Thomas Braeuniger, Art Director UFA-Filmausstattung
Tapete muss wieder ins öffentliche Bewusstsein*
Tapete ist vom Kulturgut zum Konsumgut geworden und das ist ihre Misere! Andersherum: Hat sich die Tapete an die Einrichtungsgewohnheiten des heutigen Menschen angepasst oder: Sehen wir hier eine diametral gegenläufige Bewegung?
Waren noch bis in die 80er Jahre hinein Wohnungen oder einzelne Räume mehr oder weniger stringent in einem Stil eingerichtet, sehen wir heute allerorts den neuen Eklektizismus der Postmoderne, der Tisch von lkea, ein Stuhl vom Flohmarkt, die Kommode vom Trödel usw. ...
Die Halbwertzeit von Wohngegenständen liegt etwa bei acht Jahren, die der Mode bei einem Jahr. Dies mag ein Grund dafür sein, warum es gerade in der Tapetenindustrie so schwierig geworden ist, Trends zu setzen oder zumindest auf der Trendwelle mitzuschwimmen. Tapete muss zur Einrichtung passen, nicht umgekehrt!
Noch gravierender scheint der Bild-im-Bild-Konflikt; jeder Mensch hat heute Bilder an seinen vier Wänden hängen. Da Tapete aber meist selbst schon ein Bild, ein Wandbild ist, kommt es häufig zu Dissonanzen - einer Bild-auf-Bild-Störung: Sehen Sie zum Beispiel in den Werbebroschüren die neuen Tapetenkollektionen an: Da ist kein Platz für Bilder! Oder gehen Sie durch Museen und Galerien - auch dort werden Sie keine Tapete finden. Bild oder Tapete - das scheint hier die Frage.
Und dennoch scheint es, dass gerade hier das große Potential von Tapete liegt, nämlich wenn sie sich neutral den Bilderwelten anpassen oder diese ersetzen kann. Ein Beispiel für Letzteres sind die wundervollen Entwürfe von Ulf Moritz und Richard Anuszkiewicz.
Bei vielen Verbrauchern gilt Tapete heute als altmodisch, spießig, bürgerlich oder gar dekadent: ein Relikt aus vergangenen Zeiten. Es ist leicht einzusehen, dass viele dieser Vorurteile auf mangelndem Wissen über die Produktbandbreite der Tapetenindustrie beruhen - ein Punkt, auf den wir später noch näher eingehen werden. Eine andere Quelle dieser Antihaltung ist der Gegenwille zum Konservatismus des Elternhauses, wer musste nicht zwischen den "schrecklich tapezierten" Wänden seiner Eltern aufwachsen und suchte Zuflucht in der aggressiven Gestaltung seines eigenen Zimmers. Tapete, so scheint es, hat den Nimbus des Zeitgemäßen verloren, ist als Konsumgut träge, unflexibel und zu dauerhaft.
Braucht Tapete also Wertewandel?
Heute ist Tapete dort hip, wo sie zugleich auch out ist: bei der Clubkultur. Hier versteht sich Tapete als Rebellion gegen die sterile Umwelt der Eltern, gegen das Quantität statt Qualität. Gerade junge Menschen haben hier ein Reservoir an Kreativität für sich neu entdeckt und scheuen sich nicht zu ihrem "Antigeschmack" zu stehen. Sie haben es verstanden, der Tapete eine völlig neue Anwendung zu geben. Inspiriert durch die Nachtclubs, die zuerst anfingen, die Tapeten der 70er Jahre hip zu machen, kaufte man sich die Restbestände alter Kollektionen, oft nur wenige Rollen, und verschönerte damit seine oft recht triste "Bude". Sehr bemerkenswert ist dabei der Einfallsreichtum der jungen Leute, die aus Mangel an genügend Tapetenrollen (diese alten Tapeten sind rar und mittlerweile sehr teuer) neue Formen des Tapezierens fanden. So wurde nur eine Wand, manchmal nur ein Teil der Wand, auch nur ein "Bild" gestaltet, es wurden Streifenmuster auf die Wand gebracht, oder rhythmische Muster angelegt...
Gerade dieser freie Umgang mit Tapete hat der Tapete einen kultigen Status gegeben...
Geld und Kosten sind, das dürfen wir nicht vergessen, Entscheidungsfaktoren von höchster Bedeutung; auch hier scheint die Tapete ins Hintertreffen zu geraten, obwohl sie doch so viele Vorteile hat: Zum Beispiel lässt sich ein Raum genauso schnell tapezieren wie streichen, die Tapete lässt sich dabei sauberer verarbeiten und reduziert die Vorbereitungsarbeiten auf ein Minimum. Außerdem ist sie geruchsneutral, einfach zu entsorgen und unempfindlicher gegen Schmutz.
Warum sind all diese Vorteile der Tapete aus dem Blick geraten?
Wir tendieren dazu, statisch zu denken und nicht dynamisch, d. h. wir kalkulieren das jetzt, zum Beispiel die gerade anfallenden Anschaffungskosten von Farbe gegen Tapete, doch nicht die Folgekosten, wobei der Zeitaufwand als vernachlässigbar eingestuft wird. Die Deutschen sind ohne Zweifel ein Volk, wenn nicht "das" Volk der Heimwerker, Bau-und Heimwerkermärkte gehören neben Supermärkten zu den meist frequentiertesten Verkaufseinrichtungen in unserem Land. Dieser Umstand sollte eigentlich den Tapetenhandel begünstigen und doch ist das Gegenteil der Fall. Zum einen finden wir in jenen Märkten Rauhfaser aller Struktur und Couleur, zum anderen Tapeten der niedrigsten Klasse - will sagen, das Tapetensortiment dort dient eher der Abschreckung und ist als Alternative nicht konkurrenzfähig.
Ein weiterer Nachteil der Baumärkte ist fehlendes Fachpersonal, das geschult und erfahren, die Bedürfnisse der Kunden erspüren könnte.
Tragischerweise hat der Heimwerkerboom auch den Fachhandel in die Ecke gedrängt und die meisten Tapetengeschäfte kämpfen ums Überleben.
Dabei ist es einzig der Fachhandel, der die Situation auf dem Tapetenmarkt durch gute Beratung und Nähe zum Kunden entschärfen könnte.
Durch ein breit gefächertes Sortiment und freundliche Atmosphäre ließe sich das Interesse an der Tapete wieder wecken, doch scheint über all diesen Fachgeschäften das Wort "teuer" zu prangen und kaum ein "Otto Normalverbraucher" traut sich da hinein!
Was tun?
Ohne Frage liegen die Lösungen dieser Probleme vor allem beim Marketing, das heute ein Schattendasein führt. Und seiner Hauptaufgabe, den Kundenkontakt herzustellen, kaum nachzukommen vermag.
Will man Tapete wieder eine zeitgemäße Bestimmung geben, sollte man wissen, was zeitgemäß ist, besser noch Visionen haben.
Warum nicht Werbung machen auf Billboards für ein schöneres Zuhause mit glücklichen Menschen vor geschmackvollem Hintergrund und darüber stünde: Neue Tapeten sind wie Urlaub zu Hause...
Warum nicht virtuell tapezieren in computergenerierten Räumen, die der Verbraucher per Mausklick, mit (im Fachgeschäft) oder ohne Hilfe (im Internet), in Sekundenschnelle einrichten und tapezieren könnte.
Ich könnte mir sogar eine TV-Sendung mit dem Titel "Tapetenwechsel" vorstellen, die unterhaltsam mit einem Augenzwinkern das Leben und die Geschichten eines Tapeziermeisters und seiner Lehrlinge als zentrales Thema hätte, Geschichten erzählt von Oma Krause im Gemeindebau bis hin zur mondänen Gräfin auf Schloss Sowieso... und der rote Faden wären die Tapeten...
Wie auch immer... die Aufgabenstellung des Tapetenmarketings ist klar: Tapete soll wieder ins öffentliche Bewusstsein gelangen...
*Auszüge eines Vortrags zur Ulf Moritz Vernissage im Tapetenmuseum Kassel
aus
BTH Heimtex 10/02
(Tapeten, Wandbeschichtungen)