Fachinformation

Belutsch-Teppiche: Dunkle Schönheiten


In der Teppichbranche haben Belutsch-Teppiche einen zwiespältigen Ruf: Sie seien grob und düster und die Wolle schlecht. Anderseits wird diese Ware durch seinen niedrigen Preis auch als "Türöffner" im Handel geschätzt, über den viele Kunden in die Geschäfte gelockt würden. Kenner und Sammler bewundern den Belutsch-Teppich mit seiner subtilen Schönheit und Handwerkskunst.

Im Gegensatz zu vielen anderen Provenienzen kommen Belutsch-Teppiche nicht aus einem überschaubaren Gebiet, sondern aus einem sehr großen Bereich, der Teile des Irans, Afghanistans und Pakistans einschließt. Das sorgt für Verwirrung, denn Belutsch werden nicht nur in Belutschistan, also einem überwiegend in Pakistan gelegenen Landstrich geknüpft. Genau genommen, stammen sehr wenige Teppiche aus diesem Gebiet. Wenn in dieser Fachinformation die Rede von Belutsch-Teppichen ist, sind - sofern nichts gegenteiliges vermerkt ist - Teppiche aller Regionen gemeint und nicht nur die aus Belutschistan. Bekannte, in der Belutsch-Tradition knüpfende Stämme, sind Brahui, Timuri, Djamschidi, Barbari, Kurd- und Arab-Stämme in Khorassan.

Das Leben der Belutschen

Das Wort Belutsch heißt auf persisch unter anderem so viel wie Nomade, Wanderhirte und auch heute noch lebt der überwiegende Teil der Belutsch nomadisch oder halbnomadisch. Ihr ursprüngliches Leben ist geprägt von der Viehzucht in einem extrem heißen und niederschlagsarmen Klima mit kahlen Gebirgen, Steppen und Wüsten. Doch auch die Belutsch tauschen immer mehr ihr entbehrungsreiches Nomadenleben gegen ein ruhigeres Leben in einer festen Behausung in Dörfern.

Geschichtlicher Hintergrund

Über Ursprung und Herkunft der Belutsch werden widersprüchliche Angaben gemacht: Die einen sehen einen arabischen Ursprung, andere einen indischen oder türkischen Ursprung; Einflüsse aller Bereiche lassen sich nicht von der Hand weisen. Belutschen sind jedoch ein iranischer Volksstamm und haben mit Arabern, Indern und Türken nichts gemein beziehungsweise keine Herkunftsverbindung.

Sprachforscher haben herausgefunden, dass die nun in Belutschistan beheimateten Belutsch-Nomaden, die ein iranisch sprechender Volksstamm sind, ursprünglich aus dem Iran, genauer: südlich des kaspischen Meeres aus der Nähe von Gilan, nach Süden (Kerman) kamen (wohl um 531-578). Seit Ende des 9. Jahrhunderts kam es immer wieder zu Angriffen anderer Stämme, denen die Belutsch zu Beginn des 11. Jahrhunderts nicht mehr standhalten konnten. Daraufhin zogen sie weiter nach Sistan an der heutigen Grenze zu Afghanistan, nach Khorassan sowie Pakistan und zuletzt in das heute Belutschistan genannte Gebiet.

Im Zuge ihrer Wanderungen, haben sich die Belutsch in immer mehr Stämme und Sippen aufgeteilt, um sich später wieder in Teilen zusammenzuschließen, sie haben sich bekämpft, immer die Freiheit ihrer Sippen und Unterstämmen verteidigt und sich nie größeren politischen Organisationen angeschlossen. Heute sind einige hundert Sippen und Stämme bekannt, die mehr oder weniger den Belutsch zuzuordnen sind.

Produktion und Formate

Allen Stämmen gemein ist, dass sie - etwa bis ins Jahr 1950 - ausschließlich für den Eigenbedarf produziert haben. Besonders schöne Stücke wurden von jungen Frauen mit viel Liebe für ihre Aussteuer geknüpft. Durch ihr Nomadenleben bedingt, das nur den Transport kleinerer Knüpfstühle ermöglichte, waren die Knüpf- und Weberzeugnisse überwiegend kleinformatig. So kommen kleine Zelt-Kissen (Balesch) mit Maßen von 65cm - 75cmx120cm - 130cm am häufigsten vor. Mengenmäßig schließen sich Gebetsteppiche (Dja-Namaz) im Format 57cm - 110cmx90cm - 160cm an, gefolgt von Gebrauchstextilien: Aufbewahrungstaschen, Salztaschen, Satteltaschen, etc. Aus Belutschistan (Pakistan) kommen vor allem Flachgewebe, die meisten Flachgewebe kommen jedoch aus Khorassan und aus West-Afghanistan. Da die Belutsch in Stangenzelten und nicht in Jurten leben, werden von ihnen auch keine Zeltbänder, Zelttüreinfassungen und Zelttürteppiche hergestellt.

Die besseren Teppiche der Belutsch besitzen häufig liebevoll gestalteten Kelim-Abschlüsse. Sie sind 5cm - 20cm lang.

Knüpfung / Webtechnik

Gearbeitet wird am Horizontalknüpfstuhl, auf den ein zweifach verzwirnter elfenbeinfarbener Woll-Kettfaden gespannt wird. Der Knoten ist bei den meisten Stämmen asymmetrisch, die Nomaden aus dem nördlichen Khorassan- und Teile aus dem Sistan-Gebiet (hauptsächlich aus den Kurden assimiliert) knüpften jedoch mit symmetrischen Knoten. Für die Schüsse wurde dunkel- bis schwarzbraune Wolle oder hellbraune bis braune Wolle verwendet. Die Seitenabschlüsse sind meist 0,5cm bis 2cm breit und bestehen aus zwei bis vier mit dunkelbraunen bis schwarzbraunem Ziegenhaar umwickelten dicken Kettfäden.

Insbesondere die Belutsch aus Belutschistan und die Timuri (Afghanistan) produzieren noch Flachwebteppiche; sie verwenden hierbei die Kelim-, Flottantkelim- sowie die Soumakhtechnik, häufig sogar kombiniert in einem Webteppich.

Farben

Belutsch-Teppiche sind für ihr dunkles Kolorit bekannt. Viele der feinen und subtilen Farbnuancen zeigen sich erst in hellem Sonnenlicht. Gefärbt wird mit Naturfarben, es werden in der Regel Dunkelrot, Indigoblau, Schwarz und dunkle Brauntöne verwendet, vor allem in den Bordüren auch sporadisch Elfenbein. Selten und gefragt sind Teppiche mit beigefarbenem Kamelhaargrund. Ab Mitte des 20. Jahrhunderts wurden von vielen Belutsch-Stämmen für die Kommerzware Synthetikfarben eingesetzt.

Dass dunklere Farben so beliebt sind, hat übrigens einen praktischen Hintergrund: Sie reflektieren weniger Licht und lassen die Augen etwas entspannen, wenn auf den Teppichen Platz genommen wird.

Motive / Ornamente

Gebetsteppich-Dessins kommen sehr häufig vor. Viele davon werden von einem Lebensbaum-Muster geziert, einige zeigen Moscheen und religiöse / heilige Stätten. Generell überwiegen geometrische Motive, die entweder einzeln oder im Wechsel mit anderen Motiven immer wiederkehren. Häufig werden besonders im Mittelfeld folgende Ornamente als geordnetes Allover-Muster verwendet:

Das Naksche Barge Bidi, das Weidenblätter darstellt und besonders in Gebetsteppichen mit Lebensbaum-Motiv auf einem kamelhaarfarbigen Grund vorkommt.
Das Naksche Keschmiri, das eine Variante des Herati-Musters darstellt und vor allem in alten Belutsch-Teppichen vorkommt.
Das Naksche Gole Schafttalu, oder Nektarinenblütenmuster, das in verschiedenen Regionen in verschieden Variationen vorkommt, vor allem aber im Norden Khorassans. Es ist auch unter dem Namen Do Gole bekannt, zwei Blüten.

Lange Zeit wurden Belutsch-Teppiche wegen der Vielzahl göl-artiger Motive für eine Unterart turkmenischer Teppiche gehalten. Durch Kriegszüge, aber auch durch ihre Wanderungen, kamen die in Belutsch-Tradition knüpfenden Stämme besonders im nördlichen Verbreitungsgebiet immer wieder mit den Turkmenen in Berührung. So ist es nicht verwunderlich, dass die Belutsch einige prägnante turkmenische Stammesgöls übernahmen. Diese verwendeten sie im Laufe der letzten Jahrhunderte entweder detailgenau oder veränderten sie nach ihrem Gutdünken.

Die Stämme

Am Beispiel einiger Stämme lässt sich die Vielfältigkeit der Belutsch und der in Belutsch-Tradition knüpfenden Stämme am besten zeigen (alphabetisch und nicht nach Bedeutung sortiert):

Arabi: In Khorassan und in Afghanistan bilden die im 7. Jahrhundert islamierten Araber eine Minderheit. Sie stellen vor allem Flachgewebe für den Alltagsgebrauch her und verwenden dabei häufig Streifenmuster aus kleinen gestuften Rauten, Dreiecke, Hakenleisten, Würfel und Vielecke sowie Rhomben.

Belutsch: Die im vorwiegend im pakistanischen Landesteil Belutschistan lebenden Belutsch stellen vor allem kunstvolle Flachgewebe her. Die knüpfenden Belutsch leben hauptsächlich in Khorassan.

Dschamschidi: Dschamschidi besiedeln vor allem die West-Afghanischen Provinzen Herat und Bagdhis, aber auch Teile des Irans (Sistan). Ihre Erzeugnisse haben einen starken turkmenischen Einschlag und das, obwohl sie am weitesten von Turkmenen entfernt sind. Im Innenfeld werden häufig Tekke- und Mary-Göls verwendet.

Timuri: Die Timuri kommen vorwiegend in West-Afghanistan um Ghurian vor und haben eine starke Verbindung mit den benachbarten Belutsch aus Belutschistan, weshalb eine Unterscheidung manchmal nicht möglich ist. Die besten Timuri-Teppiche wurden in Torbat-e Djam in Khorassan hergestellt.

Die Musterung ist vielseitig, besteht aus hakenbesetzten Polygonen und Kassetten, stilisierten Nelkenblüten und Amulett- und Hakenmotiven. Es gibt sehr viele Untergruppen der Timuri, zu denen auch öfter die Dochtar-i-Ghazi und Jakub-Khani zugeordnet werden. Sie verwenden auch heute noch das für sie typische Bäumchenmuster.

Qualität

Bei der Qualität der Belutsch-Teppiche gibt es sehr große Unterschiede. Verallgemeinert lässt sich sagen, dass Belutsch aus der Gegend um Mesched (Khorassan) als hochwertigeste Ware gilt, da sie fein geknüpft sind und die Muster dadurch scharf zu erkennen sind. Belutsch-Teppiche aus Herat (Afghanistan) sowie aus Pakistan sind von deutlich geringerer Qualität; aber natürlich gibt es auch hier Ausnahmen.

Ein deutlicher Qualitätsverlust ging zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit der Kommerzialisierung der Belutsch einher. Statt nur für sich selbst zu knüpfen und zu weben, wurde für die Stadtbevölkerung produziert und dabei weniger und minderwertigere Wolle und vor allem Synthetik- statt Naturfarben eingesetzt. Dieser Trend war vor allem bei den Timuri zu erkennen. Zusätzlich wurden die Designs einfacher, weniger detailliert.

Die aktuell angebotenen Belutsch-Teppiche kommen meist aus Afghanistan und decken die unterste Preislage ab. Hierbei handelt es sich um grobe Ware aus Herat, bei der minderwertige Wolle verarbeitet wurde. Belutsch-Teppiche, die in Ost-Iran gefertigt werden, werden mit deutlich besserer Wolle produziert, die noch über einen gewissen Glanz verfügt.

Lange Zeit waren Belutsch unter Teppichsammlern recht unbeliebt, denn es gab durch die Kommerzialisierung einfach zu viele schlechte bis mittlere Qualitäten. Die seltenen positiven Ausnahmen - die auch im Vergleich zu anderen Nomadenteppichen extrem gut gearbeitet waren, ließen sich nur schwer finden. Bei den sehr hochwertigen Stücken ist die Wolle besonders weich und seidig. Gut erhaltene, hochwertige Belutsch stammen insbesondere aus Mitte / Ende des 19. Jahrhunderts.

Andere Schreibweise: Balutsch, Baluch (Englisch)
Richtige Aussprache: Betonung auf der ersten Silbe
Ursprungsland / Region: Iran - Provinz Khorassan / Ost-Iran; Afghanistan
Verbreitung: Grenzgebiet Iran, Afghanistan und Pakistan; in Pakistan in Landesteil Belutschistan
Unterprovenienz: Ghassemabad, Hassanabad, Seistan, Torbat-i-Jam, Torbat-i-Heidari, Afghanistan - Bezirk Herat, West-Afghanistan (Wird auch Herat-Belutsch genannt) Djanbeghi, Dochtar-e-Ghazi, Ghassemabad, Ghurani, Gülbadjeste, Haft-Bolagh, Kauduani, Muschouwani, Sangtchuli, Salar-Khani,
Timuri, Jakub-Khani, u.a.m.
Besonderheiten: geometrischer Duktus mit stark abstrahierten Darstellungen. Die 5 cm - bis 20 cm lange Kelimkante gibt es in keiner anderen Provenienz, sondern ausschließlich bei den Belutsch.
Farbgebung: dunkle bis düstere Rot- und Blautöne; hellgrundige Teppiche sind sehr selten.
aus Carpet Magazin 04/10 (Teppiche)