Wird der Meisterbrief für mehr Beschäftigung geopfert?


Der deutsche Meisterzwang für Unternehmensgründungen und Ausbildungsbefugnis im Handwerk wurde lange im Hinblick auf die europäische Deregulierung diskutiert. Inzwischen treten innenpolitische Argumente in den Vordergrund. Von einer fortschreitenden Liberalisierung der Handwerksordnung erhofft sich die Bundesregierung sowohl mehr Unternehmensgründungen als auch mehr Arbeits- und Ausbildungsplätze im Lande. Innerhalb des Meisternachwuchses hat der Anpassungs- und Selbstfindungsprozess längst begonnen: Statt zu resignieren, beginnen viele, sich recht-zeitig zu orientieren und zu positionieren.

Der Spiegel (Ausgabe 15) zitierte Bundeswirtschaftsminister Clement: "Um die Selbständigkeit zu fördern, solle der Zwang zum Meisterbrief in vielen Berufen gestrichen werden." "Mehr Betriebe sollen ausbilden" titelte am 3. April "Die Welt" im Wirtschaftsteil unter Berufung auf Bundesbildungsministerin Bulmahn, die ab dem Ausbildungsjahr 2003/ 2004 die Ausbilder-Eignungsverordnung für fünf Jahre aussetzen wolle. Damit würden handwerkliche und gewerbliche Lehrstellen nicht mehr von einem geprüften Ausbilder und Meisterbrief-Inhaber abhängig sein.

Das Parkettlegerhandwerk gehört zu den A-Berufen, die laut "Spiegel" zusammen mit rund 50 % der insgesamt 94 Vollhandwerks-Berufe in die Anlage B "umgebucht" werden sollen. Clement erwartet von dieser Umstrukturierung, dass die Zahl der möglichen Arbeitgeber schlagartig ansteigen könnte. Seine Rechnung: 40 % der insgesamt 270.000 Beschäftigten in den "B"-Berufen seien Gesellen. Wenn sich ein Teil davon selbständig mache, sei schon viel gewonnen. Wenn ferner Gesellen aus den "A"-Berufen künftig ebenfalls ohne Meisterbrief selbständig werden können, sei dies eine weiterer Fortschritt. Wenn überdies in den "C"-Berufen ("die sich in einem Viertel Jahr erlernen lassen") der Start in die Selbständigkeit von den Handwerkskammern nicht zu prüfen und zu bewilligen, sondern nur noch zu registrieren sei, müsse es insgesamt eigentlich klappen. Konkrete Zahlen nannte Ministerin Bulmahn: Sie erwartet durch die Aussetzung des Meisterbrief-Zwanges für Ausbilder "20.000 zusätzliche Lehrstellen" schon in diesem Jahr.

Wie "Der Spiegel" formuliert, sei Clement zuversichtlich, seine Reform auch gegen den Willen des Handwerks durchzusetzen: "Begeisterung über seine Vorstellungen hat er dort nicht ausgemacht, wohl aber Bewegung." Gegenbewegung sei von der CDU/CSU-Opposition zu erwarten, merkt der Bericht an.

Bundesinnungsmeister Joachim Barth sah sich vom Spiegel-Artikel herausgefordert. Mit einem Leserbrief hakte er bei einem "Steckbrief" ein, mit dem "Der Spiegel" die wirtschaftliche Bedeutung des Handwerks unterstreicht. Barth weist darauf hin, dass der Jahresumsatz von 509,2 Mrd. EUR höher ist, als der Umsatz der sechs größten Unternehmen in Deutschland zusammen und dass 15% aller Beschäftigten sowie 34 % aller Ausbildungsplätze in Deutschland auf das Handwerk entfallen.
aus Parkett Magazin 02/03 (Handwerk)