Kleiner Fehler - Großer Schaden
Formel 1-Sponsor will Bodenleger ausbremsen
Fußbodenkonstruktionen zählen zu den komplexesten und hochbelastesten Bauteilen - schon kleine Fehler können hier große Auswirkungen haben. Dabei hat jede Baustelle ihre eigenen Tücken. Oft zeigt sich erst anhand der Ursachenforschung im Schadensfall, worauf ein Fußbodenverleger alles achten muss. FussbodenTechnik deckt in Zusammenarbeit mit namhaften Sachverständigen anhand realer Schadensfälle mögliche Fehlerquellen auf. Diesmal geht es um einen gewebten Teppichboden, der wegen vermeintlich schlechter Nahtkanten ausgetauscht werden sollte.
Im VIP-Bereich eines Sponsorgebäudes an einer Formel 1-Rennstrecke verlegte ein Bodenleger 450 qm eines gewebten Teppichbodens (niedrigflorige Schlingenware). Noch vor der offiziellen Inbetriebnahme des Raumes wurde die Erkennbarkeit der Nahtkanten an der ripsartigen Oberfläche gerügt. Außerdem missfielen dem Bauherrn die nicht gradlinig verlaufenden Schlingen der silbergrauen, 2 m breiten Teppichbodenbahnen.
Zwei Tage vor der Eröffnung des VIP-Raumes wurde dem Bodenleger dann die Pistole auf die Brust gesetzt und ein vollständiger Austausch des Belages verlangt. Ihm wurde angedroht, eine Ersatzvornahme (Verlegung durch einen anderen Bodenleger auf seine Kosten) durchzuführen. Eine gutachterliche Überprüfung wurde deshalb notwendig.
Schadensbild: Nahtkanten erkennbar
Bei der Besichtigung des betreffenden Raumes fiel zunächst seine besondere Architektur auf: Die halbrunde Form hatte umlaufend bis zum Fußboden reichende Fenster. Trotz starker Sonneneinstrahlung und Schlaglichteinwirkung waren aus stehender Haltung keine auffälligen Nahtkanten erkennbar. Dies galt insbesondere für die Hauptblickrichtung vom Eingang aus gesehen.
Beim genaueren Betrachten des Teppichbodens waren die Nahtkanten der aneinandergrenzenden Teppichbodenbahnen erkennbar. Dort zeigte sich ein feiner, überwiegend dunkelgrauer Streifen. Diese Auffälligkeit in der Optik wurde von Seiten des Bauherren vehement gerügt und noch vor Ort ein vollständiger Austausch des Bodenbelages gefordert.
Beiläufig wurde bekannt, dass am Abend vor dem Gutachtertermin eine interne Einweihungsfeier stattgefunden hatte. Auf dem hellgrauen/silbergrauen Teppichboden waren Rotwein und andere verschüttete Flüssigkeiten deutlich erkennbar.
Eine nähere Überprüfung der Nahtkanten zeigte etwa in der Mitte der Fläche, dass die Noppenreihen passgenau aneinandergefügt waren. Nach rechts und links verlaufend kam es jedoch über die 8 m langen Bahnen zu Verschiebungen von 1,5 bis 3 mm.
In Bezug auf die Rapportverschiebungen der ripsartig gradlinig verlaufenden Polschlingen hätte selbst ein Ausspannen des Teppichbodens nicht geholfen. Bei Bahnenlängen über 8 m Länge könne man nicht über die gesamte Länge eine Rapportgleichheit erzielen. Entsprechend der Kommentierung der DIN 18365 Bodenbelagarbeiten handelt es sich um einen so genannten Reißverschlusseffekt, der materialspezifisch unvermeidbar ist.
Auffällig war, dass die in Längsrichtung verlaufenden Kettfäden des gewebten Teppichbodens eine mittelgraue, teils dunkelgraue Farbe zeigten. Der Sachverständige führte an unverlegter Ware vor Ort Versuche mit ordnungsgemäßen Nahtkantenschnitten durch. Trotz eines exakt gradlinigen Schnittes mit dem Verlegewerkzeug Mittagschneider - exakt in der Gasse verlaufend - zeigten sich beim Aneinanderlegen der Teppichbodenkanten die mittelgrauen Kettfäden.
Ein Wegschneiden dieses äußeren Kettfadens war nicht möglich, weil es dann zu einem deutlichen Ausfransen der silbergrauen Polschlingen oder auch der angeschnittenen Kettfäden gekommen wäre. In der Konsequenz wurde der zuvor beschriebene Sachverhalt eindeutig als warentypische Eigenschaft eingestuft.
Ursache: Unvermeidbare warentypische Eigenschaften
Der Sachverständige hat in seinem Gutachter explizit darauf hingewiesen, dass die Beurteilung des Teppichbodens erst bei genauster Betrachtung erkennbare Nahtkantenbereiche gezeigt hat. Die Verschiebungen der Schlingenreihen im Nahtkantenbereich lagen jeweils im Millimeterbereich. Diese vorliegenden Rapportverschiebungen der aneinandergrenzenden Schlingenreihen hätten in keiner Weise das optische Gesamtbild gestört. Die in Längsrichtung zwischen den jeweiligen Schlingenreihen erkennbaren mittelgrauen Kettfäden stellen eine warentypische Eigenschaft dar und sind musterbedingt sogar gewollt.
Selbstverständlich enthielt das Gutachten auch einen Hinweis darauf, dass mit verschüttetem Kaffee und Rotwein bereits nach dem ersten Event die Teppichbodenfläche in erheblichem Ausmaße beeinträchtigt wurde. Die Auswahl eines hellen, nahezu einfarbigen silbergrauen Teppichbodens ist für Räume, in denen gegessen und getrunken wird, absolut unzweckmäßig. Neben fachgerechten regelmäßigen Grundreinigungen ist absehbar, dass bereits nach kurzen Zeitintervallen ein Austausch des Belages erforderlich wird.
Verantwortlichkeit: Planer wollte Kosten abwälzen
Bei dem in Rede stehenden VIP-Raum wollte der Bauherr die Kosten für die falsche Auswahl des Teppichbodens auf den Bodenleger abwälzen. Wie sich im Nachhinein herausstellte, war ein neuer Teppichboden in deutlich dunklerer und zudem auch noch gemusterter Farbgebung bereits bestellt. Diesen neuen Belag durfte der Bodenleger noch vor dem nächsten Formel 1-Rennen gegen erneute Bezahlung neu verlegen.
Vorgenannter Sachverhalt zeigt, dass häufig von Seiten der Planer oder Bauherrn versucht wird, Fehlplanungen auf den Handwerker abzuwälzen. Auf diese Weise will man planerische Defizite kompensieren, was in diesem Fall nicht gelang.
Der Autor: Helmut Becker ist öbv. Sachverständiger für das Estrich- und Parkettlegerhandwerk sowie für das Bodenlegergewerbe.IFF-Fußboden-Gutachter
Helmut Becker
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FussbodenTechnik 05/08
(Handwerk)