Einblick in die russische Einrichtungsszene - Eine Reportage von Brigitte Wagner

In Moskau hat Wohnen einen hohen Stellenwert

Eine Studienreise von Decor-Union und FDTB gab Objekteuren und Fachhändlern Einblicke in die Moskauer Einrichtungsszene. In der teuersten Stadt der Welt wird für ein behagliches Ambiente und Qualität richtig Geld ausgegeben. Entsprechend ist die Moskauer Einzelhandelsszene für Raumausstattung aufgestellt.

Die Moskauer Handelszene generell - speziell aber die Einzelhandelsszene für Raumausstattung - wollten die Objekteure und Fachhändler der Decor-Union bei ihrer Fachstudienreise in die russische Metropole kennen lernen. Perfekt von Bernhard und Natalija Zimmermann (BZ-BBI ) vorbereitet und begleitet, vermittelte sie einen umfassenden Eindruck ins Marktgeschehen. Soviel vorab: Mit einem solch hohen Niveau hätte keiner der Teilnehmer gerechnet. "Wenn wir uns die Handelsszene im Sektor Heimtextilien, Tapeten und Bodenbeläge anschauen, können wir nur lernen", so Decor-Union Geschäftsführer Enno Kramer, der mit einigen der besuchten Unternehmen bereits seit längerem im Informationsaustausch steht.

Überrascht zeigten sich die Teilnehmer der Studienreise durchweg von dem, was in der kurzen Zeitspanne einer sogenannten freien Wirtschaft aufgebaut worden ist. Insbesondere das konsequente Umsetzen von Gestaltungskonzepten und das schnelle Aufgreifen von neuen Ideen beeindruckte die deutschen Objekteure, Raumausstatter und Fachhändler. Von der Einstiegsklasse Ikea und Obi über anspruchsvolle Fachmärkte bis hin zu luxuriösen Interieurgeschäften reicht das breitgefächerte Handelsangebot, das westliche Standards inzwischen mehr als erfüllt. Was alle verbindet: ein enorm hohes Service- und Dienstleistungsangebot durch qualifiziertes Fachpersonal.

Stores and more

Der erste Besuch gilt zwei Filialen von Starik Hottabych, einem der führenden Anbieter Russlands für Innenausbau und Wohnungsausstattung. Zu der russischen Fachmarktkette besteht seitens der Decor-Union schon seit längerem Kontakt und das russische Unternehmen signalisierte bereits eine Vertiefung des Informationsaustauschs. Die umfangreiche Konzeptarbeit der DU, was die Entwicklung moderner Verkaufsflächen in Deutschland betrifft, hat bei der Geschäftsführung Aufmerksamkeit erzeugt und wird als gute Vergleichsmöglichkeit für die Weiterentwicklung der eigenen Filialmärkte in Russland gesehen.

Die Firma Starik Hottabych, deren Logo in Anlehnung an ein bekanntes Kindermärchen ein Zauberer (Starik Hottabych) auf einem fliegenden Teppich ist, eröffnete 1994 ihr erstes Geschäft, damals mit einer Fläche von ca. 700 bis 800 qm. Die ersten Sortimente waren Teppiche, Bodenbeläge und Sanitäreinrichtungen. Nach weiteren Markteröffnungen in1995 und 1996, kam es 1997 zu einem wichtigen Schritt: Der in Sokol entstandene Markt ist mit 2.000 qm deutlich größer und setzt erstmals das Konzept um, die Sortimente in Abteilungen zu gliedern. Als neues Sortiment kommt die Tapete dazu. Weitere regionale Filialmärkte zum Beispiel 1998 in N.Novgorod, 2004 in Wolgograd (Schwarzes Meer), St. Petersburg, Irkutsk und Krasnojarsk folgen. Heute ist Starik Hottabych mit 40 Einrichtungsfachmärkten, davon alleine 20 in und um Moskau, größter Filialist Russlands. Auf 86.000 qm Verkaufsfläche und mit rund 3.000 Mitarbeitern kommt es täglich zu rund 40.000 Kundenkontakten.

Das Unternehmen hat sich mittlerweile den Ruf erarbeitet, nicht nur Ware anzubieten, sondern vielmehr durch kompetente Mitarbeiter die Kunden fachkundig zu beraten. Für die Weiterqualifizierung der Mitarbeiter wird im Jahr 2000 ein eigenes Schulungszentrum eingerichtet. Zu diesem Zeitpunkt beschäftigt das Unternehmen bereits 1.000 Mitarbeiter. Seit 2002 sind mit BZ-BBI auch Bernhard und Natalija Zimmermann im Bereich Weiterbildung der Mitarbeiter in der Gardine und Raumausstattung aktiv. Rund 800 davon haben bereits ihre Seminare besucht.

Servicekompetenz

Seit 2004 stellt das Unternehmen junge Innenarchitekten und Interieur-Designer zur kompetenten Kundenberatung ein. Als Express-Designer arbeiten sie in einem Studio inmitten eines Marktes und bieten den Kunden quasi "aus dem Stand" individuelle Planungs- und Gestaltungsvorschläge an. Auch eine Beratung bei den Kunden zu Hause ist möglich. Diese Dienstleitungen werden mit 800 Rubel (ca. 25 EUR) gesondert berechnet und bei Auftragerteilung von über 5.000 Rubel (ca. 143 EUR) gutgeschrieben.

Von der hohen Qualifikation des Unternehmens können sich die Teilnehmer der Fachstudienreise bereits beim Besuch des ersten Starik Hottabych Fachmarktes überzeugen. Direkt an der sogenannten "Tapetenstraße" im Zentrum Moskaus am Nanchimow Prospekt gelegen, findet er sich in einem Umfeld, wo es offensichtlich alles zu geben scheint, was es auf der Welt an Tapeten gibt.

Auch in dem vor sieben Jahren eröffneten Starik Hottabych Markt sind Wandbekleidungen eine wichtiger Sortimentsschwerpunkt. Auf der ersten Etage findet sich neben Farben, Stoffen und Zubehör ein umfassendes Angebot an Wandbekleidungen. Attraktive Dekonischen vermitteln eine Vielzahl von Anregungen, zeigen Produktkombinationen für Fenster, Wand und Boden, stellen Lösungen vor und bieten immer wieder etwas fürs Auge. Keine preisaggressive Werbung, stattdessen attraktive Gestaltungen und Informationen. Das setzt sich im Erdgeschoss bei dem breiten Sortiment an Bodenbelägen und Türen fort und reicht bis hin zu den hochwertigen Sanitäreinrichtungen im Untergeschoss.

Im Gegensatz zu den neueren Shopkonzepten von Starik Hottabych sind in diesem Markt die Abteilungen über drei Etagen verteilt. In jeder von ihnen finden die Kunden sortimentsspezifisch fachkompetente Beratung durch ausgebildete Innenarchitekten oder Designer. Insbesondere ihre gestalterischen Umsetzungen in Form von Skizzen, die als Referenz-Vorlagen dienen, überzeugen. Aus ihnen können Kunden Gestaltungen wählen oder sich von den Profis - gegen Gebühr - einen individuellen Vorschlag und das Aufmass erstellen lassen. "Beim Kauf von Ware wird der Betrag verrechnet", bestätigt der dortige Marktleiter den deutschen Besuchern. Im Bereich Dienstleitungen wie Bodenverlegungen, Tapezierarbeiten oder Sanitärinstallationen arbeiten alle Starik Hottabych Filialen mit Subunternehmen zusammen, die diese Arbeiten fachkundig ausführen. Überlegungen diesen Service mit eigenen Handwerkern anzubieten, gibt es nicht. Nur im Bereich Gardinen greift der Filialist auf ein eigenes, zentrales Nähatelier zurück.

Der neueste Markt von Starik Hottabych liegt am Rand einer großen Wohnsiedlung. Nach dem Storekonzept eines englischen Architekturbüros wurde hier das neue Erscheinungsbild der Filialen umgesetzt. Auf 2.000 qm sind hier ebenerdig alle Abteilungen übersichtlich angeordnet. Das Raumkonzept ist auf eine extrem rasche Orientierung ausgerichtet, ganz im Sinne der Kunden. So sind Servicebereiche - Beratungstheken und Kassen - standardmäßig durch farbige Deckenlampen gekennzeichnet. Kundenparkplätze stehen ausreichend im Eingangsbereich zu Verfügung. Den Hauptpart im Verkaufsraum spielt die Ware. Ganz besonders spürbar wird dies in der Sanitärausstellung, wo die Warenpräsentation Lifestyle-Charakter vermittelt. Doch zunächst führt der Weg durch eine übersichtlich gestaltete Tapetenabteilung. Auch hier wird mit gekonnten Dekorbereichen die Ware in den Mittelpunkt des Kundeninteresses gerückt wird.

Bodenbeläge dominieren den Seitenbereich, wo sich shopartig angeordnet die verschiedenen Produktgruppen Parkett, Laminat, Teppichboden und Linoleum (in Russland die Bezeichnung für alle elastischen Bodenbeläge) finden. Hauptumsatzträger ist der Sanitärbereich, gefolgt von Bodenbelägen, Tapeten sowie den Zusatzsortimenten Türen, Lampen, Farben und Zubehör.

Die Sortimentskonzepte gleichen sich in allen Starik Hottabych Stores. Gemeinsamkeiten zu deutschen Fachmarktkonzepten gibt es, soweit wir uns im Heimtextilien, Tapeten und Bodenbelagssegment bewegen. Genau wie in Deutschland scheinen auch in Russland Parkett und Laminat an Sortiments-anteilen zu gewinnen. Doch auch Teppichböden und Linoleum erfreuen sich guter Nachfrage. Bei (echtem) Linoleum wird klassische Forbo Bahnenware als "Home Floor" Produkt angeboten. Als Marken sind bei Bodenbelägen vertreten, unter anderem Balta, Dura, Domo, Forbo, Gerflor, Tarkett und Unilin. Bei Tapeten finden wir A.S. Création, Erismann, Marburg und Rasch.

Deutliche Unterschied zu Deutschland bestehen was die Sortiments-Arrondierung betrifft, bei der in Russland Sanitär und Lampen dominieren. Und für deutsche Verhältnisse wird deutlich mehr Gewichtung auf Service gelegt, bis hin zur innenarchitektonischen Beratung. Geöffnet hat jede der Filialen täglich von 10.00 bis 22.00 Uhr.

Boris Frankstein - Gardinengroßhandel und Merchandiser

Im Süden Moskaus befinden sich die Firmenräumlichkeiten von Boris Frankstein. 1999 startetet der studierte Ingenieur sein eigenes Geschäft. Heute ist das Unternehmen Gardinengroßhandel, Vertretung von Garotex in Russland, verfügt mit drei Nähateliers über eine eigene Fertigung und beschäftigt über 120 Mitarbeiter. Daneben unterhält Frankstein einen Textilverlag mit eignen und internationalen Kollektionen. Mit der vor drei Jahren entwickelte Exklusiv-Kollektion "Fanni" in Verlegerqualität hat sich der Kosmopolit international Respekt erworben, obgleich er damit bislang nur im russischen Markt vertreten ist. Zu seinen Kunden zählen Architekten, Fachhandel, Baugesellschaften, Designer und Inneneinrichter sowie Baumarktbetreiber Obi.

Bei Obi behauptet sich Frankstein mit seiner Service-Kompetenz als Kernlieferant. Überraschend ist die Vielfalt und Hochwertigkeit des Stoffangebots, Meterware von 30 bis 60 EUR pro lfm. scheinen in dem Angebot absolut selbstverständlich. Das Service-Konzept gleicht dem von Starik Hottabych. Frankseins eigene Designerinnen bieten den Kunden vor Ort Beratung in Sachen Fensterdekorationen. Auch hier belegt eine dicke Referenzmappe, dass Gestaltungskompetenz und Großfläche in Russland kein Widerspruch sind. Bei Obi fündig geworden, kann der Kunde seine Fensterdekoration im Nähatelier von Boris Frankstein anfertigen lassen.

In der Bodenbelagsabteilung bei Obi findet sich alles, was der Markt an Produkten zu bieten hat. Auf den Verkaufsständern dominieren Laminat von Kaindl und CV von Tarkett. Die riesigen Paternoster sind mit Teppichböden von Enia-Sintelon bestückt.

Interieur-Club - hier rollt der Rubel

Ab September gibt es für die Reichen und Super-Reichen Russland ein neues Einrichtungskonzept: "Interieur-Club". Dabei handelt es sich um einen Exklusivladen für luxuriöse Interieurs, der auf 2.000 qm nach den Plänen eines Londoner Designbüros in Toplage Moskaus entsteht. Hier werden künftig acht bis zehn festangestellte Architekten hochwertige Einrichtungsvorschläge für die "oberen Zehntausend" erarbeiten Die kunstvollen Stuckdecken sind bereits fertiggestellt. Derzeit sind die Handwerker mit den Bodenarbeiten beschäftigt. Ihre unkonventionelle Arbeitsweise - von der Arbeitskleidung bis hin zur Ausführung - findet bei den deutschen Objekteuren ungläubige Blicke. Doch an einwandfreien Arbeitsergebnissen zweifelt auf der Baustelle offensichtlich niemand.

Generell ist zum Handwerk zu sagen, dass es in Russland keine mit unseren vergleichbaren Strukturen gibt; auch Berufsbilder wie Raumausstatter, Bodenleger etc. fehlen gänzlich. Ebenso herrschen keine einheitlichen Qualitäts- oder Ausbildungsstandards. Eine Lücke, die bislang Fachhandel und Hersteller mit Schulungsangeboten schließen.

Internationale Trend-Kollektionen für Wohnen, Kochen, Schlafen, Arbeiten und Bad vor allem im englischen Stil, der bei den Russen hoch im Kurs steht, werden in der stilvollen Immobile künftig präsentiert. Es gilt dabei die Präambel, den Kunden in allen Fragen der Einrichtung bis hin zur Bettwäsche und dem Handtuchhalter bedienen zu können. Der Rohbau lässt die Exklusivität bereits erahnen, ein Parkett aus nordkaukasischer Eiche zum Materialpreis von 2.000 EUR pro Quadratmeter wird in Kombination mit einem Steinboden aus einem englischen Schloss aus dem 17. Jahrhundert eingebaut. Auf Kundenwunsch sollen solche Unikat zukünftig aus französischen oder englischen Schlössern ausgebaut und nach Russland verfrachtet werden. Ein in der Tat beeindruckendes Projekt, das von Direktorin Natalia Uchaeva geführt wird.

Fachgeschäfte überzeugen mit englischem Einrichtungsstil

Dass englischer Opulenz vor deutschem Bauhaus oder italienischem Minimalismus der Vorzug gegeben wird, zeigt auch das innerstädtische Einrichtungsfachgeschäft Elite Style. Seit 14 Jahren besteht die Firma für hochwertige Gardinen und textiles Einrichten, ein Premium-Anbieter für "Gardine der ersten Stunde". Die Stärke sind individuelle, vorwiegend prunkvoll inszenierte Fensterdekorationen. Neben privater Wohnraumausstattung werden aber auch Objekt- und Büroeinrichtungen angeboten. Mittlerweile gibt es sechs dieser Geschäfte in Moskau, darunter eines in unmittelbarer Nähe zum Roten Platz. Überzeugend auch hier wieder ist die Fachkompetenz der Mitarbeiter, allesamt studierte Designer und Inneneinrichter. Die Produktpalette umfasst rund 15.000 Stoffartikel, darunter Anbieter wie Dedar, Rubelli, Lelievres, Nobilis, Pierre Frey oder Saum & Viebahn. Geboten wird eine kleine, aber sehr feine Einkaufswelt, abgerundet mit passenden Kleinmöbeln und Accessoires.

Nach Einschätzung von Boris Frankstein wird der Einrichtungsboom noch die nächsten 20 bis 25 Jahre anhalten - mit zweistellige Zuwachsraten. Wirtschaftliche Wachstum und steigende Einkommen wird dabei die Verhältnisse was Wohnen betrifft sogar noch nach oben korrigieren.
aus BTH Heimtex 09/07 (Handel)