Interview zu Öko-Tex Standard 100 und REACh

Hohe Anwendungssicherheit für Textilprodukte

Eschborn - Zum 1. Juni 2007 trat das europäische Gesetz zur Registrierung, Evaluierung und Autorisierung von Chemikalien (REACh) in Kraft. Über die Auswirkungen von REACh auf die rund 6.000 Unternehmen, die derzeit weltweit ihre Produkte nach dem Öko-Tex Standard 100 prüfen und zertifizieren lassen, haben wir uns mit Dr. Rainer Weckmann, Direktor der Abteilung Warenprüfung an den Hohensteiner Instituten unterhalten.

Haustex: Dr. Weckmann, der Öko-Tex Standard wurde 1992 gegründet - welche Entwicklung hat er seither genommen?

Dr. Weckmann: Der Öko-Tex Standard 100 hat sich in den vergangenen 15 Jahren zu einem international anerkannten und beim Verbraucher geschätzten Markenzeichen mit hoher Akzeptanz entwickelt. Das Label "Textiles Vertrauen - schadstoffgeprüfte Textilien nach Öko-Tex Standard 100" garantiert dem Konsumenten die geprüfte und zertifizierte humanökologische Unbedenklichkeit eines textilen Produktes und bietet ihm eine hohe Anwendungssicherheit. Die Grenzwerte für die einzelnen Schadstoffe sind strenger als die gesetzlichen Vorgaben und orientieren sich an den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Das Öko-Tex Prüfzeichen signalisiert dem Anwender/Verbraucher die humanökologische Unbedenklichkeit des textilen Produktes.

Haustex: Welche Zielrichtung verfolgt im Vergleich dazu REACh?

Dr. Weckmann: REACh ist eine Verordnung zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung von Chemikalien, die im REACh-Jargon als Stoffe bezeichnet werden. Dies geschieht in Form von Grund-, Einzel- und Basisstoffen sowie ihren Zubereitungen bzw. Mischungen. Ziel von REACh ist es, Mensch und Umwelt besser als bisher vor möglichen Risiken beim Umgang mit Chemikalien zu schützen. REACh definiert aber nicht individuelle Grenzwerte von Stoffen in Endprodukten und macht daher keine Vorgaben für deren Sicherheit in der Anwendung.

Haustex: Die Frage der Produktsicherheit wird von REACh also nicht berührt?

Dr. Weckmann: Nein, denn der Bereich der Produktsicherheit wird bereits durch Spezialgesetze abgedeckt, die unter dem europäischen Geräte- und Produktsicherheitsgesetz hinterlegt sind. Sie regeln die Produktsicherheit im einzelnen auch für die textile Branche. Die Pflichten von Herstellern und Importeuren, wie sie sich beispielsweise aus der Generalklausel § 30 LFGB (Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch) ergeben, und die Stoffverbote wie AZO, Nickel bleiben von REACh unberührt.

Haustex: Welche Rolle spielt im Gegensatz dazu der Öko-Tex Standard 100 bei der Produktsicherheit?

Dr. Weckmann: Der Öko-Tex Standard 100 kontrolliert u. a. die Einhaltung der genannten Verbote. Diese Kontrolle kann REACh nicht leisten. Nach REACh kann z. B. in einem Erzeugnis ein bestimmter Stoff in einer Größenordnung von 1.000 ppm enthalten sein, bevor ein Regulierungsbedarf besteht - bei Öko-Tex sind die Grenzwerte für konkrete Schadstoffe wesentlich schärfer gefasst. Hinzu kommen Kriterien wie z. B. Echtheiten und hautneutraler pH-Wert, die von REACh überhaupt nicht abgedeckt werden, da sie nicht mit einzelnen Stoffen im Zusammenhang stehen.

Haustex: Welche Unterscheidung macht REACh hinsichtlich der jeweiligen Aufgabenstellung und den Beiträgen zur Verordnung?

Dr. Weckmann: REACh unterscheidet die beteiligten Akteure wie
- Chemikalienhersteller und -importeure;
- Hersteller und Importeure von Zubereitungen;
- Nutzer von Chemikalien und Zubereitungen = Hersteller von Erzeugnissen, z. B. Textilausrüster und -färber;
- Konfektionäre, Händler und Importeure von textilen Halb- und Fertigerzeugnissen

in ihrer jeweiligen Aufgabenstellung und den Beiträgen zur Umsetzung dieser Verordnung. So müssen Chemikalienhersteller nach REACh wesentlich umfangreichere Aussagen zu den Chemikalien in den neuen Sicherheitsdatenblättern erarbeiten.

Haustex: Was müssen Nutzer von Stoffen, also zum Beispiel TextilAusrüster und -Färber beachten?

Dr. Weckmann: Nutzer von Stoffen müssen laut REACh prüfen, ob ihre Anwendung der Chemikalie mit den Expositionsszenarien im Sicherheitsdatenblatt bereits beschrieben wurde. Ansonsten müssen sie durch intensive Kommunikation dafür sorgen, dass ihr Hilfsmittellieferant diese Variante zukünftig unterstützt.

Haustex: Welche Relevanz wird REACh für Bekleidung und andere textile Produkten haben?

Dr. Weckmann: Im Zusammenhang mit dem Öko-Tex Standard 100 ist sowohl die Ebene der nachgeschalteten Anwender wie Textilausrüster und -veredler als auch der Konfektionäre und Textilhändler von Interesse. Sicher ist zum aktuellen Zeitpunkt, dass REACh für Bekleidung und andere textile Endprodukte (REACh spricht von Erzeugnissen) kaum Relevanz haben wird, da
- der hohe Wert von 1 Tonne pro Jahr und Hersteller/Importeur für einen besonders besorgniserregenden Stoff (SVHC) und
- der hohe Anteil von 0,1 % (w/w) eines SVHC in einem Produkt in textilen Erzeugnissen selten erreicht werden.

Haustex: Wie ist die Situation mit Importen aus nicht EU-Ländern?

Dr. Weckmann: Bei textilen Erzeugnissen, die außerhalb der EU hergestellt werden, wird der Vollzug einer eventuellen Registrierungs- bzw. Meldepflicht praktisch kaum zu bewerkstelligen sein.

Haustex: Ihr Fazit?

Dr. Weckmann: Der Öko-Tex Standard 100 wird durch REACh nicht überflüssig, sondern bleibt für den Anwender/Verbraucher auch in Zukunft die zentrale Entscheidungshilfe beim Textileinkauf.
aus Haustex 08/07 (Haustextilien)