Fachinformation: Turkmenische Teppiche

Der Gentlemans Carpet


Nur wenige Orientteppiche lassen sich auf den ersten Blick und so einfach einer bestimmten Provenienz zuordnen wie turkmenische Teppiche: Durch die klare Struktur und Farbgebung strahlen sie eine seltene Ruhe und Harmonie aus, die ihnen den Beinamen Gentlemans Carpets gegeben haben. Kaum eine andere Volksgruppe hat sich so darauf verstanden, ihre Abstammung durch die Verwendung eines bestimmten Primärmotivs, dem Göl, so deutlich auf Teppichen und unter Umständen vielen anderen Gebrauchsgegenständen zu hinterlassen wie die Turkmenen.

Seit vielen Jahren werden turkmenische Teppiche im Handel unter Namen wie Bokhara und Khiwa angeboten. Hierbei handelte es sich um Haupthandelsplätze dieser Teppiche, eine genaue Herkunftsbestimmung ist so allerdings nicht möglich. Treffender ist eine Einteilung nach Stämmen: Tekke, Jomut, Ersari, Salor und Tschaudor gehören zu den bedeutendsten Stämmen. Neben Teppichen wurden auch viele Gegenstände für den täglichen Gebrauch geknüpft. Zu beachten ist, dass ab den 1920er-Jahren staatliche Manufakturen Turkmenistan wurde 1924 Republik der UdSSR im großen Stil in die Teppichproduktion einstiegen. Ihre Erzeugnisse waren an die Abnehmermärkte angepasst.

Musterung

Von besonderer Bedeutung ist der Hauptteppich, er ist für die Turkmenen ein kultisches Objekt, während die übrigen Knüpferzeugnisse verschiedene Funktionen und Bedeutungen besitzen. Von welchem Stamm ein solcher Teppich geknüpft wurde, lässt sich am ehesten über das sich ständig wiederholende Hauptornament, das Göl, herausfinden - denn jeder Stamm verfügte über sein eigenes spezifisches Ornament. Grundsätzlich unterscheiden sich die Göls durch die äußere geometrische Gestaltung und ihre Musterung. Außen sind sie je nach Stamm kreisförmig, achteckig oder in der Horizontalen gestreckt, ihre ebenfalls stammestypischen Muster zeigen vor allem - meist stark stilisierte - Vogel- oder Blumendarstellungen.

Die Göls waren Zeichen der Selbstständigkeit und des Stolzes eines Stammes. Wurde ein Stamm von einem anderen Stamm besiegt und musste sich unterwerfen, so durfte der Unterworfene sein Göl nicht mehr in die Teppiche einarbeiten sondern musste das Göl des Siegers verwenden. Im Laufe der letzten Jahrhunderte gab es einige Stammeskriege, durch die sich die Verwendung der Ornamente geändert hat. Das Stammes-Göl wurde jedoch in anderen Knüpferzeugnissen weiterverwendet, wie zum Beispiel den Tschowals, die als Transport- und Zelttasche als Alltagsgegenstand eingesetzt wurden. Allerdings recht sparsam, um den siegreichen Stamm nicht zu verärgern. Das Göl, das Primärornament der Hauptteppiche, ist also ein Stammeszeichen, das Sekundärornament, das Gül (zu Deutsch Blume), ist mehr ein Muster.

Im Innenfeld des Teppichs werden zwischen den Primärornamenten (Göls) in versetzten Reihen Sekundärmotive (Gül) eingesetzt. In den Bordüren werden meist noch kleinere Motive dargestellt, die allerlei Schutzfunktionen wie Amulette besitzen. Sekundärornamente könnten in der Vergangenheit als Primärornamente fungiert haben, die dadurch auf die Herkunft aus einem bestimmten Stamm deuten.

Farben

Die vorherrschende Farbe des Fonds ist Rot - und zwar in allen erdenklichen Schattierungen. Als weitere Farben wurden unter anderem verschiedene Blautöne, Dunkelgrün, Weiß, Elfenbein, Gelb und Braun verwendet. Jeder Stamm verarbeitete bestimmte Farbtöne, die sich im Laufe der Stammesgeschichte jedoch auch ändern konnten, da beispielsweise die Farb- und Beizstoffe je nach Region verschieden waren und dadurch verschiedene Rottöne ergaben. Die Konturen der Ornamente wurden nur bei den Jomut im weitesten Sinne farbig abgesetzt, wodurch ihre Teppiche farbenfroher wirken. Alle anderen Stämme gestalteten die Konturen allein durch die Verwendung brauner ungefärbter Wolle.

Herstellung

Die meisten turkmenischen Teppiche wurden überwiegend mit einem asymmetrischen Knoten geknüpft, symmetrische Knoten, so genannte türkische Knoten spielen eine untergeordnete Rolle. Für die häufig zweifach rechtsgezwirnte Kette und den Schuss wurde ungefärbte Wolle oder Ziegenhaar verwendet, Seide nur sehr selten. Geknüpft wurde mit feiner, glänzender Wolle, der Flor wurde kurz bis mittellang gehalten.

Die Stämme

Muster, Farben und Herstellungsart der einzelnen Stämme unterscheiden sich zum Teil deutlich voneinander. Es waren vor allem die Tekke, Jomut und Ersari, die über eine längere Zeit an der Macht waren, weshalb noch eine recht große Anzahl ihrer Teppiche existiert. Weitere Hauptstämme waren die Saloren, Saryken, Tschoudoren und Göklan mit zum Teil zahlreichen Unterstämmen. Carpet XL stellt die wichtigsten Merkmale der Teppiche der Stämme Tekke und Jomut aus dem 19./20. Jahrhundert vor.

Tekke

Als feinste turkmenische Teppiche gelten die der Tekke. Dieser Stamm hat seinen Ursprung in einem Gebiet, das sich im Süden Turkmenistans über einige tausend Kilometer von West nach Ost in der Nähe der Grenzen zum Iran und Afghanistan befindet. Als Grundfarbe wurden die Rottöne Braunrot, Ochsenblutrot und violettes Dunkelrot und deren Abstufungen verwendet. Die Tekke-Göls im Mittelfeld sind durch feine dunkle Linien miteinander verbunden, dazwischen stehen die Güls: kleine, horizontale gestreckte Balkensterne, meist Tschemtsche- und Ghurbake-Güls. Die Muster sind in Weiß, Elfenbein, Dunkelblau, Rot, Gelb und Grün gehalten. Er wurde überwiegend in den Größen zwischen 120x100cm und 350 x 230 cm geknüpft. Die feine Kette besteht meist aus zweifach gezwirnter Wolle in Elfenbeinfarbe, der Schussfaden ist äußerst dünn und hell- bis dunkelbraun. Geknüpft wurde der asymmetrische rechts offene Knoten. Die Seitenkanten befestigen die Tekke durch Umwicklung von zwei bis vier Kettfäden mit dunkelblauer Wolle.

Jomut (auch Jomud, Yamut)

Das Verbreitungsgebiet der Jomuten liegt am südlichen Rand des Kaspischen Meeres und zieht sich über den Westrand der Karakorumwüste bis hin zur nördlichen Grenze Kasachstans. Sie verwendeten meist Kastanienbraun bis Violettbraun als Grundfarbe und zeigen Dyrnak-Göl in versetzter Reihung. Die Bordüre ist schmal und elfenbeingrundig, häufig ist dort eine Wellenranke mit eingerollten Blättern eingearbeitet. Qualitativ liegen die Teppiche der Jomut zwischen Tekke und Ersari und sie sind nicht so eng wie Tekke geknüpft. Besonders auffällig ist der Abschluss durch eine Gördes-Knotenreihe - bei ansonsten weit verbreiteter Verwendung des asymmetrischen Knotens. Schuss- und Kettfäden sind in mittlerer Stärke, die Kette ist meist weiß bis grau.

Turkmenische geknüpfte Gebrauchsgegenstände

Geknüpfte Gebrauchsgegenstände spielen bei allen Nomadenvölkern eine große Rolle. Bei den Turkmenen jedoch ist die Vielzahl der im Alltag verwendeten Knüpfobjekte im Vergleich zu anderen Völkern besonders groß. So wurde Gepäck im Churdijun aufbewahrt, einer kleinen Tasche, die hinter dem Sattel befestigt wurde. Kaps, Torbas und Tschowals sind Teppichsäcke verschiedener Größe, die innen an den Zeltstangen hängen und in denen Geräte, Vorräte und Kleidung untergebracht waren.

Kapunuk dienten als innerer Zelteingangsschmuck, Tainaktscha sind Pferdedecken, die bei Feierlichkeiten und Wettkämpfen zur Schau getragen wurden. Besonders feine Knüpfarbeiten wurden bei Hochzeiten verwendet. Die Sänfte der Braut, deren Leitkamel die Hochzeitskarawane anführte, wurde mit einem Khalyk geschmückt, dessen Quasten die vordere Seite der Sänfte zudeckte. Die Braut brachte viele verschiedene Teppiche mit in die Ehe, wie zum Beispiel den Germetsch, der im Zelteingang lag und den Odjaschakbaschi, der als Sitzgelegenheit um den Herd oder die Feuerstelle diente. Als Vorhang für den Zelteingang wurden so genannte Engsi oder Ensi verwendet. Sie unterscheiden sich von Stamm zu Stamm, meist enthalten sie Kreuz-Zeichnungen.

Geschichte und Handel

Bis Mitte des 19. Jahrhunderts haben die Turkmenen überwiegend als Nomaden gelebt und Tiere gezüchtet. Durch sie verfügten sie über Nahrungsmittel und konnten die Wolle für Knüpfprodukte verwenden oder sie bei Tauschgeschäften als "Währung" einsetzen. Wie die meisten Nomadenvölker waren auch die turkmenischen Stämme sehr kriegerisch, meist ging es bei den Kämpfen in dieser sehr trockenen Region mit wenig Steppenfläche um die Eroberung von Wasserstellen und Weidegründen. Turkmenen, Usbeken, Sarten, Tadschiken, Araber, Tartaren und Kasakhen wanderten im Laufe der Jahrhunderte ein, eroberten Stämme, vermischten sich mit ihnen und/oder zogen weiter. Klare Landesgrenzen gab es erst, als Russland 1924 die Turkmenische Republik in sein Reich übernahm und die Nomaden - häufig gegen ihren Willen - sesshaft wurden.

Unter russischer Herrschaft änderte sich der Handel mit turkmenischen Teppichen grundlegend: Es wurden kaum mehr Teppiche von den einzelnen Stämmen für den Eigenbedarf geknüpft, sondern Massenware in staatlichen Manufakturen. Die stammestypischen Muster wurden vermischt, es wurde hergestellt, was der Markt forderte. Seit dieser Zeit ist die Hauptstadt Aschkabath wichtigstes turkmenisches Teppichproduktionszentrum. Zuvor lief der Handel über die Städte Bokkara, Chiva und Beschir.

Mit dem Ende der Sowjetunion wurde Turkmenistan 1991 ein eigenständiger Staat und bis 2006 vom ehemaligen Vorsitzenden der Kommunistischen Partei, Saparmyrat Nyyazow, beherrscht. Unter dem neuen Präsidenten Gurbanguly Berdimuhamedow löst sich Turkmenistan langsam aus seiner Isolation und wird von der Weltgemeinschaft hofiert: Das Land verfügt nicht nur über das zweitgrößte Gasvorkommen der Welt, sondern wäre auch einer der wichtigsten Gas-Zulieferer für die geplante Nabukov-Pipeline. Mit den Erlösen aus dem Verkauf des Gases wird in Infrastruktur, den Aufbau einer Touristenzone und in die Textilindustrie investiert. Den Stellenwert der Teppichindustrie zeigt das Land zurzeit mit dem Bau eines 11-stöckigen Teppichministeriums.


Turkmenische Teppiche

Andere Bezeichnungen: Bokhara, Buchara, Turkeman
Ursprungsland, Region: Turkmenistan, nördlicher Iran, nördliches Afghanistan
Wichtige Stämme: Tekke, Jomut, Ersari, Salor, Tschaudor
Musterduktus: Streng geometrisch, allovergemustert; das stammestypische Göl ist das Primärornament
Farbgebung: Rot, Rotbraun, Rotviolett in sehr vielen Schattierungen, Musterdetails in Elfenbein, Dunkelblau, Grün
Besonderheiten: Turkmenen knüpfen häufig Gebrauchsgegenstände. Die Teppiche der Turkmenen sind die optische Inspiration für "Buchara" genannte Nachknüpfungen.
Knüpfdichten: 200.000 - 400.000 Knoten/qm
Weiterführende Literatur: Siawosch Azadi: Turkmenische Teppiche und die ethnographische Bedeutung ihrer Ornamente, Hamburg 1975; Valentina G. Moshkowa: Die Teppiche der Völker Mittelasiens im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, Verlag Reinhold Schletzer, 1998; Ulrich Schürmann mit H. C. König: Zentral-Asiatische Teppiche, Frankfurt 1969
aus Carpet Magazin 04/09 (Teppiche)