Ein Plädoyer für Cross-Over-Konzepte
Erfolg braucht Beziehungen
BOCHUM (UG) - In Zeiten rückläufiger Absatzzahlen erfolgt häufig ein Blick zurück, warum früher alles besser lief. Oder man blickt auf die Marktteilnehmer, die auch heute Markterfolge erzielen. Beides kann helfen, die eigene Position im Wettbewerb deutlicher zu verstehen und damit die Chance zu bekommen, sich zu verbessern. Das Augenmerk sollte dabei auf die Kunden, das Sortiment und die Kommunikation gelegt werden.
In der heutigen Überflussgesellschaft ist nicht nur das Warenangebot, sondern auch das daraus resultierende Informationsangebot für den Endkunden nur noch selektiv konsumierbar. Dieser Selektion nicht zum Opfer zu fallen, ist das erklärte Ziel aller Kommunikationsmaßnahmen. Im Gegensatz zur Kommunikation über Prospekte, Mailings oder TV, bei welcher es zunächst nur um die bloße, vergleichsweise kostenintensive Informationswahrnehmung durch den Empfänger geht, ist die Information über das Internet, aber auch am POS anderer Natur. Der Internet-User selektiert vorher, welche Informationen er woher erhalten möchte. Die Informationsmenge kann er jederzeit durch Abbruch reduzieren oder über Links oder Suchmaschinen erweitern. Nicht zuletzt auf Grund der Markenarmut und des daraus resultierenden geringen Produktinvolvements steht das Internet bei Heimtextilien noch im Hintergrund der Informationsvermittlung und des tatsächlichen Verkaufs. Aber auch auf Grund der haptischen und optischen Produkterlebnisse spielt der persönliche Verkauf nach wie vor die wichtigste Rolle.
Besteht wirklich kein Interesse an Heimtextilien?
Die Klage über das generell geringe Interesse der Konsumenten an Heimtextilien ist allseits zu hören. Stimmt diese These denn so uneingeschränkt? Bezeichnend ist die Aussage des Geschäftsführers eines Matratzenherstellers, der berichtet, dass er in jedem Urlaub auf etliche Zuhörer trifft, die reges Interesse an den scheinbar so langweiligen Matratzen zeigen. Folglich scheint das Involvement eher ein Thema der Kommunikation als der Produkte zu sein. Je mehr die einzelnen Produkte das Interesse des Konsumenten gewinnen, um so größer ist die Chance der Anbieter, intensiv mit den Kunden in Kontakt zu kommen. Dieses "High Involvement" existiert auch im Bereich der Heimtextilien. Das Problem ist nur, dass das Interesse bei den meisten Kunden erst einmal aktiviert werden muss. Die Kommunikation erfordert hier ein differenziertes Vorgehen.
Im Grundkonsum, der eindeutig vom Preiskampf dominiert wird, sind die Spielregeln klarer aufgestellt. Gerade im Heimtextilienmarkt kommt erschwerend hinzu, dass die Grundausstattung in aller Regel vorhanden ist, weshalb der Grundkonsument die Nutzungsdauer so lange ausdehnt, wie es ihm richtig erscheint. Ansprüche an Komfort und Hygiene, aber auch an das Aussehen, variieren dabei bekanntermaßen gravierend. Warum schafft es beispielsweise ein Aldi, solche Grundkonsumenten aus dem Bett zu locken? Das Rezept ist einfach. Guter Preis und Dringlichkeit! Heute bekommst Du bei uns gute Qualität - häufig durch entsprechende Urteile der Stiftung Warentest manifestiert - zum super Preis. Dabei ist es nicht unbedingt relevant, ob der Preis wirklich immer so super ist. Aber wenn Du morgen kommst, können wir nicht mehr garantieren, dass der Aktionsartikel noch da ist. Dieses Konzept geht auch ohne durchgestrichenen Preis auf, weil Aldi ein übergreifendes Preiskompetenz-Image besitzt. Übergreifend heißt dabei, dass Aldi es geschafft hat, sich für alle Angebotsbereiche ein einheitliches Image aufzubauen; und zu diesem Basissortiment gehören so ziemlich alle Artikel, die in einen PKW passen. Aldi ist somit ein erfolgreicher Cross-Over-Anbieter mit starkem Aktions- und Preisfokus.
Wie wichtig der Sortiments-Mix und der Cross-Over-Gedanke bei den Discount-Riesen ist, zeigen die jüngsten Quartalszahlen, nach denen Lidl als ewiger Zweiter dem Konkurrenten Aldi Marktanteile abknöpfen konnte. Begründung: mehr Non-Food-Artikel und ein größeres Markenangebot. Die Kommunikation der Discounter ist auf deren Vermarktungskonzept zugeschneidert. Beim wöchentlichen Einkauf seines Basisbedarfs oder beim gezielten Kauf eines Aktionsartikels kann sich der Kunde über die Aktionsartikel der kommenden Woche informieren. Dies funktioniert auch, wenn er den Laden nicht betritt. Parallel kann sich der Kunde im Internet informieren. Hinzu kommt mit der persönlichen Kommunikation ein häufig unterschätzter Faktor. Es gilt heute als clever, bei Aldi zu kaufen. Also spreche ich darüber mit meinem Mann, meiner Nachbarin und meinen Freunden. Hierbei werden Meinungen gemacht und Artikel vorverkauft, die man ohne das persönliche Gespräch vielleicht gar nicht gekauft hätte.
Läßt sich das Discounter-Prinzig auf den Heimtextilienmarkt übertragen?
Das stark expansive Dänische Bettenlager arbeitet mit verschiedenen Erfolgsfaktoren von Aldi: leichte Erreichbarkeit durch ein flächendeckendes Filialnetz, günstige Preise für ausgewiesene Qualität und den Ansatz eines Cross-Over-Sortiments durch Möbel und Geschenkartikel. Was fehlt, sind Überraschungen und der Druck auf den Konsumenten, schnell zu kaufen. Der Überraschungseffekt von Aldi besteht in der enormen Breite an Aktionsartikeln, die unterschiedlichste Zielpersonen dazu aktiviert und motiviert, zum kurzen Aktionszeitpunkt zu kaufen. Bei einem stetigen Heimtextiliensortiment ist dieser Druck nur schwer zu erzeugen. Ansatzpunkte ergeben sich bei Jubiläumswochen und -veranstaltungen mit Sonderrabatten. Dies erklärt auch die Inflation derartiger Aktionen. Dabei ist der messbare Erfolg, nämlich das betriebswirtschaftliche Ergebnis, häufig nicht zufriedenstellend. Den Faktor "Preis" sollte nur der dauerhaft einsetzen, der die entsprechenden Rahmenbedingungen besitzt und dessen Geschäftsmodell darauf basiert. Druck kann durch die Dringlichkeit und durch die Wichtigkeit einer Kaufentscheidung erzeugt werden. Beide Faktoren lassen sich wohl dosiert auch ohne Preiskämpfe einsetzen.
Für einen Markterfolg im Fachhandel rücken andere Medien in den Vordergrund. Handel basierte früher fast ausschließlich auf zwischenmenschlichen Beziehungen. Das hat sich bis heute nicht geändert: Geschäfte werden zwischen Menschen gemacht. Selbst die Versender geben einem heute durch persönliche Mailings das Gefühl, beim Firmenchef persönlich zu kaufen. Der Aufbau einer persönlichen Kommunikationsebene fällt vielen Einzelhändlern schwer. Jeder Kunde, der ein Geschäft betritt, tut dies mit einer bestimmten Erwartungshaltung an die Beratung und damit an die Intensität der persönlichen Kommunikation. Das Verkaufspersonal muss diese Einstellung auch ohne Kundenansprache erkennen können. Viel mehr als Fachwissen sind daher die kommunikative Kompetenz, aber auch die Entscheidungskompetenz für einen souveränen Auftritt entscheidend.
Solange Verkäufer zu allen relevanten Punkten Auskunft geben können, und dazu zählen inzwischen auch Preisentscheidungen, können sie sich sicher fühlen und tatsächlich eine Vertrauensbasis zum Käufer aufbauen. Im persönlichen Gespräch ist es ihnen möglich, die Wichtigkeit und zuweilen auch die Dringlichkeit einer Kaufentscheidung zu argumentieren, ohne aufdringlich zu wirken. Im Gespräch können relevante Informationen gefiltert und dem Kunden für seine Entscheidung zur Verfügung gestellt werden. Dies können unpersönliche Medien wie Prospekte oder Plakate nicht leisten. Zudem kann der geschulte Verkäufer im Rahmen der persönlichen Kommunikation persönliche Informationen generieren, um die Beziehung zu intensivieren. Das Einverständnis des Kunden vorausgesetzt, sollten alle Informationen in einer Datenbank gesammelt werden, um diese für Folgegeschäfte in der Kommunikation zu nutzen. Käufer, die bemerken, dass sie nicht anonym, sondern auf einer ehrlichen persönlichen Ebene betreut werden, sind potenzielle Stammkunden im Fachhandel. Zufriedene Kunden sprechen darüber. Je nach Größe und Qualität des persönlichen Netzwerkes ergeben sich dabei wertvolle Referenzen.
Stammkunden werden sie natürlich nur, wenn das Waren- und Dienstleistungsangebot genügend Potenzial für Zusatzverkäufe oder Cross-Over-Verkäufe bietet. Bettausstattungen kauft man erfahrungsgemäß nur alle acht bis zehn Jahre. Zusatzverkäufe sind eher die Ausnahme, da nur wenige sich ergänzende Systemangebote existieren. Eine Kundenbindung funktioniert in der Regel nur über Artikel, die kürzere Erneuerungszyklen haben. Hier gilt es die Konsumenten durch Produkte zu überraschen, die aus ganz unterschiedlichen Produktbereichen kommen, die aber dem gleichen Sortimentsanspruch gerecht werden wie diejenigen Artikel, die den Käufer über die Kommunikation zum potenziellen Stammkunden gemacht haben. Die geschickte Zusammenstellung der einzelnen Geschäftsbausteine ist die Grundlage dafür, dass ein Fachgeschäft auch über vereinzelte Zielkäufe hinaus interessant bleibt.
Maßnahmen zur Kundengewinnung
Wie gewinne ich heute neue Kunden für ein Bettenfachgeschäft, wenn nicht über Cross-Over-Artikel und -angebote, die mir, beispielsweise durch gut kommunizierende Schaufenster, mögliche Kunden ins Geschäft bringen und somit den Einstieg in das persönliche Gespräch ermöglichen. Cross-Over macht Einzelsortimente im Hochwertbereich auch jenseits der Aktionsschnelldreher eines Aldi interessanter. Das Thema Kommunikation muss dabei generell von jedem einzelnen Marktteilnehmer überdacht werden. Das Verkaufsgeschäft ist nach wie vor die persönliche Visitenkarte. Hier wird direkte persönliche Kommunikation gelebt.
Prospekte und Kataloge informieren erst einmal einseitig. Beim Prospekt liegt der Fokus eindeutig auf der Dringlichkeit. Kaufe jetzt, oder es ist zu spät. Als mittelfristiges Beziehungsinstrument eignet sich eher ein Katalog. Katalogkunden sind in der Regel Stammkunden, ob im Cross-Over oder bei Branchen- bzw. Spezialkatalogen. Die Aufbewahrungszeit eines Kataloges ist wesentlich länger, und die Sortimentskompetenz kann besser belegt werden. Eine Intensivierung der Kundenbeziehung tritt aber erst dann ein, wenn man den Kataloginhalt real erleben kann. Ikea ist deshalb so erfolgreich, weil Katalog und Store-Geschäft perfekt kombiniert werden. Prospekte und hochwertige Ware sind häufig ein Widerspruch, der nur in den seltensten Fällen gemeistert wird. Hochwertige Ware verkauft sich nicht allein durch schöne Bildwelten, sondern über eine persönliche Beziehung, am POS mit Hilfe des "Beziehungsmanagers" aufgebaut zwischen Kunde, Produkt und Mittler.
Investitionen in Stammkunden, in gutes Personal, in gelungene Präsentationen, in persönlich wirkende Kommunikationsmittel, in ausgefallene Sortimente oder in Überraschungen sind für alle Einzelhändler eine große Chance. Einkaufs- und Verkaufspreise rücken in den Hintergrund, die Pflege einer engen persönlichen Kommunikation in den Vordergrund. - Auf diesem Gebiet kann Aldi dann wirklich nicht mehr mithalten!
Der Autor
Ulrich Gaupp, war fast zehn Jahre in verantwortlicher Position im Bereich Marketing der Recticel Schlafkomfort GmbH unter anderem für die Marke "Schlaraffia" tätig und dabei zuständig für Marken-, Non-Brand- und Nischenprodukte oder -konzepte. Seit 2003 arbeitet Ulrich Gaupp als selbständiger Berater für Industrie und Handel mit den Schwerpunkten Marken- und Projektmanagement, Cross-Over-Konzepte und Beziehungsmanagement.
Anschrift: GAUPP. Management Consultant, Ulrich Gaupp, Hasenwinkeler Str. 178 a, 44879 Bochum, Tel. 0234/2982211, Fax -12.
aus
Haustex 12/03
(Handel)