Sind Sie ein Orientteppich-Kenner?

Eine kleine Orient-Warenkunde

Es ist zwar schön, wenn man auf die Frage "Sind Sie ein Orientteppich-Kenner ?" mit "Ja" antworten kann. Doch alles kann niemand wissen. Vieles muss auch der versierte Fachmann nachschlagen. Mit unserer Orient-Warenkunde in diesem Heft möchten wir Ihnen Fachwissen auf eine unterhaltsame Weise vermitteln.

Ghoum - Für Seidenteppiche berühmte Teppichprovenienz

Wenn es eine persische Provenienz gibt, die vor allem für seine außergewöhnlich hochwertigen Seidenteppiche berühmt ist, dann ist das Ghoum. Die Teppiche der iranischen Stadt Ghoum (andere Schreibweisen: Ghom, Qum, Qom), 150 km südlich der Hauptstadt Teheran gelegen, gehören zu den wertvollsten, die heute im Iran geknüpft werden. Dabei begann man mit dem Knüpfen erst vor circa 80 Jahren in dieser für den iranischen Klerus wichtigen Stadt.

Auch wenn es aufgrund der erst sehr späten Entwicklung hin zu einer bedeutenden Teppichproduktionsstätte keine echte Knüpf- und Mustertradition gibt, sind Seiden-Ghoums schnell als solche zu erkennen. Ghoum-Teppiche haben einen sehr fleischigen Griff. Vor allem im Vergleich mit indischen Nachknüpfungen fällt der großzügige Einsatz von Seide auf. Das treibt die Preise dieser Teppiche natürlich sehr in die Höhe, macht sie aber auch bedeutend widerstandsfähiger.

Es werden viele Allover-Muster geknüpft, florale Medaillonmuster sind aber ebenfalls beliebt. Ein hervorzuhebendes Muster gibt es aber doch: Das beliebte Garten-Dessin ziert überdurchschnittlich viele Stücke und ist somit auch Synonym für hochwertige Seidenteppiche geworden. Im indischen Teil von Kaschmir werden nicht zuletzt deshalb sehr viele Seidenteppiche mit diesem Muster gefertigt.

Nicht verschwiegen werden soll eine Produktion an Ghoum-Teppichen, die in Wolle auf Baumwolle geknüpft wird, auch wenn diese bei Weitem nicht die Bekanntheit ihrer seidenen Gegenstücke haben.

Vlies - Bei der Schur gewonnenes Schafsfell

Als erstes Vorprodukt in der Wollerzeugung wird bei der Schafschur das Vlies gewonnen. Dieses zusammenhängende Wollkleid des Schafes wird im nächsten Arbeitsschritt zerteilt und sortiert. Jedes Vlies liefert unterschiedliche Wollqualitäten. Als Faustregel lässt sich sagen, dass die Wolle die beste ist, die am Schaf am weitesten vom Boden entfernt ist. Das hat aber weniger mit eventuellen Verunreinigungen durch Bodenkontakt zu tun, als viel mehr mit der Beschaffenheit der Wollfasern an den verschiedenen Körperregionen (Stapellänge, Feinheit, Kräuselung, etc.). Die hochwertigste Wolle kommt also vom Rücken des Schafes, gefolgt von den oberen Seiten. Die unteren Seiten und Schenkel liefern mittlere Qualitätsstufen. Die Wolle von Bauch und Beinen ist minderwertig.
Weitere Qualitätskriterien sind die Schafrasse, das Klima, in dem die Schafe aufgewachsen sind und der gesundheitliche Zustand der Tiere.

Khersak - Gabbeh-artiger Bachtiarteppich

Ein äußerst farbenfroher Verwandter des ursprünglichen Gabbeh ist der Khersak. Die wörtliche Übersetzung mit "kleiner Bär" beschreibt die Oberfläche sehr treffend. Dieser von den Bachtiari geknüpfte Teppich hat einen zottelig langen Flor. Die Bachtiari sind ein bedeutender und mächtiger Volksstamm des Iran. Sie bewohnen ein großes Gebiet, das sich nördlich und südlich des Chahar Mahal-Tals erstreckt, das westlich der Stadt Isfahan liegt.

Im Gegensatz zu seinem Gabbeh-Konterpart aus Südpersien hat der Khersak ein Grundgewebe aus reiner Baumwolle oder zumindest aus Baumwolle und Wolle gemischt. Nach jeder Knotenreihe werden drei bis vier dicke Schussfäden eingetragen. Die Teppiche sind sehr locker gearbeitet und sind schon deshalb leicht von den heute so beliebten Einrichtungs-Gabbeh zu unterscheiden.

Was die Khersak außerdem bemerkenswert macht, ist die Tatsache, dass sie auch von nomadisch lebenden Bachtiari gefertigt werden. Knüpfteppiche von Bachtiar-Nomaden sind äußerst selten, sie stellen vor allem flachgewebte Gebrauchstextilien her. Die bekannten Bachtiarteppiche mit ihren sanften Gelb- und Grüntönen werden praktisch ausschließlich von den sesshaft lebenden Bachtiari des Chahar Mahal Tals geknüpft. Heute ziehen fast keine Bachtiari mehr als Nomaden durch ihr Gebiet, eine gewisse Anzahl lebt aber zumindest noch halb-nomadisch.

Kettbaum - Oberes Querholz im Knüpfstuhl

Das Grundgewebe eines Teppichs wird von Kette (in Längsrichtung) und Schuss (in Querrichtung) gebildet. Im einfachen vertikalen Knüpfstuhl wird die Kette vom oberen Querholz gehalten. Die Halterung für die gespannten Kettfäden ist der Kettbaum. Der Nachteil eines so einfachen Knüpfstuhls ist, dass der Knüpfer seinen Arbeitsplatz parallel zum fertiggestellten Teil des Teppichs permanent höher legen muss.

Weiterentwickelte Knüpfstühle umgehen dieses Problem. Damit man mit ihnen immer in bequemer Brusthöhe gearbeitet kann, sind die Aufhängungen für die Kettfäden beweglich. Das untere Querholz ist so konstruiert, dass es den schon geknüpften Teil des Teppichs aufnehmen kann. Man nennt das untere Querholz deshalb auch Warenbaum. Der Kettbaum muss beweglich am oberen Querholz des Knüpfstuhls befestigt sein: Je mehr Teppich auf den Warenbaum gerollt wird, desto tiefer muss der Kettbaum gestellt werden, damit der zu knüpfende Bereich immer in derselben Höhe liegt.

Bei den einfachen horizontalen Knüpfstühlen der Nomaden gibt es keine beweglichen Kettbäume. In der Erde befestigte Pflöcke halten beide Querhölzer. Die Knüpferin (bei den Nomaden knüpfen ausschließlich Frauen) arbeitet in der Hocke und wandert Knotenreihe für Knotenreihe auf dem schon fertiggestellten Teil des Teppichs mit.
aus Carpet Magazin 04/10 (Teppiche)