Was wollen die Kunden von heute wirklich?
Produktnutzen oder Emotionen?
NUFRINGEN - Bei ihren Recherchen zum Thema "Wertewandel in Deutschland" hat sich Rena Hoffmann, Fachdozentin an der LDT-Nagold, unter anderem intensiv mit dem Thema "Kundenorientierung" auseinandergesetzt und der "Haustex" den nachfolgenden Artikel zur Verfügung gestellt.
Die Stiftung Warentest hatte im September 2003 die Beratungsqualität im Bettenfachhandel vor allem unter der Prämisse der Bedarfsanalyse in ein schlechtes Licht gerückt. In diesem Zusammenhang ist besonders auffällig, dass sich die Institution an einem sehr traditionellen Bild der Kundenbedienung und Nachfrage orientiert, welches in der Wirtschafts-, Markt- und Gesellschaftsforschung bereits seit mindestens sieben Jahren als überholt angesehen wird.
Gewünscht werden Service und Erlebnisse
Anlässlich der VDB-Tagung im April dieses Jahres stellte Ulrich Eggert von der BBE-Unternehmensberatung in seinem Vortrag zum Thema "Perspektiven des Handels 2010" aktuelle Untersuchungsergebnisse vor, die besagen, dass Kunden künftig zunehmend Service und Erlebnisse nachfragen werden. Alle Forschungsergebnisse zu diesem Thema bestätigen tatsächlich diese Tendenz. Beispielsweise hat der renommierte Zukunftsforscher und Politikberater Prof. Dr. Horst W. Opaschowski von der Universität Hamburg einen deutlichen Trend zum Erlebniskonsum ausgemacht.
Solche Erkenntnisse sind jedoch keineswegs neu. Bereits 1996 befasste sich der Wirtschaftswissenschaftler Gerhard Schulze in seinem Aufsatz "Produktentwicklung und Marketing im kulturellen Wandel" mit diesem Phänomen. Er spricht dabei von der "Erlebnisrationalität der Konsumenten". Wie sind diese Schlagworte zu verstehen? Im traditionellen Bild des Marktgeschehens begegnen die Konsumenten der Warenwelt mit bestimmten Wünschen und Bedürfnissen, möchten hohen Nutzen für möglichst wenig Geld, setzen Prioritäten und richten sich bei der Kaufentscheidurig danach. Dies entspricht der rein produktorientierten Denkweise, bei der man mit Hilfe von Nutzendefinitionen bessere Produkte von schlechteren unterscheiden kann. Marketing ist hier auf Nutzenkonkurrenz und Produktentwicklung auf Nutzenoptimierung ausgerichtet.
Inzwischen haben sich die Produkte immer mehr dem Nutzenoptimum angenähert, und der Grenznutzen von Produktneuheiten oder Veränderungen nimmt ab, wodurch eine Differenzierung nach Qualitätsmerkmalen immer schwieriger wird. Dazu kommt, dass die elementaren Bedürfnisse der Konsumenten in unserer Wohlstandsgesellschaft weitestgehend befriedigt, wenn nicht gar übersättigt sind. Die produktorientierte Nutzendefinition hat somit nicht nur ihre objektive Grenze der Steigerungsfähigkeit erreicht, sondern sie ist gleichzeitig auch subjektiv beschränkt.
Die Konsumenten wollen gar nicht bis an die Grenze der Möglichkeiten gehen, und viele Produkte können heute mehr, als die Konsumenten eigentlich wollen. Das führt dazu, dass viele Produktentwickler zu "Nutzenerfindern" mutiert sind. Was in aller Welt können die Konsumenten bloß noch (ge-)brauchen; und wie kann man sie davon überzeugen, dass sie dieses oder jenes Produkt benötigen. Vor diesem Hintergrund hat das Bedürfnis als Grundlage einer Kaufentscheidung ausgedient.
Erlebnisorientierter Nutzen steht im Vordergrund
Zwar hat der produktorientierte Kundennutzen durchaus noch seine Existenzberechtigung, er verliert jedoch zugunsten des erlebnisorientierten Nutzens zunehmend an Bedeutung. Die junge Generation, welche kaum noch mit materiellem Mangel konfrontiert wird, möchte ein interessantes, aufregendes und faszinierendes Leben führen. Vielleicht soll es auch friedlich oder einfach nur lustig sein, auf gar keinen Fall darf es allerdings ereignislos, langweilig und ohne Höhepunkte sein. Daraus entwickelt sich ein Denken, dass Gerhard Schulze als Erlebnisrationalität bezeichnet. Waren und Dienstleistungen dienen inneren Zwecken. Sie werden vom Kunden ausgewählt, um sich selbst in bestimmte Zustände zu versetzen. Erlebnisrationalität kann als Selbstmanipulation durch den Betroffen bezeichnet werden und richtet sich auf psychische Kategorien wie Ekstase, Spannung, Entspannung, Wohlgefühl oder Abreagieren.
Der traditionelle produktorientierte Kunde ist enttäuscht, wenn er ein Produkt nicht bekommt oder es die zugesicherten Eigenschaften nicht bietet. Der erlebnisorientierte Kunde gibt sich damit nicht zufrieden. Er kann auch enttäuscht reagieren, wenn das Produkt selbst einwandfrei ist, nämlich dann, wenn der Kauf des Produktes in ihm nicht das erhoffte Gefühl auslöst. Die Konsumenten von heute haben genügend Güter. Aus diesem Überfluss resultiert eine parallele Sehnsucht, etwas zu sein, etwas zu fühlen oder sich selbst als etwas Bestimmtes zu erleben. Die Menschen machen sich somit selbst zum Ziel ihres Handelns. Als Kunden sind sie deshalb nicht mehr einschätzbar, weil sie ständig ihre Ansprüche verändern.
Die Kunst, den neuen Kunden zu erreichen
Die Marketingforschung hat das erkannt, und es wurden diverse Strategien entwickelt, um den "neuen Kunden" zu erreichen. Diese Strategien reichen von Suggestion, welche einer Verführung des Kunden gleicht, bis hin zur ständigen Modifikation von Produkten, die sich aber letztendlich nicht wirklich unterscheiden, sondern lediglich "neu" erscheinen.
Solche Strategien sind nicht überall sinnvoll, kommen jedoch allen Beteiligten des Marktgeschehens entgegen. Viele Hersteller befassen sich professionell mit dem Thema und unterstützen ihre Vertragspartner entsprechend. Dennoch bedarf der Umgang mit Kunden größter Flexibilität und psychologischen Feingefühls. Die genannten Eigenschaften sollten vor allem im Verkauf zu finden sein, also bei den Mitarbeitern des Fachhandels. Natürlich wird es nach wie vor auch die produktorientierten Kunden geben. Die Gewinner im Marktgeschehen werden jedoch diejenigen Fachhandelsgeschäfte sein, deren Führung Innovationsfreude und Entwicklungsbereitschaft zeigt."
aus
Haustex 12/03
(Handel)