Norbert Strehle zur Hysterie bei rutschsicheren Fußböden
"Anforderungen an Rutschhemmung bestehen nur in Arbeitsräumenmit Rutschgefahr"
Das Thema "rutschsichere Fußböden" hat derzeit Konjunktur. Planende, ausschreibende und auftraggebende Stellen von zumeist öffentlichen Bauvorhaben neigen immer mehr dazu, auch für die letzte Besenkammer Anforderungen hinsichtlich der rutschhemmenden Eigenschaften von Fußbodenoberflächen zu fordern bzw. diese nachträglich zu verlangen. Dabei geschieht dies in aller Regel unter Bezugnahme auf das Merkblatt des Berufsgenossenschaftlichen Dienstes BGR 181 "Fußböden in Arbeitsräumen und Arbeitsbereichen mit Rutschgefahr", ehemals das Merkblatt ZH 571 des Berufsgenossenschaftlichen Dienstes.
Bereits seit vielen Jahren weist Norbert Strehle immer wieder darauf hin, dass sowohl das ursprüngliche als auch das heute gültige Merkblatt BGR 181 nicht allgemein gilt, sondern nur dann anzuwenden ist, wenn es sich im konkreten Fall um Arbeitsbereiche handelt, in denen während der üblichen oder vorgesehenen Nutzung rutschfördernde Medien auf den Boden gelangen. In allen anderen Fällen war und ist die Merkblattvorgabe nicht relevant.
Im nachfolgenden Fachbeitrag vermittelt Norbert Strehle einen Überblick zum Gesamtthema Rutschhemmung, um die offensichtlich bei Planern und Ausführenden bestehende Unsicherheiten auszuräumen:
Als erstes ist die Frage zu klären, ob rutschhemmende Eigenschaften vertraglich überhaupt vereinbart sind. Mir sind zwischenzeitlich Unfälle mit Personenschäden bekannt geworden, für die auch dann der Verleger von Parkett- und/oder Bodenbelägen in die Verantwortung genommen werden soll, obwohl bestimmte Rutschhemmungseigenschaften, insbesondere die Einhaltung bestimmter Bewertungsgruppen der Rutschhemmung, vertraglich überhaupt nicht vereinbart waren. Des Weiteren gab es auch Unfälle im privaten Nutzungsbereich, für die dem Parkett- und/oder Bodenleger mit Hinweis auf das Merkblatt BGR 181 eine Verantwortung zugewiesen wurde.
Gegenwärtig wird die Arbeitsstättenrichtlinie auf Veranlassung des Bundeswirtschaftsministeriums durch den Arbeitsstättenausschuss (ASTA) neu erarbeitet. Die Arbeitsstättenrichtlinie ist in unterschiedliche Arbeitsstättenregeln (ASR) untergliedert, die sich u.a. mit Beleuchtung, Fluchtwegen, Toren und Türen etc. befassen. Eine dieser ASR ist ausschließlich dem Fußboden gewidmet. An der gerade in der Überarbeitung befindlichen ASR "Fußböden" habe ich als Arbeitsgruppenmitglied mitgewirkt. Weitere Mitglieder kommen aus den unterschiedlichsten Bereichen der gewerblichen Wirtschaft - meist Sicherheitsingenieure aus der Großindustrie - sowie von den Berufsgenossenschaften. Bereits in den ersten Gesprächen habe ich darauf hingewiesen, dass in Ausschreibungen rutschhemmende Eigenschaften nahezu für alle öffentlich zugänglichen Flächen und auch im Wohnbereich gefordert werden. Die Vertreter der Berufsgenossenschaften waren ob dieses Sachverhalts sehr erstaunt und verwiesen darauf, dass die Vorgaben des Merkblattes BGR181 nur dann greifen, wenn es sich um einen Arbeitsbereich handelt und außerdem rutschfördernde Medien auf den Boden dieses Bereiches gelangen können. Fehlt eine dieser Voraussetzungen, dann sind die Vorgaben des Merkblattes BGR 181 nicht bindend, schon gar nicht ohne vorherige vertragliche Festlegung.
In der neu geschaffenen Arbeitsstättenregel "Fußböden" heißt es, dass Fußböden in Arbeitsbereichen sicher begehbar sein müssen. Auf die Bewertungsgruppen der Rutschhemmung wird nicht eingegangen. Rutschhemmend ausgeführte Fußböden werden dagegen im Merkblatt BGR 181 entsprechend den unterschiedlichen Bewertungsgruppen beschrieben. Damit wird deutlich, dass Anforderungen an Rutschhemmung nur für Arbeitsräume und Arbeitsbereiche mit Rutschgefahr gelten und auch nur dann, wenn in diesen Bereichen beim völlig normalen und vorgesehenen Gebrauch rutschfördernde Medien auf den Boden gelangen.
In Nr. 1.1 des Merkblattes BGR 181 ist unter anderem folgendes nachzulesen:
Die Anwendung der BG-Regel beschränkt sich auf solche Arbeitsräume, Arbeitsbereiche und betriebliche Verkehrswege, deren Fußböden nutzungsbedingt bzw. aus dem betrieblichen Ablauf heraus mit gleitfördernden Stoffen in Kontakt kommen, die eine Gefahr des Ausrutschens darstellen.
Im nachfolgenden Abschnitt 1.2. heißt es wörtlich weiter:
Die BG-Regel findet keine Anwendung auf Fußböden in Arbeitsräumen, Arbeitsbereichen und betrieblichen Verkehrswegen, die trocken genutzt werden und wo die Gefahr des Ausrutschens aufgrund gleitfördernder Stoffe nicht besteht.
Im Anhang 1 zum Merkblatt werden in den Abschnitten 0 - 30 unterschiedliche Gruppen denkbarer Arbeitsbereiche aufgelistet. Bei Schulen und Kindergärten (Abschnitt 29) kann es sich nur um einzelne Bereiche handeln, in denen rutschfördernde Medien auftreten, z.B. in Flurbereichen unmittelbar an die Zugangsbereiche anschließend, wo eingeschlepptes Regenwasser oder Schnee nicht ausgeschlossen werden können. Auch in Werkräumen, wo z.B. Holzstäube vorkommen, sind Anforderungen an die Rutschhemmung noch nachvollziehbar.
In diesem Zusammenhang ist auch auf die fachlichen Regeln DIN 18356 "Parkettarbeiten" und DIN 18365 "Bodenbelagsarbeiten" zu verweisen. Danach sind besondere Eigenschaften und Merkmale eines Fußbodens entsprechend zu vereinbaren. Dies gilt auch für die rutschhemmenden Eigenschaften. Wenn diese weder über ein Leistungsverzeichnis bzw. einen Bauvertrag gefordert wurden, ist eine bestimmte Rutschhemmung entsprechend der Bewertungsgruppen nicht geschuldet.
Beispiele aus der Praxis
Im Zuge eines großzügigen Renovierungs-Bauvorhabens in einem privaten Wohnbereich ist in einem Badezimmer, wo bisher ein keramischer Kleinmosaikfußboden mit entsprechend hohem Fugenanteil vorhanden war, ein PVC-Design-Belag verlegt worden. Hier kam es mit nassen Füßen zu einem Sturz mit entsprechenden Folgen. Im späteren Rechtsstreit wurde dem Bodenleger der Vorwurf gemacht, er hätte auf die durch den neuen Belag geänderten Rutschhemmungseigenschaften aufmerksam machen müssen. Begründet wurde dies mit dem Hinweis auf das Merkblatt BGR 181. Hier war die Anwendung des Merkblattes nicht richtig. Zwar ist hier das rutschfördernde Medium Wasser vorhanden. Jedoch handelt es sich hier nicht um einen Arbeitsraum bzw. Arbeitsbereich.
In einer Stadthalle wird, wie seit Jahrzehnten und Jahrhunderten üblich, ein Parkettfußboden regelmäßig gewachst. Ein gewachstes Parkett erfüllt selten und dann auch nur für kurze Zeit die Rutschhemmungseigenschaften der Bewertungsgruppe R 9. Bei einer Stadthalle, einem Konzertsaal oder ähnlichem handelt es sich zwar um einen Arbeitsbereich, z.B. für das dort tätige Personal wie Bühnenarbeiter, Reinigungskräfte und Kellner. Allerdings fehlt es hier an der zweiten Bedingung, nämlich dem Auftreten rutschfördernder Medien bei regelmäßiger und üblicher Nutzung. Zweifellos kann es vorkommen, dass z.B. durch verschüttete Getränke gleitfördernde Medien auf den Boden gelangen. Allerdings handelt es sich dabei nicht um den regelmäßigen und üblichen Gebrauch des Fußbodens. Solche Flüssigkeiten und mithin gleitfördernden Medien müssen im Zuge der Unterhaltspflicht sofort beseitigt werden.
Zusammenfassend möchte ich darauf hinweisen, dass Anforderungen an die Rutschhemmung nur in Arbeitsräumen und -bereichen mit Rutschgefahr bestehen. Diese Anforderungen an die Rutschhemmung sind im Rahmen der Planung zu berücksichtigen und in jedem Falle im Bauvertrag zu vereinbaren. In allen privat genutzten Bereichen und in allen Arbeitsräumen und -bereichen, wo rutschfördernde Medien nicht auf den Fußboden gelangen, ist die Herstellung einer Fußbodenoberfläche mit Rutschhemmungseigenschaften nicht erforderlich. Hier ist die Herstellung der Fußbodenoberfläche in der Art ausreichend, die ein sicheres Begehen zulässt.
Der AutorNorbert Strehle ist Leiter des Instituts für Fußbodentechnik in Koblenz. Er ist von der Handwerkskammer Koblenz für das Estrichlegerhandwerk, Parkettlegerhandwerk und das Bodenlegergewerbe öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger.
Kontakt:
Institut für Fußbodentechnik
Im Wolfsangel 62
56070 Koblenz
Tel.: 0261/98261-0
Internet: www.strehle-fussbodentechnik.de
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FussbodenTechnik 04/08
(Handwerk)