wir stellen fest, dass es im DIY-Segment sogar einen Zuwachs gab. Die Menschen, die vielleicht in Kurzarbeit sind und keinen Urlaub machen dürfen, verschönern ihr Eigenheim.

Urbath: Wir hatten in Deutschland das Glück, dass auf den Baustellen gearbeitet werden durfte. Die Auftragsbücher waren voll und die Handwerker konnten ihre Aufträge erledigen. Wenn wir allerdings über die Grenzen nach Frankreich, Spanien, Portugal oder England schauen, dann waren dort Baustellen im schlimmsten Fall über Monate geschlossen. Dass die Bauindustrie glimpflich durch die Krise gekommen ist, trifft auf den deutschen Markt zu; andere Länder haben durchaus gelitten.

Memmen: Das vierte Quartal 2020 hat dafür gesorgt, dass sich das Jahr 2020 insgesamt als auskömmlich darstellte. Das hat natürlich auch etwas mit der Gesamt-Marktlage zu tun: Es gibt starke Bauaktivitäten und davon profitieren wir natürlich im Profi-Geschäft. Im DIY-Geschäft darf man nicht vergessen, dass die Baumärkte ab Dezember 2020 geschlossen waren. Davor hatten wir ein schönes Wachstum verzeichnet, weil sich der Cocooning-Effekt auswirkte und die Menschen in ihr Eigenheim investierten. Davon profitiert die Bauchemie, genauso wie die Belags- und Möbelindustrie.
Für mich persönlich zeigt sich auch, dass sich die Märkte Richtung online verändern. Die Frage ist: Sind nur die Baumärkte online oder auch die Fachhändler? Wir müssen uns als Industrie darauf vorbereiten. Das Onlinegeschäft ist durch Corona stärker in den Fokus geraten, dadurch, dass in den vergangenen zwölf Monaten keine Besuche und keine Schulungen stattgefunden haben. Für die Fachhändler ist es ein riesiges Thema, wie sie ihre Kunden online erreichen werden. Das ist ggf. ein Baustein für den zukünftigen Erfolg. Viele IVK-Mitglieder investieren derzeit in ihre Online-Aktivitäten. Es geht dabei um vielfältige Dinge: Artikel-Stammdaten, Videos, Content, Verarbeitungstexte, 360-Grad-Abbildungen von Produkten und vieles mehr.

Abnahme von
Büroarbeitsflächen nur regional

FT: Stichwort Homeoffice. Immer mehr Arbeitnehmer arbeiten Zuhause. Wie wirkt sich das auf den Markt für Verlegewerkstoffe aus? Im Raum Stuttgart gehen namhafte große Arbeitgeber zukünftig von Open-Space-Büros aus, ohne feste Zuordnung der Arbeitnehmer. Nehmen die Flächen ab?

Dr. Oberste-Padtberg: Ich glaube, es ist im Augenblick sehr früh, daraus die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Zweifelsfrei wird das Homeoffice einen höheren Stellenwert bekommen. Ob dadurch insgesamt weniger Büroarbeitsplätze vor Ort benötigt werden, kann man schlecht sagen. Dem gegenüber stehen eventuell Hygienevorschriften. Möglicherweise wird ein Arbeitsplatz im Unternehmen künftig mehr Fläche erforderlich machen. Bestehende Büroarbeitsplätze müssen zukünftig sicherlich neu durchdacht werden.

Urbath: Meine Prognose ist, dass nach Corona viele Arbeitnehmer wieder an ihren gewohnten Arbeitsplatz im Büro zurückkehren werden, weil viele Menschen gar keine vernünftige Homeoffice-Situation haben. Manche Anforderung an den geeigneten Home-Arbeitsplatz wird derzeit ausgeblendet, da wir corona-bedingt drängendere Probleme haben.

Memmen: Ich glaube schon, dass es Veränderungen im Markt geben wird, aber im Detail ist das schwer zu beurteilen. Kurzfristig sind die Leitmessen BAU und Domotex ausschließlich digital. Es gibt in der Folge weniger Reisen, Hotelbuchungen und Restaurantbesuche. Das trifft in der Folge auch unsere Branche. Wir werden ganz sicher erleben, dass es zu Verschiebungen kommen wird. Messen werden zukünftig hybride Veranstaltungen in Kombination mit Online-Bausteinen werden. In der Folge kann das auch zu veränderten Bautätigkeiten führen.

Anforderungen der
Zielgruppe Mobile Generalisten

FT: Ich würde in diesem Zusammenhang auch gerne nach den Auswirkungen des Fachkräftemangels fragen. Kunden müssen immer häufiger Wochen oder sogar Monate auf einen Handwerker warten, beschäftigen dann handwerkliche Universalisten. Müssen sich Verlegewerkstoffhersteller vor diesem Hintergrund wandeln?

Dr. Oberste-Padtberg: Ja, ganz sicher sogar. Wir stellen fest, dass Fachverlegebetriebe für die keramische Fliese immer größer werden. Es gibt aber auch das andere Extrem: Ein-Mann-Betriebe kaufen sich einen Lieferwagen und sind dann handwerkliche Universalisten. Bekannt ist ja auch der Begriff White van man. Diese Handwerker zeigen großes Engagement. Die Erfahrung zeigt, dass der Nachteil darin besteht, dass sie häufig wenig spezifische Fachkenntnisse mitbringen. Für uns als Industrie bedeutet das, dass unsere Produkte sicherer werden müssen. Diese Zielgruppe ist beim Einkauf von Verlegewerkstoffen sehr preissensibel. Das führt wiederum dazu, dass die Produkte ein nicht so breites Sicherheitsspektrum haben.

FT: Müssen die Verlegewerkstoffhersteller stärker Preiseinstiegsprodukte auf den Markt bringen?

Dr. Oberste-Padtberg: Das ist genau der Spagat. Auf der einen Seite braucht ein Universalist ein sicheres Produkt, auf der anderen Seite ist ein sicheres Produkt nie so preiswert wie ein Preiseinstiegsprodukt.

FT: Wie kann man diese Zielgruppe erreichen?

Urbath: Das ist die nächste Herausforderung. Klassische Handwerker kommen gerne mal zu den Verlegewerkstoffherstellern und nehmen an Präsenzschulungen teil. Während der Corona-Pandemie waren digitale Formate sehr hilfreich - das ging bei vielen schneller als erwartet. Wir müssen schon überlegen, wie wir die Universalisten erreichen. Ich denke, dass digitale Schulungsmaßnahmen das sind, worauf die Branche setzen muss. Auf diese Weise lässt sich auf dem Handy mal eben ein kurzer Film angucken, wie eine Spachtelmasse verarbeitet werden muss.

Europa wächst zusammen -
auch tatsächlich?

FT: Gibt es einen einheitlichen Trend zu einem europäischen Markt?

Dr. Oberste-Padtberg: Meine Antwort darauf ist ein klares Jein. Auf der einen Seite gibt es aus Brüssel das Konzept der harmonisierten Normung, auch wenn sie derzeit stockt. Auf der anderen Seite stellen wir fest, dass in vielen Bereichen die staatlichen Institutionen noch Sonderregelungen einfordern. Das heißt, dass man ein bestimmtes Produkt, das schon ein CE-Zeichen hat, zur erfolgreichen Vermarktung in Frankreich oder Skandinavien mit weiteren Zusatzformalitäten ausstatten muss. Und das kostet Geld und bürokratischen Aufwand ohne Zusatznutzen.

Urbath: Europa versucht einen europäisch einheitlichen Markt zu generieren mit europäischen Normen, der aber national immer wieder unterwandert wird. In diesem Zusammenhang ist das Deutsche Institut für Bautechnik (DIBt) in Berlin zu nennen. Gerade für die keramische Fliese und bei den Abdichtungsprodukten müssen deutsche Bauwerke ganz anders vor einwirkender Feuchte geschützt werden, als solche in Spanien, Frankreich oder England.

Dr. Oberste-Padtberg: Besonders schwierig wird es dann, wenn es sich um teilweise wiedersprechende Anforderungen handelt. Ein Beispiel ist die Wasserdampfdiffusionsfähigkeit. Die einen sagen, die Produkte müssen absolut wasserdampfdicht sein, die anderen wollen möglichst wasserdampfoffen sein. Hier sind wir von einer einheitlichen Regelung und einem wirklich offenen Markt noch weit entfernt.

Winkels: Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass einmal harmonisierte Produkte nicht national nachgeregelt werden dürfen. Die nationale Behörde, die dies tut und fordert, verstößt gegen europäisches Recht. Man darf die europäischen Regelungen nicht unterwandern mit nationalen Regelungen. Das ist unzulässig und dennoch passiert es. Und leider könnte die überarbeitete Bauprodukte-Verordnung den Einzelstaaten mehr Spielraum für eigene Regelungen gewähren, sodass das Durcheinander eher größer wird. Ein Alptraum für die Unternehmen, wenn das kommen sollte.

Urbath: Von daher könnte man zu dem einheitlichen europäischen Markt das Bild bemühen, von einem kleinen, zarten Pflänzchen, das in Brüssel eingepflanzt wurde. Wir müssen es hegen, pflegen und gießen, damit daraus etwas wird. Im Moment blüht es noch nicht.


Mitglieder des Arbeitskreises Bauklebstoffe (AKB)

-3M Deutschland
-Ardex
-Berger-Seidle
-Bilgram Chemie
-Bona
-Bostik
-Botament Systembaustoffe
-Bühnen
-Byla
-Dekalin - Kleben & Dichten
-Delo Industrie Klebstoffe
-Fenos
-Fermit
-Fischerwerke
-Forbo Eurocol (D)
-FSKZ
-Gößl + Pfaff
-H.B. Fuller Deutschland
-Henkel
-Henkel Central Eastern
-IMCD Deutschland
-Innotech Marketing und Konfektion Roth
-Intoplan Bauchemie
-Jowat Klebstoffe
-Jowat
-Kiesel Bauchemie
-Kleiberit Klebstoffe Klebchemie M.G. Becker
-Knauf
-Kömmerling Chemische Fabrik
-Lohmann
-Lugato
-Mapei
-Minova Carbo Tech
-Murexin
-Omya Hamburg
-Organik Kimya
-PCI Augsburg
-Planatol
-Pontacol
-Ramsauer
-Reka Klebetechnik
-Rhenocoll-Werk
-Saint-Gobain Weber
-Schomburg
-Sika Deutschland
-Sopro Bauchemie
-Stauf Klebstoffwerk
-Stockmeier Urethanes
-Tesa
-Uhu
-Unitech Deutschland
-Uzin Utz
-Vito Irmen
-Wacker Chemie
-Wakol
-Weicon
-Weiss Chemie + Technik
-Wöllner
-Wulff
-Zelu Chemie
Verlegewerkstoffe besitzen große Strahlkraft
Foto/Grafik: Kiesel
Abfüllung des elastischen Parkettklebstoffs Bakit EK neu von Kiesel Bauchemie.
Verlegewerkstoffe besitzen große Strahlkraft
Foto/Grafik: FussbodenTechnik | Quelle: IVK/FEICA
Der deutsche Klebstoffmarkt
aus FussbodenTechnik 03/21 (Wirtschaft)