Interview mit Sebastian Wendel: PVC-Alternativen bei der Classen-Gruppe
"Recycling ist für uns ein Kernthema"
FussbodenTechnik berichtete in der Ausgabe 5/2022 ausführlich über den Roundtable des SN-Verlags zur Zukunft von PVC im Hinblick auf die EU-Chemikalienstrategie. Die Classen Gruppe aus Kaisersesch verzichtet bereits bei der Herstellung ihrer Bodenbeläge auf diesen Kunststoff und verwendet eine vielverprechende Alternative. Sebastian Wendel, Nachhaltigkeistbeauftragter bei Classen und dort verantwortlich für die strategische Geschäftsentwicklung, erläutert im Interview die Details.FussbodenTechnik: Eine aktuelle Studie der EU beleuchtet den Kunststoff Polyvinylchlorid (PVC) kritisch. Die Classen Gruppe hat von Anfang an auf ein anderes Polymer aus der Polyolefin-Gruppe gesetzt. Warum? Welche Vorteile und Grenzen hat dieses Polymer?
Sebastian Wendel: Der Einsatz von PVC kam für die Classen Gruppe nie in Frage, da wir Chlor, Weichmachern sowie Stabilisatoren und einer Vielzahl von Additiven für die PVC-Herstellung sehr kritisch gegenüberstehen. Es ist belegt, dass gerade Weichmacher und verschiedene Additive im menschlichen Körper und auch im Grundwasser, z. B. in Deponienähe, nachzuweisen sind. Polyolefine kommen ohne Weichmacher aus und sind unbedenklich im direkten Kontakt. Sie werden deshalb auch hauptsächlich in der Lebensmittelbranche und im Medizinbereich eingesetzt. Grenzen für diesen Werkstoff in der Bodenbelagsindustrie sehen wir nicht.
FT: Wie weit sind die Inhaltsstoffe Ihrer Produkte transparent?
Wendel: Unser Werkstoff Ceramin ist in den Hauptbestandteilen offen kommuniziert. Aufgrund der langen Entwicklungszeit und des hohen Know-how-Anspruchs, legen wir aber nicht alle Inhaltsstoffe offen. In jedem Fall geht aber von keinem dieser "geheimen" Inhaltsstoffe irgendeine Gefährdung aus, wie unsere Zertifizierungen bestätigen.
FT: Welche Zertifikate tragen Ihre Produkte? Welche sind am wichtigsten?
Wendel: Unsere Produkte auf Ceramin-Basis sind mit dem Blauen Engel gelabelt und vom Eco Institut zertifiziert. Der Blaue Engel genießt einen hohen Bekanntheitsgrad in deutschsprachigen Ländern - und findet mittlerweile auch international immer mehr Anerkennung. Beide Auszeichnungen sind für uns wichtig, denn sie schließen PVC-Produkte aus.
FT: Wie stehen Sie zur Ressourcenschonung, zum Beispiel durch die Nutzung von Sekundärrohstoffen?
Wendel: Ceramin enthält bereits Sekundärrohstoffe. Aktuell sind das ca. 25 % - gerechnet auf die Gesamtkomposition und mehr als 60 % auf den reinen Polymeranteil. Um dies zu realisieren, ist Classen ein Joint Venture mit einem regionalen Recycling-Betrieb eingegangen. Unabhängig davon recyceln wir selbstverständlich alle intern anfallenden Polymerabfälle.
FT: Welche Rolle spielt Recycling für Sie? Gibt es ein "Design for recycling"?
Wendel: Recycling ist für Classen ein Kernthema für zukunftsgerichtetes Handeln. Dies beginnt mit einem konsequent auf Recycling ausgerichteten Produktaufbau. Alle Schichten unserer Ceramin-Produkte sind aufeinander abgestimmt, sodass internes und externes Recycling gewährleistet ist. Dies haben wir uns von unabhängiger Seite zertifizieren lassen. Eine zentrale Rolle dabei spielt nicht nur die eigene Granulatherstellung, sondern ebenfalls Zukaufmaterialien, wie z. B. Trittschallware, die als Unterlage fest mit dem Trägermaterial verbunden wird. Erst wenn der Gesamtaufbau in Bezug auf die Materialität stimmig ist, kann später recycelt werden.
FT: Befassen Sie sich mit Zirkularitäts-Konzepten? Wie könnten die aussehen?
Wendel: In erster Linie ist es meines Erachtens nach wichtig, dass wir Konsum reduzieren und insgesamt intelligenter mit Ressourcen umgehen. Dazu gehört vor allem auch eine lange Lebensdauer des Produkts, die Classen bereits durch seine Produktqualität gewährleistet. Darüber hinaus erlaubt die schwimmende Verlegung mit unseren wiederaufnehmbaren Verriegelungssystemen eine Weiternutzung des Bodens. Das Thema Zweitnutzung oder auch "Secondhand-Boden" wird somit immer wichtiger.
Unabhängig davon arbeiten wir auch an verschiedenen Rücknahme-Konzepten. Eine Rücknahme des Bodens direkt oder über den Händler kommt zwar theoretisch in Frage, scheitert aber ab einer gewissen Distanz an der Machbarkeit. 30 m
2 von z. B. Südfrankreich zurück nach Kaisersesch zu transportieren macht weder ökonomisch noch ökologisch Sinn. Vielmehr glaube ich an die regionale Verwertung unserer Produkte am Nutzungsort. Auch wenn es EU-weit aktuell noch sehr große Unterschiede in der Präsenz von geeigneten Recyclingbetrieben gibt, kann doch nur das die Lösung für die Zukunft sein. Hier spielt dann wieder Ceramin auf Basis von Polyolefinen seine Vorteile aus, denn es gibt eine Vielzahl von Alternativanwendungen, die sich daraus bedienen können - z. B. der Produktbereich Automotive, Wasserbehälter, Haushaltswaren und Outdoor-Möbel. Dieses breite Anwendungsspektrum macht den Werkstoff interessant für zukünftige Recyclingprojekte - europaweit. Für die D/A/CH-Region werden wir trotzdem versuchen, verschiedene Rückführungskonzepte anzubieten, um weitere Erfahrungen zu sammeln.
FT: Wie sehen Sie die Zukunft von PVC als Bodenbelagswerkstoff?
Wendel: Die Geschichte der Bauprodukte mit PVC hat immer wieder gezeigt, dass es einer Korrektur der Inhaltsstoffe bedurfte. Angefangen bei Schwermetallen bis hin zu Weichmachern. Speziell im Innenbereich und in Kombination mit direktem Kontakt sehe ich deshalb einen Fortbestand von PVC-Produkten sehr kritisch. Auch wenn es heute Alternativ-Weichmacher gibt, existieren dazu keine Langzeitstudien. Und Chlor bleibt Chlor - im Brandfall mit den bekannten, risikobehafteten "Nebenwirkungen".
Des Weiteren ist PVC auch problematisch in Bezug auf Recycling. Die noch vor einigen Jahren verwendeten kritischen Schwermetalle und Phthalate sind in Altbelägen der Vergangenheit enthalten und somit nicht dafür geeignet, daraus ein Neuprodukt für die Innenanwendung zu erstellen.
Sebastian Wendel - zur Person
Strategische Geschäftsentwicklung
Sebastian Wendel verantwortet bei der Classen Gruppe die strategische Geschäftsentwicklung. Zudem ist er bei dem Bodenbelagshersteller aus dem rheinland-pfälzischen Kaisersesch als Nachhaltigkeistbeauftragter tätig. Der 50-jährige Familienvater ist studierter Betriebswirt und verfügt über viel Erfahrung in der Bodenbelagsbranche. Seine Expertise bringt er auch als Stellvertretender Vorsitzender und Obmann des Arbeitskreises Technik in den Verband der mehrschichtig modularen Fußbodenbeläge (MMFA) ein.
Classen im Überblick
W. Classen GmbH & Co. KG
56759 Kaisersesch
Tel.: 0 26 53 / 98 00
info@classen.de
www.classen.de
Gründung: 1963 (als Baues & Co. GmbH)
Umsatz (2020): 520 Mio. EUR, davon rund 50 Mio. EUR mit Boden- und Wandprodukten aus Polymeren
Mitarbeiter: ca. 1.500
Geschäftsführung:
-Dr. Hans-Jürgen Hannig (Vorsitz, Gesellschafter)
-Stefanie Quervel
-Tobias Hannig
-Arne Loebel
-Jürgen Resch
Kapazitäten: 80 Mio. m
2 Laminatboden im Werk in Baruth, 10 Mio. m
2 Boden- und Wandbeläge aus Polymeren im Werk in Kaisersesch
aus
FussbodenTechnik 06/22
(Wirtschaft)