Interview mit Dr. Christian Benedict
"Wir sollten die individuellen Bedürfnisse nicht vergessen"
Frankfurt am Main. Dr. Christian Benedict forscht seit mehr als 20 Jahren zum Thema Schlaf. Auf dem Heimtextil Summer Special spricht er im Rahmen der Heimtextil Conference "Sleep & More" über Schlafstörungen während der Pandemie und den Zusammenhang mit digitalem Medienkonsum. Vorab verrät er im Gespräch mit der Messe Frankfurt, welche Einflüsse darüber hinaus zu gutem Schlaf beitragen.Als Neurowissenschaftler forschen Sie seit vielen Jahren zum Thema Schlaf. Haben Sie eine Veränderung beobachtet, wenn es darum geht, welche Bedeutung dem Schlaf in Bezug auf Gesundheit und Leistungsfähigkeit öffentlich beigemessen wird?
Dr. Christian Benedict: Das Thema Schlaf hat in all diesen Jahren auf jeden Fall an Bedeutung gewonnen. 2002 war es noch nicht so populär. Dann kamen Leute wie Mathew Walker aus Berkley, der das erfolgreiche Buch "Warum wir schlafen" geschrieben hat. Ich selber und auch andere haben Bücher geschrieben, die das Thema populärwissenschaftlicher aufbereitet haben. Es interessiert viele Menschen, weil wir alle irgendwann Berührungspunkte mit schlechtem Schlaf hatten.
Dass gesunder Schlaf zu einem intakten Immunsystem und besserer Konzentrationsfähigkeit beiträgt, dürfte vielen inzwischen bekannt sein. Aber dabei geht es nicht nur um die Dauer des Schlafs - wie lässt sich die Qualität des Schlafs verbessern?
Benedict: Zentral für unseren Schlaf ist unser Schlafumgebung, das Bett und die Bettwaren, sprich Kopfkissen und Bettdecke. In diesem Bereich gibt es viel industrielle, aber nahezu keine akademische Kompetenz. Das ist erstaunlich, denn die Unterlage, auf der ich schlafe, oder die Materialien, in denen ich acht Stunden meines Tages verbringe, haben natürlich Einfluss auf die Schlafqualität. Auf der Heimtextil trifft man viele Leute aus der Industrie, die Ideen dazu haben. Aber von der Forschung wird das so gar nicht aufgenommen. Ich habe mir das zu Herzen genommen und eine Studie zum Thema Gewichtsdecke durchgeführt. Zudem machen wir uns viele Gedanken über Einflüsse wie Internetnutzung, aber kaum über Schlafraumhygiene. Da gibt es ja schon viele Aspekte, wie die Belüftung oder die Materialien. Natürlich spielen auch die Haus- und Bettmilben eine wichtige Rolle für viele Menschen, weil sie dazu führen, dass die Nase verstopft.
Gibt es eigentlich länderspezifische Unterschiede, was den Schlaf anbetrifft?
Benedict: Es gibt eine schöne Untersuchung, bei der Menschen aus unterschiedlichen Ländern befragt wurden, wie sie schlafen. Demnach gibt es zu viele, die einfach global nicht genügend schlafen. Es gibt aber auch Unterschiede von Land zu Land. Die hängen natürlich nicht nur mit der Schlafumgebung zusammen, sondern auch damit, wie Schlaf kulturell angesehen wird. In Japan ist zum Beispiel das so genannte Napping ein Bestandteil des Lebensstils. Da Deutschland sehr leistungsorientiert und zeiteffizient ausgerichtet ist, verwundert es nicht, dass hier nicht viel Raum für den Schlaf bleibt.
Gibt es einen Hinweis oder Rat, den Sie der Bettwaren-Industrie oder dem Handel mitgeben möchten?
Benedict: Ich bin primär Schlafforscher und interessiere mich dafür, warum wir schlafen und was passiert, wenn wir nicht schlafen. Da ist das Bett eher funktional. Die Bettenindustrie - ich finde das spannend - kann sehr befruchtend für die Forschung sein. Nichts desto trotz sollte sie sich vielleicht auch auf die Flagge schreiben: Wir produzieren für die Masse, aber wir sollten die individuellen Bedürfnisse dabei nicht vergessen.
aus
Haustex 05/22
(Wirtschaft)