Betrachtungen "gegen den Strich" vom Sachverständigen Wiljo Schumacher

"Ein Meisterstück war das nicht..."


Das Handwerk habe allen Grund, sich mit der bevorstehenden Aufhebung des Meisterzwangs in etlichen Gewerken selbstkritisch auseinander zusetzen, meint Wiljo Schumacher, Holzhändler und Sachverständiger aus Köln. Die "weißen Schafe" unter den Meisterbetrieben könnten nicht darüber hinweg blenden, dass es de facto zu viele "schwarze Schafe" gebe, meint er.

"Verachtet mir die Meister nicht und ehrt mir ihre Kunst!" lehrt Hans Sachs mit vollem Bass in den Meistersingern von Nürnberg. Dagegen begehrt in der bekannten Wagner-Oper der junge Ritter Walther von Stolzing mit seinem Tenor auf, "ohne Meister selig zu sein".

Zu dem, was im Nürnberg des 16. Jahrhunderts spielt, zieht Wiljo Schumacher eine aktuelle Parallele: Der gegenwärtige Schlagabtausch zwischen Regierung und Opposition zeige: SPD und Grüne wollen die Handwerksordnung liberalisieren, "den Laden frisch machen" (Fritz Kuhn, Wirtschaftsexperte der Grünen); Union und FDP wehren sich mit der Behauptung, die Pläne gefährdeten das gesamte Handwerk, Verbraucherschutz und Ausbildungsplätze.

Mit Sicherheit lasse sich jede dieser Positionen nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Alltagspraxis belegen, ist Wiljo Schumacher überzeugt - um gleich die konkrete Frage anzuschließen: "Wie sieht die Praxis in unserer Branche, also bei den Kunden des Holzgroßhandels, sprich: bei Schreinern, Tischlern und Parkettverlegern eigentlich aus?"

Seit geraumer Zeit, unterstreicht Schumacher, entspreche es im Innenausbau mit Holz und Holzprodukten häufig geübter Praxis von sogenannten Montagebetrieben, die Handwerksordnung zu umgehen - "eine Folge der heutigen Produkt- und Verlegetechnik".

Schumacher zieht daraus den Schluss: "Montage ohne Meisterbrief hat sich im Fußbodenbereich offensichtlich erfolgreich durchgesetzt". Die Konsequenz daraus: Schreiner und Tischler sind bisher nicht betroffen, aber Parkettleger sollen künftig nicht mehr zu den 29 von insgesamt 94 "geschützten" Handwerksberufen zählen.

Wiljo Schumacher hält dieses für gesetzgeberisch folgerichtig und wertet die Entscheidung - bewusst provozierend - als vernünftig und längst überfällig: "Wer als Holzhändler und als Holzsachverständiger tagtäglich mit den Handwerkern im Innenausbau zu tun hat, weiß um die Wirklichkeit. Faktum ist, dass ein Meisterbrief - egal in welchem Handwerk - keine fachlich einwandfreie handwerkliche Leistung garantiert".

Seine eigene Erfahrung als Sachverständiger und die insgesamt gute Auslastung im Sachverständigenwesen lassen Schumacher zu dem Schluss kommen, dass zwar die weiß-leuchtenden Schafe gerne in den Vordergrund gestellt werden, dass es aber "nicht nur wenige schwarze Schafe sind, die den Meisterbrief in Verruf bringen". Leider - bedauert er - seien es zu viele, die ein "zertrampeltes Feld hinterlassen".

Weshalb ist das Handwerk trotz Meisterbrief in Verruf geraten? Eine der Antworten von Schumacher auf diese Frage werden viele Ausbilder "im Prinzip" bestätigen wollen: "Weil in der Ausbildung die einfachsten Grundprinzipien Ordnung, Sauberkeit und Pünktlichkeit vernachlässigt werden". In der Praxis aber sieht Wiljo Schumacher deutliche Anzeichen dafür, dass sich ein "neues" Denken durchgesetzt habe, in dem die "vermeintlich typisch deutschen Tugenden Ordnung, Sauberkeit und Pünktlichkeit für so antiquiert gehalten werden, dass sie einem Auszubildenden heute kaum noch abverlangt werden".

Für diese Defizite biete die moderne Technik nur scheinbaren Ausgleich: "Mit Computeranimationen wird dem Kunden virtuell Kompetenz vorgespielt. Der High-Tech-Maschinenpark in der Werkstatt überzeugt die Technikgläubigen". Mindestens ebenso wichtig wie High-Tech-Geräte seien aber gänzlich herkömmliche und "nebensächliche" Arbeitsgeräte - beispielsweise der vom Handwerker mitgebrachte Staubsauger für das Saugen beim Kunden vor Ort".

Wiljo Schumacher beschreibt nachfolgend das Szenario eines Arbeitsablaufs, den er nicht nur in die Kategorie "Übertreibung verdeutlicht" eingeordnet wissen möchte. Die Schilderung entspreche einer durchaus realistischen Situation, wie sie tagtäglich von vielen Auftraggebern erlebt werde: "Eine Woche später als vereinbart - es kommt ja bekanntlich immer etwas dazwischen, Staus und Bahnverspätungen sind schließlich Bestandteil unserer Gesellschaft geworden - wird munter begonnen.
Mindestens zwei Gesellen und ein Lehrling erscheinen auf der Baustelle, denn Meisterbetriebe sind auch Ausbildungsbetriebe. Der Meister ist nicht dabei, er holt bereits den nächsten Auftrag ein. Also fragt der Geselle den Bauherrn, was denn nun zu tun sei, und so übernimmt letzterer die Meisterrolle.

Es wird getan, gemacht und eingebaut. Die Hausfrau säubert abends den Arbeitsplatz. Irgendwann ist alles fertig, auch wenn hier und da noch etwas fehlt, und die Handwerker ziehen ab. Einige Tage später betritt der Meister eines anderen Gewerks das Haus, um einige längst überfälligen Nachbesserungen vorzunehmen. Dabei prüft er kritisch die Arbeiten, die sein Meisterkollege ausgeführt hat und lässt sich zu einer kurzen lässigen Bemerkung hinreißen: "Wie sieht das denn aus?"

Folge: Der Bauherr ist verunsichert, ein Sachverständiger wird vorsorglich gerufen. In den meisten Fällen stellt sich dann heraus, dass die vom Meisterbetrieb ausgeführte Arbeit trotz der Querelen und einiger kleiner Mängel, die auf gutachterlichen Druck beseitigt werden, letztlich die Ansprüche erfüllt, aber ein Meisterstück war das nicht".

Die Gefahr, dass "der Meisterbrief zur Floskel und schnell auch zum Schimpfwort werden kann", sei nicht unwesentlich vom Handwerk selbst heraufbeschworen worden, unterstreicht Wiljo Schumacher und knüpft an das Meistersinger-Zitat an: "Auf vielen Gebieten lässt sich heute in der Tat ohne Meister selig sein und ehrenvolle Kunst erbringen".
aus Parkett Magazin 04/03 (Handwerk)