Kiesel Bauchemie: Integration bei Cemex im vollen Gange

Mit starker "Mutter" signifikant wachsen

Bei Kiesel Bauchemie sorgt die Übernahme durch den Baustoffkonzern Cemex für ein neues Selbstbewusstsein. Beide Unternehmen teilen den Wunsch zu wachsen und profitieren von den gegenseitigen Voraussetzungen und Erfahrungen. FussbodenTechnik traf beim Interview am Standort Esslingen die Kiesel-Bauchemie-Geschäftsführung, bestehend aus Beatrice Kiesel-Luik, Dr. Matthias Hirsch und Dirk Schulze, der bei Cemex als Director Mortars EMEA verantwortlich zeichnet, sowie den Geschäftsleiter Fußbodentechnik Jürgen Walter.

FussbodenTechnik: Herr Schulze, was war der Hintergrund für die Akquisition von Kiesel Bauchemie durch Cemex?

Dirk Schulze: Cemex ist ein klassischer Hersteller von Zement-, Transportbeton- und mineralischen Rohstoffen. Diese drei Säulen haben das Unternehmen in mehr als 100 Jahren erfolgreich gemacht. Seit rund vier Jahren gibt es bei uns mit den "Urbanisation Solutions" ein viertes Standbein, das eine klare Wachstumsstrategie verfolgt. Ein Teilbereich dieser neuen Unternehmenssäule ist die Bauchemie.

FT: Was versteht Cemex unter "Urbanisation Solutions"?

Schulze: Das ist ein Sammelbegriff für vier Geschäftssegmente: Wir haben Performance Materials, frei übersetzt: leistungsstarke Materialien. Dazu gehören Betonzusatzmittel, aber auch Bauchemie und Trockenbaustoffe. Der zweite Bereich ist das industrialisierte Bauen mit Beton- und vorgefertigten Bauelementen. Der dritte Bereich heißt Circularity: mit der Marke Regenera bietet Cemex zirkuläre Lösungen an, um die Kreislaufwirtschaft zu fördern und Ressourcen zu schonen. Der vierte Part sind die Related Services, also ergänzende Dienstleistungen, wie integrierte Lösungen in den Bereichen Logistik und Transport, Design und Engineering. Daneben bieten wir viele digitale Lösungen an, die sich um alle Geschäftsfelder spannen.

FT: Warum hat Cemex die vierte Unternehmenssäule Urbanisation Solutions geschaffen?

Schulze: Anders als im klassischen Neubau geht es hier darum, dass wir uns auf das urbane Umfeld konzentrieren, wo wir den größten Bedarf für die Zukunft sehen. Das umfasst Wachstumsfelder wie Nachverdichtung, Renovierung, Sanierung und vieles mehr, die in den kommenden Jahren eine immer größere Rolle spielen werden. In den ersten Jahren sind wir mit diesem neuen Standbein jährlich immer zweistellig gewachsen, sowohl im Umsatz als auch im Ergebnis. Das zeigt, dass der Weg richtig ist.

FT: Frau Kiesel-Luik, warum ist die Übernahme für beide Seiten eine Win-win-Situation?

Beatrice Kiesel-Luik: Ich bin davon überzeugt, dass beide Unternehmen von der Übernahme profitieren. Neben der Rohstoffversorgung geht es auch um Synergien bei digitalen Lösungen wie BIM oder der CO2-Reduktion bei Zementen, wo wir einen großen Schritt nach vorne machen. Wir wollten immer schon international wachsen. Mit Cemex haben wir jetzt eine Muttergesellschaft, die uns bei neuen Märkten Türen öffnet. Auch wenn wir als Familienunternehmen zu einem Konzern gewechselt sind, so gibt es doch vergleichbare Mentalitäten: Wir haben alle ein klares Wachstumsziel vor Augen, das wir fokussiert verfolgen. Mir gefällt auch die große Offenheit bei Cemex, mit der wir willkommen geheißen worden sind.

FT: Wie profitiert Cemex von der Übernahme?

Schulze: Aus Cemex-Sicht ist das ganz einfach: Wir haben mit Kiesel eine bekannte Bauchemie-Marke gewonnen. Das bedeutet ganz viel Erfahrung, Wissen und Know-how sowie den Marktzugang. Für Cemex ist das eine komfortable Situation, dass wir ganz viel lernen können und nicht von Null aufbauen müssen. Mit Kiesel haben wir die Chance, die Internationalisierung weiter voranzutreiben, da gibt es eine Reihe von Ideen. Die Potenziale sind vorhanden, wir werden das Geschäft sukzessive entwickeln.

FT: Der eine oder andere in der Branche mag sich vielleicht fragen: Kiesel und Cemex - passt das zusammen?

Schulze: Die Frage ist berechtigt. Natürlich ist Cemex ein Konzern. Für mich bietet Cemex den Vorteil, dass wir in einer globalen Struktur verankert sind. Da ich bereits einmal zwölf Jahre lang bei Cemex beschäftigt war, weiß ich, dass man Freiheit bei operativen Entscheidungen hat. Wie ich den Vertrieb führe, das Unternehmen organisiere und das operative Geschäft abwickle, liegt zu großen Teilen in der Verantwortung der operativ handelnden Personen. Man hat also viel Gestaltungsspielraum. Das ist das, was uns allen Spaß macht.

FT: Wie profitieren die bodenverlegenden Handwerker von der starken Kiesel-Mutter Cemex?

Kiesel-Luik: Für den Handwerker steht besonders die Kontinuität im Vordergrund. Wir werden weiterhin unsere bewährten ebenso wie neue Produkte über den Handel liefern und an unserem bisherigen Vertriebsmodell festhalten.

Dr. Matthias Hirsch: Der Handwerker bekommt seine Produkte, so wie er es gewohnt ist. Ich bin davon überzeugt, dass das Thema Einkauf in Zukunft an Bedeutung gewinnen wird. Es gibt Rohstoffe, die wahrscheinlich zukünftig in Deutschland gar nicht mehr produziert werden, wenn ich beispielsweise an Microsilika (ein künstliches Puzzolan) für die Performance in Mörtelprodukten denke. Wenn man jetzt auf eine weltweite Beschaffung zurückgreifen kann, ist das von Vorteil.

FT: Kann man den eigenen Wachstumswunsch konkretisieren?

Schulze: Wir möchten signifikant wachsen, ja. Sowohl im In- aber vor allem auch im Ausland, wo wir als Kiesel bereits sehr gute Ansätze haben. Gemeinsam mit Cemex werden wir zukünftig vor allem das europäische Ausland besser bearbeiten können und vom gemeinsamen Netzwerk in diesen Ländern profitieren. Eine Verdopplung des Umsatzes ist da nicht unrealistisch. Dies ist Teil der Wachstumsstrategie unseres Unternehmens. Cemex wird ein bedeutender Player im Bereich der Bauchemie und Trockenbaustoffe werden.

FT: Verstärken Sie die Kiesel-Vertriebsteams, um Ihre Ziele zu erreichen?

Kiesel-Luik: Ja, das tun wir. Aktuell haben wir 13 Außendienstmitarbeiter im Geschäftsbereich Fußbodentechnik und 16 im Segment Fliesentechnik. Es ist immer gut, weiße Flecken auf der Landkarte zu besetzen oder sogar bestehende Gebiete bei Bedarf zu teilen, aber wir müssen dafür auch die passenden Mitarbeiter finden. Passen diese zu unserer Wachstumsstrategie, werden wir den Vertrieb weiter stärken.

FT: Gibt es eigentlich eine Aufgabenverteilung in der Geschäftsführung von Kiesel Bauchemie?

Schulze: Dr. Matthias Hirsch fokussiert sich wie bislang auch auf die Technik, Beatrice Kiesel-Luik auf Vertrieb und Administration und ich auf die Produktion sowie die Geschäftsbereichsentwicklung im Cemex-Kontext. Insgesamt steuern acht Personen als Mitglieder der Geschäftsleitung das Unternehmen: Die drei genannten Geschäftsführer, der Geschäftsleiter Fußbodentechnik, Jürgen Walter, sowie Benjamin Wirtz und Martin Weyers für die Fliesentechnik, Florian Link für den kaufmännischen Bereich, Matthias Stadinger für die Produktion und Ulrich Lauser für die Anwendungstechnik.

FT: Wie stehen Sie zur Teilnahme an Leitmessen? Wird Kiesel dort zukünftig vertreten sein?

Kiesel-Luik: Wir als Kiesel Bauchemie haben uns 2023 gegen eine Teilnahme an der BAU in München entschieden. Ob wir 2025 teilnehmen wollen, steht noch nicht abschließend fest.

FT: An welcher Stelle engagiert sich Kiesel aktuell beim Mega-Thema Nachhaltigkeit?

Jürgen Walter: Wir bieten aktuell Umweltproduktdeklarationen nur mit Standard-EPDs (Environmental Product Declaration) an und könnten uns vorstellen, dies auch für die einzelnen Produkte zu tun. Cemex bietet mit den nachhaltigeren Produkten der Vertua-Familie seinen Kundinnen und Kunden für verschiedene Einsatzbereiche die passende Lösung, darunter auch Zemente und Betone mit reduziertem CO2-Fußabdruck sowie Betone mit rezyklierter Gesteinskörnung. Dank Cemex sehe ich hier einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil. Künftig wird sicherlich die gesamte Konstruktion vom Beton, über Estrich, Spachtelmasse bis hin zum verklebten Bodenbelag hinsichtlich EPDs bewertet werden. Dank der Rückwärtsintegration von Cemex bieten sich hier interessante Ansätze.


Kiesel Bauchemie im Überblick
Kiesel Bauchemie GmbH u. Co. KG
Wolf-Hirth-Straße 2
73730 Esslingen
Tel.: 07 11 / 9 31 34-0
kiesel@kiesel.com
www.kiesel.com

Niederlassung Tangermünde
Otto-Kiesel-Straße 1
39590 Tangermünde

Gründung: 1959 von Otto und
Irmgard Kiesel als Kittfabrik
Geschäftsführung:
Beatrice Kiesel-Luik
Dr. Matthias Hirsch
Dirk Schulze
Geschäftsleitung Fliesentechnik:
Martin Weyers
Benjamin Wirtz
Geschäftsleitung
Fußbodentechnik: Jürgen Walter
Leiter Anwendungstechnik/
Technisches Marketing:
Ulrich Lauser
Anwendungstechnik Fußboden:
Manfred Dreher
Thomas Schaffer
Konrad John
Katja Pozzi
Anwendungstechnik Fliese:
Roland Tschigg
Friedrich Weber
Sebastian Bartling
Dirk Ebert
Mitarbeiter: 160,
davon 6 Auszubildende
Produkte:
Verlegewerkstoffe für textile und elastische Bodenbeläge sowie keramische Fliesen, Platten und Naturwerkstein, Materialien zur Parkettverlegung und -veredlung sowie Designprodukte
Mit starker "Mutter" signifikant wachsen
Foto/Grafik: Kiesel / SN-Verlag
Die Geschäftsführung von Kiesel Bauchemie besteht nach der Übernahme durch Cemex aus Dr. Matthias Hirsch, Beatrice Kiesel-Luik und Dirk Schulze.
Mit starker "Mutter" signifikant wachsen
Foto/Grafik: Kiesel / SN-Verlag
Dirk Schulze, Geschäftsführer und Director
Dirk Schulze (54) bringt seine jahrzehntelange Erfahrung aus der Zement- und Baustoffbranche in seine aktuelle Verantwortung als Director Mortars EMEA bei Cemex (seit Juni 2023) und als Geschäftsführer Kiesel Bauchemie (seit November 2023) ein. Der Bauingenieur war zuvor in diversen Leitungsfunktionen bei Sievert, Quick-mix, Holcim, Cemex und Readymix tätig.
Mit starker "Mutter" signifikant wachsen
Foto/Grafik: Kiesel / SN-Verlag
Beatrice Kiesel-Luik, Geschäftsführerin
Beatrice Kiesel-Luik startete im Familienunternehmen Kiesel als Marketingleiterin, bevor sie 2015 als geschäftsführende Gesellschafterin in die Geschäftsführung eintrat und in dritter Generation neben ihrem Vater Wolfgang Kiesel den Bauchemiehersteller leitete. Seit der Kiesel-Übernahme durch Cemex ist sie als Geschäftsführerin neben Dirk Schulze und Dr. Matthias Hirsch verantwortlich.
Mit starker "Mutter" signifikant wachsen
Foto/Grafik: Kiesel / SN-Verlag
Dr. Matthias Hirsch, Geschäftsführer Technik
Der promovierte Chemiker steht seit 30 Jahren in Diensten von Kiesel Bauchemie. Als Geschäftsführer Technik verantwortet er die Forschung & Entwicklung sowie Qualitätsprüfung und Produktion. Er vertritt Kiesel als Mitglied der Technischen Kommission Bauklebstoffe (TKB) im Industrieverband Klebstoffe.
Mit starker "Mutter" signifikant wachsen
Foto/Grafik: Kiesel / SN-Verlag
Jürgen Walter, Geschäftsleiter Fußbodentechnik
Der gelernte Raumausstattermeister Jürgen Walter stand zwei Jahrzehnte in Diensten des Ulmer Verlegewerkstoffherstellers Uzin Utz, wo er Leiter der Business Unit Uzin war. Zum 1. Februar 2022 wechselte er nach Esslingen und übernahm die Vertriebsleitung Fußboden bei Kiesel Bauchemie.
aus FussbodenTechnik 03/24 (Wirtschaft)