Fachinformation
Hamedan - Der unterschätzte Dorfteppich
Zugegeben: Der Hamedan-Teppich hat nicht das beste Image. Eine grobe Knüpfung, schlechtes Material und belanglose Muster lauten die meistgehörten Vorurteile. Richtig ist, dass die Gegend um Hamedan die produktivste Teppichknüpfregion des Iran ist. Richtig ist auch, dass ein Großteil dieser Produktion auf unterem bis mittlerem Preisniveau angesiedelt ist. Nicht zu vergessen ist aber, dass es wohl keine Gegend im Iran gibt, die so vielseitig ist und so viele reizvolle Dorfteppiche hervorbringt.
Diese Vielseitigkeit ist auch der Grund, warum wir uns in dieser Fachinformation ausschließlich den Dorfteppichen dieser Provenienz widmen. Die Knüpfungen aus der Stadt Hamedan haben nämlich kaum etwas mit den ursprünglichen Dorfteppichen gemeinsam. Die Stadt ist zwar schon seit Alters her der Handelsplatz für die Teppiche der Umgebung, aber nicht Knüpfort selbst. Die ersten Knüpfstühle wurden in der Stadt erst 1912 von Cecil Edwards installiert. Auch klammern wir in dieser Fachinformation die Teppiche des Gebietes aus, die kurdisch beeinflusst sind. Dazu gehören zum Beispiel Kolyai, Senneh und auch Bidjar.
Herkunft - Die Hamedan-Dorfteppiche werden in den Gemeinden um die etwa 200.000 Einwohner starke nordwestiranische Stadt Hamedan produziert. Das Gebiet umfasst gut 600 Dörfer, die zum Teil sehr unterschiedliche Teppiche hervorbringen. Zu den bekanntesten Unterprovenienzen unter ihnen gehören: Mehraban, Khamseh, Derganzine, Zarand, Saveh, Maslaghan, Tafresh, Bibikibad, Enjelas, Bordjalou, Hussainabad, Nahavan, Tuisarkan und Zagheh.
Die Gemeinden um Hamedan liegen auf einem Hochplateau, was ein für Europäer angenehmes Klima sorgt. Die Sommer sind nicht zu heiß, die Winter kalt. Die Bewohner dieser Region leben vor allem von der Landwirtschaft. Teppiche werden im Hausfleiß in der sonst arbeitsfreien Zeit gefertigt. So kommt es auch, dass die Produktivität im Winter um einiges höher ist, als im Sommer.
Muster - Die Vielzahl der Unterprovenienzen lässt richtig vermuten, dass es nicht "den" typischen Hamedan gibt. Einige übergreifende Aussagen zur Musterung lassen sich dennoch machen. Die Dessins sind alle eher einfach gehalten. Oft sind sie geometrisch wie der Hussainabad, oder floral, wie der Mehraban. Verbreitet sind Herati gemusterte Innenfelder, wie beim Khamseh oder Enjelas. Einige typische Beispiele können Sie auf diesen Seiten finden.
Eine weitere, liebenswerte Gemeinsamkeit der Hamedan lässt sich in den Bordüren finden. Die sich wiederholenden Musterdetails sind sehr häufig in komplett verschiedenen Farben gearbeitet. So wiederholt sich zwar die Form des Details, deren Farben jedoch nicht.
Knüpfung / Materialien - Leichter als am Muster, lassen sich die Hamedan Dorfteppiche - dieses gilt wie bereits erwähnt nicht für die Teppiche aus der Stadt Hamedan - an der Knüpfung erkennen. Praktisch alle Teppiche werden einschüssig hergestellt. Das bedeutet, dass nach einer jeden Knotenreihe ein Schussfaden eingetragen wird. Typisch sind in persischen Teppichen zwei oder drei Schussfäden nach jeder Knotenreihe. Nur in einigen Belutsch, Afshar und vereinzelt in Nomadenteppichen aus der Region Fars werden einschüssige Teppiche geknüpft.
Aus dieser technischen Besonderheit ergibt sich das für Hamedan-Teppiche typische Rückenbild: Knotenreihen und Schussreihen wechseln sich sichtbar ab. Das Grundgewebe besteht bei praktisch aller heute im Handel befindlichen Ware aus Baumwolle. Nur sehr alte oder antike Stücke sind hin und wieder auf Wolle geknüpft. Beim Knüpfen selber macht sich der starke türkische Einfluss bemerkbar: Es wird ausschließlich mit dem türkischen Knoten gearbeitet.
Der Flor besteht aus oft handversponnener Wolle, deren Qualität allerdings sehr schwankt. Die günstige Konsumware ist meist aus billiger Wolle gefertigt. Grade alte oder höherpreisige Stücke beeindrucken aber mit hervorragender Wollqualität. Im Vergleich mit Dorfteppichen aus den anderen Regionen des Iran fällt auch die größere Dicke des Flors auf: Die Stücke haben einen fleischigeren Griff.
Die Knüpfdichten variieren ebenfalls stark. Sie reicht von unter 150.000 Knoten / m
2 für die Kommerzware bis zu über 300.000 Knoten/m
2 bei besonders feinen Teppichen.
Bei der Auswahl der Farben für die Wolle sind die Knüpfer sehr pragmatisch. Es wird das verwendet, was einfach und kostengünstig zu bekommen ist. Waren antike Hamedan, auch mangels Alternativen, mit Pflanzenfarben gefärbt, eroberten sich die synthetischen Farbstoffe schnell einen festen Platz. Naturfarben, die sich für die landwirtschaftlich geprägte Bevölkerung kostengünstig selber herstellen lassen werden parallel eingesetzt.
Formate - Die am Markt erhältlichen Größen sind ebenfalls Zeichen für den dörflichen Ursprung der Teppiche. Kaum ein Stück erreicht mehr als Brückengröße. Dafür werden mehrere Gründe vermutet. Der naheliegendste ist die beschränkte Größe der Knüpfstühle in den Häusern. Ein weiter Grund liegt wohl in dem Umstand, dass die Teppiche parallel zur Landwirtschaft produziert werden. Ihr Erlös wird gern für den Kauf von zum Beispiel neuer Kleidung für das Nowrus-Fest ausgegeben. Die Zeit, die für die Fertigstellung des einzelnen Teppichs benötigt wird, sollte also nicht zu lang sein. Trotzdem ist die Region für eine stattliche Produktion an Läuferformaten bekannt.
Nachknüpfungen - Nachknüpfungen in anderen Ursprungsländern, wie Indien, oder eine Musterverschleppung in andere Provenienzen des Iran sind nicht bekannt. Da die Preise für Hamedan-Teppiche recht gering sind, macht es wenig Sinn, diese zu kopieren.
Historischer Hintergrund - So variantenreich die Unterprovenienzen des Gebietes sind, so bewegt ist auch ihre Geschichte. Schon im 6. Jahrhundert vor Christus war Hamedan, damals hieß die Stadt noch Ekbatana, die Hauptstadt des Meder-Reiches. Alexander der Große plünderte die Stadt 331 vor Christus nach seinem Sieg über Darius III. Die Araber eroberten Hamedan 641 nach Christus.
Für den heutigen Hamedan-Teppich von Bedeutung war das 11. Jahrhundert nach Christus, als die türkisch stämmigen Seldschuken Azerbeidjan, Teile Kurdistans und das Gebiet um Hamedan einnahmen. Bis heute sprechen die Dorfbewohner einen türkischen Dialekt und auch die Teppiche werden mit dem türkischen Knoten geknüpft. Die folgenden Jahrhunderte waren ähnlich blutig: Zahlreiche kriegerische Auseinandersetzungen forderten große Opfer in der Bevölkerung. Erst die letzten Jahrhunderte ließen die Region zur Ruhe kommen. Erste Hinweise auf hier gefertigte Teppiche stammen aus dem 16. Jahrhundert. Es sind praktisch keine antiken Stücke erhalten. Das liegt wohl auch an dem schon immer geringen Image dieser Knüpfregion. Die Entwicklung zu einer der bedeutendsten und produktivsten Provenienzen begann in den letzten Jahren des 19 Jahrhunderts.
HamedanAndere Schreibweisen: Hamadan, Hamadân
Aussprache: Alle Silben gleichmäßig betont
Ursprungsland, Region: Nordwest-Iran, Gemeinden und Dörfer rund um die Stadt Hamedan.
Formate: Fast ausschließlich Brückengrößen, auch Läuferformate
Flor: Wolle
Grundgewebe: Baumwolle
Knüpfung: Ein-Schuss-Knüpfung mit türkischem Knoten
Muster: Einfach geometrisch, oft floral inspiriert. Innenfeld häufig Herati gemustert.
Knüpfdichten: 150.000 bis 300.000 Knoten / m
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aus
Carpet Magazin 01/08
(Teppiche)