Online-Messen DLS digital und Digitex
"Ist der Fachhandel der Depp der Nation?"
Hamburg. Gleich zwei digitale Branchenmessen gingen Ende April an den Start. Die Leitmesse Schlafen des MZE konnte dabei mit Christian Lindner sogar einen prominenten Politiker begrüßen, um mit ihm über die aktuelle Lage zu sprechen.Ist der Handel eigentlich der Depp der Nation? MZE-Vertriebsleiter Helmut Stauner stellte zu Beginn seines Begrüßungsvortrages auf der DLS digital eine provokante Frage in den Raum, und hatte auch gleich eine Antwort parat: "Die aktuelle Wertschätzung uns gegenüber vermittelt den Eindruck, als ob stationärer Handel ein altes Geschäftsmodell wäre, betrieben von Amateuren, die bald das Zeitliche segnen. Es reicht jetzt." Der Einzelhandel, so Stauner, spiele bei der Bundesregierung keine wichtige Rolle - anders als die Industrie.
Eine Steilvorlage für Christian Lindner, der als Oppositionspolitiker im Bundestagswahljahr allen Grund hat, die Große Koalition zu kritisieren und sich als Anwalt des Mittelstands zu positionieren. Im Video-Gespräch mit Stauner stellte sich der FDP-Chef klar vor den Handel: "Es gibt keine wissenschaftlichen Untersuchungen, die vom stationären Einzelhandel als einer besonderen Gefahr der Verbreitung von Viren sprechen", so Lindner. "Mit den unterschiedlichen Modellen wäre durchaus auch während der Pandemie Handel möglich, sogar in Präsenz, wenn die Flächen verfügbar sind." Er verstehe, dass sich viele vernachlässigt und vergessen fühlten. "Hygienekonzepte könnten dem Handel auch weiterhin Tätigkeit ermöglichen", glaubt Lindner.
Ein erklärtes Ziel der DLS digital war es, den Austausch innerhalb der Branche zu fördern. Dazu dienten nicht nur Vorträge, Webinare und Diskussionen, sondern natürlich auch die Stände der insgesamt 35 Aussteller aus den Bereichen Bettgestelle, Boxspringbetten und Schlafzimmermöbel sowie Schlafsysteme, Haustextilien und Bettwaren. Wie schon bei der ersten Digitalmesse des MZE konnten die Besucher der Stände über die Chatfunktion direkt mit den Lieferanten ins Gespräch kommen.
Helmut Stauner versuchte, den MZE-Mitgliedern auch in schwieriger Zeit Mut zu machen und Optimismus zu verbreiten: "Der Fachhandel hat eine Alleinstellung, die ihm weder der Onlinehandel noch die großen Möbelhäuser streitig machen können." Die Händler müssten sich aber dem Thema Digitalisierung stellen. Etwa mit einem eigenen Onlineshop, den der MZE unter dem Motto lokalstattglobal aufgesetzt hat. Oder dem Konzept der so genannten Smart Lounge zur digitalen Ausgestaltung des POS. "Der Beratungsplatz ist der wichtigste Platz im Geschäft - dort fällt die Entscheidung, ob Ihnen der Kunde vertraut. Investieren Sie in ihren Beratungsplatz und in die digitalen Unterstützungs- und Präsentationsmöglichkeiten", appellierte Stauner, der sich aber auch an die Hersteller wandte. "Probleme habe ich damit, dass immer mehr Lieferanten in die Direktvermarktung gehen und eigene Onlineshops betreiben. Das Argument der Markenbildung kann ich dabei nur belächeln - es gibt kaum Marken in unserem Bereich."
Während sich Schlafexperte Markus Kamps in seinem Vortrag mit der Beratung in Pandemie-Zeiten auseinandersetzte, stellte Schlafcoach Björn Steinbrink sein Konzept von "Deutschland lernt schlafen" vor und warb gezielt um Bettenfachhändler. Bislang kommen 80 Prozent der Interessenten für eine Schlafcoach-Ausbildung aus anderen Bereichen, etwa der Physiotherapie. Atalanda-Gründer Roman Heimbold zeigte in seinem Vortrag auf, welche Möglichkeiten sein Unternehmen mit lokalen-Onlineplätzen bietet.
An anderer Stelle wurde über die Frage diskutiert, ob der Handel Matratzen zu 399 Euro verkaufen solle. Fachhändler Thomas Deisler aus Gundelfingen betonte, man solle nicht Matratzen verkaufen, sondern guten Schlaf: "Wenn wir Matratzen zu 399 Euro anbieten, dann können wir uns unseren Service nicht mehrt leisten und unterscheiden uns nicht mehr von Onlinern und anderen. Dann können wir es gleich lassen." Klaus Neudecker von Rummel Matratzen betonte die Wichtigkeit des Einkaufserlebnisses: "Da muss alles passen. Wenn ich meine Zielgruppe ansprechen will, muss ich sie klar definieren und mit ganz klaren, abgestimmten Botschaften ansprechen." Deisler sah das ähnlich, aber: "Nur mit den 600-Euro-Kunden könnte ich nicht leben. Das heißt, derjenige, der eine teure Matratze kauft, zahlt die anderen mit."
Doch dazu müssen die Kunden überhaupt ins Geschäft kommen können. Aus Sicht von Christian Lindner gibt es hier nach dem Ende der Corona-Pandemie noch reichlich Baustellen. "Ich bin für faire Rahmenbedingungen für den stationären Handel. Dazu gehörten neben einer rechtssicheren Lösung für Sonntagsöffnungen auch Konzepte für attraktive Innenstädte. Lindner: "Da müssen alle an einen Tisch geholt werden: Immobilienbesitzer, Händler und lokale Politiker, um zu überlegen, was getan werden kann, um ein tolles Einkaufserlebnis zu organisieren, das den stationären Einzelhandel einbezieht."
Zwei Tage nach der DLS digital startete unmittelbar vor Redaktionsschluss dieser Haustex-Ausgabe mit der Digitex Home & Living eine weitere Online-Messe mit insgesamt 22 Ausstellern, vorwiegend aus dem Haustextil-Bereich. Auch hier sorgten Keynotes für inhaltlichen Diskussionsstoff, außerdem präsentierten sich vier Unternehmen mit Angeboten zum Liveshopping.
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Haustex 05/21
(Marketing)