Kritische Betrachtungen der europäischen Prüfnormen für Industrieestriche
Wie aussagekräftig sind die neuen Verschleißprüfungen?
Im Rahmen der europäischen Estrichmörtel-Normung wurden unter anderem neue Prüfverfahren für die Verschleißeigenschaften von Industrieestrichen definiert. Künftig stehen hier drei verschiedene Verfahren zur Verfügung, die auf den unterschiedlichen Erfahrungen und Traditionen der beteiligten Länder beruhen. Oliver Erning, Leiter des Instituts für Baustoffprüfung und Fußbodenforschung in Troisdorf, hat die einzelnen Methoden und ihre Praxistauglichkeit kritisch unter die Lupe genommen und stellt seine Ergebnisse vor.
Das zuständige CEN TC 303 "Estriche im Bauwesen" hat inzwischen drei neue, europäische Normen bzw. Normenreihen vorgelegt:
- DIN EN 13318 (12/00) "Estrichmörtel und Estriche - Begriffe",
- DIN EN 13813 (09/02) "Estrichmörtel und Estriche, Estrichmörtel und Estrichmassen - Eigenschaften und Anforderungen",
- und die Prüfnormen-Reihe DIN EN 13892 Teil 1 - 8.
Die fortschreitende europäische Normung der Estrichmörtel wird künftig weitreichende Auswirkungen auf die verlegten Estriche haben. So berücksichtigt DIN EN 13813 im Gegensatz zur deutschen Estrichnorm DIN 18560 beispielsweise auch Kunstharzmörtel. Die neue, bewusst dickenunabhängig formulierte Estrichdefinition schließt sogar Beschichtungen mit ein.
Darüber hinaus werden für Estrichmörtel bestimmte Eigenschaften deklariert und zugesichert. Hierzu gehört, dass beim Einsatz von Estrichmörteln als Industrieestrich - Nutzestrich - eine Aussage zu den Verschleißeigenschaften zu machen ist. Die Mörtelnorm kennt dabei unterschiedliche Verschleißeigenschaften, denen verschiedene Prüfverfahren zugrunde liegen. Sie beruhen auf den unterschiedlichen Erfahrungen und Traditionen in den einzelnen Ländern der Europäischen Gemeinschaft - und lassen sich nicht ohne weiteres vergleichen.
Welche Prüfverfahren gibt es?
Die zwingend erforderlichen Eigenschaften von Estrichmörteln sind in Tabelle 1 der Mörtelnorm EN 13813 angegeben. Sie schreibt für Estrichmörtel auf Basis von Kunstharz und Zement, die für Nutzflächen vorgesehen sind, eine Aussage zum Verschleißwiderstand vor - bei Calciumsulfat- und Magnesiaestrichen ist diese optional. In diesem Zusammenhang sind insgesamt drei verschiedene Prüfverfahren vorgesehen:
- "Verschleißwiderstand nach Böhme" (EN 13892-3)
- "Verschleißwiderstand nach BCA" (EN 13892-4)
- "Verschleißwiderstand gegen Rollbeanspruchung" (EN 13892-5)
Mit den in den Prüfungen ermittelten Abriebwerten lassen sich die Estrichmörtel in entsprechende Klassen eingruppieren (s. Tabelle 2 - 4). Für die Praxis stellt sich die allerdings Frage, ob überhaupt Erfahrungswerte darüber vorliegen, welche Klasse für welchen Verwendungszweck geeignet ist. Im Anhang "ZA" der EN 13813 werden zumindest bestimmte Schwellenwerte angegeben, die mindestens einzuhalten sind, um eine Verschleißeigenschaft deklarieren zu können (Tab. 5). Wie kommt man aber zu diesen Werten - wie sehen die Prüfungen im einzelnen aus?
1. Verschließwiderstand nach Böhme
Dieses Prüfverfahren stammt aus Deutschland und wird hierzulande bereits seit vielen Jahren angewendet - unter anderem bei mineralisch gebundenen Industrieböden und bei Natursteinen (DIN 52108 08/88 "Prüfung anorganischer nichtmetallischer Werkstoffe, Verschleißprüfung mit der Schleifscheibe nach Böhme"). Bei der Prüfung setzt man quadratische Prüfkörper auf eine Schleifbahn bzw. Schleifscheibe auf - das sogenannte "Verschleiß-Prüfgerät nach Böhme" - auf die ein Norm-Schleifmittel (Korund) aufgestreut wurde. Unter Drehung der Schleifscheibe wird der Probekörper einer definierten Verschleißlast von 294 N ausgesetzt. Nach einer vorgegebenen Anzahl von Umdrehungen ermittelt man anhand des Volumenverlustes des Prüfkörpers pro 50 cm
2 den Verschleißwiderstand nach Böhme. Dieser kann auch als Dickenverlust des Prüfkörpers bestimmt werden (z.B. bei Einstreuungen). Das Haupteinsatzgebiet der Böhmescheibe bilden Hartstoffe nach DIN 1100 bzw. Hartstoffestriche nach DIN 18560 Teil 7 sowie Einstreuungen. Vorteil: Mit diesem Prüfverfahren lassen sich gute und schlechte Materialien eindeutig unterscheiden. Allerdings ist die Anwendung auf mineralische Systeme begrenzt. Für Kunstharzestriche eignet sich dieses Verfahren also nicht.
2. Verschließwiderstand nach BCA
Das Prüfverfahren nach BCA kommt aus England und wird dort bei Kunstharzestrichen und kunstharzmodifizierten Zementestrichen angewendet. Es existiert auch eine entsprechende englische Prüfnorm. Im Gegensatz zur rein schleifenden Beanspruchung der Böhmescheibe laufen hier drei gehärtete Stahlrollen mit einer Auflast von 650 N über einen ringförmigen Prüfbereich - für insgesamt 2.850 Umdrehungen. Danach wird mit einer Messschablone und einem Tiefenmessgerät an acht Punkten im Abstand von 45 die Tiefe gemessen, mit der Tiefe vor der Prüfung verglichen und daraus die mittlere Abriebtiefe in m berechnet. Diese ergibt den Verschleißwiderstand AR.
Ein prinzipieller Vorteil dieser Prüfmethode besteht darin, dass sie sowohl im Labor als auch vor Ort angewendet werden kann. Das Verfahren selbst ist jedoch als problematisch zu bewerten: Hier wird eine Messgenauigkeit im m-Bereich vorgeschoben - allerdings ist zu bezweifeln, dass man ein Tiefenmessgerät mit ausreichender Genauigkeit zweimal an der gleichen Stelle positionieren kann. Zumal, wenn man bedenkt, dass die höchste Klasse mit AR 0.5
(= 50 m ) angegeben wird - also eine sehr exakte Messung voraussetzt.
Für Kunstharzestrichmörtel wird in EN 13813 ein Schwellenwert von ≤ AR 1 angeben. Damit verbleiben für Kunstharzestriche nur zwei zulässige Klassen: AR 1 und AR 0.5 (s. Tab. 3). Es ist jedoch sehr fraglich, ob man mit zwei Klassen zwischen allen Kunstharzestrichsystemen ausreichend differenzieren kann. Kann man überhaupt zwischen den einzelnen Kunstharzestrichen differenzieren? Die deutsche Kunstharzestrich-Industrie befasst sich derzeit mit diesem Prüfverfahren. In ersten Prüfungen an verschiedensten Kunstharzsystemen ließ sich kein Abrieb feststellen. Erst ab 20-facher Belastung à 2850 Umdrehungen wurden Unterschiede zwischen den einzelnen Systemen sichtbar. Dies lag aber wahrscheinlich an einer Erwärmung der einzelnen Produkte über die Glasübergangstemperatur.
Diese Ergebnisse stehen wiederum in totalem Gegensatz zu Untersuchungen, die in Skandinavien durchgeführt wurden. Dort hat man Betone bzw. Betone, die mit kunststoffmodifizierten Zementestrichen oder Kunstharzestrichen versehen waren, überprüft. Dabei wurde überraschenderweise von keinem Material der erforderliche Schwellenwert von AR 1 erreichet, obwohl es sich teilweise um in der Praxis durchaus bewährte Systeme handelte.
Für rein mineralisch gebundene Systeme liegen mit dieser Prüfmethode nach unserem Kenntnisstand bislang keine ausreichenden Erfahrungen vor. Das Diagramm in Abb. 1 zeigt bei rein mineralischen Systemen eine relativ hohe Abriebtiefe. Dies ist aber aufgrund der Stahlräder nicht verwunderlich und deckt sich mit praktischen Erfahrungen. Man kann daher auch noch nicht beurteilen, ob dieses Verfahren bei diesen Systemen eine Alternative zur Böhmescheibe darstellt. Eine Korrelation zwischen beiden Prüfverfahren erscheint in jedem Fall unwahrscheinlich, da sich die rollende Beanspruchung von der schleifenden prinzipiell unterscheidet.
3. Verschließwiderstand nach RWA
Diese Prüfmethode wurde in Skandinavien entwickelt und ist dort unter dem Namen "Bring-Methode" bekannt - auf Basis der schwedischen Prüfnorm SS 923508. Hier wird ein Estrichmörtel auf einem Betonuntergrund aufgebracht und dieses System einem hoch belasteten, rollenden Stahlrad ausgesetzt - für 10.000 Überläufe. Das belastete Rad läuft dabei horizontal in zwei Achsen, die sich im rechten Winkel mit unterschiedlichen Frequenzen kreuzen. Diese Bewegung verursacht Normal- und Scherkräfte im Estrichmörtel. An den Umkehrpunkten wird zusätzlich eine Torsion erzeugt.
Der zu ermittelnde Widerstand RWA ("Rolling wheel") wurde in Skandinavien bisher über den Materialverlust durch Abrieb bestimmt und zusätzlich die Änderung des Oberflächenprofils berücksichtigt. Nach Ansicht des europäischen Normenausschusses lässt sich der Materialabrieb allerdings nicht mit der erforderlichen Genauigkeit bzw. Reproduzierbarkeit ermitteln. Deshalb erfolgt die Bestimmung des Widerstands RWA nach der europäischen Prüfnorm EN 13893-5 über die Änderung des Oberflächenprofils.
Dennoch sind grundsätzliche Zweifel hinsichtlich der Zuverlässigkeit und Aussagekraft des Prüfverfahrens angebracht, wie einschlägige Versuche belegen - beispielsweise die Profilkurven und Abriebmengen eines Concrete K25, der in 4 verschiedenen skandinavischen Laboratorien nach der alten skandinavischen Methode geprüft wurde (s. Abb. 2). Die Abriebmenge variiert hier je nach Labor zwischen 89 g und 340 g. Die Profilkurven sind ebenfalls nicht deckungsgleich. Dabei wurden die Proben zusammen hergestellt und erst danach auf die einzelnen Laboratorien verteilt.
Die Ursache für diese Unterschiede ließ sich bisher nicht ermitteln - solche Ergebnisse sind aber in jedem Fall inakzeptabel. Sie wurden allerdings nach der skandinavischen Methode bestimmt. Vielleicht schafft die Bestimmung des Widerstandes RWA über die Änderung des Oberflächenprofils Abhilfe. Es ist auch nicht bekannt, ob die Prüfmaschinen in Skandinavien schon umgerüstet worden sind.
Fazit: Keine Vergleichbarkeit und erheblicher Forschungsbedarf
Zwischen den einzelnen Prüfverfahren lässt sich wahrscheinlich keine Korrelation finden, denn die Belastung der Oberflächen fällt jeweils sehr unterschiedlich aus. Bei der Böhmescheibe handelt es sich um eine rein schleifende Belastung; bei den beiden anderen Verfahren um eine rollende mit einem Stahlrad. Wobei die "Rolling wheel"-Methode allerdings auch Scher- und Torsionskräfte verursacht.
Für rein mineralische Systeme bildet die Böhmescheibe weiterhin den Standard. Die Erfahrung hat aber gezeigt, dass sich diese Methode nicht für Kunstharzestriche eignet. Hier könnte das BCA-Verfahren "einspringen" - es lässt jedoch nach unserer Ansicht keine ausreichende Differenzierung zwischen den einzelnen Kunstharzestrichen zu. Und bezüglich rein mineralisch gebundener Systeme liegen keinerlei Erfahrung vor. Der einzige Vorteil dieses Verfahrens bleibt damit die Möglichkeit eines Vor-Ort-Einsatzes.
Beim "Rolling wheel"-Verfahren scheint die vielfältigste Oberflächenbelastung aufzutreten. Allerdings sind die Ergebnisse nicht reproduzierbar, wenn man den Feldversuch mit den verschiedenen Laboratorien betrachtet.
Vor diesem Hintergrund sollte man immer die vorgesehene Beanspruchung berücksichtigen und danach das Prüfverfahren wählen. Momentan liegen allerdings nur für die Böhmescheiben ausreichende Erfahrung und Prüfergebnisse vor, um zwischen den einzelnen Materialien und je nach Einsatzgebiet unterscheiden zu können. Bleibt also abzuwarten, ob sich durch weitere Versuche auch für die anderen Verfahren praxisgerechte Richtwerte finden lassen.
aus
FussbodenTechnik 02/03
(Normen)