Gashgai: König der Nomadenteppiche

Ein Teppich, der von vielen als der König unter den persischen Nomadenteppichen bezeichnet wird, muss schon von ganz besonderer Qualität sein. Dank der exzellenten Knüpfung und der unglaublichen Mustervielfalt wird der Gashgai diesem Ruf gerecht. Die Gashgai gehören zu den bedeutendsten teppichknüpfenden Nomaden des Iran. Sie leben in der südwestiranischen Fars-Region, die für ihre Vielfalt an Teppichen bekannt ist. Die Winter verbringen die Nomaden im Tiefland südlich der Provinzhauptstadt Schiraz, die Sommer im Zagrosgebirge. Die verschiedenen Stämme besiedeln ein Gebiet von etwa 500 km, das sich vom Südrand der Chahar Mahal-Provinz bis Lar am Persischen Golf erstreckt.

Musterung

Ein Großteil der Gashgai-Teppiche zeigt das geometrisch gestaltete Heibathlou-Muster, ein rautenförmiges Mittelfeld mit einem eher schlichten Medaillon, das sich in den Ecken wiederholt. Das Innenfeld ist mit ungewöhnlich vielen Ornamenten gefüllt. Gezeigt werden Sterne - wie häufig bei türkischstämmigen Volksgruppen, Kamele, Pfauen, Hunde, Bäume, Blüten, Botehs etc., mal stilisiert, dann wieder naturgetreu wiedergegeben. Aber auch Szenerien aus Persepolis, der Hauptstadt des antiken Perserreichs, werden gezeigt, beispielsweise Pferdeköpfe auf Säulen. Auffällig sind auch die vielen kleinen Füllmotive wie zum Beispiel stilisierte Glück bringende Drachen, meist als "S" zu erkennen. Die meisten Gashgais sind geradezu übersät mit Motiven. Fast alle Motive tauchen immer wieder in abgewandelter Form auf, die Varietät ist erstaunlich. Die sich häufig wiederholenden Motive sind aber praktisch nie gleich, sie unterscheiden sich erheblich in der Farbgebung.

Auch Raubkatzen kommen in allen Variationen vor, wobei Löwen besonders häufig abgebildet werden. Sie sind als Zeichen der Macht zu verstehen.

Nicht alle Muster haben ihren Ursprung in der Region, in der die Gashgai leben. Grund ist das phänomenale Gedächtnis der Knüpferinnen, die ein interessantes Motiv nur einmal sehen oder geschildert bekommen müssen, und dann einfach in den Teppich einarbeiten. Knüpfvorlagen gibt es bei den Gashgai keine. Alle Teppiche werden aus dem Gedächtnis geknüpft.

Selten ist die Anordnung der Symbole symmetrisch; wenn sie auf der einen Seite zu finden sind, fehlen sie häufig auf der anderen. Die Längssymmetrie wird oft missachtet. Die Darstellungen weisen dann immer in die selbe Richtung.

Was für die Ornamente im Innenfeld gilt, gilt auch für die Bordüren: die einzelnen Elemente wechseln sich in den unterschiedlichsten Farben ab. Typisch für Gashgai-Teppiche sind kleine Kästchenreihen direkt an den Abschlüssen der Teppiche.

Farben

Überwiegend sind Gashgais in bräunlichem, rostigen Rot oder in Orangetönen gehalten. Blau als Grundfarbe kommt ebenfalls vor. Die wichtigsten Kontrastfarben sind Grün, Weiß und Gold.

Herstellung

Bei den meisten Gashgai-Teppichen sind Kette und Schuss aus Wolle, ab und zu auch aus Ziegenhaar. Es wird ausschließlich heimische Wolle verwendet, die von eigenen Schafen stammt und selbst gesponnen und gefärbt wird. Abweichend davon verwenden die Kaschghuli, ein Gliedstamm der Gashgai, bei neuen Knüpfungen auch Baumwolle und reichern das alte Stammesdessin auch mit neuen Ideen und größerer Farbvielfalt an. Interessante Besonderheit der Gashgai-Teppiche: Die Kette besteht gern aus verschiedenen Farben, wodurch auch die Farbe der Fransen dekorativ variiert.

Die Gashgai-Frauen knüpfen mit dem türkischen Knoten mit doppeltem Schuss. Die Knüpfung ist fest, wodurch diese Teppiche meist sehr brettig und schwer sind. Besonders diese feste Qualität unterscheidet die Gashgai-Teppiche von den übrigen Nomadenteppichen der Region.

Die im Vergleich zu anderen Nomadenteppichen hohe Knüpfdichte hat einen recht kurzen Flor zur Folge, da die feinen Muster sonst verschwimmen würden.

Formate

Bei den Gashgai-Nomadenteppichen sind Saronim (ca. 110160 cm), Pardeh (ca. 170250 cm) und Ghali (ca. 200300 cm) üblich, wobei die Maße stark schwanken können. Andere Maße, wie zum Beispiel 100200 cm, 140200 cm oder Galerien sind möglich, aber deutlich seltener. Da die Knüpfstühle auf der Wanderschaft von der Größe begrenzt sind, sind größere Teppiche selten. Die sesshaften Stammesteile jedoch müssen sich nicht an bestimmte Höchstmaße halten und produzieren bei Bedarf entsprechend größere Teppiche.

Die Gashgai

Aufgrund ihrer Herkunft sprechen die Gashgai gashgaiisches türkisch, kurz: Turki, aber auch weitere Sprachen und Dialekte wie zum Beispiel Luri oder die Amtssprache Persisch (Farsi). Die Zahl der Gashgai wird auf ein bis eineinhalb Millionen Menschen geschätzt, von denen viele noch immer als Nomaden leben. In dem Stamm der Gashgai unterscheiden wir sechs Hauptstämme und unzählige Unterstämme. Die Hauptstämme sind: Kaschkuli-Bozorg, Kaschkuli-Kutschek, Schisch-Buluki, Daraschuri, Farsi Madan und Amaleh.

Woher die Gashgai ursprünglich kommen, ist von Historikern noch nicht sicher geklärt. Sehr wahrscheinlich ist jedoch, dass sie ab dem 9. Jahrhundert aus dem Steppengürtel östlich des Kaspischen Meeres nach Westasien einwanderten und dann zwischen dem 14. und 17. Jahrhundert in den Süd-Iran weiterzogen. Die Gashgai galten als kriegerisch und mächtig, über die Jahrhunderte schlossen sich ihnen einige Luren-, Kurden- und Araberstämme an. Die Einflüsse der Marschroute dieses Turkstammes sowie der beigetretenen Gruppen sind noch heute in den Teppichmotiven sichtbar.

Der Name Gashgai geht auf eine Herrscher-Familie zurück und wird "Quash-qa-i" mit langer Betonung auf dem "i" ausgesprochen. Bei der Bedeutung des Namens gibt es mehrere Erklärungen, zum Beispiel die Benennung nach einem Weideland westlich des Saweland-Massivs (Kascha Dagh) oder mit geschichtlichem Hintergrund, "die, die geflohen sind".

Handel

Auch heute noch knüpfen die meisten nomadisierenden Gashgai für den Eigengebrauch, verwenden diese Teppiche in ihren Zelten. Speziell für den Verkauf geknüpfte Gashgais sind selten, die Menge der zum Verkauf stehenden Teppiche ist entsprechend begrenzt. Die Einkäufer besuchen die Nomaden auf ihren Weidegründen und kaufen ihre gebrauchten Teppiche. Bevor sie in den Teppichgeschäften angeboten werden, müssen sie aufwendig gereinigt und bei Bedarf repariert werden. Bei diesen Teppichen erzählt also nicht nur das Muster eine Geschichte, sondern der Teppich selbst.

Was die Zahl der klassischen Gashgai-Teppiche weiter begrenzt, ist die Produktion der erfolgreichen Loribaft oder Risbaft-Gabbeh. Diese modernen Einrichtungsteppiche werden zum Großteil ebenfalls von den Gashgai geknüpft.

Fast alle Gashgai-Teppiche werden in der Provinzhauptstadt Schiraz gehandelt. Aber nicht nur Gashgai-Teppiche werden von dort in die ganze Welt verschickt, sondern auch die vieler weiterer Volksstämme, die ebenfalls in der Fars-Region leben. Dabei ist der Ursprung dieser Teppiche häufig nicht genau zu bestimmen, denn die Stämme haben sich vermischt, Techniken und Muster voneinander übernommen. Selbst Experten haben aus diesem Grund mitunter Schwierigkeiten, die genaue Herkunft zu bestimmen. Es hat sich durchgesetzt die hochwertigeren, festeren Qualitäten als Gashgai, die lockereren und gröberen Stücke als Shiraz zu handeln.

In Europa gehören die Teppiche der Gashgai zu den gefragtesten klassischen Nomadenteppichen. Nicht unerwähnt bleiben soll, dass die Gashgai ebenfalls besonders schöne Kelim weben. Gewebte oder geknüpfte Gebrauchsgegenstände, wie zum Beispiel Satteltaschen oder Wiegen gehören grade bei den Gashgai zu gesuchten Objekten.


Info

Gashgai

Andere Schreibweisen: Ghaschghai, Kaschkei, Qashqai
Aussprache: Betonung auf der letzten Silbe
Provenienz: Gashgai
Ursprungsland, Region: Iran, Provinz Fars, südwestlicher Iran
Musterduktus: Heibathlou-Muster, großes rhombenförmiges Mittelmedaillon, außergewöhnlich viele Motive geometrischer, animalischer oder pflanzlicher Herkunft sowie Füllmotive
Besonderheiten: 2-farbige Fransen, Würfelborte, Missachtung der Längssymmetrie
Knüpfdichten: 100.000 - 250.000 Knoten/qm
Weiterführende Literatur: James Opie, Nomaden und Bauernteppiche, München 1995


Yalameh, Abadeh und Nasrabad, die engen Verwandten des Gashgai

Einige Unterstämme der ursprünglichen Gashgai-Nomaden sind mittlerweile sesshaft geworden und haben eigene spezifische Musterungen entwickelt,. Dazu gehören die Yalameh, Abadeh und Nasrabad, die allesamt heute als eigene Teppichprovenienzen gelten. Dem geübten Auge fallen sehr viele Parallelen zu den Teppichen der Gashgai-Nomaden auf.

Besonders die Abadeh sind sehr leicht mit den Gashgai-Teppichen zu verwechseln. Viele Merkmale finden sich in beiden Provenienzen: das Heibathlou-Muster ist hier weit verbreitet, die Farben sind ebenfalls ähnlich. Die vielen Nebenmotive sind jedoch deutlich kleiner gehalten und nicht ganz so farbenfroh.

Beim Yalameh fällt insbesondere das Stangenmedaillon ins Auge, eine Aneinanderreihung von meist drei kleineren hakenbesetzten rautenförmigen Medaillons. Typisch für diese Provenienz sind außerdem Feldermuster, ebenfalls mit hakenbesetzten Medaillons. Bei den Farben dominieren ein warmes Rot und Blautöne.

Die Provenienz Nasrabad hat als typisches Mustermerkmal Stangenmedaillons mit ankerförmigen Ansätzen, das ebenfalls im Gashgai vorkommt. Die Kolorits sind eher ruhig und rot-, blau- und beigedominiert.
aus Carpet Magazin 01/09 (Teppiche)