Multichannel-Handel bis 2015

Den Kunden gewinnen - im Netz und im Laden

Die Wachstumsraten des Onlinehandels sind exorbitant: Immer mehr Menschen kaufen immer mehr Waren über das Internet. Auf den ersten Blick ist daher die Gefahr für den stationären Handel groß, auf der Strecke zu bleiben; zumal bei vielen Verbrauchern noch immer die Meinung vorherrscht, im Internet sei alles billiger. Auf kompetente Beratung wollen viele Konsumenten aber doch nicht verzichten und lassen sich die Ware gern im Fachgeschäft vorführen. Das gilt vor allem für Produkte, bei denen es nicht nur auf technische Eigenschaften ankommt. Heimtextilien etwa möchte man auch gerne anfassen. An diesem Punkt muss der Handel ansetzen, durch Multichannel-Konzepte geschickt mehrere Verkaufs- und Servicekanäle miteinander verbinden. So behält er den Kunden und kann sogar zusätzliche Umsätze generieren. Wie das geht und wie sich dieser Markt zukünftig entwickeln wird, zeigt die Studie "Non-Food Mulitchannel-Handel 2015". Die wichtigsten Erkenntnisse der Marktforscher der GfK und der Beratungsdienstleister von Accenture Deutschland fasst BTH Heimtex zusammen.

Während der stationäre Non-Food-Handel in Deutschland seit geraumer Zeit allenfalls ein geringes Umsatzplus verzeichnet, geht im Online-Geschäft die Wachstumskurve steil nach oben: Stolze 18 % mehr als im Vorjahr notierten die Statistiker selbst im "Krisenjahr" 2009. Allerdings: Ein nicht unerheblicher Teil der E-Commerce-Umsätze kommt erst dadurch zustande, dass sich der Kunde zuvor im Geschäft vor Ort informiert hat. Auf 35 % wird dieser Anteil beziffert; das sind immerhin 5,4 Mrd. EUR.

Um Fehlkäufe zu vermeiden, lassen sich die Verbraucher nicht nur klassische E-Commerce-Sortimente wie Kameras oder Fernseher vorführen, sondern auch immer häufiger Bekleidung oder Heimtextilien, deren Anteil am Online-Geschäft langsam wächst. Vergessen darf man auch nicht den emotionalen Aspekt: Das Einkaufserlebnis im Geschäft ist ein ganz anderes als das am Computer. Im Gegensatz dazu schätzen die Konsumenten im Internet neben dem vermeintlich günstigeren Preis auch die höhere Transparenz und Vergleichbarkeit, die große Auswahl, die Möglichkeit zur Heimlieferung sowie umfangreiche Produktinformationen und Bewertungen.

Letztere werden nicht selten genutzt, um dann gut vorbereitet doch im stationären Handel einzukaufen. Daraus ergab sich 2009 ein online beeinflusster Stationärumsatz von 8,5 Mrd. EUR; ein Wert, der die Verluste durch Onlineanbieter weit übersteigt.

Ideal für ein Handelsunternehmen wäre es, beide Einkaufskanäle zu verbinden; jene Kunden zu bedienen, die den eigentlichen Kauf durch vorherige Aktivitäten in einem anderen Kanal vorbereitet haben. Durch diesen Multichannel-Handel geht nicht nur kein Umsatz verloren; aufgrund der neuen Einkaufsgewohnheiten entstehen eher noch Zusatzgeschäfte. Das Angebot reicht dann von der Vorabinformation über Beratung, Kaufabschluss und Zahlung bis hin zu Lieferung, Reklamationen und After-Sales-Service. Besonders wichtig ist dabei, dass aus der Sicht des Kunden ein Mehrwert entsteht. Nur so lässt er sich von einem Kanal in den anderen ziehen, ohne auszusteigen und woanders zu kaufen.

Unterschiedliche Erwartungen an Multichannel-Angebote

Aktuell befindet sich der Multichannel-Handel in Deutschland noch in der Anfangsphase. Vor allem sind es junge Konsumenten, auch jüngere Familien aus der Mittel- und Arbeiterschicht, die derartige Angebote nutzen. Mit abnehmender Interneterfahrung gehen auch die Multichannel-Umsätze zurück. Angesichts dieser Konstellation ist es aber nur noch eine Frage der Zeit, bis die übergreifende Nutzung der Einkaufskanäle zum Standard wird. Bei Heim- und Haustextilien ist der Umsatz-Anteil einzelner Kundengruppen schon jetzt relativ gleichmäßig verteilt und bewegt sich um 10 %. Lediglich die Gruppe der Aufsteiger/Singles sticht mit 16,2 % etwas hervor.

Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass unterschiedliche Käufergruppen auch voneinander abweichende Vorteile in den kombinierten Angeboten sehen. Während die einen ausgefallene, standardmäßig nicht vorrätige Produkte suchen, um sie dann im Geschäft zu begutachten, erwarten die anderen vor dem Einkauf im Internet kompetente Beratung von einem Fachverkäufer. Im Gegensatz dazu wollen sich vor allem ältere Kunden den Weg in die Filiale sparen, ziehen bei Reklamationen aber einen direkten Ansprechpartner im Laden einem Callcenter vor.

Stationärer Handel bei der Einführung im Vorteil

Aber es lohnt sich, ernsthaft über die Möglichkeiten des Multichannel-Handels nachzudenken. Schon ein Blick auf die Umsatzentwicklung im Textilhandel macht deutlich, wie die Zukunft aussehen wird: Dort haben zwischen 2005 und 2009 Fachhändler, Warenhäuser und Discounter Umsätze eingebüßt. Einzig Fachmärkte und vor allem der Onlinehandel konnten zulegen, die Verluste aber nicht ausgleichen.

Insgesamt werden reine Online-Anbieter ihren Anteil am Handel mit Non-Food-Artikeln bis 2015 um fast 50 % steigern können. Übertroffen wird dieser Wert aber von Multichannel-Händlern, die aller Voraussicht nach um 78 % zulegen. Der stationäre Handel büßt hingegen 13 % ein.

Am Multichannel-Geschäft führt für zukunftsorientierte stationäre Händler also kein Weg vorbei. Und bei der Einführung entsprechender Angebote hat er deutliche Vorteile gegenüber reinen Online-Anbietern, denn er muss lediglich in die Technik investieren - das Geschäft vor Ort besteht bereits und ist normalerweise schon etabliert. Allerdings wird er einerseits die Vorbehalte seiner Kunden gegenüber der Nutzung des Internets beim Einkauf ausräumen und andererseits in der eigenen Organisation Strukturen aufbauen müssen, die es ermöglichen, tatsächlich kanalintegriert zu agieren. Dabei darf es innerhalb des Unternehmens keine Konkurrenz zwischen stationär und online geben. Nehmen sich beide Bereiche als Konkurrenten wahr, ist das ganze Projekt in Gefahr.

Angesichts der homogenen Multichannel-Kundschaft ist es für Händler besonders wichtig, ihre spezielle Zielgruppe, deren Bedürfnisse, Einkaufs- und Informationsverhalten genau zu kennen. Daraus leiten sich Vorgaben für die Sortimentsgestaltung in jedem Kanal ab, denn das Online-Angebot muss nicht unbedingt mit dem im Geschäft übereinstimmen. Gerade das Internet bietet die Möglichkeit, das Sortiment auszuweiten - und sei es über die Integration von Partnerangeboten.

Auch die Preisgestaltung muss in die Überlegungen einbezogen werden. Hier sprechen Argumente sowohl für eine einheitliche Preisgestaltung als auch für eine Differenzierung. Welche Serviceleistungen in welchem Kanal angeboten werden (müssen), sollte ebenfalls geklärt werden.

Ein Multichannel- Geschäft könnte dann in etwa so ablaufen: Der Kunde hat im Internet seinen Wunschartikel recherchiert und will nun wissen, ob der im Laden verfügbar ist. Dies überprüft er ebenfalls am heimischen PC. Jetzt kann er die Ware online reservieren - er möchte das Produkt möglichst schnell selber abholen - und bezahlen. Sie steht ab diesem Zeitpunkt für ihn im Geschäft bereit.

Die Tatsache, dass hier auf Wunsch keine Kosten oder Wartezeiten durch den Versand entstehen, unterscheidet den Multichannel-Händler von Online-Anbietern. Rein Stationäre Händler bieten hingegen keine Möglichkeit, sich vorab über das Produkt zu informieren oder die Verfügbarkeit festzustellen.
aus BTH Heimtex 01/11 (Handel)