Wilhelm Schmidt hat Versiegelungsprodukte getestet
"Grundierungen konnten Abrissfugen nicht verhindern"
1991 kam Bona mit einer Grundierung auf den Markt, der dem Wasserlack seine seitenverleimende Wirkung nehmen sollte. Anfänglich widersprach der Wettbewerb, bis auch die übrigen Lackhersteller bald ein solches System anboten. Heute sind bereits Siegel im Umlauf, die sogar ohne Primer kaum Kantenverleimung bewirken sollen. Es stellt sich die Frage: Haben alle den Stein der Weisen entdeckt oder sind solche Produkte eher ein Kind geschickter Marketingstrategen?
Wilhelm Schmidt, Parkettsachverständiger aus Halle und anerkannter Tüftler der Branche, hat sich aus Sicht des Praktikers dieser Problematik angenommen.
Seine Testergebnisse - vorgetragen auf der Sachverständigentagung Ende Juni 2004 in Kassel - fällen ein klares Urteil: "Grundierungen haben so gut wie keine Auswirkung auf die Verminderung der Seitenverleimung."
Anlass für Wilhelm Schmidt, sich mit dem Thema zu beschäftigen, entstand aus seiner Tätigkeit als Gutachter. Bei keinem der Fälle, mit denen er in den vergangenen zehn Jahren konfrontiert wurde, konnte er feststellen, dass der Einsatz elastischer Grundierungen tatsächlich die Seitenverleimung minimiert hatte. Und das, obwohl es weltweit eine Reihe industrieller Laboruntersuchungen gibt, die angeblich die Wirksamkeit der Produkte bewiesen haben wollen.
Wo liegt die Wahrheit? Haben alle Parkettleger den Gutachter Wilhelm Schmidt belogen und überhaupt keine Grundierungen eingesetzt? Oder ergeben die Untersuchungen der Hersteller ein beschönigendes Bild?
Labortests entsprechen nicht der Praxis
Wilhelm Schmidt warf einen Blick auf die industriellen Labortests. Dort wurde in der Regel die Klebkraft der Versiegelungslackes ermittelt, indem Holzflächen mit Lack eingestrichen und nass in nass zusammengepresst wurden. Die Kraft, die später für das Auseinanderreißen dieser Klebung notwendig war, wurde - bezogen auf die Klebfläche - zum Maß für die Seitenverleimung.
In dieser Versuchsanordnung aber kann Wilhelm Schmidt "Praxisgerechtheit nicht erkennen". Sein Argument: Eine vollflächige Benetzung der Kanten kommt in der Realität nicht zustande, weder bei Mosaikparkett noch bei Stabparkett. Und einen weiteren Testfehler kreidet er an: "Ich kenne keine Laboruntersuchung, bei welcher die über der Fuge liegende Lackschicht in gebührender Weise berücksichtigt wurde. Die hat jedoch mit Sicherheit einen beachtlichen Anteil am Zusammenhalt." Als Hinweis führt er die Aussage eines Siegelherstellers ins Feld, der vor wenigen Jahren mit einem "eigenhändigen Zerreißtest" für die zähelastische Strapazierfähigkeit seines Lackfilms geworben hat.
Testreihe mit 6 Lacken auf 748 Prüfkörpern
Wilhelm Schmidt machte sich an eine eigene Testreihe. Um zu prüfen, welchen Einfluss die Versiegelung auf die Verbindungsfestigkeit zweier benachbarter Parkettstäbe hat, fügte er die Stäbe mit leichtgängigen Sperrholzfedern zusammen, schliff die Oberfläche und versiegelte sie nach den Verarbeitungsrichtlinien des jeweiligen Herstellers. Im Anschluß wurden die Federn wieder entfernt.
Im Ergebnis entstanden Prüfkörper, die nur durch die Parkettversiegelung zusammengehalten wurden - einerseits durch in die Fuge eingedrungenen Lack, darüber hinaus durch den über der Fuge liegenden Lackfilm. Klebstoff war hier nicht im Spiel, kann in anderen Fällen aber auch zur Kantenverleimung beitragen.
Um verschiedene Varianten zu erkunden, hatte Schmidt seine Parkettstäbe so zusammengesetzt, dass vier Prüfkategorien entstanden: a) Fuge dicht, damit kein Versiegelungsmittel eindringen kann, b) Fuge mit 0,1-0,2 mm Luft, damit Grundierung oder Versiegelung gezielt eindringen kann, c) Fuge mit 0,4 mm Luft, aber sorgfältig mit einem Fugenkitt verschlossen, der minimierend auf Seitenverleimung wirken soll, d) Fuge dicht, aber Schmalflächen (Kanten) des Parketts eingewachst.
Auf diese Weise wurden drei wasserbasierte Versiegelungen mit ihren zugehörigen Grundierungen, zwei Öl-Kunstharz- Versiegelungen und eine 2K-PU-Versiegelung auf 748 Prüfkörpern aus 22 mm Ahorn und Eiche getestet.
Um die für das Aufreißen der Fuge aufgewandte Zugkraft zu messen, baute Wilhelm Schmidt ein einfaches Gerät, das ihm ermöglichte, die Zuglast bis zum Bruch der Fuge sehr langsam aufzubauen (bis zu 3 Minuten). Dennoch gibt er zu: "In diesem einzigen Punkt gibt es eine Abweichung zur Praxis, denn die Schwindspannungen, die zum Abreißen der Fuge führen, werden ja in Wochen oder Monaten aufgebaut."
Grundierungen funktionieren nicht auf dem Bau
Bei der Auswertung seiner Untersuchungsergebnisse stellte Wilhelm Schmidt zunächst fest: Sowohl die drei Wassersiegel als auch die beiden Öl-Kunstharz-Siegel wiesen untereinander keine wesentlichen Differenzen auf. Deswegen konnte er ihre Ergebnisse zusammenfassen.
Viel bedeutsamer jedoch war ein anderes Resultat: Es gibt keine Minimierung der Seitenverleimung durch den Einsatz einer angeblich minimierenden Grundierung. Im Gegenteil: Mit Grundierung liegen die Werte der Verbindungsfestigkeit sogar noch höher als ohne Grundierung. Wilhelm Schmidt: "Das war nicht zu erwarten, erklärt sich aber vielleicht aus der Tatsache, dass die Filmdicke mit einer Grundierung wesentlich höher ist."
Der Sachverständige erklärt, warum ein Primer auf der Baustelle seine Aufgabe nicht erfüllen kann:
1. Es ist handwerklich unmöglich, einen Parkettboden aus Parketteinzelteilen absolut fugendicht zu verlegen. Auch die optisch dichte Fuge ist offen für das Eindringen der Grundierung oder Parkettversiegelung. Die Schmalflächen der Stäbe werden völlig unkontrollierbar mit der Versiegelung benetzt - mal weniger, mal mehr.
2. Ein Primer kann nur dann zur Minimierung der Seitenverleimung beitragen, wenn die Fuge so dicht ist, dass keine Spur von Grundierung oder Versiegelung eindringen kann. Einen Parkettfußboden mit solchen Fugen gibt es nicht.
3. Im Test lagen die Durchschnittswerte für die Bruchlast bei der Kategorie "Fuge dicht" in einem ähnlichen Bereich wie in der Kategorie "Fuge 0,1-0,2 mm". Das ist ein Beleg dafür, dass selbst in der Kategorie "Fuge dicht" Versiegelung in die Fuge eingedrungen ist.
4. Sehr sorgfältiges und mehrfaches Verkitten der Fuge kann Seitenverleimung verhindern. Solch ein akribisches Arbeiten kann man unter Baustellenbedingungen aber nicht erwarten.
5. Keine Seitenverleimung entsteht, wenn die Kanten der Stäbe gewachst sind. Allein der über der Fuge liegende Lackfilm erbringt dann die Verbindungsfestigkeit. Die Grundierung ist auch hier nicht ausschlaggebend für das Fehlen von Kantenverleimung.
aus
Parkett Magazin 04/04
(Farben, Lacke)