Analyse von Jan Deckmann

Einzelhandel der Zukunft - Chancen und Ausrichtung

Die Handelslandschaft ändert sich massiv: alte Strukturen brechen weg, neue entstehen, die in wachsender Konkurrenz zum Fachhandel stehen. Was kommt auf den Fachhandel zu? Wie muss er agieren, um zu überleben ? Das untersuchte Jan Deckmann, Mitglied der Geschäftsleitung von Wotex Intercolor. Sein klares Fazit: Nur in Kooperationen und in der Systembildung hat der Fachhandel eine Überlebenschance, wobei sich jedem einzelnen Unternehmer die Frage stellt, wieviel Individualität er bereit ist aufzugeben, um die eigene Selbständigkeit zu bewahren.

Die gegenwärtige Situation im Einzelhandel ist gekennzeichnet von stagnierenden oder schrumpfenden Umsätzen und das, obwohl die Bevölkerungszahl in Deutschland um 12 Millionen zugenomen hat. Das wird sich allerdings künftig umdrehen, prognostizierte Dipl.-Betriebswirt Jan Deckmann in seinem Vortrag zum "Einzelhandel der Zukunft". "Die Folge davon werden in noch stärkerem Maße als bisher gesättigte Märkte, Überkapazitäten, ein erhöhter Verdrängungswettbewerb und ein brutaler Preiskampf sein, wobei es gleichzeitig zu Umschichtungen im privaten Konsum kommt." Freizeit, Unterhaltung und Reisen würden noch wichtiger, während deutlich weniger Geld in die Bereiche Nahrung, Textil und Bekleidung fließe.

Schon jetzt könne der Einzelhandel immer weniger vom privaten Konsum für sich vereinnahmen: Bis 1990 stieg der Anteil des Einzelhandelsumsatzes an den privaten Konsumausgaben auf den Höchstwert von 42,2%, verringerte sich dann rapide und lag 2002 nur noch bei 29,9%. Zudem hat sich die Einzelhandelslandschaft in den letzten 20 Jahren dramatisch verändert: Supermärkte und Discounter haben ihren Anteil am Einzelhandelsumsatz von 1990 bis heute auf 14,5% verdreifacht. Klar zugelegt haben auch die Filialisten, die ihren Umsatzanteil von 18% im Jahr 1980 auf 25" im Jahr 2000 steigern konnten. Einkaufsverbänden mussten demgegenüber von 1990 bis 2000 eine Verringerung ihres Marktanteils von 30 auf 22,9% hinnehmen, der nicht organisierte Einzelhandel fiel von 14 auf 11,5% zurück.

Daraus lässt sich klar eine zunehmende Filialisierung ablesen. Zugleich wachsen die Verkaufsflächen, aber die Flächenproduktivität sinkt. "In Deutschland finden wir die größten Verkaufsflächen mit den geringsten Umsätzen." Damit einher geht eine Polarisierung der Nachfrage; die Mitte bricht weg, Billigangebote und Hochwertware legen zu. Bis 2010 erwartet Deckmann hier jeweils einen Umsatzanteil von 45%.

Der Wandel in der Einzelhandelslandschaft ist ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Entwicklung. Der Verbraucher wird anspruchsvoller, preisbewusster und individueller, sucht in allen Lebensbereichen den Erlebnisfaktor. Er fordert Produkte, die ihren Zweck optimal erfüllen, die im Design gefallen, technisch aktuell und ohne Risiko einsetzbar sind, bei denen es keine gesundheitlichen Bedenken gibt und die auch noch im Preis stimmen. Diese Produkte müssen in einem Umfeld stehen, das Wellness und Erlebnis verspricht - und mit Service verbunden sein. Deckmann: " Für die Zukunft bedeutet dies, dass der Einzelhandel eine Dienstleistung mit angehängter Ware und nicht mehr ein Produkt mit angehängter Dienstleistung verkaufen muss."

Der Wettbewerb werde dabei gekennzeichnet sein von einer verstärkten Vertikalisierung. "Industrie und Handel verzahnen sich. Die Industrie wird Wettbewerber des Handels, während sich der Handel neue Lieferantenquellen erschließt." Und nicht nur das: Handel, Handwerk, Dienstleistung und Entertaiment verschmelzen zunehmend zu neuen Erlebniswelten. Dabei gewinnen Handelsmarken an Bedeutung und bedrängen Markennamen. Der Einzelhändler wird zur Marke vor Ort.

Damit einher geht eine Verkaufsflächenbereinigung. Es kommt zu einer Renaissance der Innenstädte zu Lasten der grünen Wiese. Im mittelständischen Fachhandel sei eine starke Systembildung zu erwarten, zum Beispiel durch individualisiertes Franchising. Die Zahl der Einzelhändler geht weiter zurück. Von den heute noch 475.000 Handelsunternehmen würden rund 175.000 verschwinden, befürchtet Deckmann, und nur 75.000 neue entstehen.

Als Gewinner sieht er einerseits die Discounter, die die Grundversorgung übernähmen und sich damit Marktanteile bis 40% erobern, andererseits Filialisten und Convenience-Anbieter. Gute Chancen räumt er auch Spezialisten, Spezial-Versendern, dem Multimedia-Handel und Systemanbieter. Der einzelne Fachhändler könne sich dagegen nur behaupten, wenn er mit sehr hoher Kompetenz ausgestattet sei, über eine klare Strategie verfüge und flexibel und schnell auf Veränderungen reagiere. "Notwendig sind eine klare Zielgruppen- und Kundenorientierung bei aussagestarkem Nutzenversprechen, Lifestyle-Ambiente und emotionaler Kundenansprache, Convenience- und Dienstleistungsausrichtung, gut ausgebildetes Personal und schlanke Kostenstrukturen." Deckmann empfiehlt dringend den Anschluss an Kooperationen oder die Bildung strategischer Allianzen, auch wenn dies eine Teilaufgabe der Selbstständigkeit bedeute. "Dafür erlaubt es die Konzentration auf den Verkauf."
aus BTH Heimtex 04/04 (Handel)