Kleiner Fehler - Großer Schaden
Nadelvlies "haarte" bereits nach vierwöchiger Nutzung
Fußbodenkonstruktionen zählen zu den komplexesten und hochbelastesten Bauteilen - schon kleine Fehler können hier große Auswirkungen haben. Dabei hat jede Baustelle ihre eigenen Tücken. Oft zeigt sich erst anhand der Ursachenforschung im Schadensfall, worauf ein Fußbodenverleger alles achten muss. FussbodenTechnik deckt in Zusammenarbeit mit namhaften Sachverständigen anhand realer Schadensfälle mögliche Fehlerquellen auf. Diesmal geht es um eine Doppelbodenkonstruktion mit einem Nadelvliesbelag, der schon nach kurzer Nutzungsdauer Veränderungen der Oberfläche zeigte.
In der Zentralverwaltung eines Mineralölkonzerns in Berlin wurde Anfang 2008 in einem Großraumbüro eine Doppelbodenkonstruktion eingebaut. Diese bestand aus Calciumsulfat-Doppelbodenplatten mit einem Nadelvliesbelag. Der Verleger klebte Nadelvliesfliesen aus ausländischer Produktion (61 x 61 cm) auf die 60 x 60 cm großen Calciumsulfatplatten und beschnitt die Kanten des Belages. Der Belag war laut Technischem Datenblatt gemäß den Anforderungen der DIN EN 1470 "Textile Bodenbeläge - Einstufung von Nadelvlies-Bodenbelägen" der Nutzungsklasse 33 zugeordnet. Das entspricht einer starken gewerbliche Beanspruchung wie z.B. in Großraumbüros, Kaufhäusern, Lobbys und Schulen. Der Belag war zudem stuhlrollengeeignet, elektrostatisch und ableitfähig ausgerüstet.
Nach der Fertigstellung der Verlegearbeiten wurden in dem Großraumbüro zahlreiche Schreibtische aufgestellt. Bereits nach drei bis vier Wochen bemerkten die Nutzer eine deutliche "Haarigkeit" des Belages im Bereich der Bürostühle - aber auch in den Laufstraßen. Lange Fasern ragten aus dem Belag heraus und wurden vom Bauherrn gerügt. "Von heute auf morgen" schaffte der Bauherr Tatsachen, riss die alte Konstruktion raus und ließ die Doppelbodenplatten eines anderen Herstellers verlegen. Dem Verarbeiter schickte man die herausgenommenen ursprünglich verarbeiteten Platten zurück.
Im Rahmen der gerichtlichen Auseinandersetzung hatte der Sachverständige zu prüfen, ob die Oberflächenbeschaffenheit der ersten Doppelbodenplatten und die Fasereinbindung den zurzeit geltenden Normen und dem Stand der Technik entsprechen.
Schaden - Viele Fasern lösten sich heraus
Der Sachverständige überprüfte die ursprünglich verarbeiteten Doppelbodenplatten (ca. 850 m
2) stichprobenartig. In den Kantenbereichen fand er zahlreiche Ausfransungen und herausragende Fasern des Belages. Die Oberfläche des Belages war teilweise verschmutzt und es zeigte sich bei vielen Platten eine so genannte "Pillingbildung" (Knötchenbildung), wie man sie von Wollpullovern kennt.
Für weitergehende Prüfmaßnahmen nahm der Sachverständige neun Doppelbodenplatten mit ins Prüflabor seines Gutachterbüros. Eindeutig ließ sich feststellen: In den Randbereichen der Platten zeigten sich viele unsauber geschnittene Kanten des Nadelvliesbelages mit deutlichen Ausfransungen. Sach- und fachgerecht ausgeführt hätte der Belag kantenbündig abgeschnitten werden müssen. Nach intensivem Absaugen zeigten sich bei vielen Platten in der Oberfläche hoch stehende Fasern, die teilweise bis zu 25 mm lang herausragten.
Es war erkennbar, dass der mehrfarbig gemusterte Nadelvliesbelag (blau, grün und weiß) in erster Linie an der Oberfläche die herausragenden weißen Fasern aufwies. Die grünen und dunkelblauen Fasern standen nur vereinzelt hoch.
Ursache - Produktionstechnische Problemstellungen
In einem anerkannten Prüfinstitut wurde unverlegte Rückstellware des Nadelvliesbelages auf die Fasereinbindung untersucht - genau diese Frage hatte der Sachverständige zu klären. Zu diesem Zweck wurde an den Proben die "Bestimmung der Fasereinbindung (Haarigkeit)" mit dem Tretradgerät entsprechend der DIN EN 1963 durchgeführt. Das Gerät simuliert die Abnutzung eines Belages.
Die Proben zeigten nach 200 Touren in Längsrichtung und 200 Touren in Querrichtung mit dem Tretradgerät eine deutliche Oberflächenveränderung. Das Ergebnis lautete: Der Belag erfüllte die Normanforderungen der DIN EN 1963 nicht. Der Belag erreichte eine Note von 2,0. Erforderlich wäre eine Note 2,5 gewesen.
Verantwortlichkeit - Produkt-/Materialfehler
Wer war für die Oberflächenveränderungen des Nadelvliesbelages verantwortlich? Der verlegte Belag erfüllte produktionstechnisch nicht die Anforderungen an die"Haarigkeit" nach DIN EN 1470. Neben dem nicht normgerechten Belag gab es zusätzlich eine mangelhafte Verarbeitung: Die Zuschneidung der auf den Doppelbodenplatten verklebten Beläge erfolgte möglicherweise mit stumpfen Werkzeugen - jedenfalls nicht sach- und fachgerecht.
Bezüglich der produktionstechnischen Mängel kann der Verleger der Doppelbodenarbeiten nicht verantwortlich gemacht werden, da es nicht seinen Pflichten obliegt, den Nadelvliesbelag vorab zu überprüfen: Er kann darauf vertrauen, dass er den Angaben im technischen Datenblatt entspricht.
Etwas anderes gilt für die Kantenbeschneidung: Die Vermutung liegt nahe, dass der Verarbeiter nicht über geeignete Schneidemaschinen verfügte. Die überstehenden Kanten des aufgeklebten Nadelvliesbelages sind wahrscheinlich teilweise manuell per Hand beschnitten wurden, was keinesfalls Stand der Technik ist. Die ungenügende Fasereinbindung hat die Problemstellungen in den Randbereichen dann noch verstärkt.
Die im Bauvorhaben durchgeführten Sanierungsmaßnahmen und der Austausch der Doppelbodenplatten waren im technischen Sinne gerechtfertigt. Die Parteien streiten sich noch über die vom Bauherrn gewählte Vorgehensweise.
Der Autor: Fußboden-Gutachter Helmut Becker ist öbv. Sachverständiger für das Estrich- und Parkettlegerhandwerk sowie für Bodenbeläge.
Professor-Lübeck-Straße 8
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FussbodenTechnik 05/09
(Handwerk)