Thomas Brendel, Chemotechnik Abstatt, Vortrag beim ZVPF-Sachverständigenseminar

Was bedeutet die Umstellung von CEM I auf CEM II Zemente?

Der "reine" Portlandzement CEM I, wie er für die Herstellung von Zementestrichen bislang bevorzugt eingesetzt wurde, soll nach dem Willen der Zementindustrie künftig nicht mehr als Sackware angeboten werden. Die mit der Umsetzung umweltpolitischer Ziele begründete Umstellung auf CEM II-Zemente bewirkt Veränderungen der Estrichtechnik. Der kurzfristig in das Tagungsprogramm der Parkett-Sachverständigentagung aufgenommene Vortrag von Thomas Brendel, Chemotechnik Abstatt, beleuchtete die Zusammenhänge und gab einen Einblick in die Bedeutung der Zementumstellung für die Herstellung von Unterlagsestrichen.

CEM II-Zemente unterscheiden sich von reinen Portlandzementen CEM I durch einen verringerten Anteil an reaktivem Portlandzementklinker. Bei CEM II-Zementen handelt es sich um Mischungen aus reaktivem Portlandzementklinker und weiteren Hauptbestandteilen. Diese können reaktionsfähig (latent hydraulisch) oder aber inert (nicht reaktiv) sein. Im Gegensatz zum Gesteinsmehl, das als inerter Füllstoff praktisch nur zur Regulierung der Festigkeit und als Verarbeitungshilfe dient, tragen latent hydraulische Bestandteile, wie Hüttensande, Flugaschen und Puzzolane, durch Nacherhärtung zur Festigkeitsbildung bei, wenn über einen ausreichenden Zeitraum genügend Feuchtigkeit zur Verfügung steht.

Während CEM I-Zemente einen Klinkeranteil von mind. 95 % aufweisen, dürfen CEM II/A-Zementen bis 20 % "Füllstoffe" enthalten, CEM II/B-Qualitäten bis 35 %. Neben weiteren Normzementen (CEM III, IV und CEMV), die für die Estrichherstellung jedoch keine Rolle spielen, unterscheidet DIN EN 197 allein 19 verschiedene CEM II-Zemente.

Natürlich sind CEM-II Zemente nicht neu. Kompositzemente werden bei der Herstellung von Ingenieurbauwerken und massigen Bauteilen aus Beton bereits seit vielen Jahren erfolgreich eingesetzt, lassen sich durch die Zugabe bestimmter "Füllstoffe" doch die Eigenschaften von Zementen gezielt verändern und für besondere Betonanwendungen optimieren. Die "Optimierung" im Betonbau zielt meist in erster Linie darauf, durch langsameren Festigkeitsaufbau die Wärmeentwicklung bei der Hydratation des Zements zu reduzieren, weil allzu große Temperaturdifferenzen innerhalb des Bauteilquerschnitts und die über die Oberfläche abfließende Hydratationswärme (oberflächennahe Abkühlung) im Beton Rissbildungen auslösen können. Die verringerte Anfangsfestigkeit des Kompositzements wird durch feinere Aufmahlung des reaktiven Klinkers und durch Nacherhärtung der latent hydraulischen Füllstoffe später kompensiert.

Beton ist nicht Estrich

Auch wenn dies von der Zementindustrie gerne so argumentiert wird, ist eine Übertragung der im Betonbau gesammelten, überwiegend guten Erfahrungen auf die Estrichtechnologie im Maßstab 1:1 nicht ohne weiteres möglich.

Nur auf den ersten Blick erscheinen Beton und Estrich identisch, sind doch die Ausgangsstoffe Zement, Zuschlag, Wasser und Zusatzmittel dieselben. Im Hinblick auf die Zielsetzung und die Art der Herstellung könnten Beton und Estrich aber kaum unterschiedlicher sein: je nach Anforderung optimal zusammengesetzt und streng überwacht, wird Beton auf der Baustelle immer vollständig verdichtet und optimal nachbehandelt.

In der Schalung oder unter Folienabdeckungen wird Beton sofort und bis zur ausreichenden Erhärtung wirkungsvoll vor Austrocknung geschützt. Aber auch danach trocknen Betonbauteile aufgrund ihres sehr dichten Gefüges extrem langsam und in der Praxis häufig kaum vollständig aus. Den im Zement enthaltenen, latent hydraulischen Bestandteilen steht das für die Nacherhärtung notwendige Wasser also lange genug zur Verfügung. Hüttensand, Flugasche und Puzzolane können so einen effektiven Beitrag zur Festigkeitsbildung leisten.

Estriche sind filigraner

Bei schwimmenden Estrichen ist das völlig anders: Hier handelt es sich um filigrane Flächenbauteile, die extrem dünnschichtig verlegt werden. Estriche weisen im Verhältnis zu ihrem Volumen eine irrsinnig große Oberfläche auf, über die rasch große Mengen Wasser verdunstet werden können. Im Gegensatz zum dichten Betongefüge liegt bei Estrichen je nach Mischungszusammensetzung, Konsistenz und Verlegetechnik immer ein mehr oder minder poröser Gefügequerschnitt vor, der naturgemäß auch viel schneller austrocknet. Deshalb, aber auch aufgrund ihrer geringen Dicke trocknen Estriche also ungleich schneller und vollständiger, als jeder Beton. Um die vorgesehenen Oberbeläge möglichst bald aufbringen zu können, ist dies bei Estrichen auch so gewünscht.

Natürlich ist ein wirksamer Schutz vor Austrocknung, wie beim Beton, durch sofortiges Abdecken mit Folien, bei Estrichen, die nur wenige Zentimeter dünn auf weicher Dämmschicht verlegt werden, kaum möglich. Unabhängig davon, dass die frisch verlegten Estrichflächen in der frühen Erhärtungsphase nicht begehbar sind, ist eine solche Nachbehandlung bei schwimmenden Estrichen grundsätzlich auch nicht sinnvoll, weil dies stärkere Verformungen der Rand- und Fugenbereiche provoziert.

Ohne effizienten Verdunstungsschutz beginnt der frisch verlegte Estrich deshalb praktisch bereits von der ersten Stunde an, auszutrocknen. Dass die latent hydraulische Bestandteile des Zements unter solchen "Trocknungsbedingungen" den gewünschten Beitrag zur Festigkeitsbildung tatsächlich leisten, kann in der Baustellenpraxis also nicht ernsthaft erwartet werden.

Hüttensand und Co "schauen" hier nur gelangweilt zu, wie sich das dringend benötigte Wasser aus dem Querschnitt verflüchtigt. Laboruntersuchungen und scheinbar gute Prüfergebnisse helfen da kaum weiter, werden Laborwerte doch unter Normbedingungen generiert, die vollständige Verdichtung und optimale Nachbehandlung zur Vorgabe haben. Mit baupraktischer Estrichtechnik hat das nichts zu tun.

Als Hersteller des Baustellenmörtels gehen Qualitätseinbußen und Schäden allein zu Lasten des Estrichlegers, auch wenn er in gewohnter Manier auf der Baustelle vermeintlich alles richtig gemacht hat und vielleicht nur die veränderten Eigenschaften des ihm gelieferten Kompositzements nicht rechtzeitig bemerkte. Mangelnde Oberflächenfestigkeiten durch Verdursten der oberen Estrichrandzone sind dabei meist noch reparabel. Müssen Estriche aufgrund nicht erreichter Festigkeitsanforderungen im großen Stil ausgebaut und erneuert werden, steht jedoch schnell die Existenz des Estrichlegers auf dem Spiel.

Estrichleger muss kontrollieren

Mehr denn je ist der Estrichhersteller durch die Umstellung auf CEMII-Zemente aufgefordert, für seine Standard-Estrichmischungen die ihm abverlangten Erstprüfungen und eine kontinuierliche "werkseigene Produktionskontrolle" durchzuführen. Um unliebsame Überraschungen zu vermeiden, sind bei Veränderungen der Ausgangsstoffe, die Einfluss auf das erzielbare Ergebnis haben können, erneute Erstprüfungen erforderlich - im Einzelfall auch dann, wenn lediglich zu einem anderen, unbekannten Normzement gewechselt wird. Nur eine konsequente Produktionskontrolle stellt sicher, dass die geforderte Qualität auf der Baustelle erreicht und nachweisbar wird. Nur die konsequente Prüfung seines Baustellenmörtels ermöglicht es dem Estrichleger, eventuelle Qualitätsschwankungen zu bemerken und auf Veränderungen entsprechend zu reagieren.

Vor dem Hintergrund bisheriger Erfahrungen erscheint die momentane Hysterie um die Zementumstellung nicht nur überzogen, sondern in vielen Fällen unbegründet. Sicher sind für die Herstellung von Estrichen grundsätzlich auch CEM II-Zemente geeignet. Manche allerdings mehr und manche eben weniger, denn CEM II ist nicht gleich CEM II. Mit Portlandkalksteinzementen (alte Bezeichnung PKZ, heute CEMII/A-L), Ölschieferzement (PÖZ bzw. CEM II/B-T), Eisenportlandzementen (EPZ bzw. CEM II/B-S) und verschiedenen anderen "Kompositionen" liegen aus der Vergangenheit bereits gute Erfahrungen vor. Die Möglichkeiten und Eigenschaften sind aufgrund des breiten CEM II-Spektrums aber sehr vielfältig.

Zemente mit Flugascheanteilen (V) sollten bei der Herstellung von Estrichen gemieden werden, ebenso wie Mischzemente CEMII/B-M, deren Hauptbestandteile nicht näher bezeichnet sind.

Bezüglich der Feuchtemessung und Belegreife sind nach derzeitiger Einschätzung keine gravierenden Veränderungen zu erwarten. Selbstverständlich ist die Durchführung der gewerkeüblichen CM-Messung bei CEM II-Zementen in gleicher Weise möglich und richtig, wie bei Estrichen, die mit CEM I hergestellt wurden. Dass die Art des Zementes aber Einfluss nehmen kann auf die Austrocknung, wird kaum zu bestreiten sein. Inwiefern die Belegreife mit hüttensandhaltigen Zementen (CEM II/B-S) zu einem früheren oder späteren Zeitpunkt erreicht wird, als beispielsweise mit Kalksteinzementen CEM II/A-L), wird sich in der Baustellenpraxis zeigen. Wohl dem, der nicht mehr verspricht, als er letztlich halten kann. Dass bereits die ersten Wundermittel angepriesen werden, die scheinbar alle Probleme auf einmal lösen, ist für die verwirrte Situation in der Branche bezeichnend. Hier gilt es für Estrich- und Bodenleger gleichermaßen, Versprechungen kritisch zu hinterfragen, sowie Erklärungen, Prüfberichte und Kleingedrucktes genau zu prüfen.

Fazit: Auch wenn in den meisten Regionen Deutschlands entgegen den ursprünglichen Ankündigungen zurzeit nach wie vor CEM I-Zemente verfügbar sind, wird die endgültige Umstellung auf CEMII-Zemente vollzogen werden. Der Estrichleger muss sich mit dieser veränderten Situation auseinander setzen und die für seine Belange geeigneten Zemente auswählen.

Dies ist Risiko und Chance zugleich. Letztlich ist ein umfassendes Qualitätsmanagement gefragt - wie dies aufgrund der Vorgaben der DIN EN 13813 ohnehin gefordert ist. Die zur Estrich- und Parkettmesse EPM in Feuchtwangen offiziell herausgegebene, gemeinsame Erklärung des BEB (Bundesverband Estrich und Belag) und des VDZ (Verein Deutscher Zementwerke) greift eben genau diese Forderung der Norm nach einer konsequenten Durchführung der erforderlichen Erstprüfungen und einer stetigen, werkseigenen Produktionskontrolle auf. Besondere Umstände auf den Baustellen können im Einzelfall Sondermaßnahmen erforderlich machen, z. B. eine Erhöhung der Zementgehalte, verlängerte Sperrfristen oder Maßnahmen der Nachbehandlung.

Der Estrichleger ist in der Pflicht, sich der Herausforderung im veränderten Marktgeschehen zu stellen und seine Hausaufgaben zu machen, damit der Boden- und Parkettleger auch in Zukunft die Estriche bekommt, die er für seine Oberbelagsarbeiten erwarten muss und erwarten kann.

Der Autor: Thomas Brendel ist Anwendungstechniker bei Chemotechnik Abstatt.
aus FussbodenTechnik 05/08 (Handwerk)