Chinas Bedeutung als Absatzmarkt wächst

Das Reich der neuen Mitte

Bislang galt China lediglich als Werkbank der Welt. Doch inzwischen deutet sich an, dass sich dort auch der größte Absatzmarkt für Industrieprodukte entwickeln wird. Für die rasant wachsende Mittelschicht gelten dabei westliche Waren als Statussymbol. Auch deutschen Mittelständlern, die sich zur Präsenz vor Ort entschließen können, winken vor allem im Premium-Segment gute Umsätze. BTH Heimtex wirft einen Blick auf den sich rasant verändernden chinesischen Markt.

Im Jahr 2009 war es soweit: China und nicht mehr Deutschland durfte sich Exportweltmeister nennen. Der Gewinn dieses inoffiziellen Titels hat zwar keinerlei Folgen, er zeigt aber, in welche Richtung die Entwicklung wohl noch eine ganze Weile gehen dürfte. China ist seit Jahren auf Wachstumskurs. Selbst im Krisenjahr 2009 legte die dortige Wirtschaft zu; von den +8,7 % können westliche Industrienationen - einschließlich Deutschlands - auch in guten Zeiten nur träumen. Ist das nun die "gelbe Gefahr" für die mittelständisch geprägten Unternehmen unserer Branche, die sich bislang vornehmlich der Konkurrenz von Billigprodukten oder zumindest günstiger als hierzulande produzierter Waren aus China gegenüber sehen? Oder ist ein Land mit solchen Wachstumsraten und gut 1,3 Mrd. Einwohnern, von denen jedes Jahr 20 Mio. in die Mittelschicht aufsteigen und ihre Bedürfnisse nach unterschiedlichsten Waren und Dienstleistungen zunehmend befriedigen können (und dürfen) nicht vor allem eines: der größte Absatzmarkt der Zukunft?!

Das zumindest prognostiziert die Investmentbank Morgan Stanley: Schon 2020 werde China vom größten Hersteller industriell gefertigter Waren zum größten Abnehmer. Die sich daraus ergebenden Chancen haben Firmen wie Adidas längst erkannt und eröffnen in den chinesischen Metropolen fleißig Geschäfte. Im letzten Jahr hat Jysk/Dänische Bettenlager den Schritt gewagt und plant nun schon die Errichtung eines eigenen Warenlagers; die Marke Esprit ist nicht nur mit Bekleidung, sondern auch mit Esprit Home Shops präsent. Ikea hat angekündigt, die Anzahl seiner Möbelhäuser bis 2015 auf 16 bis 18 mehr als verdoppeln zu wollen. Schon im abgelaufenen Geschäftsjahr verzeichneten die Schweden ein Umsatzplus von 23 %.

Aktuell fällt Deutschlands Handelsbilanz mit dem Schwellenland China noch eindeutig negativ aus. 2009 wurden Waren für 55,4 Mrd. EUR aus dem Reich der Mitte nach Deutschland eingeführt. Den umgekehrten Weg gingen Produkte für 36,5 Mrd. EUR. Aber: Während die chinesischen Exporte in die Bundesrepublik nach +5,2 % im Jahr 2008 um 8,9 % zurückgingen, stiegen die Einfuhren aus Deutschland weiter an; auch wenn sich die Zunahme von 14 auf 7 % halbierte.

Für Deutschland ist China heute nicht nur der größte Warenlieferant, sondern nach den USA auch der zweitgrößte außereuropäische Exportmarkt. Umgekehrt ist die Bundesrepublik für China der wichtigste Handelspartner in Europa und rangiert im weltweiten Vergleich auf Platz 6.

Chinesische Standortvorteile nehmen ab

Noch profitieren die chinesischen Hersteller - und auch ihre westlichen Auftraggeber - von zahlreichen Standortvorteilen. So sorgt die staatliche Währungspolitik dafür, dass der deutlich unterbewertete Renminbi (Yuan) Waren aus chinesischer Produktion zusätzlich verbilligt. Allerdings nimmt der Druck auf die chinesische Regierung zu, diese Subventionierung der Exporte wenn nicht völlig aufzugeben, so doch zumindest spürbar zurückzufahren.

Positiv wirken sich auch die niedrigen Lohnkosten aus, die in China durchschnittlich gerade einmal 7 % der Produktionskosten ausmachen; und das Heer der geschätzt 150 Mio. Wanderarbeiter, die noch bereit sind, für diese Löhne und unter teilweise menschenunwürdigen Bedingungen zu produzieren. Doch auch diese Zeiten könnten bald vorbei sein, denn es regt sich Widerstand. Allein 2008 soll es nach Angaben des offiziellen Magazins Outlook Weekly 280.000 Streiks gegeben haben; Tendenz: steigend.

Begünstigt werden die Forderungen der Streikenden von der Bevölkerungsentwicklung. Die staatliche Ein-Kind-Politik hat zur Folge, dass die Alterspyramide sich langsam auf den Kopf stellt. Nach Berechnungen des US Census Bureau werden bis 2020 weniger als ein Drittel der Chinesen jünger als 30 Jahre sein, im Jahr 2000 war es noch knapp die Hälfte. Schon jetzt gebe es in einigen Wirtschaftszweigen einen Mangel an Wanderarbeitern, schreibt die "Zeit".

Von Seiten der chinesischen Regierung ist in diesem Fall kaum eine Intervention zu erwarten, war an gleicher Stelle zu lesen, denn auch wenn die steigenden Löhne die Position der heimischen Wirtschaft auf dem Weltmarkt schwächen könnten: Soziale Unruhen fürchtet das Regime weit mehr als ein paar Prozentpunkte weniger in der Ausfuhrbilanz.

Ein höherer Verdienst der breiten Masse hätte noch einen weiteren positiven Nebeneffekt, wenn dadurch die Inlandsnachfrage angekurbelt wird. Denn eines ist klar: Auch wenn China seinen wirtschaftlichen Aufschwung dem Exportgeschäft verdankt, wird man auf die Dauer nur dann solide wachsen können, wenn auch die Binnenkonjunktur gestärkt wird. In der jüngsten Wirtschaftskrise hat es sich schon angedeutet, dass die Exportorientierung sehr schnell zum Nachteil werden kann, wenn die Auslandsmärkte weg brechen: Der Außenhandel musste 2009 ein Minus von 3,9 % verkraften. Die Werkbank der Welt lief nicht mehr ganz so rund wie gewohnt.

Westliche Produkte sind Statussymbole

Die wachsende Mitte und die neuen Reichen konzentrieren sich in den Städten Chinas. Zwar leben noch immer 800 Mio. Menschen auf dem Land und zu großen Teilen auch von der Landwirtschaft. Aber viele von ihnen drängt es in die Metropolen, von denen in Deutschland gerade einmal eine Handvoll namentlich bekannt ist.

Vor allem im Süden und entlang der Küste konzentriert sich derzeit die wirtschaftliche und finanzielle Macht. Staatliche Infrastrukturprogramme sollen jetzt dafür sorgen, dass zukünftig auch die übrigen Landesteile am wirtschaftlichen Aufschwung teilhaben können. Riesige Städte, am Reisbrett geplant, entstehen dort - inklusive Wohnungen für Millionen von Menschen. Und die müssen ausgestattet werden.

Das kann auch mit Produkten aus dem Westen geschehen, denn für die ist Chinas Bevölkerung sehr empfänglich. Sie gelten als Symbole für den wachsenden Wohlstand der neuen Mittelschicht. Marken haben vor allem bei jungen Käufern eine ähnlich hohe Bedeutung wie in westlichen Industrienationen. Und für nicht wenige Konsumenten ist es dabei wichtig, dass die Waren auch tatsächlich im Heimatland des Anbieters hergestellt wurden; "Made in China" können sie schließlich überall kaufen.

Dabei erreichen die Produkte aus chinesischer Fertigung zunehmend westliche Qualitätsstandards. Es wird nicht mehr nur billig und viel produziert, technologisch holt die Industrie der Volksrepublik immer weiter auf. Ein gutes Beispiel sind Laminatböden: Noch vor zehn Jahren gingen gewaltige Mengen aus Europa nach Fernost. Heute decken die Chinesen ihren Bedarf praktisch komplett selbst. Will man als deutscher Anbieter trotzdem erfolgreich sein, stützt man sich auf eine bekannte Marke. So wie Parador, die mit ihren Esprit Home Böden die Volksrepublik ins Visier genommen haben. Verkauft werden sie in Edel-Shops.

Unter solchen Umständen dürfte der chinesische Markt der Zukunft für ausländische Hersteller vielleicht nicht unbedingt ein Massenmarkt sein. Aber wer sich auf Premium-Produkte konzentriert sollte die Chance auf gute Geschäfte haben.

Präsenz ist wichtig

Dazu gilt es, vor Ort Flagge zu zeigen. Nadelvliesspezialist Findeisen etwa hat schon seit 2005 ein Büro in China und konnte so zahlreiche Großprojekte an Land ziehen. Die Webseite des Unternehmens gibt es mittlerweile auch auf Chinesisch. In Shanghai präsentiert sich Tarkett seit 2009 mit einem Kompetenzzentrum. Hier stellt der Bodenbelagshersteller Händlern, Verlegern, Architekten und Innenarchitekten seine Produkte und deren Einsatzmöglichkeiten vor, schult die richtige Verarbeitung.

Und auch wenn die Chinesen lieber zu Produkten "Made in Germany" greifen: Aus logistischen Gründen erscheint es ab einem gewissen Volumen auch sinnvoll, über eigene Produktionsstätten im Reich der Mitte nachzudenken. Das tut etwa Zero-Lack Inhaber Marcus Fischerbock. Von den Exporten seines Unternehmens geht derzeit die Hälfte nach China.

Bis Ende Juli 2010 verzeichnete das chinesische Handelsministerium aus Deutschland Investitionen in Höhe von 0,56 Mrd. USD. Damit gehört die Bundesrepublik gerade noch zu den zehn größten Investoren, rangiert aber weit hinter dem Spitzenreiter Hongkong (35,95 Mrd. USD) und wird auch von den europäischen Staaten Großbritannien (1,05 Mrd. USD), Frankreich (0,65 Mrd. USD) und den Niederlanden (0,60 Mrd. USD) übertroffen.

Besonders zwei Faktoren sorgen für die Zurückhaltung deutscher Mittelständler. Einerseits die Angst vor chinesischer Produktpiraterie.

Die ist auch nicht unbegründet: In der jährlichen Zollstatistik der Europäischen Union zu gefälschten Produkten, die bei der Einfuhr in die EU sichergestellt wurden, rangiert China seit Jahren auf Platz 1 der Herkunftsländer. 2009 stammten 64 % der beschlagnahmten Waren von dort.

Andererseits sind die Rahmenbedingungen für Investitionen noch sehr verbesserungswürdig. Laut Auswärtigem Amt gibt es vor allem bei den Themen Rechtssicherheit, Vertragsfreiheit und gleichberechtigter Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen deutliche Defizite. An denen werde aber gearbeitet. Es lohnt sich also, den chinesischen Markt zumindest im Auge zu behalten. (Thomas Pfnorr)


Beim Markteintritt in China helfen neben den deutschen Branchenverbänden unter anderem auch:


- Germany Trade and Invest - Gesellschaft für Außenwirtschaft und Standortmarketing mbH www.gtai.de

- Deutsche Handelskammer in China www.china.ahk.de

- German Centre for Industry and Trade www.germancentre.org.cn
aus BTH Heimtex 01/11 (Handel)