Eine kleine Geschichte des Handtuft-Teppichs
Der Siegeszug des Handtuft-Teppichs beginnt im China der 1970er-Jahre: Mao Tse Tung hatte die kaiserlichen Knüpfmanufakturen erfolgreich auf den Export eingestellt und Devisen aus diesem Geschäft flossen reichlich; 1976 waren es über 2,6 Milliarden USD. Ein politisch gewünschter positiver Nebeneffekt des Teppichexports war die Beschäftigung vieler Menschen und dass eigene Wolle für die Herstellung verwendet werden konnten.
Dennoch war der Preis für handgeknüpfte Teppiche aus Wolle mit 110 Euro/m
2 beziehungsweise 240 Euro/m
2 für einen Seidenteppich recht hoch - der politische Führer des Milliardenvolks wollte die Devisenmaschine mit einem günstigeren Produkt noch weiter ankurbeln. Zu dieser Zeit existierten in China bereits einige Handtuft-Manufakturen, die vor allem Sonderanfertigungen für das internationale Objektgeschäft herstellten - und zwar zu deutlich günstigeren Kosten, als das bei handgeknüpften Teppichen der Fall war. Und während ein Knüpfer ca. 20 Tage für einen Quadratmeter benötigte, brauchte ein Handtufter nur einen Tag für diese Fläche. Dieser immense Zeitvorteil machte sich auch beim Preis bemerkbar: Pro Quadratmeter Woll-Handtuft wurden nur noch 25 Euro verlangt - worauf besonders der amerikanische Markt geradezu euphorisch reagierte. Im Zuge dieses "Hypes" verzehnfachte sich die Zahl der chinesischen Handtuft-Manufakturen in kürzester Zeit auf über 200, die praktisch alle in der Region um Tianjin ihren Sitz hatten.
Im Gegensatz zum amerikanischen Markt, wurde der Handtuft-Teppich in Europa beinahe ignoriert: Fachhandel und Warenhäuser lehnten diese neue Teppichart als minderwertig ab, zu niveaulos schien die Qualität gegenüber den dort verbreiteten Knüpfteppichen. Ausnahmen waren in geringem Umfang Aubusson-Bettumrandungen. Als zu Beginn der 90er-Jahre moderne Designs die Teppichwelt belebten, versuchten einige Hersteller die Produktionsvorteile des Handtuftings gegenüber des Handknüpfens auszukosten: Schnelle Produktion und nahezu unbegrenzte Mustermöglichkeiten.
Doch der Erfolg in Europa blieb bis Mitte der 90er-Jahre aus einem einfach Grund aus: Die verwendete chinesische Wolle war von schlechter Qualität, die Farben waren blass, kamen nicht zur Geltung. Erst als Handtuft-Teppiche aus Acryl auf den Markt kamen, wurde diese Teppichart auch in Europa ein Verkaufsschlager. Denn dieses damals neue Material war nicht nur preiswerter als Wolle, sondern gab den Farben den nötigen Glanz. Teppiche konnten nun zu bis dato unvorstellbar günstigen Preisen angeboten werden, der Handel wurde von den Käufern geradezu überrannt.
Designs und Farben sind durch Material und Herstellungsart keine Grenzen gesetzt, doch die Importeure produzierten zu Beginn des neuen Jahrtausends viele ähnlich aussehende Produkte, das Interesse ebbte zwischenzeitlich ab - bis Arte Espina den Markt mit Farben und Designs aufmischte, die neue Maßstäbe setzten. Bekannte Designermarken sprangen auf diesen Zug auf und ließen ihrer Kreativität freien Lauf - und konnten so ansprechende Designs preisgünstig in großen Mengen verkaufen.
Hauptproduktionsländer sind mittlerweile China und Indien: Aus China kommt der Großteil der weltweiten Acryl-Handtuft-Produktion, aus Indien hingegen überwiegend Woll-Handtuft-Ware. Auch in Europa gibt es einige Manufakturen, die besonders aufwendige Stücke herstellen.
Erst der Shaggy lief dem Handtuft in den letzten Jahren den Rang ab: Langflorteppiche sind derzeit der Verkaufsschlager, denn sie treffen den Nerv dieser Zeit und als maschinengewebter Teppich und durch die Verwendung von Polypropylen ist er meist noch preiswerter in der Herstellung als ein Handtuft-Teppich. Doch mittlerweile geht der Trend auch beim Handtuft zum langen Flor und zu neuen Garnen, zu Materialmixen und aufwendigen Strukturen und zu Wollhandtuft-Kollektionen - über die Jahre wurde der Handtuft deutlich weiterentwickelt. Auch wenn in den Einstiegspreisklassen Maschinenwebteppiche eine große Bedeutung haben und sie dem Handtuft-Teppich Marktanteile abgenommen haben, ist der Handtuft-Teppich aus dem Teppichhandel nicht weg zu denken. In keiner anderen Produktgruppe können Trends so schnell und so günstig umgesetzt werden. Der kreative Handtuft-Teppich besetzt heute erfolgreich das Marktsegment zwischen maschinengewebten und handgeknüpften Teppichen.
So entsteht ein Handtuft-TeppichEs ist die Kombination aus einfacher und günstiger Herstellung und der Möglichkeit, Designs beinahe ohne handwerkliche Hürden gestalten zu können, die Handtuft-Teppiche bei Herstellern und Kunden gleichermaßen beliebt machen. Denn während beim geknüpften Teppich die Muster grundsätzlich Querreihe für Querreihe von unten nach oben eingearbeitet werden, können beim Handtuft alle Musterdetails einer Farbe oder Garnart bearbeitet werden, bevor zur Nächsten gewechselt wird, Rundungen sind ebenfalls problemlos möglich.
Die Produktion eines Handtuft-Teppichs ist im Gegensatz zu handgeknüpften Teppichen deutlich schneller und preiswerter - aber eben immer noch Handarbeit. Carpet XL zeigt, mit wie viel Aufwand die Herstellung verbunden ist und welche entscheidenden Produktionsschritte es dabei gibt:
Nachdem das Design per Hand in eine Folie gestanzt wurde, wird es durch aufgetragene Farbpartikel auf einem Grundgewebe aus Polyacryl oder Polyamid sichtbar gemacht. (Bild 1)
Entlang der "aufgemalten" Musterung werden die Florfäden mit einer Handtuft-Maschine von hinten durch das Grundgewebe geschossen. Meist wird zunächst das grobe Muster eingearbeitet. Es gibt manuelle Handtuft-Maschinen bei denen jeder Florfaden einzeln per Hand eingebracht wird, aber auch Geräte, die diesen Vorgang einige tausend Mal pro Stunde vollautomatisch erledigen. (Bild 2)
Jede Farbe und jede Garnart wird nacheinander verarbeitet. Einfach dessinierte Handtuft-Teppiche werden innerhalb eines Tags komplett hergestellt, für aufwendigere Dessins wird etwas mehr Zeit benötigt.
Da die Florfäden nur lose im Grundgewebe stecken und leicht herausgezogen werden können, müssen sie fixiert werden. Deshalb wird der Rücken des Teppichs vollflächig, meist mit Latex, verleimt. Eine anschließende Kaschierung des Rückens mit einem Baumwollgewebe sorgt für eine saubere Optik. (Bild 3)
Der Teppich wird auf eine gleichmäßige Florhöhe geschoren. Wurde der Flor beim Eintragen aufgeschnitten, entsteht eine Veloursoberfläche, um eine Schlingenstruktur zu erhalten, wird das Florgarn nicht aufgeschnitten. (Bild 4)
Damit die Konturen des Teppichdesigns besser herauskommen, das Muster klar sichtbar ist, wird der Teppich per Hand nachgeschoren. (Bild 5)
Beim Finishing werden überstehende Florfäden abgeschnitten, Kanten gestrafft und eventuell festgenäht und der Teppich gereinigt. (Bild 6)
aus
Carpet Magazin 03/09
(Teppiche)