Ahlstrom Munksjö: Dr. Matthias Krull im Interview
"Der Auftragseingang übersteigt momentan unsere Kapazitäten"
Eigentlich könnte sich jeder Anbieter über eine weltweit starke Nachfrage nach seinen Produkten freuen, wie es derzeit die Dekorpapierbranche erlebt. Wenn sich jedoch gleichzeitig Rohstoffe verknappen und verteuern, wird es eng. Parkett Magazin fragte Dr. Matthias Krull, Vice President Sales & Marketing Decor Solutions Ahlstrom Munksjö, wie Papierhersteller diesen Spagat meistern und wohin sich der Markt entwickelt.Herr Dr. Krull, nach unseren Recherchen wurde der Weltmarkt Dekorpapier 2018 auf 3,7 Mrd. USD, also gut 3,1 Mrd. EUR, geschätzt und ein jährliches Wachstum von 5,4 % prognostiziert. Demnach hätte er sich 2020 um 4,1 Mrd. USD bewegen müssen, ca. 3,5 Mrd. EUR. Ist das eine realistische Zahl?
Dr. Matthias Krull: Also das weltweite Volumen an Dekorpapier inklusive China dürfte bei 18 bis 19 Mrd. m
2 liegen; ohne China bei der Hälfte. Wenn wir für den Quadratmeter Papier 18 Cent ansetzen, kommen wir auf über 3,3 Mrd. EUR, sind also nicht weit entfernt. Das ist aber nur der reine Papierwert; mit jedem weiteren Verarbeitungsschritt - Druck, Imprägnierung Beschichtung etc. - steigt der Wert natürlich.
Und wie hat sich der Markt in den letzten Jahren entwickelt?
2018 bis 2019 war der Dekorpapiermarkt stagnierend bis rückläufig. Anfang 2020 haben wir dann einen beginnenden Aufschwung erlebt und sind davon ausgegangen, dass sich damit die Rückgänge der vorherigen Jahre kompensieren lassen können. Doch diese erste Erholung wurde jäh von Covid 19 zunichte gemacht. Die Läger waren weit heruntergefahren, als dann im zweiten Quartal die Nachfrage nach oben schoss. Das hat sich im weiteren Jahresverlauf weiter verstärkt. Im vierten Quartal fing der Boom erst richtig an und dauert auch immer noch an. Die Dekorpapierhersteller kommen nicht nach und können gar nicht so viel produzieren, um die Läger wieder aufzufüllen. Stattdessen führt die hohe Nachfrage zu einer Verknappung und mit der sind natürlich Preissteigerungen verbunden.
Ist nach Ihrem Gefühl demnächst der Peak erreicht oder nimmt die Überhitzung des Marktes noch zu?
Jetzt gerade überschneiden sich der Auftrieb, den wir Anfang 2020 gespürt haben, und der Doppeleffekt durch Corona. Deshalb gehe ich davon aus, dass wir in diesem Jahr noch sehr gut beschäftigt sein werden. Ich denke, dass wir uns auch 2022 positiv entwickeln werden, aber nicht mehr so stark wie dieses Jahr. Die Nachfrage wird sich beruhigen.
Das Problem ist, dass der Dekorpapiermarkt sehr volatil ist. Aber wir können nicht direkt darauf reagieren und unsere Kapazitäten nicht beliebig ausweiten oder reduzieren, wie zum Beispiel Dekordrucker, die einfach eine Schicht mehr fahren. Bei uns Dekorpapierherstellern und auch in der Plattenindustrie laufen die Maschinen 24/7. Zusätzliche Kapazitäten können wir nur schaffen, indem wir z.B. Feiertage durcharbeiten
Ich glaube auch, dass der Markt volatil bleibt. Momentan, d.h. seit März, übersteigt der Auftragseingang unsere Kapazitäten. Das gilt für fast alle Dekorpapierhersteller. Dadurch verlängern sich die Lieferzeiten, und zwar deutlich. Das führt dazu, dass die Kunden nicht in ihren Mengenwünschen zufriedengestellt werden können. Und deren Kunden nicht ihre Platten beschichten können, weil Rohstoffe wie Holz, Papier, Harze, Pigmente usw. fehlen. Es gibt also heftige Nachbeben in der ganzen Lieferkette.
Das kann sich aber auch relativ schnell wieder erholen, wenn sich der Auftragseingang normalisiert. Und ich kann mir gut vorstellen, dass das vielleicht schon im vierten Quartal 2021 eintritt. Ich hoffe, dass sich daran ein gutes Jahr 2022 anschließt, in dem wir stabil ausgelastet sind, aber nicht so extrem wie im Moment.
Das Stichwort Kostensteigerungen ist schon gefallen. Und die werden auch an die Kunden weitergegeben. Einer Ihrer Marktbegleiter hat auf seiner Website Preiserhöhungen zwischen 5 und 8 % zum 1. April und zum Juni nochmal 18 % publiziert. Ganz schön happig entsprechen diese Zahlen der allgemeinen Tendenz in der Branche?
Das dürfte in etwa hinkommen. Die Rohstoffpreise haben aber auch massiv angezogen. Das kann man ja online verfolgen. Zellstoff zum Beispiel ist von Januar bis Juni um 60 % im Preis gestiegen, Titandioxid um knapp 25 %. Das sind unsere beiden wichtigsten Bestandteile. Daraus ergeben sich innerhalb eines halben Jahres Kostenerhöhungen von 30 bis 40 % je nach Papierqualität.
Dank der starken Nachfrage können wir diese Verteuerungen an den Markt weitergeben und sie werden akzeptiert, denn momentan sind den Kunden Liefersicherheit und Verfügbarkeit von Rohmaterial wichtiger als der Preis. Und Dekorpapier hat nur einen Kostenanteil von ca. 1 % am Endprodukt.
Wenn sich die Lage wieder entspannt, wie Sie eben skizziert haben, wird sich das auch auf die Preise auswirken?
Ja, die Preise werden wieder nachgeben. Zumindest in unserem Bereich, für Endprodukte möchte ich das nicht bewerten. Wir hatten in der Vergangenheit schon mal diese Extreme bei den Rohstoffpreisen. Titandioxid zum Beispiel befand sich auch 2012 und 2018 in der Größenordnung wie heute. Die Preise für Zellstoff werden ebenfalls wieder fallen, wenn mehr Verfügbarkeit gewährleistet ist. China hat den Peak schon deutlich überschritten und geht wieder in einen normalen Zyklus über, das ist auch bei uns absehbar. In drei, spätestens sechs Monaten wird sich der Auftragseingang reduzieren, und damit auch die Rohstoffpreise und letztlich unsere Verkaufspreise.
Die Fragen stellte Claudia Weidt
Dr. Matthias Krull, Dipl.-Holzwirt und promovierter Holzwirtschaftler sowie Bachelor of Science an der University of California, ist seit 1996 bei dem Papierriesen Ahlstrom-Munskjö tätig und dort zum Vice President Sales & Marketing Decor Solutions aufgestiegen. Der gebürtige Hamburger, der heute seine süddeutsche Wahlheimat Aalen schätzt, gilt als ausgewiesener Kenner des Laminatmarktes und der Branche.
aus
Parkett Magazin 05/21
(Wirtschaft)