Erfolgsstrategien für die Zukunft
Raus aus der Mitte, oder rein?
Wenn in der Presse vom Wegbrechen der Mittelschicht die Rede ist, schrillen bei Handel und Industrie die Alarmglocken. Obwohl sich eine solche Entwicklung nur bedingt beweisen lässt, verändern sich doch zumindest die Einkaufsgewohnheiten der Verbraucher. Gefragt sind Strategien, um langfristig erfolgreich zu bleiben. Nur: Findet man diesen Erfolg jenseits der "toten" Mitte oder gerade in der "neuen" Mitte? Für beide Thesen gibt es Beispiele; welcher Weg der richtige ist, muss jeder für sich selbst entscheiden.Es ist schon lange in den Gazetten zu lesen: Die Mitte löst sich auf. Gemeint ist die deutsche Mittelschicht, eben jener Teil der Gesellschaft, deren wirtschaftliche Bedeutung seit dem Zweiten Weltkrieg kontinuierlich gestiegen ist - und die für unsere Branche über lange Jahre die wichtigste Zielgruppe und ein Garant für steigende Umsätze war. Eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung DIW belegt diese These. Ihre Kernaussagen:
1. Im längerfristigen Trend ist die Zahl der ärmeren Haushalte stetig gewachsen, allerdings auch die der reicheren.
2. Dabei sind die Armen immer ärmer und die Reichen immer reicher geworden.
3. Auch wenn der Aufstieg in eine höhere Einkommensgruppe durchaus möglich ist, steigt in der schrumpfenden Mittelschicht die Angst davor, den einmal erreichten Wohlstand zu verlieren und auf ein niedrigeres Niveau abzurutschen.
Was zunächst beunruhigend klingt, relativiert sich auf den zweiten Blick in die DIW Zahlen. So gravierend, wie viele Schlagzeilen uns glauben machen wollen, sind die Veränderungen nicht: 1995 hatte die mittlere Einkommensgruppe einen Anteil von 64,9 %, 2009 waren es 61,5 %. Gleiches gilt für die Verschiebung bei den Monatseinkommen. Die stiegen in den letzten 15 Jahren im unteren Bereich um gut 5 %, im mittleren um gut 6 % und im hohen um knapp 7 %.
Trotzdem bleibt festzuhalten, dass sich die (Einkommens-)Strukturen in der deutschen Bevölkerung verändern. Und das hat im Zusammenspiel mit sich wandelnden Konsumtrends Auswirkungen auf den Einzelhandel. Zwei Beispiele:
Warenhäuser, einst die Konsumtempel der Mittelschicht schlechthin, haben ihren Glanz zu großen Teilen verloren. Hertie, Woolworth, Karstadt - sie alle haben die Zeichen der Zeit nicht rechtzeitig erkannt. Und auch für Kaufhof sehen die Zukunftsaussichten nicht unbedingt rosig aus. Ein Konzept scheint sich überlebt zu haben. Einerseits, weil sich die Einkaufsgewohnheiten der Kunden geändert haben; andererseits, weil die Gruppe derjenigen, die es sich leisten können, dort zu kaufen, eben doch kleiner wird. Die einen wandern ab ins Internet, in eigene Läden der Hersteller oder Shoppingcenter, die anderen zu Kik oder 1-Euro-Shops.
Ähnlich ist die Entwicklung im Möbelhandel. Die Zeit einzelner, traditionsreicher Einrichtungshäuser in den Fußgängerzonen der Innenstädte ist endgültig vorbei. Sie wurden oder werden aufgerieben von den die Ikeas, Höffners, und XXLs auf der einen Seite - riesige Flächen auf der grünen Wiese - und den Poco Domäne Märkten und Dänischen Bettenlagern auf der anderen. Mit den Mengen und Preisen der Ketten können sie nicht mithalten. Auch nicht mit deren Marketing - von Ottfried Fischer auf dem roten Stuhl bis zu Kötbullar im Restaurant der Konkurrenz aus Schweden.
Doch wie soll man auf diese veränderte Situation reagieren?
"Die" Strategie gibt es nicht"Differenzieren statt verlieren" lautet das Credo von Hermann Scherer. Mittelmäßigkeit gebe es schon genug, ist der Unternehmensberater überzeugt. Und die Gleichheit im Angebot führe bei den Verbrauchern zu Gleichgültigkeit und bei den Anbietern nur allzu oft zu ruinösen Preiskämpfen. Erfolgreich könne nur sein, wer sich "weg vom Mittelmaß und hin zur Extraklasse" entwickelt.
Beim Möbelhandel in der Region Frankfurt liegt er mit seiner Einschätzung offenbar richtig. In der FAZ war zu lesen, wie sich neben den großen Flächenanbietern auch eine Reihe neuer, kleiner Unternehmen etabliert hat; teilweise hervorgegangen aus traditionsreichen Firmen, die im Kampf mit der neuen Konkurrenz zumindest zwischenzeitlich unterlegen waren. Statt Vollsortiment bieten sie nur bestimmte Warengruppen an, positionieren sich bewusst in den Nischen, die die Großen aufgrund ihrer Mengenstrategie lassen müssen. Intensive Beratung, ausgesuchte Produkte - das Besondere eben.
In eine ähnliche Richtung zielen die Business-Querdenker Anja Förster und Peter Kreuz, die ebenfalls dem Mittelmaß den Kampf angesagt haben. Unter der Überschrift "Raus aus der toten Mitte und rein in neue Märkte" fordern sie aber nicht die bloße Differenzierung von der Konkurrenz: Statt sich mit dieser einen ruinösen Wettbewerb zu liefern, solle man lieber in alternativen Branchen nach cleveren Ideen suchen; statt um Marktanteile in bestehenden Käufergruppen zu kämpfen, lieber neue ansprechen. Komplementäre Produkte und Dienstleistungen seien eine Überlegung wert. Wichtig sei dabei, sich als Unternehmen über seine Kernkompetenzen zu definieren und nicht nur über Waren und Leistungen, sind sich die beiden Wirtschaftswissenschaftler sicher. Ein Bäcker produziere eben nicht nur Brot und Brötchen, sondern biete seinen Kunden die Möglichkeit, sich zwischendurch für wenig Geld einen kleinen Genuss zu verschaffen. Damit steht er nicht mehr nur im Wettbewerb mit anderen Bäckereien, sondern auch mit Eisdielen oder Cafés.
Während diese Beispiele für eine Abkehr von der Mitte sprechen, gibt es auch solche für Firmen, die mit einer Hinwendung zur Mitte erfolgreich sind; etwa die deutschen Modemarken Gerry Weber, s.Oliver und Marc OPolo. Zu einer Zeit, in der noble Labels in Zahlungsschwierigkeiten geraten sind, erhöhen sie - Krise hin oder her - ihre Umsätze und Marktanteile. Und es sind gerade die mittleren Preislagen, in denen diese Unternehmen Erfolg haben. Wobei die wachsende Kundschaft allerdings eher aus der wirtschaftlichen Oberschicht kommen und es sich hierbei um ein "trading down" handeln dürfte: Wer bislang Strenesse, René Lezard oder Escada getragen hat, sieht sich angesichts der Wirtschaftskrise und befürchteten oder tatsächlichen finanziellen Engpässen auch mal bei günstigeren Anbietern um.
Trotzdem: Jahrelanges konsequentes Arbeiten und nicht zuletzt eine große Treue zum Fachhandel zahlen sich aus. Letzterer schätzt die verlässlichen Partner als Umsatzbringer, wie zuletzt in der "Zeit" zu lesen war; auch wenn alle drei Firmen inzwischen über eigene Geschäfte in den Fußgängerzonen und Einkaufszentren der Großstädte verfügen.
An eine Renaissance der Mitte glaubt auch Matthias Horx. Die Entwicklung hin zu den Extremen Luxus und Discount, bei denen einzig und allein der Preis das Unterscheidungskriterium ist, weiche einer Besinnung auf reelle und essentielle Werte, formuliert der Zukunftsforscher in seinem Future Blog. "Das 280-PS-Verbrennungs-Auto erweist sich als ebensolcher Schrott wie die Billigklamotte von Kik, für die nun die gescheiterte Luxusdame Verona Feldbusch wirbt." Gestützt wird diese Einschätzung von der Krise der Luxusmarken, der Stagnation bei den Umsätzen von Aldi und Co. oder der Insolvenz des Non Food Billigstdiscounters Mäc-Geiz.
Die "neue Mitte" verlange beim Konsum nach Qualität, Schönheit und nicht zuletzt Sinnhaftigkeit, sagt Horx. Denn: "Mitte heißt eben nicht mittelmäßig." Von Industrie und Handel verlangt Horx daher nichts weniger als "Handwerkerstolz und Unternehmergeist, Kreativität und Sorgfalt und - man scheue nicht das große Wort - Liebe zum Kunden".
(Thomas Pfnorr)
aus
BTH Heimtex 01/11
(Handel)