Interview XPIM/Bert Bergfeld, Marvin Urban
"Wir wollen eine Lösung für die ganze Branche aufbauen"
Der GHF hat zur Gründung des Datenmanagementsystems XPIM die Maler-Plattform Farbfox mit ins Boot geholt. GHF-Geschäftsführer Bert Bergfeld und Farbfox-Geschäftsführer Marvin Urban leiten das neue Unternehmen, mit dem sie die Branche ins digitale Zeitalter überführen wollen. Die Redaktion BTH Heimtex sprach mit ihnen über die Möglichkeiten, die die Systeme Handel, Industrie und Handwerk bieten.
BTH Heimtex: Der Bundesverband Großhandel Heim & Farbe (GHF) hat für den Großhandel das Datenmanagementsystem XPIM aus der Taufe gehoben. Für die Gründung des Unternehmens wurde die digitale Plattform für das Malerhandwerk Farbfox mit ins Boot geholt. Wie haben Sie sich gefunden?
Bert Bergfeld: Wir wollen mit XPIM eine Branchenlösung aufbauen, die das Leben des Großhändlers einfacher und ressourcenschonender gestaltet und die zu seinem Sortiment zugehörigen Produktstammdaten herstellerübergreifend organisiert. Immer vor dem Hintergrund, manuellen Aufwand massiv zu reduzieren und auf die in drei bis vier Jahren veränderten Kundenwünsche rechtzeitig reagieren zu können. Dazu gab es Gespräche, unter anderem mit Farbfox. Sowohl Farbfox als auch die Großhändler brauchen vollständige und aktualisierte Produktstammdaten. Beide können voneinander profitieren. Während der Großhandel seine Erfahrungen aus der analogen Welt einbringt, verfügen die Farbfox-Mitarbeiter als Digital Natives über tiefe digitale Kenntnisse.
Marvin Urban: Die Großhändler haben eine lange Tradition, kennen das Handwerk, die Analogität. Wir kommen aus der digitalen Plattformökonomie und versuchen, die Digitalisierung der Branche auszurichten. Beides bildet eine Symbiose.
BTH Heimtex: Was macht Farbfox genau?
Urban: Farbfox ist die digitale Plattform für das gestaltende Handwerk. Sie optimiert die Material- und Informationsbeschaffung und stärkt die Beziehung zwischen Maler und Fachgroßhandel. Angetreten sind wir mit dem Wunsch, das Malerhandwerk zu digitalisieren. Die Farbenhersteller Diessner und Dörken Coatings haben das Projekt mit der Unterstützung durch Axel Springer hy gestartet. Im Fokus steht der Maler von morgen und seine Anforderungen, die sich stark verändern. Ihn wollen wir mit dem Handel und auch der Industrie vernetzen und gleichzeitig weitere Tools schaffen, die ihn in seinem Arbeitsalltag unterstützen. Als Plattform bietet Farbfox vielfältige Möglichkeiten, damit der Maler auf der Baustelle mehr Zeit hat und viele Aufgaben mit seinem Smartphone erledigen kann.
BTH Heimtex: Sind Diessner und Dörken noch dabei?
Urban: Ja, das sind nach wie vor unsere Gesellschafter, wir sind aber auf der Suche nach weiteren. Ganz bewusst haben wir uns gegen Venture Capital entschieden, denn das würde nicht das repräsentieren, was unsere Branche braucht. Wir suchen strategische Partner aus der Hersteller- und Händlerschaft, um unseren Weg gemeinsam zu gehen - für die Branche und mit der Branche. Das ist die Brücke zu XPIM.
BTH Heimtex: Wie entwickelt sich die Zahl der an XPIM teilnehmenden Hersteller?
Bergfeld: Aktuell sind wir bei 16 Early Birds für die Gründungsphase 2022/2023, weitere Zusagen haben wir von sieben Herstellern, die später dazu stoßen. Wir sind mit weiteren im Gespräch. Die Teilnehmerzahl wird regelmäßig auf unserer Website www.xpim.de aktualisiert. Ein Großhändler arbeitet im Schnitt mit 200 Lieferanten. Davon sind 60 bis 80 die Kernlieferanten, die bis zu 90 % der Umsätze generieren. Die brauchen wir und ich bin sehr optimistisch, dass wir bis Ende 2023 einen sehr großen Anteil der Industrie für XPIM gewinnen, weil es eine echte Branchenlösung ist. XPIM hat einen hohen Grad an Automatisierung, hohe Flexibilität, ist schnell in der Anbindung sowie der Aktualisierung der Stammdaten.
BTH Heimtex: Wie werden die Bodenbelagsgroßhändler in XPIM mit einbezogen?
Bergfeld: Die Mehrzahl der ordentlichen GHF-Mitglieder sind Farben-Großhändler. Aber: Jeder Farbengroßhändler verkauft mehr Bodenbelag als ein Bodenbelagsgroßhändler Farbe. Manche machen bis zu 50 % Umsatz in den Bereichen Bodenbelag und Bauchemie. Folglich ist es für jeden Farbengroßhändler wichtig, auch Produktstammdaten aus dem Bodenbelag zu bekommen. Mit dem klassischen Bodenbelagsherstellern müssen wir weiterhin intensiv Gespräche führen, um sie von den Vorteilen von XPIM zu überzeugen. Auch der Bodenbelagsgroßhandel weiß, dass die digitale Transformation sein Sortiment und die Verarbeiter seiner Produkte betreffen wird. Unter anderem konnten wir mit Lotter + Liebherr bereits einen starken Partner aus dem Bodenbelagshandel gewinnen.
BTH Heimtex: Herr Urban, werden Sie den GHF-Mitgliedern bei der GHF-Jahresversammlung am 21. und 22. September in Köln ebenfalls Rede und Antwort stehen? Das Thema steht ja auf der Tagesordnung.
Urban: Ja, klar. Wir wollen bei der Jahreshauptversammlung erste Ergebnisse zeigen. Das ist zwar noch nicht der Zeitpunkt der Ausspielung, die ersten Ausspielungen in den Handel erfolgen im ersten Quartal 2023. Aber wir wollen dem Handel einen Vorgeschmack auf das geben, was noch kommt. Wir dürfen keine Zeit verlieren, Zeit ist ein wesentlicher Faktor der Digitalisierung.
Bergfeld: In der digitalen Transformation können wir nicht mehr so arbeiten, wie wir es gelernt haben: Wir diskutieren erst einmal ein Problem, dann die Lösung und wenn alle einverstanden sind, geht es los. Das funktioniert im digitalen Zeitalter nicht mehr. Hier ergibt sich das Ziel aus dem Weg. Es ist wichtig, schon mal loszulegen und das System auf dem Weg zu Ende zu denken. Erste Ergebnisse präsentieren wir - wie gesagt - bei der Jahreshauptversammlung. Dann wird der eine oder andere Händler seine Lieferanten sicherlich auch überzeugen können, sich XPIM anzuschließen.
BTH Heimtex: Wächst das Interesse an Farbfox, nachdem die Plattform mit dem GHF XPIM gegründet hat?
Urban: Das kann ich definitiv so bestätigen. Trotzdem ist Farbfox unabhängig von XPIM zu betrachten. Das System XPIM bietet dem Handel die Möglichkeit selbst zu entscheiden, welchen Pfad er digital gehen möchte. Ob der Händler einen eigenen Online-Shop aufbauen, auf einer Plattform wie Farbfox stattfinden oder andere Distributionskanäle bespielen will - die Bandbreite ist groß.
BTH Heimtex: Raten Sie erst zu XPIM und später zu Farbfox?
Urban: Nein, es ist meiner Meinung nach wichtig, sich an beidem parallel zu beteiligen. Durch den bereits jetzt vorhandenen intensiven Austausch mit den gestaltenden Handwerkern und der nutzerzentrierten Entwicklung von Farbfox, können wir erste Erkenntnisse in XPIM einfließen lassen. Generell sind umfassend gepflegte und aktuelle Daten eine Grundlage für die Onlinefähigkeit. Das verbindet beides miteinander.
BTH Heimtex: Wie digitalaffin ist denn der Maler? Ist er schon weiter, als der Handel denkt?
Bergfeld: Auf die nächste Generation muss man jedenfalls nicht mehr warten. Die ist in Teilen schon da.
Urban: Wir merken, dass digitale Trends aus dem B2C-Bereich auf das B2B-Umfeld im Handwerk überschwappen. Es entstehen gerade viele Lösungen, die niedrige Eintrittsbarrieren haben und neutral sind. Der Fokus kann dabei ganz unterschiedlich sein: Die einen helfen dabei, moderne ERP-Systeme aufzubauen, andere digitalisieren die Arbeit auf der Baustelle oder die Materialbeschaffung. Diese Entwicklung wird weiter voranschreiten und verändert die Arbeitswelt im gestaltenden Handwerk unweigerlich. Gleichzeitig entstehen auch spannende Communities in diesem Umfeld, die uns inspirieren.
Bergfeld: Junge Handwerker diskutieren miteinander. Sie haben genaue Vorstellungen, wie ihre Zukunft aussehen soll in den Betrieben - in Verbindung mit Großhandel, Industrie und Kunden. Aber auf diesen Plattformen findet sich kein Händler. Wir finden da nicht statt. Das ist ganz schlecht. Nun haben wir durch unsere Zusammenarbeit diese Zugänge und können teilhaben.
BTH Heimtex: Werden die Communities irgendwann überflüssig?
Urban: Das glaube ich nicht. Die Bauindustrie hat in Bezug auf die Digitalisierung viele Herausforderungen zu meistern, sodass der Austausch wichtig bleiben wird. Natürlich werden wir auch Konsolidierungen erleben. Es wird Koexistenzen von Playern mit unterschiedlichen Ausprägungen geben. XPIM, Farbfox und andere Systeme tragen dazu bei, das Bewusstsein für die Digitalisierung zu schärfen.
BTH Heimtex: Welche Botschaft senden Sie im Vorfeld der GHF-Jahreshauptversammlung bezüglich Digitalisierung an die Branche?
Bergfeld: Dass möglichst viele ordentliche und außerordentliche Mitglieder kommen, um sich über XPIM zu informieren. Es ist ratsam Vertriebsplattformen wie Farbfox einmal zu testen. Dann lernen sie viel über die eigenen Ressourcen, die Qualität ihrer Daten, Reichweite, Sichtbarkeit und Content und wie existenziell wichtig die Datenqualität für die Zukunft ist. Wichtig ist uns auch, dass die Händler erkennen, dass wir uns nicht in erster Linie über Logistikdaten unterhalten, die allgemein als Stammdaten verstanden werden. XPIM wird diese zwar abbilden, aber darüber hinaus deutlich mehr. Beispielsweise wollen wir bis Ende 2023 Mehrsprachigkeit anbieten, da die Systemnutzer Mitarbeiter aus verschiedenen Ländern haben. Man muss insgesamt einfach vorausdenken. Wenn in fünf bis sechs Jahren jeder Händler einen eigenen Online-Shop hat, wird schnell klar, wie wichtig Datenanreicherung und -qualität sind.
Urban: XPIM wird niemals fertig sein. Wir werden immer daran arbeiten, damit wir mit dem Puls der Zeit gehen und auch vorausdenkend die richtigen Dinge tun, um das Handwerk nach vorne zu bringen.
| Die Fragen stellte Cornelia Küsel
aus
BTH Heimtex 07/22
(Wirtschaft)