BTH Heimtex Teppichboden-Roundtable in Hamburg
"Teppichboden muss wieder sexy werden"
Die Teppichbodenbranche, ohnehin von Überkapazitäten, Imageproblemen und Absatzeinbußen gebeutelt, steht durch den Rückzug eines bedeutenden Faserlieferanten aus Europa vor zusätzlichen Herausforderungen. Mehr denn je ist die Verständigung der verschiedenen Marktstufen gefragt. Es geht um die Zukunft des Teppichbodens: Wie lässt sich eine weitere Absatzerosion aufhalten oder sogar ins Positive umkehren, welche Wünsche und Bedürfnisse haben die Marktteilnehmer? BTH Heimtex brachte führende Vertreter der Faserindustrie der Teppichbodenindustrie, des Großhandels und des Einzelhandels zu einem offenen Gespräch an einen Tisch und veröffentlicht hier eine Zusammenfassung dieses Gipfeltreffens der Branche.Die Teppichbodenbranche kommt nicht zur Ruhe. Seit Jahren hat sie mit Imageverlust und Nachfrageschwächen nach ihrem Produkt zu kämpfen - knapp 40 % hat es allein von 1999 bis 2009 an Absatz eingebüßt - , mit Überkapazitäten und der Konkurrenz durch andere Beläge. Nun wird sie zusätzlich mit einem neuen Problem konfrontiert, das nicht von der Abnehmerseite herrührt, sondern vom anderen Glied der vertikalen Kette, den Zulieferern: Mit Invista hat einer der wichtigsten Faserhersteller* angekündigt, bis zum Jahresende sein Werk in Deutschland zu schließen, ein Viertel der Teppichfaser-Produktion in die USA zu verlagern und den Rest ersatzlos zu streichen. (BTH Heimtex hat darüber in Ausgabe 6/2010 berichtet.)
Das ist ein ebenso überraschender wie harter Schlag speziell für die deutsche, hochwertig orientierte Teppichboden-Industrie - und in Konsequenz auch für die nachgelagerten Marktstufen, die fürchten müssen, dass Artikel aus ihren laufenden Kollektionen bald nicht mehr lieferbar sein werden. Denn Invista hat mit seiner Polyamid 6.6-Range Fasertypen im Programm, die sich nicht ohne weiteres substituieren lassen - schlimmsten Falls sogar überhaupt nicht. Besonders im in Deutschland unverzichtbaren Feinvelours-Bereich sind die Amerikaner stark. Mancher Hersteller hat weite Teile seines Sortiments auf Invista-Garnen aufgebaut und muss sich nun kurzfristig adäquaten Ersatz aus anderen Quellen organisieren, die nicht nur in der Lage sind, technisch vergleichbare Alternativen anzubieten, sondern auch ausreichende Kapazitäten vorhalten. Oder er ist ab Anfang 2011 auf die Lieferung aus den USA angewiesen, was logistische Unwägbarkeiten ebenso birgt wie nicht zu unterschätzende Risiken durch schwankende Währungskurse.
Eine Konsequenz daraus könnte sein, dass Polyamid 6 noch weiter an Bedeutung gewinnt und langfristig den Teppichbodenmarkt dominiert. Davon würden PA 6-Spezialisten wie Aquafil profitieren. Die Italiener haben mehrfach und nachdrücklich ihr Interesse am Produkt Teppichboden und ihr Vertrauen in die einschlägige Industrie bekräftigt und das durch hohe Investitionen und rege Innovationen belegt.
Aber infolge dieser Entwicklung könnte auch eine Verarmung des Produktes Teppichboden drohen. Denn Fasern bieten sehr viel Spielraum für Gestaltungsmöglichkeiten: durch Querschnitt, Glanzgrad, Stärke, Stapellänge, Anfärbbeverhalten, Veredlungstechniken etc. Das Spektrum von Commodity-Faserproduzenten ist deutlich beschränkter, doch genau sie könnten in die Bresche springen und zumindest die Menge abdecken.
Wenn also das Angebot auf Faserseite schmaler wird und damit die faserinduzierte Variabilität von Teppichboden geringer, muss die Teppichbodenindustrie andere Möglichkeiten nutzen, um Teppichboden abwechslungsreich zu gestalten. Durch neue Konstruktionen oder ganz neue Technologien. Ein Beispiel dafür ist die Thermogravur von Anker.
Noch in den Kinderschuhen stecken neue Faserentwicklungen, die auf nachwachsenden Rohstoffen basieren. Wobei hier eine zunehmende Dynamik zu erwarten ist. Es kommen nämlich auch noch weitere Aspekte ins Spiel, die das internationale (Chemie-)Fasergeschäft massiv beeinflussen: Das eine ist die Rohstoff-Versorgung; sowohl PA 6 als auch PA 6.6 und Polypropylen sind Erdöl-Derivate, also abhängig von Verfügbarkeit und Preis dieses fossilen Energieträgers. Das andere ist die rasant zunehmende Nachfrage aus Fernost, besonders aus China, die zu einer Angebotsverknappung und Verteuerungen der Faser-Rohstoffe führt. Das verhindert Preisstabilität, macht die Preise kurzfristig und volatil mit entsprechenden Auswirkungen auf alle, die sich mit Produktion oder Vertrieb von Teppichboden befassen.
Vor diesem Hintergrund sieht sich die gesamte Teppichbodenbranche vor gewaltige Herausforderungen gestellt. "Jetzt sind wir an einem Punkt, an dem wir uns fragen, ob es weitergeht, bzw. wie es weitergeht", fasste es Anker-Geschäftsführer Erwin Landherr beim BTH Heimtex-Branchenroundtable Teppichboden für die Industrie in Worte.
Offenbar hat man sich in den Führungsetagen vieler Teppichbodenhersteller schon Gedanken gemacht. Man wünscht sich sowohl von den Zulieferern - sprich der Faserindustrie - als auch von den Kunden "Offenheit, Vertrauen, Dialogbereitschaft und echtes Feedback". Landherr: "Unser klarer Wunsch ist, dass wir viel früher gemeinsam agieren, gemeinsam Innovationen erarbeiten und auch gemeinsam vermarkten. Wir müssen nicht mehr nur den eigenen Nutzen vor Augen haben, sondern den der gesamten Wertschöpfungskette." Ausdrücklich unterstrich Landherr das Bekenntnis zum Großhandel und wurde darin auch von Kollegen aus der Industrie bestätigt. Er warb dafür, "noch mehr aufeinander zuzugehen. Darin steckt auf beiden Seiten noch sehr viel Potenzial."
Der Großhandel führt zwar in der Regel ein Vollsortiment an Bodenbelägen, ist dennoch stark auf Teppichboden ausgerichtet, weil die Durchschnittsspannen bei textilen Belägen besser sind als bei anderen Produkten. Insofern betrachtet er die Entwicklung mit Sorge. "Wenn Teppichboden weiter verliert, fehlt uns Marge", brachte es Copa-Vorstand Manfred Birkenstock auf den Punkt, "denn wir können zwar Umsatzeinbußen mit anderen Produkten ausgleichen, aber nicht die Erträge." Der Großhandel hat also ein vitales Interesse daran, dass Teppichboden sich stabilisiert oder besser noch, wieder an Umsatz und Marktvolumen zulegt.
Dem Wunsch der Industrie nach einer Intensivierung der Zusammenarbeit steht der Großhandel aufgeschlossen und positiv gegenüber, listet aber seinerseits ebenfalls einen "Wunschzettel" auf: Hohe Priorität hat dabei die Liefersicherheit für gelistete Artikel. Auch Innovationen sind gefragt, um die Produktdiversität zu erhalten, damit das Interesse der Kunden wach bleibt und die Margen garantiert sind. Immer wieder Themen bei Gesprächen zwischen Industrie und Großhandel sind höhere Coupon-Aufschläge, der konsequente Verkauf aller Kollektionen und eine Verlängerung der Kollektionslaufzeiten. Preiserhöhungen stellen für den Großhandel prinzpiell kein Problem dar - "sofern sie nicht unterjährig sind und gelistetete Produkte und Kollektionen betreffen."
Der Einzelhandel zäumt das Pferd andersherum auf. Er ist näher am Markt, hat zum Teil direkten Kontakt mit dem Verbraucher und denkt daher weniger produkt-, mehr kundenbezogen. "Uns geht es nicht darum, ein bestimmtes Produkt hochzuhalten, sondern die Nachfrage unserer Kunden zu befriedigen. Wir können nur das verkaufen, wofür ein Bedarf beim Endverbraucher oder im Objekt besteht." Auch das Margen-Argument des Großhandels teilt der Einzelhandel nicht: "Wir brauchen einen gewissen Deckungsbeitrag für unsere Flächenkosten. Mit welchen Produkten wir den realisieren, ist letzlich unwichtig."
Einigkeit herrschte trotz partiell unterschiedlicher Interessenlagen darin, dass Teppichboden dringend einer Imageverbesserung bedarf - und auch nur über diesen Weg eine Absatzbelebung erreicht werden kann. "Teppichboden bietet so viele Differenzierungsmöglichkeiten und auch der modische Effekt ist größer als bei anderen Belägen. Das müssen wir viel mehr ausnutzen", sagte Jörg L. Jordan, geschäftsführender Gesellschafter von Jordan. "Aber dafür müssen wir das Produkt modischer machen, marktgängiger, attraktiver gestalten." Und mehr in Marketing investieren, wie es andere Branchen vormachen.
Dabei ist eins noch ganz wichtig: Inhaltlich müssen andere Schwerpunkte bei der Vermarktung gesetzt werden; "mehr Emotionen, keine Technik." Mit funktionalen Argumenten lässt sich kein Quadratmeter Teppichboden verkaufen, weiß der Einzelhandel aus seinen täglichen Verkaufsgesprächen. Dodenhof-Geschäftsführer Stefan Brockmann formulierte es noch plastischer: "Teppichboden muss sexy sein - trendiger, selbstbewusster, begehrenswerter." Nur so ließe sich wieder mehr Bedarf beim Verbraucher und damit mehr Markt schaffen.
Die Teilnehmer des Branchen-Roundtables "Teppichboden"
Aus der Industrie- Bruno Torresani, General Manager Aquafil
- Dr. Elena Scapini, Leitung Vertrieb und Marketing Aquafil
- Martin Pfeiffer, Geschäftsführender Gesellschafter Aquafil Deutschland
- Philippe Hamers, Geschäftsführer Balta Broadloom
- Erwin Landherr, Geschäftsführer Anker
- Dr. Christian Schäfer, Geschäftsführender Gesellschafter Dura-Gruppe
- Dietrich R. Wilhelm, Geschäftsführer Norddeutsche Teppichfabrik
Aus dem Großhandel- Manfred Birkenstock, Vorstand Copa
- Martin Geiger, Geschäftsführender Gesellschafter Alois Geiger, Vorstandsmitglied Bundesverband Großhandel Heim + Farbe
- Jörg L. Jordan, Geschäftsführender Gesellschafter Jordan
- Eberhard Liebherr, Geschäftsführender Gesellschafter Ketterer + Liebherr, Lotter + Liebherr, Vorstandsvorsitzender Bundesverband Großhandel Heim + Farbe
- Dr. Frank Steffel, Inhaber Steffel-Gruppe
Aus dem Fachhandel- Dr. Ralf Bartsch,Sprecher der Geschäftsführung Schlau-Hammer-Gruppe
- Stefan Brockmann, Geschäftsführer Dodenhof
- Peter Knutzen, Geschäftsführender Gesellschafter Knutzen-Gruppe
- Martin Auerbach, Geschäftsführer des Verbandes der Deutschen Heimtextilien-Industrie
SN-Fachpresse- Christian Harder, Redaktion FussbodenTechnik
- Cornelia Küsel, Redaktion BTH Heimtex
- Rene S. Spiegelberger, Anzeigenleitung BTH Heimtex, FussbodenTechnik
- Michael Steinert, Herausgeber und Verleger BTH Heimtex, FussbodenTechnik
- Tim Steinert, Verlagsleitung SN-Fachpresse
- Claudia Weidt, Chefredaktion BTH Heimtex
*Der Einfachheit halber ist hier nur von Faserherstellern die Rede, obgleich es korrekterweise Faser- und Garnhersteller heißen müsste, da man zwischen (Stapel-)Fasern und (BCF-)Garnen unterscheidet
aus
BTH Heimtex 09/10
(Bodenbeläge)