GHF
"Wir müssen schnell analoge Prozesse in digitale Lösungen überführen"
Nachdem die Handelsgesellschaft CMS und der Großhändler Mega die Datenmanagementfirma HDMData gegründet haben, geht nun der Bundesverband Großhandel Heim & Farbe mit dem eigenen System XPIM an den Start. Im Mittelpunkt steht die Suchergebnisoptimierung. Ein weiteres Schwerpunktthema ist Nachhaltigkeit. Die Redaktion BTH Heimtex führte mit dem GHF-Vorstand ein Gespräch über die positive Entwicklung im vergangenen Jahr und die Herausforderungen der Branche.
BTH Heimtex: Die Dienstleistungs-Gesellschaft CMS der DAW und der genossenschaftliche Großhändler Mega haben kürzlich die Gesellschaft HDM Data gegründet. Nun kündigt der GHF ein eigenes Datenmanagementsystem XPIM an. Warum?
Bert Bergfeld: Wir begrüßen die Initiative von Mega und CMS. Da schließen sich zwei große Player im Handel zusammen, die auch im Wettbewerb zueinander stehen, um für ein standardisiertes Datenmanagement in ihren Unternehmen zu sorgen. Das ist ein positives Signal und zeigt, wie wichtig das Thema für unsere Branche ist. Es zeigt aber auch, dass die Komplexität dieses Themas Zusammenarbeit benötigt, da das Datenmanagement von jedem einzelnen kaum zu schaffen ist. Alleine das Thema Costsharing ist wichtig. Die Frage stellt sich aber, ob die HDM eine Branchenlösung sowohl für alle Großhändler als auch für die Industrie sein kann .
BTH Heimtex: Was lässt Sie zweifeln?
Bergfeld: Aus unserer Sicht ist HDM an zwei Punkten nicht optimal. Zum einen gibt es in unserer Branche einen extrem scharfen Wettbewerb, in dem Wachstum nur noch über Verdrängung erreicht wird. Daten sind das neue Öl, nicht nur Bewegungsdaten, sondern eben auch Stammdaten. Sie sind die Grundlage der E-Commerce-Zukunft der Händler. Daher hat ein inhabergeführtes Großhandelsunternehmen wenig Interesse daran, Daten über den Wettbewerb zu organisieren. Wir als neutraler Verband haben die Aufgabe, die wirtschaftliche Entwicklung aller Mitglieder zu fördern, ganz gleich, wie groß sie sind. Zudem setzt XPIM da an, wo andere PIM-Systeme aufhören.
BTH Heimtex: Wo genau?
Bergfeld: Es geht uns nicht nur um die Organisation und Strukturierung logistischer und vertrieblicher Daten, sondern auch darum, die Stammdaten onlinefähig für das E-Commerce-Geschäft des Handels zu gestalten. Wir gehen davon aus, dass in wenigen Jahren alle Händler einen Online-Shop haben und sich zudem auf Vertriebsplattformen bewegen. Hier spielt die Suchergebnisoptimierung (SEO) über XPIM eine wichtige Rolle, damit Handwerker ihren Händler schnell auf einer Plattform finden. Wir glauben, dass ein großer Teil der Umsatzpotenziale des Handels auf Vertriebsplattformen liegt. Und dort geht es nicht nur um Teilnahme, sondern die Produkte müssen vom Nutzer auch gefunden werden. Deshalb denken wir, dass XPIM der bessere Ansatz ist, um sich als Branchenlösung entwickeln zu können. Es geht hier nicht darum, Wettbewerb zu schaffen, sondern um die Onlinefähigkeit unserer Mitglieder.
Frank A. Kühnel: SEO und Vielsprachigkeit sind uns wichtig. Wir wollen zunächst alle spezifischen Suchbegriffe unserer Gewerke zusammenstellen und sie auf Deutsch in XPIM einstellen. Das ist teils Fachchinesisch, das wir und unsere Handwerkerkunden sprechen. In einem weiteren Schritt wollen wir das System vielsprachig gestalten, da immer mehr Handwerker vor allem aus Osteuropa kommen und der deutschen Sprache nicht oft nicht mächtig sind.
BTH Heimtex: Farbtex gehört der CMS-Gruppe an und ist gleichzeitig Mitglied des GHF, wie auch die CMS selbst. Welchem System schließen Sie sich an, Herr Schabel?
Ulrich Schabel: Wir sind ganz klar bei HDM Data. Aber grundsätzlich stehen wir beiden Systemen offen gegenüber. Wir werden die Entwicklung genau beobachten. Im übrigen: Ein bisschen Wettbewerb schadet ja nichts.
BTH Heimtex: Wäre eine gemeinsame Lösung möglich?
Kühnel: Wir haben keine Berührungsängste und sind mit der CMS im Gespräch, die sich ganz offen zeigt. Unser Ziel ist es ja, dem Großhandel zu helfen. Und CMS und die Mega sind GHF-Mitglieder.
BTH Heimtex: Es kommt bei beiden Systemen auch auf die Mitarbeit der Industrie an. Könnte sie sowohl bei HDM Data als auch XPIM aktiv werden - wenn es zu keiner einheitlichen Lösung kommt?
Bergfeld: Wir brauchen Kooperation. Die Daten sind kein Wettbewerbsvorteil, sie sind bereits da. Angereicherte, onlinefähige und weiterentwickelte Materialdaten allerdings schon. Wir müssen uns gemeinsam positionieren und den analogen Wettbewerb auf eine digitale Ebene bringen.
Tobias Schmitt: Wenn Sie ein System haben, das intelligent die Daten der Hersteller verarbeitet, können die dafür erstellten Daten doch ohne Probleme auch für andere Systeme genutzt werden. Beide Systeme zu nutzen ist aus meiner Sicht kein Widerspruch.
BTH Heimtex: Wie ist die Resonanz der Hersteller auf XPIM?
Kühnel: Wir haben von zwölf Herstellern Zusagen, den so genannten Early Birds. Das sind für ein Projekt in der Gründungsphase schon relativ viel. Zwölf weitere Hersteller werden später dazu stoßen.
Schmitt: Wenn wir es nicht schaffen, für XPIM Akzeptanz herzustellen, machen uns die Kofas bezüglich der Stammdaten vor, wie es geht. Die haben es leicht, wir Händler dagegen schwer. Deshalb brauchen wir dringend die gemeinsame Plattform.
BTH Heimtex: Wie setzen sich die Early Birds zusammen?
Kühnel: Das sind überwiegend Farbenhersteller, nur ein Bodenbelagshersteller hat zugesagt. Bei den Bodenbelägen gibt es das Problem, dass einige Hersteller keine EAN-Nummer haben, also keine European Article Number. Aber die ist nun mal üblich. Darüber müssen wir sprechen.
Bergfeld: Die Farbenhersteller arbeiten seit Jahrzehnten in der zweistufigen Distribution eng mit dem Großhandel zusammen. Ein Direktgeschäft findet kaum statt. Das gilt nicht für alle Bodenbelagshersteller. Hieran müssen wir weiter arbeiten. Hinzu kommt, dass wir intensiven Kontakt mit dem Verband der deutschen Lack- und Farbenhersteller VdL haben. Im Bodensegment sprechen wir direkt mit den Herstellern, es gibt da nicht einen großen Verband. Der FEB vertritt nur die Interessen der Hersteller elastischer Böden. Aus diesen Gründen wollen vor allem Farben-, Werkzeug- und Bauchemiehersteller bei XPIM mitmachen. Aber wir brauchen auch die Bodenbelagshersteller und sind mit ihnen im Gespräch.
BTH Heimtex: Zwei Systeme innerhalb kurzer Zeit. Was treibt die Akteure zur Eile?
Bergfeld: Das Institut für Handelsforschung IFH geht davon aus, dass bis 2025 bereits 25% des Großhandelsumsatzes in Deutschland über digitale Kanäle laufen werden. Das ist quasi morgen. Durch den bevorstehenden Generationswechsel im Handwerk wird sich das Verhalten der Handwerker in Bezug auf Online-Kauf und Beratungsverhalten massiv verändern. Nach Prognosen des Bundesverbands Farbe, Gestaltung, Bautenschutz bekommen in den nächsten fünf bis sechs Jahren bis zu 75 % der Malerbetriebe einen jüngeren Besitzer. Wir reden hier über Digital Natives. Niemand geht auf die Plattform Amazon, um einmal zu stöbern was angeboten wird, sondern man sucht etwas und hat einen konkreten Bedarf. Nichts anderes findet auch bei B2B bei einer Plattformnutzung statt. Das Nutzerverhalten aus dem B2C sehen wir auch im B2B.
BTH Heimtex: Was genau erwarten denn die künftigen Nutzer?
Bergfeld: Das Problem sind nicht Produkte, die der Maler immer kauft. Die werden bei dem Händler des Vertrauens online oder offline bestellt. Aber sobald er ein Anwendungsthema hat, wird er wissen wollen, welcher Lack beispielsweise für welchen Untergrund geeignet ist. Also die Nutzung einer Plattform wird lösungsorientiert sein und dieses Suchverhalten müssen die Stammdaten hergeben. Bis 2040 werden die Malerbetriebe nach einer Delphi-Studie des Malerhauptverbands ihr Material komplett online einkaufen. Das bedeutet, Informationen müssen täglich 24 Stunden vorgehalten werden, vollständig und aktuell sein. Wir stehen damit vor großen Herausforderungen, denen wir schnell begegnen müssen. Wir müssen analoge Prozesse zwingend und umfassend in digitale Lösungen überführen. Denn die Nutzung von Online-Shops und Plattformen auf 100 % für die Customer Journey wird nicht eingeschaltet wie das Licht, sondern sich rasant in den nächsten Jahren entwickeln.
BTH Heimtex: Wie bestellen die Handwerker bei Farbtex?
Schabel: Die Online-Bestellungen liegen bei 12,5 %. Dies betrifft vor allem Artikel, die immer gekauft werden. Bei Exoten ist das anders, die werden noch telefonisch geordert.
BTH Heimtex: Wie gehen Hersteller und Händler derzeit noch mit Daten um?
Bergfeld: Hersteller beschäftigten sich mit den Produktdaten, aber nicht mit dem Suchverhalten des Verarbeiters. Wenn in fünf bis sechs Jahren alle Händler individuelle Daten für ihren Online-Shop fordern, sind die Hersteller überfordert. Die Händler wiederum beschäftigen sich derzeit mit dem Online-Prozess, aber nicht mit dem Suchverhalten. Sie verfügen nur über begrenzte Kapazitäten für den Ausbau der Onlinefähigkeit. Hier bietet XPIM eine Schnittstelle zwischen Herstellern, Handel und Handwerk.
BTH Heimtex: Wie funktioniert XPIM im Detail?
Bergfeld: Alle von den Herstellern eingegebenen Daten werden onlinefähig gemacht, also nicht nur einheitlich strukturiert und organisiert, sondern auch angereichert um Sicherheitsdatenblätter, technische Merkblätter, Gefahrgutdaten, Verarbeitungsvideos, Bilder sowie Produktverbindungen und erfüllen die individuellen Anforderungen des Handels. Im Fokus steht das Suchverhalten der Handwerker. Der Händler kann über das System die Grundlagen für seinen Onlinehandel schaffen und Produktdaten mehrsprachig nach den Suchanforderungen der Handwerker erstellen und pflegen sowie Content einstellen. Handwerker können so alle Informationen über ein Produkt, das bis zu 250 Attribute hat, einschließlich Anwendungsvideos, technischer Merkblätter finden. Das alles geht über die Leistungen üblicher PIM-Systeme hinaus.
BTH Heimtex: Wofür steht das x in XPIM ganz konkret?
Bergfeld: Es steht für eine extra programmierte intelligente Software. Diese Middleware setzt verschiedene Datensätze in einen organisierten Datensatz um. Beispiel Logistikdaten: Ein Unternehmen schreibt Kilogramm, das anderen kg. Das muss einheitlich gestaltet werden. Diese Aufgabe übernimmt die Middleware automatisch. Ein heute üblicher manueller Eingriff wird unnötig sein. Und nicht nur das. Middleware bietet auch Algorithmen, die Artikel und Attribute miteinander matchen und somit das Suchergebnis ermöglichen. Beispiel: Welcher Pinsel für welchen Lack? Welcher Klebstoff für welchen Bodenbelag, welche Grundierung für welchen Untergrund? Das ganze existiert heute so über das Sortiment eines Händlers nicht. Es kann sich auch über extra programmierte Algorithmen Stück für Stück entwickeln und das wiederum automatisiert mit geringem Eingriff durch den Menschen. Nichts anderes macht Amazon.
BTH Heimtex: Lässt sich aus der Bereitstellung dieser zahlreichen Informationen folgern, dass Händler künftig weniger Beratungsleistung anbieten müssen?
Bergfeld: Im Grunde nicht. Aber ein Mitarbeiter am Telefon, der noch nicht seit 30 Jahren dabei ist, kann relativ schnell eine Grundberatung durchführen. Die Stammdaten können auch in einem Beratungstool zur Anwendung kommen. Dadurch gelangt der Mitarbeiter schnell an das gesuchte Produkt und kann in der Grundberatung Auskunft darüber geben, welcher Kleber sich für welchen Teppichboden eignet. Hört sich gut an und ist noch ein ordentliches Stück Weg bis dahin, aus unserer Sicht aber alternativlos.
BTH Heimtex: Wenn das System zukünftig alle Antworten gibt, ist es dann möglich, auch als Branchenfremder einen Online-Großhandel zu betreiben?
Bergfeld: XPIM soll die Stammdaten der GHF-Mitglieder organisieren und ihnen den Eintritt in E-Commerce vereinfachen. Nicht mehr und nicht weniger. Ein Eingriff in den direkten Vertrieb ist ausgeschlossen. Theoretisch wäre es natürlich denkbar, einen Online-Großhandel zu betreiben, wenn man ein Beratungstool hat. Aber die Barrieren sind hoch. Denn es geht ja um mehr als Beratung. Was ist mit Services und Logistik und fachmännischer Detailberatung?
BTH Heimtex: Wenn immer mehr Handwerker online bestellen, können doch Niederlassungen geschlossen werden.
Kühnel: Die Kunden kommen wegen der sozialen Kontakte in den Großhandel. Sie können dort Gespräche führen und erhalten auch einen Kaffee. Bei uns werden 50 % der Waren persönlich abgeholt.
Schabel: Wir könnten ohne Probleme auf die Baustelle liefern. Aber die Handwerker kommen lieber zu uns.
"Geschwindigkeit
ist jetzt alles"
BTH Heimtex: Wann geht XPIM an den Start?
Bergfeld: Geschwindigkeit ist angesichts der rasanten Entwicklung im digitalen Umfeld jetzt alles. Unser Ziel ist es, bis Ende 2022/Anfang 2023 die Daten mit den Early Birds auszurollen. Ich denke, es werden maximal 15 bis 20 Industrieunternehmen sein, die schon in diesem Jahr ihre Daten in der Entwicklungsphase der Middleware zur Verfügung stellen. Darüber hinaus stellen sie zusätzlich zu einer Nutzungsgebühr auch noch Geld zur Verfügung, damit wir ein möglichst großes Gesamtvolumen für die schnelle Entwicklung des Projekts haben. Das Geld bekommen sie nach dem Konzept später wieder. Wir gehen davon aus, dass XPIM bis Ende 2023 vollständig ausgebaut sein wird.
BTH Heimtex: Wie teuer ist XPIM?
Kühnel: Weit sechsstellig, in der Mitte zu siebenstellig. Wir brauchen dafür Sponsoren aus der Industrie. Der GHF wird einen Beitrag aus dem Betriebsvermögen leisten. Aber die Investitionen gehen nach dem Start weiter. Jetzt fangen wir beispielsweise bei den Sprachen mit Deutsch an, dann folgen weitere.
BTH Heimtex: Reichen die bisherigen Mitglieds-
beiträge?
Bergfeld: Zur Branchenlösung gehört, dass sich alle finanziell engagieren, die sich an XPIM beteiligen. Ein erheblicher Kostenfaktor ist die Middleware, die extra programmiert werden muss, aber anschließend uns gehört. Sie sorgt dafür, dass viele Teilnehmer schnell, einfach und preiswert angebunden werden können und dass sie schnell, preiswert und einfach Daten ausrollen kann. Entscheidend ist die Investition am Anfang, am Ende kostet es die Teilnehmer wenig. Auf Seiten der Hersteller beträgt die Jahresgebühr 8.000 EUR, auf Seiten der Händler je nach Größe zwischen 2.500 und 10.000 EUR. Dafür bekommt jeder Teilnehmer seine kompletten Stammdaten organisiert. Der GHF ist nicht gegründet worden, um Gewinne zu erwirtschaften. Unsere Aufgabe ist es, eine preiswerte Branchenlösung zur Verfügung zu stellen. Auswirkungen auf die Mitgliedsbeiträge des GHF hat das Projekt XPIM nicht.
BTH Heimtex: XPIM wird sicherlich auch ein Thema bei der GHF-Jahreshauptversammlung am 21. und 22. September in Köln sein. Digitalisierung hatte aber auch schon die Versammlung im vergangenen Jahr geprägt. Was ist in diesem Jahr das Hauptthema?
Bergfeld: Ganz klar Nachhaltigkeit. Und zwar nicht nur Produkte, sondern auch unter unternehmerischen, gesellschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Aspekten. Dabei wird es auch um den europäischen Green Deal gehen.
Kühnel: Sorgen bereitet uns zum Beispiel das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, das zum 1. Januar 2023 in Kraft treten wird. Das gilt für Betriebe, die mehr als 3.000 Mitarbeiter haben. Die sind direkt betroffen und müssen das Gesetz auf der Einkaufsseite umsetzen. Dazu gehören unter anderem große Wohnungsbauunternehmen, für die auch unsere Verarbeiter tätig sind. Die müssen dann versichern, dass die von ihnen eingesetzten Produkte nach dem Lieferkettengesetz einwandfrei sind. Damit kommt der Maler natürlich zu seinem Großhändler. Aber wir wissen doch gar nicht, wer seine Produkte wo herstellen lässt. Das wird noch spannend.
BTH Heimtex: Soll die Jahreshauptversammlung nach bekanntem Schema ablaufen oder verändern Sie das Format?
Bergfeld: Der erste Tag wird geprägt sein von Vorträgen zur Nachhaltigkeit, Umwelt und Klimaschutz, Aufgaben und Lösungsansätze. Am zweiten Tag beschäftigen wir uns mit Produkten. Die drei Verbände, Fachverband der elastischen Bodenbelagshersteller FEB, Verband der deutschen Lack- und Druckfarbenhersteller VdL und die Deutsche Bauchemie werden dazu Vorträge halten. Anschließend soll eine Podiumsdiskussion stattfinden, einmal mit Bodenbelagsherstellern und Händlern, einmal mit Farbenherstellern und Händlern.
BTH Heimtex: Das heißt, Sie wollen die GHF-Mitglieder bei den Jahreshauptversammlungen stärker einbinden?
Bergfeld: Ja, sehr gerne. Wir möchten mehr Mitglieder dazu bewegen, zur Mitgliederversammlung zu kommen. Köln sollte eigentlich für jeden erreichbar sein. Zum anderen wollen wir mit den Podiumsdiskussionen den zweiten Tag deutlich attraktiver gestalten. Der GHF macht das für seine Mitglieder, dafür wurde er unter anderem gegründet. Die Wirtschaft steht vor gigantischen Herausforderungen, Digitalisierung, nachhaltig wirtschaften, demographischer Wandel, um nur die Megatrends zu nennen. Durch die Teilnahme möglichst aller Mitglieder zeigen wir auch, dass wir aktiv und vital sind und die Herausforderungen der Zukunft annehmen. Auch ein wichtiges Signal in unsere Lieferindustrie. Der Großhandel ist da und wird weiterhin seine Aufgabe wahrnehmen. Das sollte doch eine starke Motivation für unsere Mitglieder sein, nach Köln zu kommen.
BTH Heimtex: Welche Rolle wird ihr Weiterbildungsangebot in Köln einnehmen?
Kühnel: Wir stellen zwar andere Themen in den Mittelpunkt, aber Schulungen bleiben weiterhin wichtig. Da hat sich übrigens durch die Corona-Pandemie viel getan. Viele Online-Seminar sind dazu gekommen.
Bergfeld: Die digitalen Formate haben sich gut entwickelt. Sie kommen beim Großhandel gut an. Aber Aus- und Weiterbildung ist in unserer Branche auch nötig. Denn wir verkaufen anspruchsvolle Produkte.
BTH Heimtex: Wie hat sich das Großhandelsgeschäft im vergangenen Jahr nach einem Ausnahmejahr mit starken Zuwächsen entwickelt?
Bergfeld: Nach dem starken Jahr 2020 lag das Umsatzplus im vergangenen Jahr noch einmal bei mehr als 4 %. Das Geschäft war getrieben vom Bodenbelag. Das letzte Quartal 2021 hat allerdings viel vom Vorsprung aus den drei Vorquartalen weggenommen. Und man muss berücksichtigen, dass die Hersteller ihre Preise mehrmals angehoben haben. Ein Volumenwachstum hatten wir im Gegensatz zum Umsatz in keinem Segment. Das neue Jahr ist positiv gestartet, die ersten beiden Monate haben sich besser entwickelt als erwartet.
Kühnel: In einer Zahl ausgedrückt: Die Großhändler haben im vergangenen Jahr 1,7 Mrd. EUR Umsatz in unseren Branchenvergleich gemeldet. Das hatte der GHF noch nie.
BTH Heimtex: Wie entwickelten sich die einzelnen Segmente?
Bergfeld: Der textile Belag ist weiterhin rückläufig, Designböden legen weiterhin zu.
Kühnel: Bis auf Lacke und Lasuren laufen im Farbenbereich alle Segmente gut. Zu den Lacken muss ich erläutern, dass die zu lackierenden Flächen immer weniger werden. So werden Türen beispielsweise schon werksseitig fertig lackiert geliefert.
BTH Heimtex: Was prognostizieren Sie für die nahe bis mittlere Zukunft?
Schabel: 2020 war das Jahr der Sonderkonjunktur, die Leute waren in Kurzarbeit und haben ihre Häuser und Wohnungen renoviert. Jetzt aber fahren sie wieder in den Urlaub, geben ihr Geld dafür aus. Der entscheidende Faktor aber ist: Uns fehlen die arbeitenden Hände. So kann es auch kein Wachstum mehr geben.
Es legen immer weniger Handwerksgesellen die Meisterprüfung ab. Dadurch fehlen Unternehmer.
Bergfeld: Der Bundesverband Farbe sagt voraus, dass in den nächsten zehn Jahren die Zahl der Handwerksbetriebe bei gleichbleibender Zahl an Beschäftigten zurückgehen wird. Das Handwerk wünscht sich mehr Gesellen. Und vielleicht kommen wir dann in eine Phase, in der Handwerk wieder sexy ist. Durch Einwanderung lässt sich der Fachkräftemangel jedenfalls nicht ausgleichen.
"Eine Frau tut dem Standort gut"
BTH Heimtex: Warum werden nicht mehr Frauen eingestellt?
Kühnel: Wir haben doch zumindest im Großhandel eine relativ hohe Frauenquote, auch in führenden Positionen wie Niederlassungsleitung. Wir würden gerne noch mehr Frauen beschäftigen. Aber es fehlen Großhandelskauffrauen mit Affinität zum Ausbaugewerbe. Hinzu kommt, dass gut ausgebildete weibliche Nachwuchskräfte irgendwann Mütter werden und dann nur noch halbtags arbeiten wollen. Eine Führungstätigkeit verträgt sich aber nicht mit einer halben Stelle. Führungskräfte müssen in unseren Betrieben mit viel Publikumsverkehr präsent sein.
Schabel: Wir haben aber festgestellt, dass eine Frau dem Standort gut tut. Das sprachliche Niveau wird angehoben, die Umgangsformen verbessern sich. Und Frauen haben auch ein anderes Auge dafür, was sauber ist und was nicht. Aber in Deutschland ist es schwierig, Kinder und Führungspositionen zu vereinbaren. Da muss sich was tun, weil man sonst keine Fachkräfte mehr bekommt. Wir sind aber auf dem richtigen Weg, alleine bei uns sind bereits 5 Frauen in der Standort Leitung tätig.
BTH Heimtex: Nicht nur Handwerker sind Mangelware, auch LKW-Fahrer fehlen.
Bergfeld: Ja, es gibt viel zu wenig LKW-Fahrer. Und es wird noch schlimmer. 2024 wird der Pkw-Führerschein nicht mehr zum Fahren eines kleinen Transporters wie ein Caddy ausreichen. Dann wird eine Fahrerkarte notwendig sein um den Caddy mit Produkten für die Baustelle durch den Mitarbeiter/in aus Lager oder Verwaltung zu nutzen.
BTH Heimtex: Wie wirkt sich der Krieg zwischen Russland und der Ukraine auf die Branche aus?
Bergfeld: Holzwerkstoffe sind von den Sanktionen gegenüber Russland und Belarus massiv betroffen. Dazu gehört auch Parkett. Die Produktionsstätten sowie der Rohstoff befinden sich zu einem großen Teil in Russland, der Ukraine und Belarus. Die Parketthersteller haben bereits Preisvereinbarungen aufgekündigt und Lieferungen storniert. Unklar ist, wie es in den kommenden Wochen weitergeht und ob es Ersatzrohstoffe in ausreichender Menge geben wird. Preiserhöhungen bis zu 100 % sind nicht ausgeschlossen, sofern Ware überhaupt geliefert werden kann. Die Lager der Händler sind aber gut gefüllt, so dass eine Verfügbarkeit von drei bis vier Wochen gewährleistet werden kann.
BTH Heimtex: Wir haben nun einige negative Punkte angesprochen. Gibt es auch Entwicklungen, über die Sie sich freuen?
Schabel: Die gute Entwicklung des Sonderkonjunkturjahres 2020 haben wir im vergangenen Jahr halten können. Das hatten wir nicht erwartet.
Bergfeld: Positiv ist auch: Der Großhandel hat seine Berechtigung unter Beweis gestellt. Er wird auch eine Zukunft haben - losgelöst vom digitalen Geschäft. Der Kunde wird zu mindestens 50 % einen Menschen im Laden sehen wollen. Die B2B-Aufgaben wird die Industrie in einem Direktgeschäft nicht übernehmen können. Nur wir können die logistischen und Beratungs-Services leisten. Das ist die klare Domäne des Großhandels.
Schabel: Durch Corona ist der gelebte Gemeinschaftsgeist gestärkt worden. Wir haben gemeinsam so effizient gearbeitet wie nie.
BTH Heimtex: Wie haben sich die Mitgliederzahlen entwickelt?
Bergfeld: Der Mitgliederschwund ist abgebremst. Wir haben aktuell 86 ordentliche Mitglieder und 79 außerordentliche. Die Branche rückt näher zusammen.
| Die Fragen stellten Cornelia Küsel, Tim Steinert und Meike Stewen
Daten + Fakten GHF
GHF Bundesverband Großhandel Heim & Farbe
Memeler Straße 30
42781 Haan
Tel.: 02129 / 55 70 90
E-Mail: info@ghf-online.de
www.ghf-online.de
Vorsitzender des Vorstands: Frank A. Kühnel
Vorstand:
- Eberhard Liebherr
- Christina Engelhard
- Martin Geiger
- Ulrich Schabel
- Tobias Schmitt
Geschäftsführung: Bert Bergfeld
Mitglieder: 86 ordentliche, 79 außerordentliche
aus
BTH Heimtex 04/22
(Wirtschaft)