KCEC Kabul Carpet Export Center
Trotz der Taliban: Afghanistans Teppichproduktion bleibt bestehen
Im August übernahmen die Taliban die Macht in Afghanistan - das wirkte sich auch stark auf die dortige Teppichproduktion aus. Dennoch werden im Land weiterhin hochwertige Teppiche hergestellt und exportiert. | von Stephen Landrigan
"Die Teppiche werden unter einfachen Bedingungen im Hausfleiß gefertigt; dafür ist kaum industrielle Infrastruktur nötig", erklärt der US-Amerikaner Rob Leahy, Einzelhändler und Experte für afghanische Teppiche. "Insofern ist die Branche weniger anfällig für Störungen von außen; die Knüpfer arbeiten wie gewohnt weiter."
Nicht ganz so einfach ist es, die fertigen Teppiche zu exportieren: Inzwischen stehen die subventionierten Luftfracht-Tarife der Turkish Airlines nicht mehr zur Verfügung; die Fluggesellschaft hatte sie für große Frachtflugzeuge wie die Boeing 777 angeboten. Viel zu teuer wäre es, die Teppiche in gewerblichen Fliegern transportieren zu lassen, die weiterhin in Kabul und Mazar-e-Sharif landen.
Daher werden die meisten Teppiche inzwischen per Lkw über Pakistan an ihren Bestimmungsort gebracht. Zwar ist die afghanisch-pakistanische Grenze hin und wieder geschlossen, manchmal sogar mehrere Tage lang; die Sperrung bezieht sich jedoch meistens auf den Personenverkehr. Waren werden in der Regel durchgelassen. Damit will Pakistan einen großen Zustrom afghanischer Geflüchteter verhindern, wie es ihn vor rund 30 Jahren nach den damaligen Unruhen gegeben hatte. Und tatsächlich bewegen die Schreckensherrschaft der Taliban und die zunehmende Lebensmittelknappheit viele Afghanen dazu, ihr Land zu verlassen.
Einige Teppichproduzenten hatten sich vor der Machtergreifung der Taliban in weiser Voraussicht Visa für Pakistan beschafft und arbeiten nun von Lahore aus. Dort verladen sie neben ihren eigenen Teppichen auch Ware aus dem weiteren Familien- und Freundeskreis: derjenigen, die Afghanistan nicht verlassen konnten.
Mehrere Hersteller versuchen, ihre Teppiche auf dem Landweg aus dem Norden Afghanistans nach Turkmenistan zu schaffen. Von dort aus geht es mit dem Schiff weiter über das Kaspische Meer nach Baku (Aserbaidschan), dann wieder per Lkw in die Hafenstadt Batumi in Adscharien, einer autonomen Republik Georgiens. Hier wird die Ware erneut auf ein Schiff geladen, um die letzte Etappe nach Istanbul zu absolvieren: eine komplexe Angelegenheit, und trotzdem dauert die Reise von Adchoi nach Istanbul gerade mal zehn Tage.
Das Prozedere ist allerdings nicht jedermanns Sache. Ein afghanischer Produzent, der einen Kunden in Europa mit Mustern beliefern wollte, hatte dafür ursprünglich den beschriebenen Land-und-Seeweg in Erwägung gezogen, es sich aber in letzter Minute anders überlegt: Da hierbei zahlreiche Grenzen zu passieren sind, war die Sorge groß, dass die eilige Fracht beschlagnahmt würde oder verloren ginge. So hat er sich schließlich für eine sehr kostspielige Alternative entschieden: DHL. "Mir bleibt nichts anderes übrig", berichtete er. "Einige hundert Familien hängen von mir als Arbeitgeber ab. Und in Europa wartet ein sehr guter Kunde dringend auf meine Teppiche. Ich kann niemanden im Stich lassen."
"Der Hungertod ist die größte Gefahr, die den Teppichknüpfern droht", erklärt Großhändler Alex Zahir, der in Afghanistan geboren wurde und von seinem Standort in Knoxville, Tennessee, aus im ständigen Kontakt mit zahlreichen afghanischen Produzenten steht. "Die Menschen haben nichts zu essen. Schon vor der Machtübernahme der Taliban sah es wegen der starken Dürre schlecht aus. Darum flehen viele die Teppichproduzenten an, sie im Tausch gegen Nahrungsmittel zu beschäftigen."
Derzeit arbeiten zahlreiche Knüpfer für einen sehr viel niedrigeren Lohn als üblich. Dadurch sinken die Teppichpreise, was die höheren Transportkosten zum Teil wieder auffängt. "Momentan geht es nicht darum, Gewinne zu machen, wir müssen unsere Leute über Wasser halten. In Afghanistan wechseln die Regierungen immer wieder. Aber wenn wir nicht dafür sorgen, dass die besonderen Fertigkeiten unserer Mitarbeiter im Knüpfen, bei der Teppichwäsche und -schur erhalten bleiben, sind sie bald für immer verloren" - so äußerte sich ein Hersteller, der seit rund zehn Jahren von Istanbul aus operiert.
Aber wie sollen internationale Importeure die afghanischen Hersteller für ihre Teppiche bezahlen: jetzt, da alle Banken im Land geschlossen wurden? Einige Produzenten versuchen, zu diesem Zweck Konten in anderen Ländern zu eröffnen, um dort Überweisungen aus dem Ausland in Empfang zu nehmen. Andere nutzen informelle Zahlungsverfahren, etwa indem sie das Bargeld-basierte Hawala-Finanzsystem verwenden. Komplizierter wird die Lage durch die Anordnung der Taliban, alle inländischen Transaktionen in der afghanischen Währung (Afghanis) durchzuführen.
Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen hat in den letzten Wochen Grundnahrungsmittel wie Weizen und Speiseöl nach Afghanistan geschickt, um eine humanitäre Katastrophe abzuwenden. "Wenn wir jetzt nicht handeln, müssen Millionen von Menschen sterben", befindet David Beasley, Geschäftsführender Direktor des Welternährungsprogrammes. Afghanische Produzenten hoffen darauf, dass jene Lkw, die die Nahrungsmittel ins Land bringen, auf dem Rückweg Teppichlieferungen mitnehmen können - insbesondere nach Europa: Von dort aus haben zahlreiche Großhändler in den letzten Jahren verstärkt afghanische Teppiche geordert.
Nach Aussage des britischen Teppichexperten Richard Ringrose sind europäische Importeure trotz aller Geschehnisse im Land durchaus bereit, gewisse Unsicherheiten im Warenverkehr hinzunehmen. "Ihnen ist bewusst, dass sie sich erst mal gedulden müssen. Weil es aber weiterhin eine hohe Nachfrage nach afghanischen Teppichen gibt, stellen sie sich darauf ein." Laut Rob Leahy könnte Hamburg als Teppichumschlagplatz durchaus wiederaufleben - "diesmal für afghanische statt für persische Teppiche".
Bisher haben die Taliban noch nicht vorsätzlich in Teppichproduktion und -handel eingegriffen. Ein Hersteller, der lieber anonym bleiben will, berichtet, die Taliban hätten seinen Computer beschlagnahmt; nach einer Woche habe er ihn zurückerhalten. Was man damit bezweckt habe, wisse er nicht. Er produziert weiterhin Teppiche, gibt aber an, das Vorgehen habe ihn "in Angst und Schrecken" versetzt.
Tatsächlich waren afghanische Teppichproduzenten unter den Ersten, die die Bedrohung durch die Taliban zu spüren bekamen: Nach und nach hatten diese eine Stadt nach der anderen im Norden des Landes eingenommen, dem Haupt-Teppichknüpfgebiet. Seit Mitte Mai ahnten die Hersteller in Städten wie Andchoi, Akcha, Masar-e-Scharif und Kundus also, was ihnen bevorstand; entsprechend haben sie ihre fertigen Teppiche so schnell wie möglich außer Landes gebracht. Als die Taliban auf Kabul zuhielten, wurde eine wahre Teppichflut exportiert; in letzter Zeit verlassen nur noch kleinere Mengen das Land.
"Es werden aber auch wieder mehr", prognostiziert Zahir. "In Afghanistan hat man schon schlimmere Situationen bewältigt. Die Menschen dort wissen, wie man solche Probleme löst."
Stephen Landrigan
Stephen Landrigan berichtet regelmäßig über die Produktion handgefertigter Teppiche. Für das Kabul Carpet Export Center (eine Organisation internationaler Teppicheinkäufer) war er als Kommunikationsmanager tätig.
aus
Carpet! 01/22
(Wirtschaft)