Gerflor: Michael Stein und Frank Selbeck im Interview
"Es muss zu einer Win-Win-Situation für alle kommen"
Als einer der weltweit führenden Hersteller für elastische Bodenbeläge - und die Nr.1 in Deutschland mit Werken in Troisdorf und Delmenhorst - will Gerflor nicht nur Produktvielfalt mit hohem Qualitätsanspruch bieten, sondern strebt auch eine konsequente Kreislaufwirtschaft unter dem Leitsatz "We care, we act" an. Wie das umgesetzt wird, fragte Parkett Magazin Michael Stein, Geschäftsführer Gerflor Mipolam, und Frank Selbeck, Head of Marketing der deutschen Tochtergesellschaft.Herr Stein, Herr Selbeck, zuerst die obligatorische Frage nach dem vergangenen Geschäftsjahr, das der Bodenbelagsbranche keine Freude bereitet hat. Gerflor wahrscheinlich auch nicht
Michael Stein: Natürlich hatten auch wir rückläufige Umsätze und Absätze, konnten uns aber auf einem gewissen Niveau etablieren und sind insgesamt nur leicht unter dem Vorjahr herausgekommen. Das Umfeld war schon sehr herausfordernd mit einem Dreifach-Effekt aus vollen Lagern im Handel, sinkender Nachfrage und daraus resultierender stärkerer Wettbewerbssituation mit Preisdruck. Wir erleben ja im Wohnungsbau einen Auftragseinbruch von annähernd 30 %. So eine Situation gab es noch nie.
Auch 2024 sehe ich keinen direkten Impuls für die Bauwirtschaft. Es braucht von politischer Seite eine klare Ansage, was wann kommt und was nicht. Die momentane Sprunghaftigkeit verunsichert die Branche und die ständigen schlechten Nachrichten verursachen eine negative Grundstimmung. Ich persönlich glaube auch nicht, dass sinkende Zinsen etwas ändern würden. Zumal die Baukosten überall stark gestiegen sind, teilweise um 20 %. Mit den alten Kalkulationen lässt sich damit keine Rendite mehr erzielen.
Wie sehen Sie vor diesem Hintergrund den Wettbewerb aus Asien? Verschärft dieser zusätzlich die Situation?
Stein: Dass asiatische Anbieter mit anderen Preisen agieren können, ist nicht neu und mag zurzeit von Vorteil sein. Aber wir haben eine gute, breite Produktrange. Und wir bieten einen zuverlässigen Service, auch noch nach dem Verkauf und der Verlegung, der den Verarbeitern zugute kommt. Schließlich haben wir eine Gewährleistungspflicht von fünf Jahren. Wir verfügen über kompetente Anwendungstechniker und stehen unseren Kunden zur Seite, auch wenn es Schwierigkeiten auf der Baustelle gibt. Das kann niemand, der zu Billigpreisen anbietet. Und nicht zu vergessen: je billiger ein Produkt wird, desto geringer wird auch die Wertschöpfung.
Ein weiterer Punkt ist das Thema Nachhaltigkeit, das an Bedeutung gewinnt. Wir reduzieren die CO
2-Bilanz in allen Phasen des Lebenszyklus unserer Produkte mit dem Ziel, eine konsequente Kreislaufwirtschaft umzusetzen. Wie soll das mit Bodenbelägen aus Asien funktionieren? Wie wollen die recycelt werden? Was passiert mit den Verschnittresten? Wir europäischen Anbieter können uns organisieren, aus der Ferne geht das nicht.
Da sind wir schon beim Thema Nachhaltigkeit. Sie steigern den Recyclinganteil Ihrer Produkte und recyceln im Programm "Second Life" Verschnittreste. Ist das alles?
Stein: Nein. Wir nehmen auch Altbeläge zurück. Das ist ganz wichtig, weil so große Mengen zusammenkommen. Außerdem arbeiten wir an Lösungen für verklebte Beläge, an denen noch Klebstoff oder Zement anhaftet. In seiner Reinform lässt sich PVC nämlich sehr gut recyceln.
Sammeln Sie ausschließlich die eigenen Altbeläge ein?
Selbeck: Nein. Früher ja, aber das haben wir inzwischen geändert, um schneller voranzukommen. Unser Motto "We care, we act", wird für uns erst dann zu einem stimmigen System, wenn wir uns nicht nur um uns kümmern. Und zum Teil lässt sich ja auch gar nicht mehr feststellen, welcher Belag von welchem Anbieter stammt. Unser Rücknahmesystem funktioniert in Frankreich übrigens schon hervorragend; in Deutschland und Österreich bauen wir es gerade auf und aus und wollen so die Prozesse für den Verarbeiter, den Handel und den Bauherren maßgeblich erleichtern.
Die heutigen Rezepturen sind frei von gesundheitsschädlichen Weichmachern. Aber die Altbeläge, die Sie zurückholen, sind alt, vermutlich 20 oder sogar 30 Jahre. Laufen Sie da Gefahr, kritisches Material einzusammeln?
Stein: Kaum, denn gesundheitsschädliche Weichmacher sind erstens eher in noch älteren Produkten enthalten und zweitens vor allem in CV-Belägen. Kritische Weichmacher setzen namhafte europäische Produzenten wie wir schon seit Jahrzehnten nicht mehr ein. Zudem ist die Arbeitsgemeinschaft PVC-Bodenbelag Recycling (AgPR) in die Maßnahme eingebunden und Teil verschiedener Prozessentwicklungen, die kritische Weichmacher abscheiden können, damit sich auch dieses Material weiterverwenden lässt.
Wie profitieren die nachgelagerten Marktstufen von Ihrem Recycling-System?
Selbeck: Eigentlich ist es Aufgabe des Bauherren, sich um die Entsorgung von Altbelägen zu kümmern. Und das ist teuer. Unsere Vision ist, mit ihm eine Vereinbarung einzugehen, nach der wir unter bestimmten Bedingungen die Rückholung und das Recycling für ihn realisieren.
Stein: Es muss zu einer Win-win-Situation kommen. Inzwischen sind wir so weit, dass wir nahezu kostendeckend arbeiten, wenn das Material zur AgPR nach Troisdorf geht. Das "grüne" Gewissen ist das eine, wirklich interessant wird es für den Bauherren, wenn er durch das Recycling auch Geld sparen kann. Hinzu kommt, dass einige Unternehmen schon jetzt klare Vorgaben im Rahmen der Green Taxonomy haben. Wir können ihnen ein Zertifikat darüber ausstellen, was mit ihren Altbelägen passiert ist. Dadurch profitieren sie gleich mehrfach.
Sie sind eigentlich ausgewiesener PVC-Spezialist. Inzwischen findet das Thema Nachhaltigkeit auch Eingang in Ihrem Produktspektrum mit dem PVC-freien Designbelag Evo, den Sie im vergangenen Jahr eingeführt haben. Wie entwickelt er sich?
Stein: Evo entwickelt sich Schritt für Schritt gut. Wir bringen das Produkt momentan vor allem in Wohnungsbauprojekte ein, haben damit erste größere Projekte gewonnen. Dennoch sehe ich es nicht im großen Rahmen als PVC-Alternative, denn die Basis-Rohstoffe sind um ein Vielfaches kostspieliger.
Chancen als PVC-freie Alternative sehen wir bei Linoleum - ein tolles, nachhaltiges Material, das wir auf einen höheren Level heben wollen. Wir sprechen viel mit Architekten, alle mögen Linoleum, aber der Absatz ist leicht rückläufig wegen der Optik - zumindest noch. Insofern ist es eine wichtige Aufgabe für uns, Linoleum so weiterzuentwickeln, dass es im designbasierten Bereich eine Rolle spielt.
Außerdem forcieren Sie Loose Lay-Beläge
Selbeck: Ja, wir wollen im Jahr 2025 einen Anteil von 35 % an klebstofffreien Belägen im Portfolio erreichen und sind auf einem sehr guten Weg dorthin. Darüber hinaus folgen wir damit dem Wunsch von Architekten, die beim Einbau von Bodenbelägen bereits an deren Rückbaubarkeit denken. Ein nicht verklebter Bodenbelag lässt sich natürlich leichter austauschen und rückbauen - und das wollen immer mehr Bauherren. Außerdem bieten Looselay-Beläge den unschlagbaren Vorteil, dass man sie auf Altbelägen verlegen kann.
Und schneller
Selbeck: Auch das. Sogar während des laufenden Betriebs. Das ist besonders wichtig in Krankenhäusern, Supermärkten oder auch Produktionsunternehmen, weil sie dann nicht schließen müssen. Ausfallzeiten lassen sich so erheblich reduzieren. Mit einem unserer Klassiker, der GTI-Fliese mit Schwalbenschwanzprofil, die es bereits seit 35 Jahren gibt, lässt sich ein Supermarkt über das Wochenende fertigstellen. Und sie verträgt sogar Schwerlastbetrieb mit Gabelstapler.
Außerdem bieten wir auch Looselay-LVT, Looselay-Klick und selbstliegende Bahnenware an, also insgesamt ein sehr breites Angebot an lose verlegbaren Produkten. Unser Ziel ist immer, System-Kollektionen mit vielen Verlegemöglichkeiten anzubieten.
Michael Stein, Geschäftsführer Gerflor Mipolam, verantwortet das gesamte DACH-Geschäft des französischen Bodenbelagskonzers Gerflor. Der 54-Jährige startete seine Karriere im Vertrieb von Würth, weitere Stationen führten ihn in die Badausstattungs- sowie Fußbodenheizungsbranchen, bevor er in die Bodenbelagsindustrie kam, wo er sich profunde Expertise erwarb. Stein stieg als Vertriebsleiter West bei Armstrong DLW ein, übernahm schnell mehr Verantwortung und Aufgaben, auch nach diversen Eigentümerwechseln. 2017 holte ihn Gerflor nach Troisdorf.
Frank Selbeck steuert bei Gerflor Mipolam als Head of Marketing sämtliche Marketingaktivitäten und das Front-Office. Der Betriebswirt mit Schwerpunkt Marketing und Kommunikation hat eine klassische Karriere in diesen beiden Disziplinen absolviert - als Marketingleiter, in Werbung, PR, Corporate Communications, Messen und Events. Seit über 13 Jahren wirkt der 49-Jährige in der Bodenbelagsbranche, zunächst bei Objectflor, seit 2018 bei Gerflor Mipolam.
Gerflor Mipolam
Gerflor Mipolam GmbH
53840 Troisdorf
www.gerflor.de
kundenservice@
gerflor.com
Geschäftsführung: Bertrand Chammas, Konstantinos Marlis, Michael Stein
Marketingleitung: Frank Selbeck
Märkte: Deutschland, Österreich, Schweiz
Muttergesellschaft: Gerflor S.A., Lyon, Frankreich
Umsatz: ca. 1,1 Mrd. EUR
Mitarbeiter: ca. 4.200
Produktionsstandorte: 13
Sortiment: Elastische Beläge für Objekt- und Wohnbereich, Vinyl- und PVC-frei, Bahnenware und modulare Beläge, Klick-, Dryback- und Looselay-Beläge, Linoleum
aus
BTH Heimtex 03/24
(Wirtschaft)